Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

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Alexyessin
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Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Alexyessin »

Dies ist ein Split einer Nebendiskussion die ich mit Schoko in einem der vielen Ukraine-Threads angefangen habe.
Alexyessin » Mi 16. Dez 2015, 09:49 hat geschrieben:
Zugehörigkeiten sind aber ein Bestandteil unseres seins - übrigens mal eine ganz interessante Nebendiskussion, die sich hier entwickeln kann - denn wir leben nunmal großteils "zusammen".
schokoschendrezki » Mi 16. Dez 2015, 10:18 hat geschrieben: Nach bestimmten Regeln "Zusammen Leben" und "Zugehörigkeit" im Sinne einer Identität sind aber zwei verschiedene Dinge. Mir ist schon klar, dass das Bedürfnis nach Identität weit verbreitet ist und sogar wahrscheinlich umso stärker wachsen wird, je vernetzter und globaler die Welt ist. Und dennoch kann jeder einzelne Mensch als Individuum die Entscheidung treffen, sich zwar an die Regeln des Zusammenlebens (sprich: Gesetze) zu halten, aber auf eine bewusste und identitäre Zugehörigkeit zu verzichten.
Die eigene Identität beruft sich immer auf das Umfeld und somit ist das Zusammenleben auch immer ein Teil des Zusammengehörens oder, um weiter zu greifen, der Zugehörigkeit - egal ob zu einer Dorfgemeinschaft, eines Stadtviertels oder zu einer Weltanschauung. Der Mensch ist aber genau so ein Angsttier - das Fremde macht dem Menschen erstmal Angst - das sind unsere archaischen Erbstücke, die uns durch 130000 Jahre HSS - vor der Kultur überleben haben lassen. Und umso fremder ein anderer ist, sei es sprachlich, religiös, ideologisch oder nur der Fußballverein - desto mehr rückt man unbewusst in seiner Gruppe zusammen.
Wenn du anführst, das du dich an die Regeln halten willst, dann erklärst du dich damit einverstanden Teil dieser Gruppe zu sein, die sich auch an diese Regeln halten will.
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin kein Nazi, aber...
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von x-ray »

...und gleichzeitig gibt man etwas Wichtiges auf - nämlich die Fähigkeit und dessen Aktzeptanz innerhalb der Gruppe, frei denken zu können.
Geld ist kein Privat-Eigentum, sondern ein öffentliches Gut und eine staatliche Bescheinigung eines selber durch eigene Leistung verdienten (!) Rechtes auf Bezug einer gleichwertigen Gegenleistung.
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Laertes
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Laertes »

Laut The Righteous Mind von Jonathan Haidt ist Loyalität gegenüber der eigenen Gruppe und damit einhergehend Ablehnung gegenüber Regelbrechern (aus der eigenen Gruppe) und Fremden ein Resultat der Evolution menschlicher Sozialgemeinschaften (group level evolution). Frühgeschichtliche menschliche Gemeinschaften (tribes) mit obigen Eigenschaften waren bezüglich Reproduktion und Überlebensfähigkeit erfolgreicher als vergleichbare Gruppen, in denen diese Eigenschaften schwächer ausgeprägt waren. Gründe dafür sind (extrem verknappt): Höhere Fähigkeit zur Kooperation im Team, basierend auf gleichen Regeln und damit vorhersagbarem Verhalten. Geringeres Risiko Krankheiten und sozial inkompatible Verhaltensweisen von außen in die Gruppe zu tragen.

Letztlich hat die menschliche Evolution darin gemündet, dass wir eine genetische Disposition zur produktiven Kooperation mit Gruppenmitgliedern mitbringen basierend auf "shared intentions" (einzigartig im Tierreich) und gleichzeitig eine genetische Disposition zu Ablehnung, Mißtrauen und Aggression gegenüber Nichtgruppenangehörigen (weniger einzigartig, da auch bei Schimpansenherden beobachtbar, die sogar vereinzelt gegeneinander Krieg führen).

Mit dieser Disposition ist allerdings per se noch keine genetische Grundlage für Nationalismus oder Fremdenfeindlichkeit gelegt, sondern zunächst mal nur eine Blaupause für das ehedem evolutionär Erfolg versprechendste unbewusste Verhaltensmuster. Beide Dispositionen lassen instrumentalisieren, die eine von Werbung und Verkäufern, die andere von politischen Rattenfängern.

Allerdings ist es auch keine psychologische Disposition, kein biologisches Programm, dass sich durch Vernunft oder Bildung abschalten lässt, sondern elementarste menschliche 'Firmware', durch die der Mensch überhaupt erst zu seinen überragenden Kulturleistungen befähigt wurde. Nichts was man ihm austreiben müsste (oder könnte), aber etwas, dass man in konstruktive Bahnen lenken muss.

Und dazu gehört auch das Angebot sich positiv mit seiner Gemeinde, seiner Region, seinem Land, seiner Nation identifizieren zu können/dürfen. Und es gegen andere Gruppen(interessen) verteidigen zu können/dürfen. Das ist der Nerv, den die AfD und darin ein Gauland oder Höcke treffen.

Die Bundes-CDU unter Merkel hat (im Gegensatz zur CSU) dieses Terrain ersatzlos aufgegeben und viele damit politisch heimatlos gemacht. Linke und Liberale konnten den Menschen zur Identifikation mit der Gruppe nie (das Unterbewusstsein) überzeugende Angebote machen. Weder Markt plus individuelle Freiheit noch Arbeiterklasse plus sozialistische Internationale stoßen da in heutigen Zeiten noch auf mentale Resonanz.
Zuletzt geändert von Laertes am Di 23. Feb 2016, 23:15, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von x-ray »

Laertes hat geschrieben:(23 Feb 2016, 12:21)

Laut The Righteous Mind von Jonathan Haidt ist Loyalität gegenüber der eigenen Gruppe und damit einhergehend Ablehnung gegenüber Regelbrechern (aus der eigenen Gruppe) und Fremden ein Resultat der Evolution menschlicher Sozialgemeinschaften (group level evolution). Frühgeschichtliche menschliche Gemeinschaften (tribes) mit obigen Eigenschaften waren bezüglich Reproduktion und Überlebensfähigkeit erfolgreicher als vergleichbare Gruppen, in denen diese Eigenschaften schwächer ausgeprägt waren. Gründe dafür sind (extrem verknappt): Höhere Fähigkeit zur Kooperation im Team, basierend auf gleichen Regeln und damit vorhersagbarem Verhalten. Geringeres Risiko Krankheiten und sozial inkompatible Verhaltensweisen von außen in die Gruppe zu tragen.

Letztlich hat die menschliche Evolution darin gemündet, dass wir eine genetische Disposition zur produktiven Kooperation mit Gruppenmitgliedern mitbringen basierend auf "shared intentions" (einzigartig im Tierreich) und gleichzeitig eine genetische Disposition zu Ablehnung, Mißtrauen und Aggression gegenüber Nichtgruppenangehörigen (weniger einzigartig, da auch bei Schimpansenherden beobachtbar, die sogar vereinzelt gegeneinander Krieg führen).

Mit dieser Disposition ist allerdings per se noch keine genetische Grundlage für Nationalismus oder Fremdenfeindlichkeit gelegt, sondern zunächst mal nur eine Blaupause für das ehedem evolutionär Erfolg versprechendste unbewusste Verhaltensmuster. Beide Dispositionen lassen instrumentalisieren, die eine von Werbung und Verkäufern, die andere politischen Rattenfängern.

Allerdings ist es auch keine psychologische Disposition, kein biologisches Programm, dass sich durch Vernunft oder Bildung abschalten lässt, sondern elementarste menschliche 'Firmware', durch die der Mensch überhaupt erst zu seinen überragenden Kulturleistungen befähigt wurde. Nicht was man ihm austreiben müsste (oder könnte), aber etwas, dass man in konstruktive Bahnen lenken muss.

Und dazu gehört auch das Angebot sich positiv mit seiner Gemeinde, seiner Region, seinem Land, seiner Nation identifizieren zu können/dürfen. Und es gegen andere Gruppen(interessen) verteidigen zu können/dürfen. Das ist der Nerv, den die AfD und darin ein Gauland oder Höcke treffen.

Die Bundes-CDU unter Merkel hat (im Gegensatz zur CSU) dieses Terrain ersatzlos aufgegeben und viele damit politisch heimatlos gemacht. Linke und Liberale konnten den Menschen zur Identifikation mit der Gruppe nie (das Unterbewusstsein) überzeugende Angebote machen. Weder Markt plus individuelle Freiheit noch Arbeiterklasse plus sozialistische Internationale stoßen da in heutigen Zeiten noch auf mentale Resonanz.
Schöne Abhandlung über die Situation des Menschen aus evolutionsbiologischer Sicht, der man nur insoweit zustimmen kann, als das sie vergisst, dass wir so ziemlich die einzigen, denkenden Wesen sind, die fähig sind, Kultur zu schaffen, und, aufgeklärt über unsere prekären Situation Bescheid wissen. Vor diesem Hintergrund ist es eben nicht einfach so als "gottgegeben" hinnehmbar; weil es allenfalls als rudimetäres Überbleibsel - auch als Instinkt bezeichenbar - zwar in jedem von uns mehr oder weniger stark schlummert, aber eben nur noch allenfalls im beschränken Maße zum Überleben einer (kleineren) Gruppe beitragen kann, aber in einer sich vernetzenden, globalisierenden Welt als Dysevolution (Fehlanpassung im Sinne von Daniel E. Lieberman) gesehen werden muss. Das bedeutet, dass diese durchaus sinnvolle, weil das Überleben der Spezies Homo Sapiens sichernde, evolutionäre Anpassung, sich in der Neuzeit schnell zum Bumerang entwickeln kann. Geschichte wiederholt sich doch nicht, oder doch?
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von bakunicus »

Laertes hat geschrieben:(23 Feb 2016, 12:21)

Laut The Righteous Mind von Jonathan Haidt ist Loyalität gegenüber der eigenen Gruppe und damit einhergehend Ablehnung gegenüber Regelbrechern (aus der eigenen Gruppe) und Fremden ein Resultat der Evolution menschlicher Sozialgemeinschaften (group level evolution). Frühgeschichtliche menschliche Gemeinschaften (tribes) mit obigen Eigenschaften waren bezüglich Reproduktion und Überlebensfähigkeit erfolgreicher als vergleichbare Gruppen, in denen diese Eigenschaften schwächer ausgeprägt waren. Gründe dafür sind (extrem verknappt): Höhere Fähigkeit zur Kooperation im Team, basierend auf gleichen Regeln und damit vorhersagbarem Verhalten. Geringeres Risiko Krankheiten und sozial inkompatible Verhaltensweisen von außen in die Gruppe zu tragen.

Letztlich hat die menschliche Evolution darin gemündet, dass wir eine genetische Disposition zur produktiven Kooperation mit Gruppenmitgliedern mitbringen basierend auf "shared intentions" (einzigartig im Tierreich) und gleichzeitig eine genetische Disposition zu Ablehnung, Mißtrauen und Aggression gegenüber Nichtgruppenangehörigen (weniger einzigartig, da auch bei Schimpansenherden beobachtbar, die sogar vereinzelt gegeneinander Krieg führen).

Mit dieser Disposition ist allerdings per se noch keine genetische Grundlage für Nationalismus oder Fremdenfeindlichkeit gelegt, sondern zunächst mal nur eine Blaupause für das ehedem evolutionär Erfolg versprechendste unbewusste Verhaltensmuster. Beide Dispositionen lassen instrumentalisieren, die eine von Werbung und Verkäufern, die andere politischen Rattenfängern.

Allerdings ist es auch keine psychologische Disposition, kein biologisches Programm, dass sich durch Vernunft oder Bildung abschalten lässt, sondern elementarste menschliche 'Firmware', durch die der Mensch überhaupt erst zu seinen überragenden Kulturleistungen befähigt wurde. Nicht was man ihm austreiben müsste (oder könnte), aber etwas, dass man in konstruktive Bahnen lenken muss.

Und dazu gehört auch das Angebot sich positiv mit seiner Gemeinde, seiner Region, seinem Land, seiner Nation identifizieren zu können/dürfen. Und es gegen andere Gruppen(interessen) verteidigen zu können/dürfen. Das ist der Nerv, den die AfD und darin ein Gauland oder Höcke treffen.

Die Bundes-CDU unter Merkel hat (im Gegensatz zur CSU) dieses Terrain ersatzlos aufgegeben und viele damit politisch heimatlos gemacht. Linke und Liberale konnten den Menschen zur Identifikation mit der Gruppe nie (das Unterbewusstsein) überzeugende Angebote machen. Weder Markt plus individuelle Freiheit noch Arbeiterklasse plus sozialistische Internationale stoßen da in heutigen Zeiten noch auf mentale Resonanz.
als denkansatz ist dieser beitrag nicht schlecht, aber bedarf des kommentars.

zuallererst geht die reihenfolge in den archaisch/indigenen strukturen erst mal so: individuum, familie, clan, stamm ...
und zumindest bei den nordamerikanischen indianern war es meines wissens so, dass ein clan sich geteilt hat, wenn eine "kritische masse" erreicht wurde, die bei ca. 1.200 personen lag.
das ist die grenze von "jeder kennt jeden", und entpricht einem großen dorf bei uns in deutschland ...

da weiß jedes kind wer der bürgermeister, der arzt und der bäcker ist.
auf dieser ebene ist ein "wir-gefühl" als nachbarschaftliches verhältnis möglich, darüber hinaus kaum.

darüber hinaus, als stadt oder stadtstaat, als staat im historischen sinne von china, rom oder später karl dem großen ... da hat das alles nichts mehr mit indigenen völkern oder einem rudel von schimpansen zu tun ... mit einer quasi genetischen begründung, sondern dazu gibt es allein nur noch eine kulturelle identifikation mit der gemeinschaft, die anerzogen und oktruiert werden muß.
und da waren besonders die abrahamitischen und monotheistischen religionen und staaten erfolgreich (zumindest im nahen osten und westen europas), weil damit erstmals eine "gleichschaltung" einer sehr großen population möglich wurde ...
aber nicht nur in europa ... auch z.b. die inkas und mayas in südamerika, oder das historische china sind dafür beispiel.

fazit:
na klar ... sich zu immer größeren staatsgebilden zusammenzuschließen war und ist ein unbestrittener machtfaktor, ohne frage ... und der große schluckt den kleinen ...

aber was sagt das für die identität ?
die hört bei 1.200 ... nämlich auf ... und die ist auch nicht evolutionär begründet.
sonst kann es nämlich kaum sein, dass diese identifizierung mit dem anderen so höchst unterschiedlich ausfällt.
nationalstolz, werte und normen, sind in deutschland ganz anders als in china, als in rußland, als in südafrika ...
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Laertes »

bakunicus hat geschrieben:(23 Feb 2016, 17:12)
aber was sagt das für die identität ?
die hört bei 1.200 ... nämlich auf ... und die ist auch nicht evolutionär begründet.
sonst kann es nämlich kaum sein, dass diese identifizierung mit dem anderen so höchst unterschiedlich ausfällt.
nationalstolz, werte und normen, sind in deutschland ganz anders als in china, als in rußland, als in südafrika ...
Nach der Theorie von Dunbar et. al sind 1200 Personen schon zu hoch gegriffen soweit es die rein biologischen Aspekte angeht. Bei sozialen Säugetieren korrespondiert die Größe des für das Sozialverhalten relevanten Gehirnbereichs genau mit der Durchschnittsgröße der sozialen Gruppen/Herden. Daraus ergab sich rechnerisch, basierend auf dem größeren Gehirn, für Menschen die Zahl von 150 Gruppen Mitgliedern. Diese Zahl wurde inzwischen empirisch bestätigt (u. a. liegt die durchschnittliche Anzahl der Facebook-Kontake bei ca. 150).

Eine weitere These besagt, dass die Ausbildung der menschlichen Sprachfähigkeit genau auf dem Umstand beruht, dass die Anzahl der direkt zu unterhaltenden Kontakte eben bei 150 liegt, unsere sprachfähigen Vorfahren aber den evolutionären Vorteil hatten mittels Sprache (Klatsch und Tratsch, Lob, Empfehlung, Warnung, üble Nachrede) indirekte Vertrauensverhältnisse zu einer deutlich größeren Anzahl von Gruppenmitgliedern. Demnach war genau Sprachvermögen das evolutionäre Mittel um größere Verbünde als 150 Individuen (z. B. die o. g. 1200) zu einer Gemeinschaft zu verbinden.

Dass sich der Identitätsinstinkt (wenn man das so nennen mag) ganz unterschiedlich äußert wird von Haidt ebenfalls in aller Ausführlichkeit begründet. Ich fand seine Analogie zum Jagdinstinkt bei Katzen ziemlich plausibel: Katzen haben eine hypersensible Wahrnehmung bewegter kleiner Objekte mit fadenartigem Appendix. Die Evolution hat sie darauf geeicht auf alles anzuspringen, was auch nur im entferntesten einer Maus ähnelt, inklusive Wollknäuel. Manche Tiere haben einen Schreckreflex, der auf Schlangen reagiert - aber genauso auf Stricke oder Wurzeln. Evolutionstechnisch war es vorteilhaft, wenn diese Instinkte zu empfindlich reagierten (lieber ein Wollknäuel zu viel erbeuten als eine Maus zu wenig, lieber vor einer Wurzel zu viel zurückschrecken als vor einer Schlange zu wenig). D. h. die konkrete Erscheinungsform um ihn zu bedienen (auszulösen, zufrieden zu stellen) ist dabei überaus wandelbar und kann ganz sublim wirken (z. B. ist empirisch belegt, dass dich ein geschickter Verkäufer manipulieren kann, indem er einfach deine Körperhaltung nachahmt).

Wichtig erscheint mir bei jeder Debatte über nationale Identität, dass es unmöglich ist das biologisch/psychologische Grundprogramm abzustellen oder zu überwinden. schon gar nicht auf der rationalen Vernunftebene. das funktioniert bei der Katze nicht wenns um Mäuse geht und bei Menschen nicht wenn es um Gruppenzugehörigkeit und Ablehnung Gruppenfremder geht.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Fadamo »

Alexyessin hat geschrieben:(17 Dec 2015, 13:17)

Dies ist ein Split einer Nebendiskussion die ich mit Schoko in einem der vielen Ukraine-Threads angefangen habe.





Die eigene Identität beruft sich immer auf das Umfeld und somit ist das Zusammenleben auch immer ein Teil des Zusammengehörens oder, um weiter zu greifen, der Zugehörigkeit - egal ob zu einer Dorfgemeinschaft, eines Stadtviertels oder zu einer Weltanschauung. Der Mensch ist aber genau so ein Angsttier - das Fremde macht dem Menschen erstmal Angst - das sind unsere archaischen Erbstücke, die uns durch 130000 Jahre HSS - vor der Kultur überleben haben lassen. Und umso fremder ein anderer ist, sei es sprachlich, religiös, ideologisch oder nur der Fußballverein - desto mehr rückt man unbewusst in seiner Gruppe zusammen.
Wenn du anführst, das du dich an die Regeln halten willst, dann erklärst du dich damit einverstanden Teil dieser Gruppe zu sein, die sich auch an diese Regeln halten will.
Wer stellt denn eigentlich die Regeln des Zusammenlebens fest :?:
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Alexyessin »

Fadamo hat geschrieben:(23 Feb 2016, 18:38)

Wer stellt denn eigentlich die Regeln des Zusammenlebens fest :?:
Die jeweilige Gruppe selbst.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Fadamo »

Alexyessin hat geschrieben:(23 Feb 2016, 18:42)

Die jeweilige Gruppe selbst.

Sehr qualifiziert geantwortet. :D
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Laertes »

Fadamo hat geschrieben:(23 Feb 2016, 18:38)

Wer stellt denn eigentlich die Regeln des Zusammenlebens fest :?:
Meinst du feststellen oder vereinbaren?

Feststellen: Ein unentwegt und unbewusst arbeitender Teil deines Gehirns. Der ist allerdings ziemlich dämlich und oberflächlich.
Vereinbaren: Durch Akzeptieren und Nachahmen des Verhaltens respektierter Gruppenvorbilder (Eltern, ältere Kinder, Alphatiere). Nennt sich auch Tradition.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Fadamo »

Laertes hat geschrieben:(23 Feb 2016, 18:52)

Meinst du feststellen oder vereinbaren?

Feststellen: Ein unentwegt und unbewusst arbeitender Teil deines Gehirns. Der ist allerdings ziemlich dämlich und oberflächlich.

Soll das eine Beleidigung sein ?
Wenn ja,nur Menschen können das tun. :D
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von bakunicus »

Laertes hat geschrieben:(23 Feb 2016, 18:35)

Nach der Theorie von Dunbar et. al sind 1200 Personen schon zu hoch gegriffen soweit es die rein biologischen Aspekte angeht. Bei sozialen Säugetieren korrespondiert die Größe des für das Sozialverhalten relevanten Gehirnbereichs genau mit der Durchschnittsgröße der sozialen Gruppen/Herden. Daraus ergab sich rechnerisch, basierend auf dem größeren Gehirn, für Menschen die Zahl von 150 Gruppen Mitgliedern. Diese Zahl wurde inzwischen empirisch bestätigt (u. a. liegt die durchschnittliche Anzahl der Facebook-Kontake bei ca. 150).

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Dass sich der Identitätsinstinkt (wenn man das so nennen mag) ganz unterschiedlich äußert wird von Haidt ebenfalls in aller Ausführlichkeit begründet. Ich fand seine Analogie zum Jagdinstinkt bei Katzen ziemlich plausibel: Katzen haben eine hypersensible Wahrnehmung bewegter kleiner Objekte mit fadenartigem Appendix. Die Evolution hat sie darauf geeicht auf alles anzuspringen, was auch nur im entferntesten einer Maus ähnelt, inklusive Wollknäuel. Manche Tiere haben einen Schreckreflex, der auf Schlangen reagiert - aber genauso auf Stricke oder Wurzeln. Evolutionstechnisch war es vorteilhaft, wenn diese Instinkte zu empfindlich reagierten (lieber ein Wollknäuel zu viel erbeuten als eine Maus zu wenig, lieber vor einer Wurzel zu viel zurückschrecken als vor einer Schlange zu wenig). D. h. die konkrete Erscheinungsform um ihn zu bedienen (auszulösen, zufrieden zu stellen) ist dabei überaus wandelbar und kann ganz sublim wirken (z. B. ist empirisch belegt, dass dich ein geschickter Verkäufer manipulieren kann, indem er einfach deine Körperhaltung nachahmt).

Wichtig erscheint mir bei jeder Debatte über nationale Identität, dass es unmöglich ist das biologisch/psychologische Grundprogramm abzustellen oder zu überwinden. schon gar nicht auf der rationalen Vernunftebene. das funktioniert bei der Katze nicht wenns um Mäuse geht und bei Menschen nicht wenn es um Gruppenzugehörigkeit und Ablehnung Gruppenfremder geht.
ich halte wenig von solchen biologismen ...
und kann dem katzenbeispiel auch nicht folgen ...
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Laertes »

bakunicus hat geschrieben:(23 Feb 2016, 19:28)

ich halte wenig von solchen biologismen ...
und kann dem katzenbeispiel auch nicht folgen ...
1. Was du oder ich oder sonstwer davon hält ist der Natur naturgemäß egal ;)
2. Wenn du die menschlichen Unzulänglichkeiten nicht für rein menschengemacht und überwindbar hieltest, wärst du ja auch kein Linker :D
3. Katzenbeispiel: Das sozialgenetisch verankerte Identitäts-/Abgrenzungsbedürfnis ist eigentlich auf das Zusammenleben in kleinen Gruppen gepolt, regiert aber 'schwammig', und kann daher auch durch nationalen Chauvinismus, Fußballvereine, Facebookfreunde oder (Freund/Feind-)Fraktionen im politik-forum.eu gestillt/ausgelöst werden.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Alexyessin »

Fadamo hat geschrieben:(23 Feb 2016, 18:51)

Sehr qualifiziert geantwortet. :D
Eine Antwort auf deine Frage. Bin aber gerne bereit hier weiter zu machen, wenn du mir sagst, was du von meiner Anschauung dazu wissen möchtest.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Alexyessin »

Laertes hat geschrieben:(23 Feb 2016, 18:35)
Wichtig erscheint mir bei jeder Debatte über nationale Identität, dass es unmöglich ist das biologisch/psychologische Grundprogramm abzustellen oder zu überwinden. schon gar nicht auf der rationalen Vernunftebene. das funktioniert bei der Katze nicht wenns um Mäuse geht und bei Menschen nicht wenn es um Gruppenzugehörigkeit und Ablehnung Gruppenfremder geht.
Das denke ich nicht. Eine sich herausbildende Identität ist nur sekundär mit einer nationalen Frage verbunden. Zeigt nicht ein einfacher Blick in die Geschichte, das nationale Identitäten eher eine Sackgasse waren?
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Laertes »

Alexyessin hat geschrieben:(23 Feb 2016, 20:29)

Eine sich herausbildende Identität ist nur sekundär mit einer nationalen Frage verbunden. Zeigt nicht ein einfacher Blick in die Geschichte, das nationale Identitäten eher eine Sackgasse waren?
Dem kann ich mich voll anschließen. Nation ist m. E. ein Konstrukt, dass der politische Verstand sich im Nachhinein zurecht bastelt, um die unbewussten Regungen seines Identitätsbedürfnis zu verstehen (und dann für machtpolitische Zwecke zu instrumentalisieren). Deswegen sprach ich ja davon es in konstruktive Bahnen zu lenken: Lieber Identifikation im Kleinen (Heimat, Nachbarschaftlichkeit, Naturschutz, Ehrenamt, Fußballverein) statt im Großen (Nation, Europäische Union, der Westen, das Abendland).

Allerdings sind natürlich das Sprechen derselben Sprache und das Befolgen derselben Alltagsregeln maximal identitätsstiftend (weswegen Navid Kermani oder Hamed Abdel-Samad welche von 'uns' sind, und der nur arabisch sprechende Iman, der Frauen nicht die Hand gibt, einer von 'denen' ist).
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Alexyessin »

Laertes hat geschrieben:(23 Feb 2016, 20:52)

Dem kann ich mich voll anschließen. Nation ist m. E. ein Konstrukt, dass der politische Verstand sich im Nachhinein zurecht bastelt, um die unbewussten Regungen seines Identitätsbedürfnis zu verstehen (und dann für machtpolitische Zwecke zu instrumentalisieren). Deswegen sprach ich ja davon es in konstruktive Bahnen zu lenken: Lieber Identifikation im Kleinen (Heimat, Nachbarschaftlichkeit, Naturschutz, Ehrenamt, Fußballverein) statt im Großen (Nation, Europäische Union, der Westen, das Abendland).

Allerdings sind natürlich das Sprechen derselben Sprache und das Befolgen derselben Alltagsregeln maximal identitätsstiftend (weswegen Navid Kermani oder Hamed Abdel-Samad welche von 'uns' sind, und der nur arabisch sprechende Iman, der Frauen nicht die Hand gibt, einer von 'denen' ist).
Ja und nein, Sprache ist mit Sicherheit ein wichtiger Kitt, aber Sprache lebt und wenn ich mich abgrenzen will dann sprech ich Dialekt zum Beispiel oder Szenesprache. Ausgrenzen ist eben auch ein Teil des Individuums, der eigenen Identität.
Heimat ist zum Beispiel subjektiv. Manche sagen Heimat ist, wo man herkommt, andere, da wo sie wohnen oder wo sie sich wohlfühlen. Für meine Oma war die Heimat Böhmen, für mich ist das nur noch ein Wort einer Erinnerung. Aber auf die engere Umgebung bezogen kann ich dir schon Recht geben.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von x-ray »

Laertes hat geschrieben:(23 Feb 2016, 20:52)

Dem kann ich mich voll anschließen. Nation ist m. E. ein Konstrukt, dass der politische Verstand sich im Nachhinein zurecht bastelt, um die unbewussten Regungen seines Identitätsbedürfnis zu verstehen (und dann für machtpolitische Zwecke zu instrumentalisieren). Deswegen sprach ich ja davon es in konstruktive Bahnen zu lenken: Lieber Identifikation im Kleinen (Heimat, Nachbarschaftlichkeit, Naturschutz, Ehrenamt, Fußballverein) statt im Großen (Nation, Europäische Union, der Westen, das Abendland).

Allerdings sind natürlich das Sprechen derselben Sprache und das Befolgen derselben Alltagsregeln maximal identitätsstiftend (weswegen Navid Kermani oder Hamed Abdel-Samad welche von 'uns' sind, und der nur arabisch sprechende Iman, der Frauen nicht die Hand gibt, einer von 'denen' ist).
Ist soweit alles richtig, aber ich vermisse konstruktive Vorschläge, wie wir diesem Umstand entkommen können... Oder ist es doch so, wie Arthur Koestler schrieb, dass der Mensch ein "Irrläufer der Evolution" zu sein scheint, der, aus eben besagten Gründen, nicht fähig ist, in größeren Gruppen oder global gesehen, zusammen zu leben. Wie könnte man also unserem festgelegten, biologischem Programm entgegenwirken?
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Quatschki »

Es gibt auch Vögel oder Meerestiere, die in riesigen Schwärmen von zigtausend Individuen weltweit mobil sind und so etwas wie eine kollektive Identität beim aufeinander Aufpassen und der Feindabwehr haben, während Rangeleien bei der Nahrungssuche, Paarung und Nestbau über die Hackordnung geregelt werden
Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
„Dies ist wieder ein Exempel!“
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Alexyessin
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Alexyessin »

Quatschki hat geschrieben:(25 Feb 2016, 08:57)

Es gibt auch Vögel oder Meerestiere, die in riesigen Schwärmen von zigtausend Individuen weltweit mobil sind und so etwas wie eine kollektive Identität beim aufeinander Aufpassen und der Feindabwehr haben, während Rangeleien bei der Nahrungssuche, Paarung und Nestbau über die Hackordnung geregelt werden
Ich bin der Meinung, das Vögel oder Fische nicht die mentale Fähigkeit haben sich als kollektive Identität zu erkennen.
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin kein Nazi, aber...
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Laertes
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Laertes »

x-ray hat geschrieben:(25 Feb 2016, 08:35)

Ist soweit alles richtig, aber ich vermisse konstruktive Vorschläge, wie wir diesem Umstand entkommen können... Oder ist es doch so, wie Arthur Koestler schrieb, dass der Mensch ein "Irrläufer der Evolution" zu sein scheint, der, aus eben besagten Gründen, nicht fähig ist, in größeren Gruppen oder global gesehen, zusammen zu leben. Wie könnte man also unserem festgelegten, biologischem Programm entgegenwirken?
Wieso Irrläufer der Evolution? Der entsprechende evolutionäre Prozess ist ja in vollem Gange. Nennt sich self domestification. Unter der Prämisse, dass friedliches, kooperatives Zusammenleben evolutionsbiologisch erfolgreicher ist als gewalttätiges und einzelgängerisches, gibt es zunehmend mehr Menschen mit den erstgenannten Eigenschaften und weniger mit den letztgenannten.

Wenn du das drastisch zu Ende denken willst: Welche Gruppe wird bei einem drohenden Asteroideneinschlag eher in der Lage sein eine Raumschiffarche zu bauen und sich damit andere Planeten abzusetzen? Welche Gruppe wird eher in der Lage sein die verbleibenden Rückzugsräume auf der Erde bei einer Klimakatastrophe oder einer Pandemie zu nutzen, zu besiedeln, sich dort zu vermehren?

Zur anderen Frage: Der Mensch ist biologisch nicht darauf programmiert zusammen mit Millionen anderen in direktem Bezug zu leben. Man kann das ignorieren und der 'menschlichen Natur' überlassen - dann bekommt man no go areas, Slums und Straßenzüge, die von Gangs beherrscht werden. Oder man fördert eine politische Landschaft, die Subsidarität und Kleinverbünde (Dorf, Quartier) propagiert. Solche Kleinverbünde müssen einerseits zivil angemessen miteinander konkurrieren können (Sport, Wettbewerbe) und andererseits für gemeinsame Interessen kooperieren können (Spielplatz bauen, Gemeindehaus renovieren, Stadtteilfest organisieren, ...). Auf der höheren Ebene muss man Repräsentanten der Gruppen dann wieder in überschaubaren Größenordnungen organisieren (Regionalparlamente, Nationalmannschaft, Religionsbeirat o. ä.). Im Grunde bietet unser System mit Parlamenten, Bürgerbeteiligungen und der Gliederung in kommunale, regionale, nationale Einheiten dafür die besten Voraussetzungen. Eventuell geht es uns in Deutschland daher im Vergleich auch so gut.

Ein gewisses Maß an Ungleichheit und gewalttätigen Konflikten wirst du m. E. immer haben wo Menschen zusammenleben. Die Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass sie sich nicht zur Katastrophe, zum Flächenbrand ausweiten können, der die Gemeinschaft als Ganzes auslöscht. Social overengineering von 'oben' schadet da eher als es nutzt.
"Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann."
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von bakunicus »

Laertes hat geschrieben:(23 Feb 2016, 20:24)

1. Was du oder ich oder sonstwer davon hält ist der Natur naturgemäß egal ;)
mhh ...
bis jetzt halte ich mich jedenfalls für ein menschliches wesen, aber mir ist das bedürfnis in einem nationalen kontext identität als zentrales element meiner existenz zu finden völlig fremd ...
ich kann damit gar nichts anfangen ...

wie kann das sein, wenn das eine zwingend sozial-evolutionäre menschliche eigenschaft sein soll ?
bin ich also eine mißgeburt, ein sonderling ?
das glaube ich kaum, denn ich kenne sehr viele menschen denen das genau so geht wie mir ...

wie erklärst du das ?
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Laertes
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Laertes »

bakunicus hat geschrieben:(25 Feb 2016, 17:17)

mhh ...
bis jetzt halte ich mich jedenfalls für ein menschliches wesen, aber mir ist das bedürfnis in einem nationalen kontext identität als zentrales element meiner existenz zu finden völlig fremd ...
ich kann damit gar nichts anfangen ...

wie kann das sein, wenn das eine zwingend sozial-evolutionäre menschliche eigenschaft sein soll ?
bin ich also eine mißgeburt, ein sonderling ?
das glaube ich kaum, denn ich kenne sehr viele menschen denen das genau so geht wie mir ...

wie erklärst du das ?
Sich mit seiner Nation im Sinne von Staatsbürgerschaft, Pass, Geburtsurkunde identifizieren zu wollen kann ja gar nicht natürlich sein, da es sich bei all dem um künstliche Konstrukte der jüngsten Vergangenheit (der Menschheitsgeschichte) handelt. Sich einem wir zugehörig zu fühlen (oder auch mehreren) und es verteidigen zu wollen beim Gefühl es würde bedroht dagegen schon. Dass sich daraus Nationalismus entwickelt führe ich auf den gleichen Mechanismus zurück, der dafür sorgt, dass aus einer gesunden Vorliebe für Obst eine ungesunde Sucht nach Schokolade und raffiniertem Zucker wird. Der Grundmechanismus ist in uns vorhanden, springt aber auf alles an was auch nur grobe Ähnlichkeit mit dem 'originalen' Auslöser hat.

Wenn es tatsächlich gar kein wir gibt, dem du dich zugehörig fühlst (und sei es ein Fußballverein, ein Stadtviertel oder eine bestimmte Szene) und für das du Schutzreflexe empfindest, dann bist du zumindest eine Ausnahme. Andererseits gibt es ja auch ca. 1% Menschen, bei denen im Experiment keinerlei Gehirnaktivität messbar ist, die bei anderen bei Gewissenskonflikten und moralbelasteten Situationen hochaktiv sind.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Laertes hat geschrieben:(23 Feb 2016, 20:52)

Dem kann ich mich voll anschließen. Nation ist m. E. ein Konstrukt, dass der politische Verstand sich im Nachhinein zurecht bastelt, um die unbewussten Regungen seines Identitätsbedürfnis zu verstehen (und dann für machtpolitische Zwecke zu instrumentalisieren). Deswegen sprach ich ja davon es in konstruktive Bahnen zu lenken: Lieber Identifikation im Kleinen (Heimat, Nachbarschaftlichkeit, Naturschutz, Ehrenamt, Fußballverein) statt im Großen (Nation, Europäische Union, der Westen, das Abendland).
"In konstruktive Bahnen lenken" bedarf aber eines "Lenkers" oder einer Gruppe von "Lenkern" und setzt deren Akzeptanz bei einer Mehrheit voraus, noch bevor irgendwelche Konstruktionen positiv wirksam und erlebbar werden. Wenn die Welt im großen und ganzen "gut" wäre und funktionieren würde und es nur einighe negative Ausnahmen gäbe, könnte ich einem solchen Ansatz vielleicht noch folgen. Sie funktioniert aber (zunehmend) nicht. Sich der verbreiteten Tendenz zu Identität bewusst entgegenzustellen ist für mich (u.a.) eine Variante solcher neuerer politiisch-philosophischer Strategien wie etwa Akzelerationismus, der Wandel durch eine bewusste Beschleunigung von laufenden Entwicklungen herbeizuführen versucht.

Heimatliebe, Ehrenamt, Fußballverein ... das ist doch das Programm der AfD und des FN.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Laertes hat geschrieben:(25 Feb 2016, 19:35)

Sich mit seiner Nation im Sinne von Staatsbürgerschaft, Pass, Geburtsurkunde identifizieren zu wollen kann ja gar nicht natürlich sein, da es sich bei all dem um künstliche Konstrukte der jüngsten Vergangenheit (der Menschheitsgeschichte) handelt. Sich einem wir zugehörig zu fühlen (oder auch mehreren) und es verteidigen zu wollen beim Gefühl es würde bedroht dagegen schon. Dass sich daraus Nationalismus entwickelt führe ich auf den gleichen Mechanismus zurück, der dafür sorgt, dass aus einer gesunden Vorliebe für Obst eine ungesunde Sucht nach Schokolade und raffiniertem Zucker wird. Der Grundmechanismus ist in uns vorhanden, springt aber auf alles an was auch nur grobe Ähnlichkeit mit dem 'originalen' Auslöser hat.

Wenn es tatsächlich gar kein wir gibt, dem du dich zugehörig fühlst (und sei es ein Fußballverein, ein Stadtviertel oder eine bestimmte Szene) und für das du Schutzreflexe empfindest, dann bist du zumindest eine Ausnahme. Andererseits gibt es ja auch ca. 1% Menschen, bei denen im Experiment keinerlei Gehirnaktivität messbar ist, die bei anderen bei Gewissenskonflikten und moralbelasteten Situationen hochaktiv sind.
So wie die Welt momentan aussieht, wird aber kein "wir" bedroht sondern die Spezies Mensch als Ganzes befindet sich in Auflösung ... und die Alternative besteht für mich nicht, sich für eine der vielen großen und kleinen wirs zu entscheiden, sondern Strategien gegen diesen Auflösungsprozess zu entwickeln.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Darkfire »

Wenn sich etwas kleines zu etwas ganzem entwickeln will muss es den Weg über das größere gehen.
Mir fällt bei dir oft auf daß du diesen Zwischenschritt überspringen willst.
Du überforderst damit die Menschen die eben nicht einfach mutig ins Unbekannte springen können.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Darkfire hat geschrieben:(28 Feb 2016, 10:13)

Wenn sich etwas kleines zu etwas ganzem entwickeln will muss es den Weg über das größere gehen.
Mir fällt bei dir oft auf daß du diesen Zwischenschritt überspringen willst.
Du überforderst damit die Menschen die eben nicht einfach mutig ins Unbekannte springen können.
Sich bewusst gegen den Zeitgeist wiederaufgkommender Identitätsgefühle zu wenden, kann aus meiner Sicht ganz objektiv immer nur eine ganz persönliche Strategie und keine Forderung an andere sein. Lasst uns (alle zusammen) den Identitätskram überwinden ist doch ein Widersrpruch in sich...

Mir scheinen beim nochmaligen Lesen der bisherigen Diskussion auch zwei verschiedene Aspekte von Identität vermischt zu werden: Der soziale Aspekt und der politische. Ohne eine soziale Identität (Familie, Freundeskreis usw. ) kann kein Mensch existieren. Der politische Aspekt beginnt jenseits dieser Sphäre. Und während man noch bis vor kurzem auch bei differenzierter Bewertung von politischen Vorgängen im Großen und Ganazen so etwas wie eine politische Heimat haben konnte, geht das nach meinem Dafürhalten inzwischen nicht mehr. Es ist zum Beispiel beim Gesamtkomplex Nahostkonflikt inzwischen unmöglich, eine generelle Zugehörigkeit oder generelle Solidarität mit irgendeiner der beteiligten Seiten aufrechtzuerhalten. Unabhängig davon, welche politischen Grundsätze man vertritt.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Laertes hat geschrieben:(25 Feb 2016, 19:35)
Wenn es tatsächlich gar kein wir gibt, dem du dich zugehörig fühlst (und sei es ein Fußballverein, ein Stadtviertel oder eine bestimmte Szene) und für das du Schutzreflexe empfindest, dann bist du zumindest eine Ausnahme. Andererseits gibt es ja auch ca. 1% Menschen, bei denen im Experiment keinerlei Gehirnaktivität messbar ist, die bei anderen bei Gewissenskonflikten und moralbelasteten Situationen hochaktiv sind.
Vor kurzem las ich, Soziologen hätten empirisch herausgefunden, dass es eine Art magische Gruppengröße von etwa 150 Personen gibt. Ab dieser Größe lassen sich Gruppen nicht mehr allein mit informellen kommunikativen Mitteln zusammenhalten, benötigen formale Regeln und Gesetze und entsteht so etwas wie Fremdheit oder Anonymität. "Identität" ist der Versuch, einen informellen Zusammenhalt über diese Grenze hinaus herzustellen. Und irgendwann und irgendwie hat man festgestellt, dass man über diesen informellen Gruppenzusammenhalt hinaus eben auch prima Macht ausüben kann. Wir sehens ja gerade aktuell in der Türkei. Für jeden, dem Liberalismus und Individualismus etwas bedeuten, ist es einerseits eine Pflichtübung, sich dagegen zu wehren. Andererseits betrifft dies eben nicht informelle Freundeskreise und informelle "Wirs" diesseits dieser magischen Grenze. Man ist also keineswegs ein Sonderling oder Alien, wenn man Bekenntnisse zu identitären Wirs vollständig ablehnt.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Aus aktuellem Anlass: Ein Deutschlandfunk-Hintergrund zum Thema "Identitäre Bewegung" (in Deutschland): http://www.deutschlandfunk.de/rechtsext ... _id=369227
Wichtiges Thema. Vertreter dieser sogenannten Identitären Bewegung wollen vor allem eins: Den fast automatischen Reflex "Rechtsaußen gleich dummer Nazi" beseitigen. Sie sind soziologisch eher im studentischen Umfeld angesiedelt, hipp, jung, internetaffin. Die philoophisch-ideologische Basis kommt vor allem aus Frankreich (Stichwort Alain de Benoist). Als politische Bewegung würde ich die Identitären am ehesten mit der ungarischen Jobbik vergleichen. Auch die legen größten Wert auf Bildung, auf studentisch/professorales Millieu, auf bürgerliche Einstellungen zur Wirtschaft, auf strikte Abgrenzung zu Proll-Nazis.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Wasteland »

Kommt einem aus dem Forum hier bekannt vor.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von H2O »

Wasteland hat geschrieben:(25 Oct 2016, 12:26)

Kommt einem aus dem Forum hier bekannt vor.
Odiug hat das an anderer Stelle hier aus meiner Sicht ziemlich gut ausgedrückt: Ein Gemeinschaftsgefühl mit Unbekannten entsteht durch den Blick aus einer gemeinsamen Geschichte auf die Welt der Gegenwart. Ich füge hinzu, daß in einer solchen Gemeinschaft meist ein Stichwort genügt, um sehr ähnliche Gefühle aus zu lösen.

Praktisch hätte die Geschichte der DDR unser Volk endgültig trennen können, wenn die wirtschaftlichen Unterschiede zu den Brüdern und Schwestern im Westen nicht so erschreckend groß gewesen wären. Und nun setzen wir unsere Geschichten gemeinsam fort. So manche Verhaltensweise und so mancher Ausdruck ist uns gelernten Wessis fremd, und sicher werden etliche Ossis im mittleren und höheren Alter mit uns Wessis fremdeln.

Mit Blick auf Europa entwickelt sich allmählich eine Schickalsgemeinschaft innerhalb der EU, die uns näher zusammen führt als mit anderen Völkern, die sich von der EU abkehren. Vor der Wiedervereinigung war das deutsche Zusammengehörigkeitsgefühl schon so weit abgeebbt, daß uns Nordlichtern niederländische und dänische Nachbarn vertrauter waren als unsere Deutschen im Osten. Vermutlich waren diese Gefühle im Süden dann ersatzweise auf Italien und Frankreich stärker gerichtet als auf unsere östlichen Landsleute.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

Alexyessin hat geschrieben:(17 Dec 2015, 13:17)

Dies ist ein Split einer Nebendiskussion die ich mit Schoko in einem der vielen Ukraine-Threads angefangen habe.





Die eigene Identität beruft sich immer auf das Umfeld und somit ist das Zusammenleben auch immer ein Teil des Zusammengehörens oder, um weiter zu greifen, der Zugehörigkeit - egal ob zu einer Dorfgemeinschaft, eines Stadtviertels oder zu einer Weltanschauung. Der Mensch ist aber genau so ein Angsttier - das Fremde macht dem Menschen erstmal Angst - das sind unsere archaischen Erbstücke, die uns durch 130000 Jahre HSS - vor der Kultur überleben haben lassen. Und umso fremder ein anderer ist, sei es sprachlich, religiös, ideologisch oder nur der Fußballverein - desto mehr rückt man unbewusst in seiner Gruppe zusammen.
Wenn du anführst, das du dich an die Regeln halten willst, dann erklärst du dich damit einverstanden Teil dieser Gruppe zu sein, die sich auch an diese Regeln halten will.
Ich würde Identität sogar noch weiter fassen. Für die eigene Identität spielen auch Geschichte, Kultur Traditionen, Religion, Weltanschauung etc eine Rolle.
Das sogar noch mehr als die Zugehörigkeit zu einer ganz bestimmten Gruppe, sei das nun Verein, Beruf, Dorf-/Stadtgemeinschaft etc.
Die Zugehörigkeit/das Identifizieren mit kleineren Gruppen kann temporär wechseln, die Zugehörigkeit/das Identifizieren mit etwas, in das Menschen "hineingeboren" werden nicht. Das prägt das Denken und Fühlen der Menschen von Anfang an.
Werden die "übergeordneten" Aspekte Geschichte, Tradition, Kultur etc zu schnell verändert bzw verändern sich zu schnell, erzeugt das Ängste, die eigene Identität zu verlieren. Diese Angst vor dem/einem Identitätsverlust erzeugt wiederum Abwehrhaltung und Aggression dem gegenüber, was als Faktor angesehen wird, der zu dem Identitätsverlust führen kann. Und sei das "nur", dass bestimmte Traditionen, die unabhängig von Weltanschauung(en) fortgeführt werden, weil diese historisch gewachsen und Teil unserer Kultur sind, "abgeschafft" werden. Da reicht es schon wenn (dämliches Beispiel, ich weiß) der Weihnachts-, Christkindlmarkt (wie auch immer das regional genannt wird) in "Wintermarkt" umbenannt wird, wenn traditionelle Umzüge umbenannt werden.
Schon mit solchen "Maßnahmen" werden Abwehrhaltungen erzeugt, weil Menschen sich damit nicht idetifizieren können/wollen, diese als falsche Signale empfinden.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Kael »

Im Falle einer Katastrophe würden die gewalttätigen, nicht einzelgänger, Überleben
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von schokoschendrezki »

Aktuelle Empfehlung zum Thema: Ein Vortrag des Politikwissenschaftlers Jan-Werner Müller von der Princeton University in der Reihe "Hörsaal" von dradio Wissen.
Wo kommen auf einmal die vielen Populisten her? In den USA hat sich Donald Trump mit seinen extremen Positionen durchgesetzt. In Frankreich bringt sich Marine Le Pen in Stellung für den Präsidentschaftswahlkampf 2017. Geert Wilders macht die Niederlande unsicher und in Ungarn hat sich der selbstbewusste Viktor Orbán festgesetzt.
http://dradiowissen.de/beitrag/populism ... -politiker
In dem Vortrag gehts es vor allem um Identitätkonstruktion im Zusammenhang mit dem Phänomen "Postfaktisches Zeitalter".
In den Tweets von Herrn Trump (der sich inzwischen übrigens als "Ernest Hemingway of 140 characters" bezeichnet :p ) geht es genau darum: Identitätskonstruktion anstelle von Fakten. Um die Erzeugung des Gefühls: Ja, der Mann sagt einmal, was ich schon immer gedacht habe. Dieses Gefühl entstehe bei Millionen Amerikanern noch bevor sie darüber nachdenken, ob sie das, was Trump sagt und schreibt, tatsächlich gedacht haben. Und vor allem: Es ist ein Mechanismus, der mit der Wirklichkeit bereits gar nix mehr zu tun hat. Und ganz ähnlich funktioniert es mit Sarkozys Blick auf die Gallier, mit Erdogans Rückverweis auf die Osmanen, mit Putins Beschwörung der "russischen Seele", mit Orbáns Beschwörung des mystischen Turul-Vogels oder mit Abes Besuchen des Yasukuni-Schreins. Die dümmste Reaktion darauf besteht darin, auf wissenschaftliche Historiker zu verweisen, die übereinstimmend sagen, die Gallier wären doch nur eine von sehr vielen Vorfahren heutiger Franzosen. Als wenn es um Fakten ginge!

Nun zu dem, was in etlichen Beitragen vorher zu Identität als einem "natürlichen menschlichen Bedürfnis" geschrieben wurde. Anti-Identitäre Positionen müssen als linksliberale politische Strategien gegen eine künftige Welt der Trumps, Putins und Erdogans doch keineswegs den natürlichen Impulsen entsprechen. Die Strategie der DDR-Dissidenten-Literatur, Kritik an Partei und Staat in literarische Metaphern zu gießen, war auch alles andere als "natürlich". Eine bewusste politische Gegenbewegung mitzutragen ist doch keine Donau-Kreuzfahrt sondern ein bewusster, zur Not auch schmerzhafter Akt der Abgrenzung!
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von ThorsHamar »

schokoschendrezki hat geschrieben:(07 Dec 2016, 13:56)

.... Und vor allem: Es ist ein Mechanismus, der mit der Wirklichkeit bereits gar nix mehr zu tun hat. Und ganz ähnlich funktioniert es mit Sarkozys Blick auf die Gallier, mit Erdogans Rückverweis auf die Osmanen, mit Putins Beschwörung der "russischen Seele", mit Orbáns Beschwörung des mystischen Turul-Vogels oder mit Abes Besuchen des Yasukuni-Schreins. Die dümmste Reaktion darauf besteht darin, auf wissenschaftliche Historiker zu verweisen, die übereinstimmend sagen, die Gallier wären doch nur eine von sehr vielen Vorfahren heutiger Franzosen. Als wenn es um Fakten ginge! ....
Da verweise ich auch mal auf meine Signatur .... :cool:
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(07 Dec 2016, 13:56)

Aktuelle Empfehlung zum Thema: Ein Vortrag des Politikwissenschaftlers Jan-Werner Müller von der Princeton University in der Reihe "Hörsaal" von dradio Wissen. http://dradiowissen.de/beitrag/populism ... -politiker
In dem Vortrag gehts es vor allem um Identitätkonstruktion im Zusammenhang mit dem Phänomen "Postfaktisches Zeitalter".
In den Tweets von Herrn Trump (der sich inzwischen übrigens als "Ernest Hemingway of 140 characters" bezeichnet :p ) geht es genau darum: Identitätskonstruktion anstelle von Fakten. Um die Erzeugung des Gefühls: Ja, der Mann sagt einmal, was ich schon immer gedacht habe. Dieses Gefühl entstehe bei Millionen Amerikanern noch bevor sie darüber nachdenken, ob sie das, was Trump sagt und schreibt, tatsächlich gedacht haben. Und vor allem: Es ist ein Mechanismus, der mit der Wirklichkeit bereits gar nix mehr zu tun hat. Und ganz ähnlich funktioniert es mit Sarkozys Blick auf die Gallier, mit Erdogans Rückverweis auf die Osmanen, mit Putins Beschwörung der "russischen Seele", mit Orbáns Beschwörung des mystischen Turul-Vogels oder mit Abes Besuchen des Yasukuni-Schreins. Die dümmste Reaktion darauf besteht darin, auf wissenschaftliche Historiker zu verweisen, die übereinstimmend sagen, die Gallier wären doch nur eine von sehr vielen Vorfahren heutiger Franzosen. Als wenn es um Fakten ginge!

Nun zu dem, was in etlichen Beitragen vorher zu Identität als einem "natürlichen menschlichen Bedürfnis" geschrieben wurde. Anti-Identitäre Positionen müssen als linksliberale politische Strategien gegen eine künftige Welt der Trumps, Putins und Erdogans doch keineswegs den natürlichen Impulsen entsprechen. Die Strategie der DDR-Dissidenten-Literatur, Kritik an Partei und Staat in literarische Metaphern zu gießen, war auch alles andere als "natürlich". Eine bewusste politische Gegenbewegung mitzutragen ist doch keine Donau-Kreuzfahrt sondern ein bewusster, zur Not auch schmerzhafter Akt der Abgrenzung!
Ich halte dagegen und sage Zusammengehörigkeit und Identität (Nationalgefühl) sind keine Konstruktion, sondern ein ganz natürliches menschliches Bedürfnis.
Nur weil Linke, Grüne und Linksliberale Probleme mit solchen natürlichen Bedürfnissen haben, bedeutet das weder, dass sich solche Positionen an der Realität orientieren. Diese Leute erheben zwar den Anspruch im Besitz der absoluten Wahrheit und Deutungshoheit zu sein, die Realität straft sie allerdings Lügen, wie die gegenwärtige Entwicklung in Europa (und nicht nur in Europa) zeigen. In einer zunehmend globalisierten/sich globalisierenden Welt kann und darf das Ziel nicht Selbstaufgabe der (eigenen) Identität sein, sondern die Stärkung derselben.
Ein chinesischer Zuwanderer hat das Verhältnis der Deutschen zu ihrer eigenen (nationalen) Identität folgendermaßen analysiert:
Man kann daraus schlussfolgern, dass die Bundesrepublik Deutschland mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch nicht aus dem Schatten der moralischen und militärischen Niederlage NS-Deutschlands herausgekommen ist. Folglich hat sich das Land bis heute noch nicht in dem Sinne normalisiert, dass ein großer Teil der deutschen Bevölkerung bis zum heutigen Tage kein unverkrampftes, normales und selbstbewusstes Verhältnis mit der eigenen Identität und Staatlichkeit entwickeln konnte.
Die deutsche Gesellschaft hätte eine normale nationale Identität trotz all der Gräueltaten der NS-Gewaltherrschaft entwickeln können, hätte sie die positiven Teile ihrer Geschichte in den Vordergrund gestellt. Dafür hätten sich viele Denker der Aufklärung, Künstler und Wissenschaftler aus der langen Geschichte der deutschen Kulturnation als Vorbilder angeboten, die große Errungenschaften für die Entwicklung der modernen westlichen Zivilisation errungen hatten. All das wäre geeignet gewesen, die nachwachsenden Generationen in Deutschland anzuspornen, gleiches für den Fortschritt der Gesellschaft zu leisten. Gleichzeitig könnten die jüngeren Deutschen durchaus auch an die dunklen Seiten der Geschichte, etwa die Gräuel der NS-Zeit, erinnert werden, sodass auch dieser Teil der Geschichte nicht übersehen würde. Dies wäre geeignet gewesen, um die Entstehung eines übermütigen Nationalismus zu verhindern.
Indem man jedoch den Großteil der öffentlichen Thematisierung der deutschen Geschichte auf die zwölf Jahre der NS-Herrschaft reduziert und vor allem oder nahezu ausschließlich das Dunkle und die Gräuel der deutschen Geschichte im Blick behält, entwickelt sich die deutsche Gesellschaft von einem Extrem zu einem anderen Extrem: Von einer extrem chauvinistisch-nationalistischen und militaristischen Gesellschaft zu einer sich selbst aufgebenden und verleugenden Gesellschaft.


Ich weiß, das entspricht keinesfalls der gegenwärtigen PC vom angestrebten Multikulti, aber es lohnt sich ernsthaft über die Aussagen nachzudenken.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

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schokoschendrezki hat geschrieben:(07 Dec 2016, 13:56)

Aktuelle Empfehlung zum Thema: Ein Vortrag des Politikwissenschaftlers Jan-Werner Müller von der Princeton University in der Reihe "Hörsaal" von dradio Wissen. http://dradiowissen.de/beitrag/populism ... -politiker
In dem Vortrag gehts es vor allem um Identitätkonstruktion im Zusammenhang mit dem Phänomen "Postfaktisches Zeitalter".
In den Tweets von Herrn Trump (der sich inzwischen übrigens als "Ernest Hemingway of 140 characters" bezeichnet :p ) geht es genau darum: Identitätskonstruktion anstelle von Fakten. Um die Erzeugung des Gefühls: Ja, der Mann sagt einmal, was ich schon immer gedacht habe. Dieses Gefühl entstehe bei Millionen Amerikanern noch bevor sie darüber nachdenken, ob sie das, was Trump sagt und schreibt, tatsächlich gedacht haben. Und vor allem: Es ist ein Mechanismus, der mit der Wirklichkeit bereits gar nix mehr zu tun hat. Und ganz ähnlich funktioniert es mit Sarkozys Blick auf die Gallier, mit Erdogans Rückverweis auf die Osmanen, mit Putins Beschwörung der "russischen Seele", mit Orbáns Beschwörung des mystischen Turul-Vogels oder mit Abes Besuchen des Yasukuni-Schreins. Die dümmste Reaktion darauf besteht darin, auf wissenschaftliche Historiker zu verweisen, die übereinstimmend sagen, die Gallier wären doch nur eine von sehr vielen Vorfahren heutiger Franzosen. Als wenn es um Fakten ginge!

Nun zu dem, was in etlichen Beitragen vorher zu Identität als einem "natürlichen menschlichen Bedürfnis" geschrieben wurde. Anti-Identitäre Positionen müssen als linksliberale politische Strategien gegen eine künftige Welt der Trumps, Putins und Erdogans doch keineswegs den natürlichen Impulsen entsprechen. Die Strategie der DDR-Dissidenten-Literatur, Kritik an Partei und Staat in literarische Metaphern zu gießen, war auch alles andere als "natürlich". Eine bewusste politische Gegenbewegung mitzutragen ist doch keine Donau-Kreuzfahrt sondern ein bewusster, zur Not auch schmerzhafter Akt der Abgrenzung!
Nachtrag:
Kannst du bitte mal erklären, was dein Sermon hier mit Identität zu tun haben soll?
Identität bezieht sich zu allererst auf die einzelne Person/das Individuum, wie und als was die Person sich selbst sieht, sich selbst empfindet - zu wem oder was sie sich (selbst) zugehörig fühlt (womit sie sich selbst identifiziert), was sie einzigartig und unverwechselbar macht.
Identität kann in psychische und soziale Identität unterteilt werden, wobei die psychische Indentität einer ständigen Entwicklung - aufgrund von Erfahrungen und Erlebnissen, in Verbindung mit der Persönlichkeitsentwicklung - unterliegt. Die soziale Identität hingegen wird einer Person durch die Gesellschaft zugeschrieben und umfasst alle Eigenschaften der Indentität und ist eng mit der Rolle verbunden, die eine Person aufgrund unterschiedlichster Gruppenzugehörigkeiten übernimmt.
Solche Gruppenzugehörigkeiten sind u.a. das Team, in dem der Betreffende arbeitet, der Verein in dem er aktiv ist, Religionszugehörigkeit etc pp.

Verlust der Identität führt zu psychischen Störungen und zu physischer und psychischer Isolation.
Ein Verlust der Identität kann von außen beeinflusst bzw herbeigeführt werden, indem wesentliche Kriterien, mit denen sich ein Mensch identifizieri bzw Instanzen, die eine Indentifzierung herbei führen, entfallen und/oder zerstört werden.

I.d.S. sind es gerade Linke, Grüne und linksliberale politische Strategien, die Identitätsverlust anstreben bzw herbei führen wollen und niemand darf sich wundern, wenn es zunehmenden Widerstand gegen solche Bestrebungen gibt.
Identitätsverlust hat nämlich, entgegen der linken/grünen/linksliberalen Behauptungen (übrigens auch der des Feminismus/Genderismus) nichts Positives.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Selina
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

Für mich schließen sich Zusammengehörigkeit, Identität und Nationalgefühl nicht gegenseitig aus. Man kann durchaus in einer bestimmten Gruppe ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln und trotzdem auch offen sein für Neue von "außen". Identität und Nationalgefühl lassen sich meines Erachtens sogar festigen oder bestärken, wenn sich die einzelnen Gruppenmitglieder in den Neuen spiegeln und sich auf sie einlassen. Ich gehe sogar noch weiter: Die Neuen können eine Gruppe auch verändern, indem die Mitglieder kulturelle Traditionen (etwa Musik, Gesang, Tanz) der Neuen für sich übernehmen. Und umgekehrt. Und noch etwas: Eine größere Gruppe kann auch historisch gesehen (also über einen längeren Zeitraum betrachtet) mal ein nur vorübergehendes bzw. zeitweiliges Gebilde sein, das sich ständig verändert, anpasst, erneuert. Ich fasse daher die Begriffe Zusammengehörigkeit, Identität und Nationalgefühl als sehr beweglich und veränderbar auf. Nichts davon hat für irgendeine Ewigkeit Bestand... Aber wirklich ein spannendes Thema :)
Zuletzt geändert von Selina am Do 8. Dez 2016, 17:07, insgesamt 1-mal geändert.
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Perdedor
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Perdedor »

Dark Angel hat geschrieben: I.d.S. sind es gerade Linke, Grüne und linksliberale politische Strategien, die Identitätsverlust anstreben bzw herbei führen wollen
Eigentlich ist es genau umgekehrt. Es sind die Neurechten, wie die "identitäre Bewegung", welche die Identität der Menschen in erster Linie über nationale Zugehörigkeit (und das ganze Geschwurbel drumherum, siehe schokoschendrezkis Beitrag) definieren wollen, wohingegen "die Linken" den Menschen die ganz persönliche Identität zugestehen wollen, ohne dabei die persönlichen Eigenschaften und Zugehörigkeitsgefühle durch das Kunstprodukt "Nation" zu ersetzen.
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Selina
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

Und noch etwas: "Angst vor Identitätsverlust" erfasst oft solche Menschen, die sich auch in der eigenen sozialen Gruppe nicht richtig zu Hause fühlen. Sie empfinden sich oft als am Rande stehend. Kommen nun noch Neue hinzu, die eine ganz andere Identität haben, dann verwirrt das diese Menschen vollends. Und ruckzuck kann es passieren, dass die ursprünglich am Rande stehenden, nicht richtig zur Gruppe gehörenden angstvollen Leute nun den Platz wechseln mit den Neuen, die dann wiederum diese ungeliebte Randposition ausfüllen. Und die angstvollen Gruppenmitglieder, die zuvor diese Randposition innehatten, genießen nun ein ganz besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl mit ihren Leuten. Sie fühlen sich plötzlich wieder integriert und anerkannt, weil es ja einen neuen gemeinsamen "Feind" mit dieser anderen Identität gibt, denjenigen, der jetzt am ungeliebten Rand steht.
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Selina
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

Perdedor hat geschrieben:(08 Dec 2016, 16:14)

Eigentlich ist es genau umgekehrt. Es sind die Neurechten, wie die "identitäre Bewegung", welche die Identität der Menschen in erster Linie über nationale Zugehörigkeit (und das ganze Geschwurbel drumherum, siehe schokoschendrezkis Beitrag) definieren wollen, wohingegen "die Linken" den Menschen die ganz persönliche Identität zugestehen wollen, ohne dabei die persönlichen Eigenschaften und Zugehörigkeitsgefühle durch das Kunstprodukt "Nation" zu ersetzen.
Richtig :thumbup: Ich würde nur noch ergänzen, dass diese "persönliche Identität" und Individualität durchaus kompatibel sein kann mit dem Kunstprodukt Nation. Das wäre dann eben, wie ich oben schon schrieb, eine höchst lebendige und wandelbare Nation und nichts Starres, allzeit in Stein Gemeißeltes ;)
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Quatschki »

Ein Staat ist ja eigentlich nichts anderes als eine Vereinigung der Bewohner eines Landes zum Schutz und zur Förderung ihrer Interessen.
Das sind die Staatsbürger. Im Gegensatz zu den Ausländern, die keine Vollmitglieder, sondern bestenfalls Gäste sind.
Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Wildermuth »

Quatschki hat geschrieben:(08 Dec 2016, 16:45)

Ein Staat ist ja eigentlich nichts anderes als eine Vereinigung der Bewohner eines Landes zum Schutz und zur Förderung ihrer Interessen.
Das sind die Staatsbürger. Im Gegensatz zu den Ausländern, die keine Vollmitglieder, sondern bestenfalls Gäste sind.
Wie ist das, wenn man ausländer in der familie hat?

Ist man mit denen dann weniger verwandt?
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Ein Terraner »

Wildermuth hat geschrieben:(08 Dec 2016, 16:49)

Wie ist das, wenn man ausländer in der familie hat?

Ist man mit denen dann weniger verwandt?
Ohoh, Halbblüter.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Quatschki »

Wildermuth hat geschrieben:(08 Dec 2016, 16:49)

Wie ist das, wenn man ausländer in der familie hat?

Ist man mit denen dann weniger verwandt?
Nein. Warum?
Man kann doch verwandt sein und unterschiedlichen Vereinen angehören?
Nur wenn man bei dem Verein, dessen Mitglied man nicht ist, mitspielen will, dann ist es das Vorrecht der Vereinsmitglieder, darüber zu befinden, wer unter welchen Bedingungen mitspielen darf.
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Ein Terraner »

Quatschki hat geschrieben:(08 Dec 2016, 17:02)

Nein. Warum?
Man kann doch verwandt sein und unterschiedlichen Vereinen angehören?
Nur wenn man bei dem Verein, dessen Mitglied man nicht ist, mitspielen will, dann ist es das Vorrecht der Vereinsmitglieder, darüber zu befinden, wer unter welchen Bedingungen mitspielen darf.
Verein ?
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Wildermuth »

Quatschki hat geschrieben:(08 Dec 2016, 17:02)

Nein. Warum?
Man kann doch verwandt sein und unterschiedlichen Vereinen angehören?
Also... es gibt zusammenhalt der sogar noch wichtiger ist, als die nationalität, die ja sogar für dich nciht mehr als eine vereinszugehörigkeit ist. :thumbup:
Nur wenn man bei dem Verein, dessen Mitglied man nicht ist, mitspielen will, dann ist es das Vorrecht der Vereinsmitglieder, darüber zu befinden, wer unter welchen Bedingungen mitspielen darf.
Jetzt sind auf einmal die vereine wieder wichtiger als die familie...

Versuch mal etwas klarer zu werden!
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Sabine99 »

Yo, das deutsche Nationalgefühl ist schnell definiert.
Im Alltag ziehen wir die Köpfe ein und beugen uns der politisch, medial intravenös injekzierten , Doktrin, politisch, verbal, korrekt zu reden/leben und zu handeln.
Der gute Deutsche liebt alles Fremde, schämt sich für die Greueltaten des dritten Reiches und entschuldigt sich mit Hilfe unseres BP Gauck permanent in der Welt, dafür, das er eben Deutscher ist.
Dabei wirkt das Wort " Generalverdacht ", gleich eines Kettenhalsbandes eines unfreundlichen Rottweilers.
Aber ihr habt den Fußball vergessen.
Wenn es um die WM geht, blüht der Deutsche auf.
Deutsche Fahnen am Haus, in den Fenstern, am Auto, Bettwäsche in den deutschen Farben und man lebt praktisch den schwarz, rot, gelben Sommertraum ( getürkt, aber wen interessiert das ? ).
Wir sind praktisch " Fußballnationalisten ".
Ein Volk, das jeden dritten Satz damit beginnt: " Ich bin zwar kein Nazi, aber......".
Und was ist Deutschland überhaupt ?
Ein geographisch definiertes Territorium.
Ein Volk, ohne gegenwärtige Identität.
Ein Volk, dem von oben befohlen, ein geschichtliches Manko auferlegt wird.
Nicht umsonst gibt es 2016 immer noch israelische Abgeordnete der Knesset, die, wenn es um Deutsche Belange geht, nur den Begriff " Mörder " benutzen.
Na, die nächste , getürkte, WM kommt bestimmt.
Dann dürft ihr wieder endlich Deutsche sein.
Barbarus hic ergo sum, quia non
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Selina
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Selina »

Sabine99 hat geschrieben:(08 Dec 2016, 17:20)

Dann dürft ihr wieder endlich Deutsche sein.
Ich finde nicht, dass die Leute ihr Deutschsein nicht richtig ausleben können heutzutage. Im Gegenteil: Da wird mir viel zu viel und viel zu laut dauernd rumgeplärrt "ich bin stolz, ein Deutscher zu sein", "man muss doch mal wieder sagen dürfen, dass man stolz ist, ein Deutscher zu sein". Kannste doch an jeder Ecke sehen und hören. Dazu noch schön im Gleichschritt marschiert, schön das Reichsbanner geschwenkt... Das neurechte Selbstbewusstsein ist schon wieder so groß, dass man sich vor lauter Deutschtum heute gar nicht mehr retten kann. Nee du, stramme Deutschnationale gibt es echt genug :rolleyes:
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Re: Zusammengehörigkeit, Identität, Nationalgefühl

Beitrag von Dark Angel »

Perdedor hat geschrieben:(08 Dec 2016, 16:14)

Eigentlich ist es genau umgekehrt. Es sind die Neurechten, wie die "identitäre Bewegung", welche die Identität der Menschen in erster Linie über nationale Zugehörigkeit (und das ganze Geschwurbel drumherum, siehe schokoschendrezkis Beitrag) definieren wollen, wohingegen "die Linken" den Menschen die ganz persönliche Identität zugestehen wollen, ohne dabei die persönlichen Eigenschaften und Zugehörigkeitsgefühle durch das Kunstprodukt "Nation" zu ersetzen.
Nein - es ist eben nicht genau umgekehrt! Das Individuum selbst bestimmt worüber es sich identifiziert, legt fest welche Identitätkriterien als wichtig betrachtet werden (psychische Identität). Das hat nichts aber auch gar nichts mit "identitäre Bewegung" zu tun.
Solche Kriterien können die Zugehörigkeit zu einer (bestimmten) Ethnie, Kultur, Religion/Weltanschauung sein. - Können heißt nicht müssen! Wichtige Identitätskriterien können aber auch einem sehr viel kleinerem Rahmen entstammen, können ebenso auch unterschiedlichen Gruppenzugehörigkeiten umfassen.

Und Nein - Linke und Grüne (Linksliberale) - insbesondere Feminitinnen und Genderisten gestehen den Menschen gerade keine "ganz persönliche Identität" zu, weil sie nämlich Identität als "von außen festgelegt, fremdbestimmt" und somit als "Zwang" betrachten, aus dem es auszubrechen - "sich zu emanzipieren" gilt. Das heißt nichts anderes als dass von ihnen die soziale Identität, die sich aus der Gruppenzugehörigkeit - also auch der temporären Gruppenzugehörigkeit - sowie Erziehung etc ergibt, als fremdbestimmt und somit negativ betrachtet wird. Gleiches gilt für nationale und kulturelle Identität.
Da sich das Individuum aber über psychische und soziale Identität identifiziert und sich als einzigartig und unverwechselbar betrachtet, bedeutet der "Ausbruch" aus einem (wichtigen) Teil seiner Identität gleichzeitig einen Identitätsverlust, weil jeses Individuum immer auch Teil einer Gemeinschaft ist und in und über diese Gemeinschaft sozialisiert wird.
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