Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Moderator: Moderatoren Forum 7

Antworten
Benutzeravatar
Progressiver
Beiträge: 2656
Registriert: So 1. Apr 2012, 00:37
Wohnort: Baden-Württemberg

Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Progressiver »

Zur Erläuterung:

Was die wichtigsten Primärtugenden sind, war schon immer etwas umstritten. Bei Marcus Tullius Cicero wurden in diesem Zusammenhang Gerechtigkeit (iustitia), Mäßigung (temperantia),
Tapferkeit bzw. Hochsinn (fortitudo, magnitudo animi bzw. virtus) und Weisheit bzw. Klugheit (sapientia bzw. prudentia) genannt. Ein anderer Begriff dafür sind im Übrigen die Kardinaltugenden.

Der deutsche Philosoph Johann Friedrich Herbart, der 1776-1841 lebte, nannte beispielsweise als als Kardinaltugenden die Tapferkeit, die Freiheit, die Güte und die Gerechtigkeit. Andere Weltregionen hatten und haben eine von uns verschiedene Gewichtung. Bei uns in Europa hat sich aber die Siebenzahl der Kardinaltugenden durchgesetzt. Als weltliche Tugenden gelten hierbei die Weisheit oder Klugheit, weiterhin Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung -wie schon bei Cicero. Das Christentum setzt dem noch den Glauben, die Liebe und die Hoffnung hinzu. Dies will ich aber nur der Vollständigkeit erwähnen, da diese für mich als Atheist keine größere Bedeutung haben. Ich will mich im Folgenden auf die vier antiken Primärtugenden konzentrieren.

Quelle:

https://de.wikipedia.org/wiki/Kardinaltugend

Zum Begriff der Sekundärtugenden sagt die Wikipedia:
Sekundärtugend ist ein Begriff aus dem deutschen Positivismusstreit der 1970er/1980er Jahre. Als Sekundärtugenden oder auch bürgerliche Tugenden wurden Charakter­eigenschaften eingestuft, die zur praktischen Bewältigung des Alltags und zum „störungsfreien“ Betrieb einer Gesellschaft beitrügen, ohne aber für sich allein eine ethische Bedeutung zu haben, sofern sie als Selbstzweck hochgehalten würden und nicht zur Umsetzung der Primärtugenden dienten.

Zu den bürgerlichen oder Sekundärtugenden wurden insbesondere Fleiß, Treue, Gehorsam, Disziplin, Pflicht­bewusstsein, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ordnungsliebe, Höflichkeit, Sauberkeit u. a. m. gezählt, meist aus dem Katalog der preußischen Tugenden bzw. des „bürgerlichen“ Tugendkatalogs. Otto Friedrich Bollnow ließ 1963 der Ordnung und Reinlichkeit, dem Fleiß und der Wahrhaftigkeit noch einmal eine Bestätigung zukommen, registrierte aber bereits „das absinkende Verständnis“ in der Gesellschaft.
https://de.wikipedia.org/wiki/Sekund%C3%A4rtugend

Ohne die alte "Achtundsechziger-Diskussion" in der Erziehungsfrage -autoritär versus antiautoritär- weiterzuführen, möchte ich in diesem Thread doch diskutieren, welche der beiden Tugendgruppen die wichtigeren sind. Oskar Lafontaine warf 1982 bekanntlich dem damaligen Bundeskanzler vor:
"Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. [...] Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben."
Und weiter schreibt die Wikipedia dazu:
Oskar Lafontaine hatte damit den Begriff in die Ethikdebatte eingeführt und zugleich eine klar untergeordnete Stellung der bürgerlichen Tugenden postuliert.
Quelle: ebenda

Es gibt aber auch Leute, die der Ansicht sind, dass die Sekundärtugenden die wichtigeren sind. Aber ist das überhaupt möglich? Kann man eine Gesellschaft überhaupt am Laufen halten, ohne sie ins Unheil abgleiten zu lassen, wenn sie nur aus den "bürgerlichen" Sekundärtugenden besteht? Oder reicht es auf der Gegenseite überhaupt, wenn die Gesellschaftsmitglieder als ethische Richtwerte sich auf die Primärtugenden Weisheit/Klugheit, Tapferkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit beschränken? Und kann man die zwei verschiedenen Tugendgruppen überhaupt gegeneinander aufstellen?

Dies will ich in diesem Thread diskutieren.
"Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum." Friedrich Nietzsche

"Wer nur einen Hammer als Werkzeug hat, dem wird bald jedes Problem zum Nagel."
Benutzeravatar
Teeernte
Beiträge: 32036
Registriert: Do 11. Sep 2014, 18:55
user title: Bedenkenträger

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Teeernte »

Moral ist ein Gummiband - das sich ziehen lässt.

Tugenden , ähnlich wie Sünden oder Todsünden eine Vorgabe der Herrschenden , gemischt mit einer Untermenge von Lebensregeln zum leben in der Gesellschaft.

Mässigung ? Friss nicht so viel ? Schmeiss nicht so viel weg.... nimm ne 5 W LED....und vögel nicht den ganzen Tag... :D :D :D
(Damit Max Mustermann ordentlich 8 h ackert - und dafür überhaupt ZEIT hat..... Standhaft, zäh wie Leder....Fleiß, Treue, Gehorsam, Disziplin, Pflicht­bewusstsein, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ordnungsliebe, Höflichkeit,.....AUF ARBEIT und zur Obrigkeit.)

Was MAx zu Haue macht ist WURST.......da soll er viel kaufen - das Geld verklitschen, der Marke untreu werden, nicht dem Mainstream gehorchen, Disziplin links liegen lassen, Pflicht ? - Spaß !, Zuverlässig beim Saufen, Ordnung ? ein Fremdwort, Ahhh höflich - Frautze wo ist das Bier - zu fragen ohne loszuschlagen. (Frautze ? - "Vo" ist durch Frau ersetzt//kombiniert.)
Benutzeravatar
Agesilaos Megas
Beiträge: 950
Registriert: Fr 8. Mai 2015, 12:24
user title: Zusammenschließen!

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Agesilaos Megas »

Das Thema ist viel zu kompliziert aufgezogen.


Ganz ganz kurz:


Primärtugenden definieren sich per se über einen Kanon für das Individuum selbst - sie dienen dazu, sich selbst zu einem "besseren" Menschen zu machen, sie sind reflexiv und ethisch. Sie sind meist ganzheitlich auf die Persönlichkeit ausgerichtet (Philosophie, Religion, Ethik).

Sekundärtugenden definieren sich alleinig in ihrem Nutzen für andere bzw. dem sozialen Milieu. Ursprünglich war es eine negative Bezeichnung für den "Verfall des Tugendverständnis".

Ein gerechter Mensch z.B. kann in Deutschland als ganz unpünktlich gelten, ein weiser Mensch kann im Dreck leben (Diogenes).

Da Sekundärtugenden originär etwas abfällig gemeint sind, ist eine klare Abgrenzung implizit.

Zur Fragestellung: Kein Mensch hat keine Primärtugenden. Sie sind Teil der Persönlichkeitsentwicklung. Schon durch Erfahrung oder Lernprozesse werden wir z.B. das, was wir "weise" und somit vllt. "gerecht" nennen. Die Ausnahme bestätigt die Regel: Menschen, die gewisse Primärtugenden (= Charaktereigenschaften) nicht erlernt haben, werden als dissozial oder asozial behandelt (geringe Impulskontrolle). Weil sie elementar, Teil des menschlichen Lebens sind, kann man sie nicht einfach gegen etwas anderes aufwiegen. Sie sind eben da, weil wir da sind.
Anders sieht es aber mit den Sekundärtugenden aus: In Italien ist es angenehmer, wenn man Geld ausgibt und Knauserer werden als wenig gesellschaftlich betrachtet, wohingegen in Deutschland Knausern als aufrecht gilt. Hier kann man das Ordnungsamt rufen, wenn es in der Wohnung riecht, was auf dem Land seltener geschieht. Sekundärtugenden sind nicht universal, daher verzichtbar, wenn möglich. Wenn aber nicht möglich, dann unverzichtbar: Höflichkeit gegenüber Fremden ist immer sozial erwünscht (kein Wunder, warum Berlin so stinkt :D). Aber auch SekundärUNtugenden einer Gesellschaft können, anders als Primäruntugenden (Grausamkeit, Härte, Ungerechtigkeit etc.) zu besseren Situationen führen, so z.B. der Generalstreik gegen die Kapp-Putschisten.

Man kann beide gar nicht gegeneinander aufwiegen, da beide völlig unterschiedlich sind.

Primärtugenden, soweit definierbar, sind unverzichtbar, da elementar menschlich. Sekundärtugenden sind beliebig und nur bedingt unersetzlich. Sie kann man stets hinterfragen und nicht selten hemmen sie Primärtugenden.

Die Balance ist wichtig, immer. :)
gentibus solidaritas, una fit humanitas.
Benutzeravatar
eure schöpfung
Beiträge: 143
Registriert: Fr 9. Mai 2014, 02:57

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von eure schöpfung »

wenn ich die primärtugend mal auf einen einfachen satz runterbrechen dürfte lautet der satz so: wenn du nicht willst,was man dir tu`, daß füge auch keinem anderen zu !
leider fügt sich der mensch auch dahin, sich privilegien herauszunehmen. stichwort ehe. ein partner betrügt den anderen, aber würde es nicht dulden, wenn es anders herum wäre. mit dem wort gerechtigkeit allein kommt man da nicht weiter.
zu rechtfertigen wäre dies bestimmt schwer und evtl. wieder gutzumachen, trotz vergebung des betrogenen. aber im endeffekt paßt es nicht auf den satz. mir scheint, daß es garnicht so einfach ist, für manche, sich an den satz zu halten.
wer schafft es wirklich sein lebenlang der mustermann/frau zu sein ? egal, in welcher disziplin der primätugend ? vorteile und geheimnisse können locken.

zu den sekundärtugenden:
es sieht doch ganz so aus, als wären manche dieser eigenschaften dazu da, einen reibunglosen gemeinschafft/staat zu halten. es wird kalkuliert und bestimmt, wie es zu laufen hat, ohne daß ein individuum sich den anforderungen entziehen darf. kein platz für freiheitliche selbstbestimmung. bsp.: fleiß. es gibt nun mal tage an denen man halt nen konstruktiven hänger auf der arbeit hat. und schon fällste auf der seite der mißgunst, da das kalkulierte soll nicht geschafft wird.
oder gehorsam: dies ist blindes vertrauen in den regeln der gemeinschaft. näher betrachtet ist diese tugend perfekt dafür geschaffen eine diktatur zu führen. frag nicht, sei ne nummer und funktioniere ! denn, du mußt gehorsam sein, um zumindest diese sekundärtugend zu vollführen. sprich; schalte deine ansicht/ego aus !

ich will nicht die tugenden explizit als allgemeinen quatsch darstellen. eher scheint mir aber, als leitfaden, der runtergebrochene satz zu dienen. dies erfordert daß hineinvesrsetzen am anderen ende des eigenen tuns.
Benutzeravatar
Agesilaos Megas
Beiträge: 950
Registriert: Fr 8. Mai 2015, 12:24
user title: Zusammenschließen!

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Agesilaos Megas »

eure schöpfung » Sa 5. Sep 2015, 02:04 hat geschrieben:wenn ich die primärtugend mal auf einen einfachen satz runterbrechen dürfte lautet der satz so: wenn du nicht willst,was man dir tu`, daß füge auch keinem anderen zu !
leider fügt sich der mensch auch dahin, sich privilegien herauszunehmen. stichwort ehe. ein partner betrügt den anderen, aber würde es nicht dulden, wenn es anders herum wäre. mit dem wort gerechtigkeit allein kommt man da nicht weiter.
zu rechtfertigen wäre dies bestimmt schwer und evtl. wieder gutzumachen, trotz vergebung des betrogenen. aber im endeffekt paßt es nicht auf den satz. mir scheint, daß es garnicht so einfach ist, für manche, sich an den satz zu halten.
wer schafft es wirklich sein lebenlang der mustermann/frau zu sein ? egal, in welcher disziplin der primätugend ? vorteile und geheimnisse können locken.
Treue ist keine Primärtugend. Und die Ehe nichts Tugendhaftes per se.
gentibus solidaritas, una fit humanitas.
Benutzeravatar
eure schöpfung
Beiträge: 143
Registriert: Fr 9. Mai 2014, 02:57

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von eure schöpfung »

Treue ist keine Primärtugend. Und die Ehe nichts Tugendhaftes per se.

mag für dich ja sein. aber vergleich mal die gegenseitige untreue zueinander. dann wirst du feststellen, daß das gleichgewicht rechnerisch wieder stimmt. ändert aber an der grundeinstellung, vor beginn des moralischem dilemmas, des betrügers nichts. selbst, wenn es ihm aufrichtig leid tut. der satz wurde gebrochen. außer man definiert den satz so, daß man das monopol hat alles beliebig zu tun (privileg). und immer das gerechte in seiner sicht getan zu haben. gerechtigkeit beinhaltet für mich die wahrheit zusagen. auch wenn es zu meinem nachteil ist. alles andere wär doch ne lüge und würde zu welcher gerechtigkeit führen ? genau. die des unwahren. sollte es sowas wie unwahre wahrheit geben ? und widerspricht das nicht der definition der wahrheit ?
oder, man spricht die wahrheit aus und hofft auf ein happy end. ansonsten ist man wahrhaft und gerecht sich gegenüber genug, auch die negativen konsequenzen zu ertragen.
Benutzeravatar
Agesilaos Megas
Beiträge: 950
Registriert: Fr 8. Mai 2015, 12:24
user title: Zusammenschließen!

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Agesilaos Megas »

eure schöpfung » Sa 5. Sep 2015, 02:55 hat geschrieben:Treue ist keine Primärtugend. Und die Ehe nichts Tugendhaftes per se.

mag für dich ja sein. aber vergleich mal die gegenseitige untreue zueinander. dann wirst du feststellen, daß das gleichgewicht rechnerisch wieder stimmt. ändert aber an der grundeinstellung, vor beginn des moralischem dilemmas, des betrügers nichts. selbst, wenn es ihm aufrichtig leid tut. der satz wurde gebrochen. außer man definiert den satz so, daß man das monopol hat alles beliebig zu tun (privileg). und immer das gerechte in seiner sicht getan zu haben. gerechtigkeit beinhaltet für mich die wahrheit zusagen. auch wenn es zu meinem nachteil ist. alles andere wär doch ne lüge und würde zu welcher gerechtigkeit führen ? genau. die des unwahren. sollte es sowas wie unwahre wahrheit geben ? und widerspricht das nicht der definition der wahrheit ?
oder, man spricht die wahrheit aus und hofft auf ein happy end. ansonsten ist man wahrhaft und gerecht sich gegenüber genug, auch die negativen konsequenzen zu ertragen.

Nochmals: Treue ist keine Primärtugend und die Ehe basiert auf einem Vertrag. that's it, das ist alles Sekundärtugendkram. Der Weiseste kann ganz untreu sein, aus vielfältigsten Gründen. Und Untreue kann Weisheit, aber auch Betrug sein. Weisheit bleibt aber Weisheit, oftmals.
Zuletzt geändert von Agesilaos Megas am Sa 5. Sep 2015, 03:04, insgesamt 1-mal geändert.
gentibus solidaritas, una fit humanitas.
Benutzeravatar
eure schöpfung
Beiträge: 143
Registriert: Fr 9. Mai 2014, 02:57

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von eure schöpfung »

Nochmals: Treue ist keine Primärtugend und die Ehe basiert auf einem Vertrag. that's it, das ist alles Sekundärtugendkram. Der Weiseste kann ganz untreu sein, aus vielfältigsten Gründen. Und Untreue kann Weisheit, aber auch Betrug sein. Weisheit bleibt aber Weisheit, oftmals.

der vertragskram liegt eindeutig bei der definierung des staates. ein vertrag. ende aus.
definiere doch mal für dich den begriff treue. es würde mir seltsam vorkommen, wenn du nicht das wort gerechtigkeit dort verwendest/verarbeitest. oder zumindest als maßstab im hinterkopf hast. ist daß dann nicht die erfüllung der disziplin gerechtigkeit in den primärtugenden ?
und wenn ehe kein gelöbniss/versprechen ist; etwas was ich der tugend zuschreibe, ist es allerhöchstens als sekundär erlebnis zu verbuchen. eine sache die keinen moralischem oder menschlichen persönlichen wert folgt. nur dem anscheinenden erfolg der öffentlichen ordnung. oder finanzieller vorteil.
da finde ich, sollte man schon erkennen, welcher tugend man entgegen kommt.

praktisch gefragt, frage ich : wie kann treue ohne die wahrheit existieren ?
der weg muß flawless sein, und zwar in allen primärdisziplinen, um als mensch mit tugend zu gelten.
oder etwa nicht ?
Benutzeravatar
Agesilaos Megas
Beiträge: 950
Registriert: Fr 8. Mai 2015, 12:24
user title: Zusammenschließen!

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Agesilaos Megas »

eure schöpfung » Sa 5. Sep 2015, 03:41 hat geschrieben:Nochmals: Treue ist keine Primärtugend und die Ehe basiert auf einem Vertrag. that's it, das ist alles Sekundärtugendkram. Der Weiseste kann ganz untreu sein, aus vielfältigsten Gründen. Und Untreue kann Weisheit, aber auch Betrug sein. Weisheit bleibt aber Weisheit, oftmals.

der vertragskram liegt eindeutig bei der definierung des staates. ein vertrag. ende aus.
definiere doch mal für dich den begriff treue. es würde mir seltsam vorkommen, wenn du nicht das wort gerechtigkeit dort verwendest/verarbeitest. oder zumindest als maßstab im hinterkopf hast. ist daß dann nicht die erfüllung der disziplin gerechtigkeit in den primärtugenden ?
und wenn ehe kein gelöbniss/versprechen ist; etwas was ich der tugend zuschreibe, ist es allerhöchstens als sekundär erlebnis zu verbuchen. eine sache die keinen moralischem oder menschlichen persönlichen wert folgt. nur dem anscheinenden erfolg der öffentlichen ordnung. oder finanzieller vorteil.
da finde ich, sollte man schon erkennen, welcher tugend man entgegen kommt.

praktisch gefragt, frage ich : wie kann treue ohne die wahrheit existieren ?
der weg muß flawless sein, und zwar in allen primärdisziplinen, um als mensch mit tugend zu gelten.
oder etwa nicht ?
Treue ist nicht identisch mit Gerechtigkeit. Und Untreue führt nicht automatisch zu Ungerechtigkeit. Fairerweise muss ich erwähnen, dass die im Eingangsbeitrag angeführte Gerechtigkeit sich auf die vor Aristoteles bezieht - eine persönliche, nicht gesellschaftliche. Aber auch gesellschaftlich kann Untreue zu mehr Gerechtigkeit führen.

Treue liegt in der Nähe des Glaubens, Gehorchens, Folgens, Verlässlichseins. Es ist somit eine Erwartung einer Erfüllung. Primärtugenden werden auch erwartet, auch ihnen "soll" man treu bleiben - nur mit dem Unterschied, dass sie der Persönlichkeit und ihrer Reifung dienen, nicht anderen. Treue z.B. in einer Ehe dient einer Berechenbarkeit (heute), damals dem Gehorsam (Gottes Befehle). Diese Art von Treue kann der größte Schurke oder die dümmste Dumpfbacke einhalten. Du kannst sogar unglücklich in einer treuen Ehe werden. Für Dich oder Deinen Charakter selbst brauchst Du diese Art von Treue nicht.

Die Deutschen - oder das europ. Bürgertum - definieren sich aber genau über diese Sekundärtugenden - Zwangsstörungen inklusive.
gentibus solidaritas, una fit humanitas.
Benutzeravatar
eure schöpfung
Beiträge: 143
Registriert: Fr 9. Mai 2014, 02:57

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von eure schöpfung »

Treue ist nicht identisch mit Gerechtigkeit. Und Untreue führt nicht automatisch zu Ungerechtigkeit. Fairerweise muss ich erwähnen, dass die im Eingangsbeitrag angeführte Gerechtigkeit sich auf die vor Aristoteles bezieht - eine persönliche, nicht gesellschaftliche. Aber auch gesellschaftlich kann Untreue zu mehr Gerechtigkeit führen.
wie gerecht kann untreue zur wahrheit sein ?

Treue liegt in der Nähe des Glaubens, Gehorchens, Folgens, Verlässlichseins. Es ist somit eine Erwartung einer Erfüllung. Primärtugenden werden auch erwartet, auch ihnen "soll" man treu bleiben - nur mit dem Unterschied, dass sie der Persönlichkeit und ihrer Reifung dienen, nicht anderen.

da stimme ich erstmal zu. nur mit dem unterschied,daß doch am ende der zusammenfaßung der tugenden, der reifegrad an dem maximalen level der erreichbaren tugenden gemessen wird.und dies hat nunmal lückenlos zu sein. ich erinnere da, an die sekundärtugend gehorsam. die scheint mir ein dorn in bezug auf persönlichkeit.

Treue z.B. in einer Ehe dient einer Berechenbarkeit (heute), damals dem Gehorsam (Gottes Befehle). Diese Art von Treue kann der größte Schurke oder die dümmste Dumpfbacke einhalten. Du kannst sogar unglücklich in einer treuen Ehe werden. Für Dich oder Deinen Charakter selbst brauchst Du diese Art von Treue nicht.
das ist nicht ganz richtig. wenn ich mein wort gegeben habe, muß ich versuchen es einzuhalten. das gebietet die einhaltung von wahr und gerecht.
andererseits sehe ich schon den privileg joker: ist doch halb so schlimm und ist nicht böse gegen dich gerichtet, aber die verlockung war zu stark.

Die Deutschen - oder das europ. Bürgertum - definieren sich aber genau über diese Sekundärtugenden - Zwangsstörungen inklusive.
meinst du mit zwangsstörung die tugenden gehorsam und die zu erwartene zuverlässigkeit einzuhalten ?
Benutzeravatar
Agesilaos Megas
Beiträge: 950
Registriert: Fr 8. Mai 2015, 12:24
user title: Zusammenschließen!

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Agesilaos Megas »

eure schöpfung » Sa 5. Sep 2015, 06:30 hat geschrieben:Treue ist nicht identisch mit Gerechtigkeit. Und Untreue führt nicht automatisch zu Ungerechtigkeit. Fairerweise muss ich erwähnen, dass die im Eingangsbeitrag angeführte Gerechtigkeit sich auf die vor Aristoteles bezieht - eine persönliche, nicht gesellschaftliche. Aber auch gesellschaftlich kann Untreue zu mehr Gerechtigkeit führen.
wie gerecht kann untreue zur wahrheit sein ?

Treue liegt in der Nähe des Glaubens, Gehorchens, Folgens, Verlässlichseins. Es ist somit eine Erwartung einer Erfüllung. Primärtugenden werden auch erwartet, auch ihnen "soll" man treu bleiben - nur mit dem Unterschied, dass sie der Persönlichkeit und ihrer Reifung dienen, nicht anderen.

da stimme ich erstmal zu. nur mit dem unterschied,daß doch am ende der zusammenfaßung der tugenden, der reifegrad an dem maximalen level der erreichbaren tugenden gemessen wird.und dies hat nunmal lückenlos zu sein. ich erinnere da, an die sekundärtugend gehorsam. die scheint mir ein dorn in bezug auf persönlichkeit.

Treue z.B. in einer Ehe dient einer Berechenbarkeit (heute), damals dem Gehorsam (Gottes Befehle). Diese Art von Treue kann der größte Schurke oder die dümmste Dumpfbacke einhalten. Du kannst sogar unglücklich in einer treuen Ehe werden. Für Dich oder Deinen Charakter selbst brauchst Du diese Art von Treue nicht.
das ist nicht ganz richtig. wenn ich mein wort gegeben habe, muß ich versuchen es einzuhalten. das gebietet die einhaltung von wahr und gerecht.
andererseits sehe ich schon den privileg joker: ist doch halb so schlimm und ist nicht böse gegen dich gerichtet, aber die verlockung war zu stark.

Die Deutschen - oder das europ. Bürgertum - definieren sich aber genau über diese Sekundärtugenden - Zwangsstörungen inklusive.
meinst du mit zwangsstörung die tugenden gehorsam und die zu erwartene zuverlässigkeit einzuhalten ?


Zur "Treue": Wenn Du dem Führer Adolf Hitler Dein Wort gegeben hast, alles zu tun, was er will, dann wirst Du oftmals Deine Primärtugenden zurückstecken müssen. Untreue zur Wahrheit kann nur vorliegen, wenn man letztere - unmöglicherweise - bereits schon kennt. Und mit Treue gegenüber anderen für Dich selbst Gerechtigkeit zu erlangen, ist nicht vorprogrammiert. Wenn Du Hitler treu bleibst, musst Du nicht erwarten, dass er für Dich die Gerichte fair macht. Wenn Du selbst aber gerecht wirst, wirst Du schnell in Konflinkt mit Dir selbst kommen, wenn Du all seinen Befehlen gemäß Treueschwur botmäßig bleiben willst.

Und diese Ambivalenz charakterisiert nicht minder eine Sekundärtugend.

Deine Sicht auf Treue hat den engen Beziehungsrahmen und ist womöglich durch negative persönliche Erfahrungen beeinflusst. Mal so ganz aus Erfahrung: Bleib dabei mal locker.
gentibus solidaritas, una fit humanitas.
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 22082
Registriert: Fr 7. Aug 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Dark Angel »

eure schöpfung » Sa 5. Sep 2015, 05:30 hat geschrieben:Treue ist nicht identisch mit Gerechtigkeit. Und Untreue führt nicht automatisch zu Ungerechtigkeit. Fairerweise muss ich erwähnen, dass die im Eingangsbeitrag angeführte Gerechtigkeit sich auf die vor Aristoteles bezieht - eine persönliche, nicht gesellschaftliche. Aber auch gesellschaftlich kann Untreue zu mehr Gerechtigkeit führen.
wie gerecht kann untreue zur wahrheit sein ?
Treue zur Wahrheit? Was ist Wahrheit?
Es gibt keine absolute Wahrheit!
Untreue gegenüber einem terroristischem Regime (gesellschaftliche Treue) kann sehr wohl mehr Gerechtigkeit zum Ziel haben.
Siehe 20. Juli 1944.
eure schöpfung » Sa 5. Sep 2015, 05:30 hat geschrieben:da stimme ich erstmal zu. nur mit dem unterschied,daß doch am ende der zusammenfaßung der tugenden, der reifegrad an dem maximalen level der erreichbaren tugenden gemessen wird.und dies hat nunmal lückenlos zu sein. ich erinnere da, an die sekundärtugend gehorsam. die scheint mir ein dorn in bezug auf persönlichkeit.
Sorry - aber es gibt keinen Maßstab für Tugend(en).
eure schöpfung » Sa 5. Sep 2015, 05:30 hat geschrieben: das ist nicht ganz richtig. wenn ich mein wort gegeben habe, muß ich versuchen es einzuhalten. das gebietet die einhaltung von wahr und gerecht.
andererseits sehe ich schon den privileg joker: ist doch halb so schlimm und ist nicht böse gegen dich gerichtet, aber die verlockung war zu stark.
"sein Wort geben" ist gleichbedeutend mit "einen Vertrag abschließen" und Verträge können einseitig oder in beiderseitigem Einvernehmen aufgelsöst werden und das gilt auch für eine Ehe. Es ist eben nicht gerecht, jemanden zur Einhaltung eines Vertrages zu zwingen, wenn sich die Bedingungen geändert haben oder die Voraussetzungen zur Einhaltung nicht mehr gegeben sind.
Letzeres (Zwang) wäre nämlich in höchstem Maße ungerecht. Womit wir wieder bei Punkt 1 wären ==> Untreue kann zu mehr Gerechtigkeit führen.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 22082
Registriert: Fr 7. Aug 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Dark Angel »

Agesilaos Megas » Sa 5. Sep 2015, 11:28 hat geschrieben:
Zur "Treue": Wenn Du dem Führer Adolf Hitler Dein Wort gegeben hast, alles zu tun, was er will, dann wirst Du oftmals Deine Primärtugenden zurückstecken müssen. Untreue zur Wahrheit kann nur vorliegen, wenn man letztere - unmöglicherweise - bereits schon kennt. Und mit Treue gegenüber anderen für Dich selbst Gerechtigkeit zu erlangen, ist nicht vorprogrammiert. Wenn Du Hitler treu bleibst, musst Du nicht erwarten, dass er für Dich die Gerichte fair macht. Wenn Du selbst aber gerecht wirst, wirst Du schnell in Konflinkt mit Dir selbst kommen, wenn Du all seinen Befehlen gemäß Treueschwur botmäßig bleiben willst.

Und diese Ambivalenz charakterisiert nicht minder eine Sekundärtugend.

Deine Sicht auf Treue hat den engen Beziehungsrahmen und ist womöglich durch negative persönliche Erfahrungen beeinflusst. Mal so ganz aus Erfahrung: Bleib dabei mal locker.
Für eine solche Haltung wurde der Begriff Nibelungentreue geprägt
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
Sri Aurobindo
Beiträge: 9079
Registriert: Do 14. Mär 2013, 21:02
user title: ॐ नमः शिवाय
Wohnort: Leipzig
Kontaktdaten:

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Sri Aurobindo »

Dark Angel » Heute 12:56 hat geschrieben: Es gibt keine absolute Wahrheit!
Kannst Du das begründen oder gar beweisen?
https://de.wikipedia.org/wiki/Wahrheit
Fichte
Wahrheit hat so einen An-sich-Charakter: aus der Perspektive des individuellen Subjekts erschafft sie sich scheinbar von selbst; die transzendentale, allgemeine Subjektivität weiß dagegen um sich selbst als den Konstitutionsgrund der einheitlichen Wahrheit. Absolute Wahrheit besteht in völliger Selbstidentität und erweist sich für das endliche Ich als eine unendliche Aufgabe, ein letztlich nie zu erreichendes Ideal.
(...)
Hegel
Der „Begriff“ stellt im hegelschen Sinne die substantielle Verfasstheit aller „Dinge“ (Sachen) und des „Ganzen“ dar. Der Begriff einer Sache übertrifft prinzipiell und notwendigerweise diese Sache selbst, und zwar wegen des endlichen Momentes der Sache. Die absolute Wahrheit ist Gott als Geist. Er allein stellt die absolute Übereinstimmung des Begriffs und der Realität dar:

„Gott allein ist die wahrhafte Übereinstimmung des Begriffs und der Realität; alle endlichen Dinge aber haben eine Unwahrheit an sich, sie haben einen Begriff und eine Existenz, die aber ihrem Begriff unangemessen ist […].[62]“
(...)
Kritischer Rationalismus
Der Kritische Rationalismus hält an der absoluten Wahrheit als regulativer Idee fest und verweist auf die verheerenden Folgen, die entstehen, wenn man sie aufgibt. Er erklärt Unterschiede in den Meinungen mit deren unterschiedlicher Wahrheitsnähe. Auch wenn Meinungen oft Irrtümer und daher falsch sind, können sie dennoch mehr oder weniger gut mit der Wahrheit übereinstimmen.
(...)
Wahrheit in den Wissenschaften
Dabei wird mit dem Begriff der Wahrheit die Genauigkeit der Widerspiegelung der Wirklichkeit charakterisiert. Mit absoluter Wahrheit (Genauigkeit) ist eine "perfekte, exakte" Wiedergabe gemeint, die nur für numerische Sachverhalte gelingt, wie z.B. bei der richtigen Angabe der Anzahl von Gegenständen. Im Allgemeinen sind jedoch wissenschaftliche Aussagen wie jegliches Wissen mit einer mehr oder weniger großen Unsicherheit verbunden, so dass dann von relativer Wahrheit gesprochen wird.
Absolute Wahrheit hängt nicht von den Welt-erfahrenden Wesen ab, die nach ihr suchen.
Benutzeravatar
Agesilaos Megas
Beiträge: 950
Registriert: Fr 8. Mai 2015, 12:24
user title: Zusammenschließen!

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Agesilaos Megas »

Dark Angel » Sa 5. Sep 2015, 12:58 hat geschrieben: Für eine solche Haltung wurde der Begriff Nibelungentreue geprägt

Gutes Beispiel!

Nicht nur für den Hitlerismus, sondern auch für den 1. WK: War Deutschlands Treue gegenüber Österreich höchste Tugendhaftigkeit oder schlichtweg verantwortungslos? :)
gentibus solidaritas, una fit humanitas.
Benutzeravatar
Progressiver
Beiträge: 2656
Registriert: So 1. Apr 2012, 00:37
Wohnort: Baden-Württemberg

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Progressiver »

Agesilaos Megas » Sa 5. Sep 2015, 04:03 hat geschrieben:
Treue ist nicht identisch mit Gerechtigkeit. Und Untreue führt nicht automatisch zu Ungerechtigkeit. Fairerweise muss ich erwähnen, dass die im Eingangsbeitrag angeführte Gerechtigkeit sich auf die vor Aristoteles bezieht - eine persönliche, nicht gesellschaftliche. Aber auch gesellschaftlich kann Untreue zu mehr Gerechtigkeit führen.

Treue liegt in der Nähe des Glaubens, Gehorchens, Folgens, Verlässlichseins. Es ist somit eine Erwartung einer Erfüllung. Primärtugenden werden auch erwartet, auch ihnen "soll" man treu bleiben - nur mit dem Unterschied, dass sie der Persönlichkeit und ihrer Reifung dienen, nicht anderen. Treue z.B. in einer Ehe dient einer Berechenbarkeit (heute), damals dem Gehorsam (Gottes Befehle). Diese Art von Treue kann der größte Schurke oder die dümmste Dumpfbacke einhalten. Du kannst sogar unglücklich in einer treuen Ehe werden. Für Dich oder Deinen Charakter selbst brauchst Du diese Art von Treue nicht.

Die Deutschen - oder das europ. Bürgertum - definieren sich aber genau über diese Sekundärtugenden - Zwangsstörungen inklusive.
Ich muss da sicher zugeben, dass ich als Deutscher auch ziemlich zwanghaft bin. Und halte die Sekundärtugenden für ebenfalls wichtig, damit das tägliche Leben funktioniert. Aber ich bin auch keine Maschine! Die ethische Basis sollten meines Erachtens die oben erwähnten Kardinal- bzw. Primärtugenden sein, ohne die der Mensch in der schon erwähnten Nibelungentreue bzw. in blindem Kadavergehorsam in den Untergang geht. Sie sind auch die Grundlage von Humanismus und aufklärerischem Denken, welches wiederum Selbstkritik ermöglicht und eine Flexibilität im Handeln ermöglicht. Das Gegenteil wäre ja ansonsten blinder Gehorsam und fanatische Durchsetzung einer Idee, bis alles in Scherben liegt. Die Sekundärtugenden stehen auch in meinem ethischen Bezugssystem an zweiter Stelle, d.h. sie bauen auf den Primärtugenden auf.

Die Idee für diesen Thread kam mir im Übrigen, als in der Flüchtlingsfrage ein User sinngemäß meinte, dass er die Primärtugenden nicht brauche, sondern dass es Sekundärtugenden wie Fleiß und Ordnungsliebe seien, die Deutschland erfolgreich gemacht hätten. Ein anderer Aspekt, den man in diesem Zusammenhang erwähnen würde, ist sicher, dass insbesondere das sogenannte Volk der Dichter und Denker in einer Dialektik der Aufklärung zu schlimmsten barbarischen Untaten fähig war. Paradox finde ich es jedenfalls, dass die KZ-Betreiber eiskalt Menschen vergasen konnten, um dann nach Dienstschluss schöngeistige Musik zu hören.

Was meine Threadeinleitung betrifft: Ich bin mir bewusst, dass diese etwas umfangreich und kompliziert aufgestellt ist. Vielleicht schaffe ich es auch beim nächsten Mal, diese unkomplizierter zu gestalten. Aber ich wollte eben auch darlegen, was ich so unter Primär- und Sekundärtugenden verstehe. Aber das nur so am Rande.
"Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum." Friedrich Nietzsche

"Wer nur einen Hammer als Werkzeug hat, dem wird bald jedes Problem zum Nagel."
Benutzeravatar
Agesilaos Megas
Beiträge: 950
Registriert: Fr 8. Mai 2015, 12:24
user title: Zusammenschließen!

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Agesilaos Megas »

Progressiver » Sa 5. Sep 2015, 19:37 hat geschrieben:
Ich muss da sicher zugeben, dass ich als Deutscher auch ziemlich zwanghaft bin. Und halte die Sekundärtugenden für ebenfalls wichtig, damit das tägliche Leben funktioniert. Aber ich bin auch keine Maschine! Die ethische Basis sollten meines Erachtens die oben erwähnten Kardinal- bzw. Primärtugenden sein, ohne die der Mensch in der schon erwähnten Nibelungentreue bzw. in blindem Kadavergehorsam in den Untergang geht. Sie sind auch die Grundlage von Humanismus und aufklärerischem Denken, welches wiederum Selbstkritik ermöglicht und eine Flexibilität im Handeln ermöglicht. Das Gegenteil wäre ja ansonsten blinder Gehorsam und fanatische Durchsetzung einer Idee, bis alles in Scherben liegt. Die Sekundärtugenden stehen auch in meinem ethischen Bezugssystem an zweiter Stelle, d.h. sie bauen auf den Primärtugenden auf.

Die Idee für diesen Thread kam mir im Übrigen, als in der Flüchtlingsfrage ein User sinngemäß meinte, dass er die Primärtugenden nicht brauche, sondern dass es Sekundärtugenden wie Fleiß und Ordnungsliebe seien, die Deutschland erfolgreich gemacht hätten. Ein anderer Aspekt, den man in diesem Zusammenhang erwähnen würde, ist sicher, dass insbesondere das sogenannte Volk der Dichter und Denker in einer Dialektik der Aufklärung zu schlimmsten barbarischen Untaten fähig war. Paradox finde ich es jedenfalls, dass die KZ-Betreiber eiskalt Menschen vergasen konnten, um dann nach Dienstschluss schöngeistige Musik zu hören.

Was meine Threadeinleitung betrifft: Ich bin mir bewusst, dass diese etwas umfangreich und kompliziert aufgestellt ist. Vielleicht schaffe ich es auch beim nächsten Mal, diese unkomplizierter zu gestalten. Aber ich wollte eben auch darlegen, was ich so unter Primär- und Sekundärtugenden verstehe. Aber das nur so am Rande.

Ich bin ein Menschenschwein: Faul, unordentlich, unpünktlich, unhöflich und furchtbar polemisch, geradezu unsauber. Mit den Jahren haben die Sekundärtugenden für mich an Bedeutung verloren - früher war ich ihr größter Prediger. Dafür gehe ich jetzt ohne Angst auf jeden Menschen zu, gebe gern eine zweite oder dritte Chance oder schenke und lache mit ihm, wenn etwas schiefläuft. Und siehe da: Meine Leben ist schludrig, ineffektiv, aber großartig. Ich kann auch freundlich bis zum Friedhof leben, ohne dass ich andere und mich zwingen muss. Ich grabe mir lieber lachend das Loch, in dem ich verwese, als dass ich mit einer Industrie-Karre irgendwo abgeschüttet werde. Viele Sekundärtugenden können wir aus unserem Leben verbannen, wenn wir sie nicht brauchen. Wir müssen uns nicht über die lange Wartezeit an einer Einkaufsschlange ärgern, sondern der Kassiererin mal sagen: "Sie machen einen tollen Job." Wir sollen mal hübsche Frauen anlächeln anstatt ängstlich eine Zurückweisung fürchten. Wir können auch mal unrasiert das Haus verlassen oder ein Amtsschreiben ein paar Tage unbeantwortet lassen oder ein Formular auch mal furchtbar beschmiert abgeben. Wir können auch mal sagen: "Unbezahlte Überstunden? Nein, danke!". Ein Bekenntnis eines Schweins.

Und von mir aus kann Deutschland erfolgreich sein, wie es will: Mit Ordnungsliebe kriegt man keine fairen Löhne, sondern nur ein Gnadenbrot nach langer Schleimerei. Wir zahlen sogar kollektiv für öffentliches Programm, das wir nicht gestalten können, GEZ. Ordnung. Wir jammern über Asylanten, die uns 2 Mrd. in die Knauserkassen gebracht haben. Wir verurteilen die Griechen, weil sie nicht gehorchen und ordnen, kaufen aber ihr Land auf und überwuchern sie mit Zinsen, um daran zu gewinnen.

Nein, nein, nein: Nicht Tugenden haben dieses Land groß gemacht, sondern Ausbeutung, Gemeinheit, Ausbeutung und Ausbeutung der Kleinen. Der Soldatenkönig, Menschenschinder Fritz, Blut und Eisen, Sozialistengesetze, SPD-Monarchisten, Militärmonarchisten, Nationalsozialisten, Kalte Krieger und Karrieristen - all diese Bewegungen entspringen einem kalten Pragmatismus und später Darwinismus. Und aus keinem anderen Grund führten die 68er die Sekundärtugenden ein - das ist der Punkt: Man kann sie gar nicht positiv verwenden, wenn man sie als Alleinstellungsmerkmal betrachtet. Sie sind einfach nur sekundär, nebensächlich. :D
gentibus solidaritas, una fit humanitas.
Benutzeravatar
BlueMonday
Beiträge: 3794
Registriert: Mo 14. Jan 2013, 17:13
user title: Waldgänger&Klimaoptimist

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von BlueMonday »

Sri Aurobindo » Sa 5. Sep 2015, 13:27 hat geschrieben: Absolute Wahrheit hängt nicht von den Welt-erfahrenden Wesen ab, die nach ihr suchen.
Aber du bist doch nun ein solches "Welt-erfahrendes Wesen". Alles, was du aufnimmst, ist von dir selbst geformte, von dir abhängige Wirklichkeit, eine Wirklichkeit für dich und keine Wirklichkeit an und für sich. Über diese lässt sich nichts sagen. Denn "wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen" -- Wittgenstein

Oder Fichte sagt es doch -> "Absolute Wahrheit besteht in völliger Selbstidentität"

Die Selbstidentität als das berühmte "A=A". Also die bloße Tautologie. Die absolute Gehaltlosigkeit, Leere.
http://www.gleichsatz.de/b-u-t/221149/a-a.html

Sobald Gehalt hinzutritt, hat man es mit einer Behauptung zu tun, die man nicht mehr letztbegründen kann, die immer die Möglichkeit der Fallibilität, des Irrtums beinhaltet.

Das ist der ungeliebte Relativismus/Skeptzismus/Kritizismus. Du sagst dann: Beweise dich, Relativismus, gib mir den letzten Grund, auf dem du stehst.
Und der Relativismus antwortet dir: aber darin bestehe ich doch gerade, dass ich behaupte, dass es keine letzten Gründe gibt, auch für mich nicht. Ich kann es/mich nicht beweisen. Ich kann mich aber auf mich selbst anwenden und eingestehen, dass ich die Möglichkeit eines letzten Grundes nicht absolut ausschließen kann. Aber nun ist es an dir, ihn mir zu liefern, ihn gehaltvoll zu offenbaren.

Solch ein Bemühen führt nun zu dem so genannten Münchhausentrilemma. Jede Begrüngskette endet entweder in einem Zirkel(man begründet etwas mit sich selbst), in einem infiniten Regress (=unendliches Zurückschreiten. Jeder gelieferte Grund erzeugt den Bedarf an einer weiteren Begründung, einen Grund für den Grund...) oder man bricht die Begründung einfach an einem Punkt ab. Das ist Dogma, die unbegründete Behauptung.

Zirkel, Unendlichkeit, Dogma. Die Formen der Wahrheit.
Das Erste ist leer, das Nächste unmöglich für ein endliches Wesen, das Letzte bequeme Aufgabe, Täuschung, Fälschung, Schein, Betrug.
Zuletzt geändert von BlueMonday am So 6. Sep 2015, 12:04, insgesamt 1-mal geändert.
ensure that citizens are informed that the vaccination is not mandatory and that no one is under political, social or other pressure to be vaccinated if they do not wish to do so;
Kung Fury

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Kung Fury »

Progressiver » Fr 4. Sep 2015, 23:14 hat geschrieben:Zur Erläuterung:

Was die wichtigsten Primärtugenden sind, war schon immer etwas umstritten. Bei Marcus Tullius Cicero wurden in diesem Zusammenhang Gerechtigkeit (iustitia), Mäßigung (temperantia),
Tapferkeit bzw. Hochsinn (fortitudo, magnitudo animi bzw. virtus) und Weisheit bzw. Klugheit (sapientia bzw. prudentia) genannt. Ein anderer Begriff dafür sind im Übrigen die Kardinaltugenden.

Der deutsche Philosoph Johann Friedrich Herbart, der 1776-1841 lebte, nannte beispielsweise als als Kardinaltugenden die Tapferkeit, die Freiheit, die Güte und die Gerechtigkeit. Andere Weltregionen hatten und haben eine von uns verschiedene Gewichtung. Bei uns in Europa hat sich aber die Siebenzahl der Kardinaltugenden durchgesetzt. Als weltliche Tugenden gelten hierbei die Weisheit oder Klugheit, weiterhin Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung -wie schon bei Cicero. Das Christentum setzt dem noch den Glauben, die Liebe und die Hoffnung hinzu. Dies will ich aber nur der Vollständigkeit erwähnen, da diese für mich als Atheist keine größere Bedeutung haben. Ich will mich im Folgenden auf die vier antiken Primärtugenden konzentrieren.

Quelle:

https://de.wikipedia.org/wiki/Kardinaltugend

Zum Begriff der Sekundärtugenden sagt die Wikipedia:



https://de.wikipedia.org/wiki/Sekund%C3%A4rtugend

Ohne die alte "Achtundsechziger-Diskussion" in der Erziehungsfrage -autoritär versus antiautoritär- weiterzuführen, möchte ich in diesem Thread doch diskutieren, welche der beiden Tugendgruppen die wichtigeren sind. Oskar Lafontaine warf 1982 bekanntlich dem damaligen Bundeskanzler vor:



Und weiter schreibt die Wikipedia dazu:



Quelle: ebenda

Es gibt aber auch Leute, die der Ansicht sind, dass die Sekundärtugenden die wichtigeren sind. Aber ist das überhaupt möglich? Kann man eine Gesellschaft überhaupt am Laufen halten, ohne sie ins Unheil abgleiten zu lassen, wenn sie nur aus den "bürgerlichen" Sekundärtugenden besteht? Oder reicht es auf der Gegenseite überhaupt, wenn die Gesellschaftsmitglieder als ethische Richtwerte sich auf die Primärtugenden Weisheit/Klugheit, Tapferkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit beschränken? Und kann man die zwei verschiedenen Tugendgruppen überhaupt gegeneinander aufstellen?

Dies will ich in diesem Thread diskutieren.
Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass es keine Gerechtigkeit gibt, wenn man nicht zum Verbrecher wird und dazu braucht man auch viel Mut. Die ganze westliche Welt besitzt keine Moral und vergreifen sich an die Schwächen der anderen und nur als Verbrecher und jemand der sich gegen die Welt stellt kann man von sich behaupten ein guter Mensch zu sein. Wer diese Welt und die Menschen liebt ist ein totaler Schwachkopf.Man sollte sich gegen alles stellen und sich mal eine Zeit lang zum Feind machen um zu erkennen wer wirklich die "Guten" sind. Eigentlich sind die schlechtesten Menschen die mit der meisten Moral.
Benutzeravatar
Agesilaos Megas
Beiträge: 950
Registriert: Fr 8. Mai 2015, 12:24
user title: Zusammenschließen!

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Agesilaos Megas »

Ein Schurke nennt die anderen oftmals "Bösewicht". :x
gentibus solidaritas, una fit humanitas.
Benutzeravatar
Sri Aurobindo
Beiträge: 9079
Registriert: Do 14. Mär 2013, 21:02
user title: ॐ नमः शिवाय
Wohnort: Leipzig
Kontaktdaten:

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Sri Aurobindo »

BlueMonday » Gestern 11:59 hat geschrieben:
Aber du bist doch nun ein solches "Welt-erfahrendes Wesen". Alles, was du aufnimmst, ist von dir selbst geformte, von dir abhängige Wirklichkeit, eine Wirklichkeit für dich und keine Wirklichkeit an und für sich. Über diese lässt sich nichts sagen. Denn "wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen" -- Wittgenstein

Oder Fichte sagt es doch -> "Absolute Wahrheit besteht in völliger Selbstidentität"

Die Selbstidentität als das berühmte "A=A". Also die bloße Tautologie. Die absolute Gehaltlosigkeit, Leere.
http://www.gleichsatz.de/b-u-t/221149/a-a.html

Sobald Gehalt hinzutritt, hat man es mit einer Behauptung zu tun, die man nicht mehr letztbegründen kann, die immer die Möglichkeit der Fallibilität, des Irrtums beinhaltet.

Das ist der ungeliebte Relativismus/Skeptzismus/Kritizismus. Du sagst dann: Beweise dich, Relativismus, gib mir den letzten Grund, auf dem du stehst.
Und der Relativismus antwortet dir: aber darin bestehe ich doch gerade, dass ich behaupte, dass es keine letzten Gründe gibt, auch für mich nicht. Ich kann es/mich nicht beweisen. Ich kann mich aber auf mich selbst anwenden und eingestehen, dass ich die Möglichkeit eines letzten Grundes nicht absolut ausschließen kann. Aber nun ist es an dir, ihn mir zu liefern, ihn gehaltvoll zu offenbaren.

Solch ein Bemühen führt nun zu dem so genannten Münchhausentrilemma. Jede Begrüngskette endet entweder in einem Zirkel(man begründet etwas mit sich selbst), in einem infiniten Regress (=unendliches Zurückschreiten. Jeder gelieferte Grund erzeugt den Bedarf an einer weiteren Begründung, einen Grund für den Grund...) oder man bricht die Begründung einfach an einem Punkt ab. Das ist Dogma, die unbegründete Behauptung.

Zirkel, Unendlichkeit, Dogma. Die Formen der Wahrheit.
Das Erste ist leer, das Nächste unmöglich für ein endliches Wesen, das Letzte bequeme Aufgabe, Täuschung, Fälschung, Schein, Betrug.
Ich verstehe den Einwand nicht.

Willst Du damit sagen - es gibt keine absolute Wahrheit, Du kannst das aber nicht beweisen?

Für mich ist absolute Wahrheit das:
Die absolute Wahrheit ist Gott als Geist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Wahrheit

Hegel
Die absolute Wahrheit ist Gott als Geist. Er allein stellt die absolute Übereinstimmung des Begriffs und der Realität dar:

„Gott allein ist die wahrhafte Übereinstimmung des Begriffs und der Realität; alle endlichen Dinge aber haben eine Unwahrheit an sich, sie haben einen Begriff und eine Existenz, die aber ihrem Begriff unangemessen ist […].[62]“
... und ich würde mich nicht Sri Aurobindo nennen, wenn ich nicht von der ursprünglichen und allzeit realen Identität des Welt-erfahrenden Subjekts mit Gott (Brahman) überzeugt wäre und nicht daran glauben würde, dass Evolution der Weg der Zurückgewinnung der absoluten göttlichen Attribute ist. Eines dieser göttlichen Attribute ist absolute Kenntnis der absoluten Wahrheit (durch Identität).
Benutzeravatar
BlueMonday
Beiträge: 3794
Registriert: Mo 14. Jan 2013, 17:13
user title: Waldgänger&Klimaoptimist

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von BlueMonday »

Sri Aurobindo » Mo 7. Sep 2015, 20:40 hat geschrieben: Willst Du damit sagen - es gibt keine absolute Wahrheit, Du kannst das aber nicht beweisen?
Nein, sondern - wie gesagt - dass du keinen begrifflichen Zugang zu einer "aboluten Wahrheit" hast, sondern allenfalls zu einer von dir erzeugten "Wirklichkeit".

Behauptest du mehr, dann ist es eben an dir, diese "absolute Wahrheit" deinen Mitmenschen gehaltvoll zu offenbaren.
Worin besteht sie? Welche Begriffe willst du dafür finden, die dann ja praktisch mehr sein müssten als bloße Begriffe.
Der Begriff ist immer relativ, kein Ding an sich. Er ist gemacht, mindestens an ein Subjekt geknüpft, sein Produkt.
Ein für dich, für mich, für uns als Sprachgemeinschaft, aber kein Begriff an und für sich selbst.

Du fragtest nun einen User hier nach einem Beweis für seine Behauptung: "Es gibt keine absolute Wahrheit!". Das war der Grund meines Einwandes. Denn ist es an dir zu beweisen, dass es sie gibt, wenn du behauptest, dass es sie gäbe. Und ich habe dir eben die Schwierigkeit eines solchen Beweises versucht zu vermitteln.

Du kommst dann mit: "Die absolute Wahrheit ist Gott als Geist."
Damit setzt du nur das eine Wort mit einem anderen gleich. Mehr ist es ja nicht.
Und schon bist du dem Problem des infiniten Regresses konfrontiert.
Was ist "Gott"? Das wäre die nächste Frage.
Du wirst bald unweigerlich wieder auf Wittgensteins Mauer stoßen, dass du also über die Dinge schweigen musst, über die man nicht sprechen kann.

Wenn es eine "absolute Wahrheit" gibt, dann ist sie begrifflos, unvermittelbar, keine Sache, die sich sprachlich/begrifflich fassen lässt.

Frei nach Stirner:
"Was man sagt, ist ein Wort; was man meint, ist kein Wort. Was man sagt, ist nicht das Gemeinte, und was man meint, ist unsagbar."

Anders gesagt, es geht um die Differenz zwischen Signifikant(der bloße Bezeichner, das Wort), Signifikat(die Vorstellung, der Begriff) und dann letztlich, was rein spekulativ "an sich" existiert, was man vermeintlich, nur scheinbar bezeichnet in seinem alltäglichen naiven Begriffsrealismus.
Anders gesagt: Dein Weltzugang kann das Signifikat nicht überspringen ("transzendieren").
Und zwischen den Menschen beschränkt es sich sogar nur auf den Austausch bloßer Signifikanten ("Apfel", "Gott").
Eines dieser göttlichen Attribute ist absolute Kenntnis der absoluten Wahrheit (durch Identität).
"Identität" ist gemachter Anschein.

Nietzsche:
"Die Logik ist geknüpft an die Bedingung: gesetzt, es gibt identische Fälle. Tatsächlich, damit logisch gedacht und geschlossen werde, muß diese Bedingung erst als erfüllt fingiert werden. Das heißt: der Wille zur logischen Wahrheit kann erst sich vollziehen, nachdem eine grundsätzliche Fälschung alles Geschehens angenommen ist. Woraus sich ergibt, daß hier ein Trieb waltet, der beider Mittel fähig ist, zuerst der Fälschung und dann der Durchführung seines Gesichtspunktes: die Logik stammt nicht aus dem Willen zur Wahrheit.""



Die einzige "Identität", die nicht nur Schein und Fälschung ist, kann nur als "Singularität" bestehen, wenn alles in einem ausdehnungslosen Punkte eins ist.
Und in einem solchen Zustande gibt es keinen Gegenstand mehr. Nichts was zu erkennen, zu begreifen etc. wäre.


Wenn es einen "Gott" gibt, dann hat er sich offenbar aus so einem Zustand fragmentiert, zerstreut in unzählige Teile, Splitter und diese Splitter beziehen sich allenfalls aufeinander, haben sich gegenseitig zum Gegenstand. Und es besteht offenbar eine (wachsende) Distanz und Differenz zwischen ihnen. Das Unverständnis nimmt zu, nicht ab.
Zuletzt geändert von BlueMonday am Di 8. Sep 2015, 13:17, insgesamt 3-mal geändert.
ensure that citizens are informed that the vaccination is not mandatory and that no one is under political, social or other pressure to be vaccinated if they do not wish to do so;
Benutzeravatar
Sri Aurobindo
Beiträge: 9079
Registriert: Do 14. Mär 2013, 21:02
user title: ॐ नमः शिवाय
Wohnort: Leipzig
Kontaktdaten:

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Sri Aurobindo »

BlueMonday » Heute 13:10 hat geschrieben:
Nein, sondern - wie gesagt - dass du keinen begrifflichen Zugang zu einer "aboluten Wahrheit" hast, sondern allenfalls zu einer von dir erzeugten "Wirklichkeit".

Behauptest du mehr, dann ist es eben an dir, diese "absolute Wahrheit" deinen Mitmenschen gehaltvoll zu offenbaren.
Hier ist das Problem ...

Der Ausgangspunkt war ja der, dass die Moderatorin und Userin Dark Angel etwas behauptet hatte. Nämlich, dass es keine absolute Wahrheit gibt. Und wenn sie das behauptet, dann ist es an ihr das zu beweisen.

Ansonsten verstehe ich Deine Argumentation. Die absolute Wahrheit ist auch in meinem Denken unfassbar und vor allem nicht formulierbar.

Sie ist aber dennoch ein Omega - eines der Ziele der Evolution des Bewusstsein und so auch eines der Ziele von Wissenschaft.

Und vor allem glaube ich daran, dass das, was wir heute sind nicht alles ist, was die Evolution des Bewusstseins hervorzubringen vermag. Unsere Vernunft - generell unsere gesamte Erkenntnis ist evolutionär entstanden. D.h. unser Erkenntnisvermögen ist durch einen Anpassungsprozess an die Wirklichkeit entstanden. Dieser Prozess wird sich weiter fortsetzen. D.h. die absolute Wahrheit wird dadurch immer umfassender erfassbar.

Enden wird dieser Prozess erst, wenn die absolute Wahrheit erlangt wurde. Und weil es im Universum nur so von Sternen und Planeten wimmelt - gehe ich davon aus, dass dieses evolutionäre Treiben zigfach statt findet. Überall treibt und entwickelt sich Bewusstsein und strebt zur letzten Erkenntnis.

Aber das ist nicht das Thema hier.
;)
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 22082
Registriert: Fr 7. Aug 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Dark Angel »

Sri Aurobindo » Di 8. Sep 2015, 18:50 hat geschrieben: Der Ausgangspunkt war ja der, dass die Moderatorin und Userin Dark Angel etwas behauptet hatte. Nämlich, dass es keine absolute Wahrheit gibt. Und wenn sie das behauptet, dann ist es an ihr das zu beweisen.

Ansonsten verstehe ich Deine Argumentation. Die absolute Wahrheit ist auch in meinem Denken unfassbar und vor allem nicht formulierbar.
Du kannst Dir Deine philosophische Gehirnakrobatik gestrost schenken.
Etwas mit unserem Denken nicht fassbar und nicht formulierbar ist, ist auch nicht existent.
Es gibt nun mal keine anderes Denken als unseres und uns sind auch keine anderen denkenden Wesen bekannt.
Dur darfst auch gerne irgendwas glauben oder an irgendwas glauben, mit Wahrheit - besonders absoluter Wahrheit hat das allerdings nix zu tun, bestenfalls mit Esoterik und Spinnerei.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
Sri Aurobindo
Beiträge: 9079
Registriert: Do 14. Mär 2013, 21:02
user title: ॐ नमः शिवाय
Wohnort: Leipzig
Kontaktdaten:

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Sri Aurobindo »

Dark Angel » vor 14 Minuten hat geschrieben:Etwas mit unserem Denken nicht fassbar und nicht formulierbar ist, ist auch nicht existent.
genau.

also ist die Welt als Ganzes - der Kosmos - nicht existent.
ist ja logisch.
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 22082
Registriert: Fr 7. Aug 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Dark Angel »

Sri Aurobindo » Di 8. Sep 2015, 19:17 hat geschrieben: genau.

also ist die Welt als Ganzes - der Kosmos - nicht existent.
ist ja logisch.
Seit wann ist der Kosmos mit unserem Denken nicht fassbar?
Seit wann ist nicht formulierbar was der Kosmos ist?
Mein Guter - der Kosmos ist beobachtbar, sogar messbar.
träum weiter :D
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
Sri Aurobindo
Beiträge: 9079
Registriert: Do 14. Mär 2013, 21:02
user title: ॐ नमः शिवाय
Wohnort: Leipzig
Kontaktdaten:

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Sri Aurobindo »

Dark Angel » Gestern 23:15 hat geschrieben: Seit wann ist der Kosmos mit unserem Denken nicht fassbar?
Seit wann ist nicht formulierbar was der Kosmos ist?
Mein Guter - der Kosmos ist beobachtbar, sogar messbar.
Du hast das Argument nicht verstanden.
Etwas mit unserem Denken nicht fassbar und nicht formulierbar ist, ist auch nicht existent.
Wenn das wahr wäre, dann wäre die Welt erst mit dem Menschen und dem Denken entstanden.

Denn nichts war fassbar und formulierbar, bevor es ein formulierendes und mit Denken fassendes Wesen gab.

Die Welt ist nun aber die Bedingung der Entstehung eines Welt-erfassenden Wesens.
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 22082
Registriert: Fr 7. Aug 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Dark Angel »

Sri Aurobindo » Mi 9. Sep 2015, 08:47 hat geschrieben:
Wenn das wahr wäre, dann wäre die Welt erst mit dem Menschen und dem Denken entstanden.
Das ist doch Käse. Seit der Mensch existiert, sucht er nach Erklärungen - erfasst er "die Welt" mit seinem Denken UND der Mensch ist auch fähig seine Sicht der Welt zu formulieren. Diese Sicht erweitert sich ständig.
Wenn er "die Welt" mit seinem Denken nicht erfassen könnte, könnte er auch nicht nach Erklärungen suchen und vor allem keine finden.
Mit der Existenz einer absoluten Wahrheit hat das allerdings nichts zu tun. Es gibt nun mal keine Letztbegründung und damit auch keine absolute Wahrheit.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
Sri Aurobindo
Beiträge: 9079
Registriert: Do 14. Mär 2013, 21:02
user title: ॐ नमः शिवाय
Wohnort: Leipzig
Kontaktdaten:

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Sri Aurobindo »

Dark Angel » Heute 20:41 hat geschrieben: Mit der Existenz einer absoluten Wahrheit hat das allerdings nichts zu tun. Es gibt nun mal keine Letztbegründung und damit auch keine absolute Wahrheit.
Wie beweist Du denn, dass es keine Letztbegründung gibt und geben kann?

Vielleicht haben Aliens, die kulturell bereits 100.000 Jahre weiterentwickelt sind als wir bereits zur absoluten Wahrheit gefunden. Wie sieht denn der Beweis aus, der die Möglichkeit dazu widerlegt?

dann gibt es eben noch das logische Argument.
http://www.gotquestions.org/Deutsch/Abs ... rheit.html
Es ist unlogisch zu behaupten, daß es keine absolute Wahrheit gibt. Heutzutage umarmen viele Menschen einen kulturellen Relativismus, der jede Art der absoluten Wahrheit verneint. Eine gute Frage, die man Menschen, die behaupten “Es gibt keine absolute Wahrheit”, stellen könnte, wäre: “Bist Du absolut sicher?” Und falls sie “Ja” sagen, dann haben sie eine absolute Aussage gemacht – sie setzt die Existenz von absoluten Kategorien voraus. Sie sagen also damit, daß die Tatsache selbst, daß es keine absolute Wahrheit gibt, die einzige absolute Wahrheit ist.
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 22082
Registriert: Fr 7. Aug 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Dark Angel »

Sri Aurobindo » Mi 9. Sep 2015, 21:54 hat geschrieben: Wie beweist Du denn, dass es keine Letztbegründung gibt und geben kann?
Schon mal was vom Münchhausen-Trilemma gehört?

V
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
BlueMonday
Beiträge: 3794
Registriert: Mo 14. Jan 2013, 17:13
user title: Waldgänger&Klimaoptimist

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von BlueMonday »

Also zusammengefasst:

Der Relativismus oder auch Kritizismus, wenn man ihn auf ihn selbst anwendet - was man tun sollte - also ein allumfassender, sich selbst einschließender Pankritizismus oder Panrelativismus kann die Existenz einer "absoluten Wahrheit" nicht ausschließen.
Die Gegenposition kann eine solche "Wahrheit" hingegen offenbar nicht gehaltvoll auf kommunikativen/sprachlichen Wege liefern. Sie bleibt verborgen und unbegriffen, da jeglicher Begriff einer Sprache nicht hinter sich selbst zu greifen vermag.

Entsprechende Versuche wie die sog. "Transzendentalpragmatik" (K.-O. Apel) haben sich dann auch als unbefriedigend herausgestellt, eine letztbegründete Moral herauszuschälen, eine Moralregel, der man nicht widersprechen kann, ohne sich in ("performative") Selbstwidersprüche zu verstricken. Am Ende steht auch hier nur die Tautologie.



Was bleibt für uns als Menschen, als Akteure? Entscheidungen zu treffen ohne einen letzten, unablehnbaren Grund dafür zu haben. "Moral" oder Kodifizierungen, Fixierungen irgendwelcher Moralverstellungen ("Tugenden", "Sünden") sind nur der Versuch der Flucht vor solchen immer wiederkehrenden Entscheidungen, der Versuch der Herstellung eines nur scheinbar letzten Grundes.
Zuletzt geändert von BlueMonday am Do 10. Sep 2015, 11:36, insgesamt 1-mal geändert.
ensure that citizens are informed that the vaccination is not mandatory and that no one is under political, social or other pressure to be vaccinated if they do not wish to do so;
Benutzeravatar
Sri Aurobindo
Beiträge: 9079
Registriert: Do 14. Mär 2013, 21:02
user title: ॐ नमः शिवाय
Wohnort: Leipzig
Kontaktdaten:

Re: Eine Frage der Ethik: Primär- versus Sekundärtugenden?

Beitrag von Sri Aurobindo »

BlueMonday » Heute 11:35 hat geschrieben:Also zusammengefasst:

Der Relativismus oder auch Kritizismus, wenn man ihn auf ihn selbst anwendet - was man tun sollte - also ein allumfassender, sich selbst einschließender Pankritizismus oder Panrelativismus kann die Existenz einer "absoluten Wahrheit" nicht ausschließen.
Deshalb hatte mich eben interessiert, wie DA ihre Behauptung begründen will. Und nur deshalb war diese Diskussion überhaupt entstanden. Alles andere ist eine andere Diskussion.

Für mich gilt jedoch, wo eine Welt, da auch eine Wahrheit.
Antworten