Hier muß ich mich mal einmischen - Sorry!Provokateur hat geschrieben:Wer die Radebruch'sche Formel ablehnt, erklärt die Untaten der Nazis zu "Recht", weil sie in Gesetzen und Verordnungen festgeschrieben waren.
Es gibt einen Rechtsbegriff, der über dem steht, was wir niederschrieben.
Letzteres ist richtig! Es ist inetwa das, was man Moral nennen kann. Aber mit dem ersten Teil bin ich nicht ganz einverstanden.
Deutsche Richter hatten seit 1990 ein Problem:
- sie mußte Recht sprechen, über Leute, die sich schuldig gemacht haben ... moralisch schuldig. Dieselben Richter durften aber nicht nur nach den Buchstaben westdeutschen Rechts urteilen, sondern sie mußten auch ostdeutsches Recht beachten. Es ist nämlich einer unserer gesetzlichen Grundvoraussetzungen, daß eine Bestrafung nur erfolgen darf, wenn er gegen (dort) gültiges Recht verstoßen hat - es also einen Paragraphen zu der damaligen Zeit schon gab, der dies unter Strafe stellt.
- (§ 1 StGB: nulla poena sine lege - Keine Strafe ohne Gesetz)
Man konnte trotzdem nachvollziehen, wenn DDR-Bürgerrechtler und normal-Bürger sagten, daß sich die Stasileute und andere schuldig gemacht haben, aber ihr Verhalten war eventuell nach DDR-Recht rechtens.
Jeder Gestapo-, SA- oder SS-Mann, der sich nach unseren Vorstellungen und deren Opfer schuldig gemacht hatte, konnte sich auf "... lediglich Befehlsempfänger" herausreden - es mußte ihm also eine konkrete Tabeteiligung nachgewiesen werden. (Individualschuld)
Erst nachdem der BGH im Zuge des Demjanjuk-Verfahren diese Individualschuld aufgehoben hat, waren weitere Verfahren aussichtsreif. (s.: Oskar Gröning - "Buchhalter von Auschwitz") Wären vorher, bei fehlerhaft nachgewiesener Individualschuld, eine Verurteilung erfolgt (auch wenn sie moralisch nachvollziehbar gewesen wäre), ... eine Revision wäre die Folge gewesen. ... folglich: Freispruch!
Du siehst also:
- moralische Maßstäbe und Beurteilungen können nur angewandt werden, soweit sie dem gesetzlichen Spielraum entsprechen. Also kann ein Richter die 'Radbruch’sche Formel' nur bedingt anwenden.