#Akzelerationismus

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schokoschendrezki
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#Akzelerationismus

Beitrag von schokoschendrezki »

Akzelerationismus wird in entsprechenden Reflexionen als die pop-philosophisch-politische Neuerung der letzten Jahre genannt. Eine "Mischung aus Techno, Terminator und Marx". Und vor allem: "Die Matrix".

Grundaussage der Beschleunigungsphilosophie ist, dass man die Gegenwart nicht aus der Perspektive der Vergangenheit sondern aus der der Zukunft zu betrachten habe. Also zum Beispiel: Nicht etwa aus Angst vor einer Wiederholung der großen Währungskrisen des letzten Jahrhunderts den jetzigen Finanzblasen entgegensteuern, sondern, im Gegenteil, die Blasen zum Platzen bringen, um schneller an das "danach" zu gelangen.

Philosophisch beziehen sich die Akzelerationisten vor allem auf den "neuen" oder "spekulativen Realismus", auch eine neue Mode-Philosophie, die erstens das "Projekt Postmoderne" beenden will und die sich zweitens gegen den "Korrelationismus" wendet. Gemein ist damit die idealistische Ansicht, dass es keine Weltbetrachtung ohne subjektive Perspektive geben kann. Die spekulativen Realisten gehen von einer nicht nur objektiv existierenden Welt sondern auch von einer (theoretisch) objektiv beschreibbaren Welt aus.

Bekannte Personen im Zusammenhang mit Akzelerationismus und spekulativem Realismus hierzulande dürften vor allem der Erfolgsautor und jüngste deutsche Philosophieprofessor Markus Gabriel ("Warum es die Welt nicht gibt") sowie der aus Wien stammende Literaturwissenschaflter Armen Avanessian sein, der 2013 in Berlin die erste internationale Akzelerationismus-Konferenz organisierte.

Gute Einführung in das Thema hier: http://www.deutschlandfunk.de/philosoph ... _id=314626

Meinungen?
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Demolit

Re: #Akzelerationismus

Beitrag von Demolit »

Es war schon immer etwas besonderes, einen anderen Geschmack zu haben. ;)

Also in der Form des dialektischen Fortgang des Denkens muss es jetzt das geben, was die Antithese herausbringt. Also nach post das neue prae, das dann wieder zum post wird.

Nur ist das Ganze dem Untergang geweiht, weil der Mensch zwar zurückblicken kann , nach vorn aber nur vermuten. Also haben wir hier einen Überflugversuch ohne Startbahn.

Ach, hat nicht der Marx den Hegel und den Feuerbach nicht auf die Füße gestellt, aber die stehen noch...ob die Akzelerierten bei ihrem Überholvorgang stehen bleiben, wage ich zu bezweifeln.

echt ;)
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John Galt
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Re: #Akzelerationismus

Beitrag von John Galt »

Mehr Kapitialismus um den Kapitalismus schneller zu zerstören? :)
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schokoschendrezki
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Re: #Akzelerationismus

Beitrag von schokoschendrezki »

John Galt » Di 5. Mai 2015, 17:53 hat geschrieben:Mehr Kapitialismus um den Kapitalismus schneller zu zerstören? :)
Ja, so ungefähr. Das ist der Anmoderationstext der verlinkten Sendung:
Seit Kurzem gibt es in Deutschland eine neue politische Philosophie, die sich mit den globalen Katastrophen unserer Zeit beschäftigt. Sie will mit Mitteln des Kapitalismus den Kapitalismus stürzen. Sie ist eine Mischung aus Techno, Terminator und Marx. Ihr Name: Akzelerationismus.
In einem Punkt gebe ich den Akzelerationisten recht: Gegen "Big Data" hilft kein Rückzug, keine Abstinenz und auf Dauer gesehen wahrscheinlich auch keine allumfassende Verschlüsselung oder der Rückzug in Tornetze. Hier könnte eine Art offensive Überschwemmung, eine inflationäre Verbreitung bewusst subversiver Infomationen möglicherweise eher weiterhelfen.

Neu ist die Idee der Akzelerationisten aber keineswegs. Mir kam es auf den ersten Blick eher wie ein linker Neuaufguss der (ursprünglich rechten) italienischen Futuristen vor. Schon in Marinettis futuristischem Manifest von 1909 hieß es
Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen … ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake.
Man sollte bedenken, dass dieser Futurismus zu den Geburtshelfern des italienischen Faschismus gehörte und Marinetti selbst zumindest zeitweise ein fanatischer Duce-Anhänger war. (Den Antisemitismus lehnte er allerdings kategorisch ab).
Was ich zunächst mal sehe ist die Gemeinsamkeit der Technik-Überhöhung (gleichgültig ob man ihr negativ oder positiv gegenübersteht, man ist in jedem Falle Technikaffin) und der (damit sicherlich zusammenhängende) ausgesprochene Maskulinismus.
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Re: #Akzelerationismus

Beitrag von frems »

Dazu hatte ich kürzlich erst einen Artikel gelesen. Ich verlink ihn mal: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/b ... 22218.html
Labskaus!

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Re: #Akzelerationismus

Beitrag von Demolit »

frems » Mi 6. Mai 2015, 12:25 hat geschrieben:Dazu hatte ich kürzlich erst einen Artikel gelesen. Ich verlink ihn mal: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/b ... 22218.html
Hatte ich auch gelesen, hielt das aber für eine temporäre new age juniorprofessorale Ideenwelt....so popig begrenzt wie Brit-Pop oder so :?:

Na ja Überspitzung kann ja den Problemen auch bei deren Lösung Beine machen.

@ schoko

Hälst du das nicht ein wenig für "pubertär", was da als Ideenwelt ausgebreitet wird? So mal an den alten Mitdenker gefragt.
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Re: #Akzelerationismus

Beitrag von Corella »

John Galt » Di 5. Mai 2015, 16:53 hat geschrieben:Mehr Kapitialismus um den Kapitalismus schneller zu zerstören? :)
Warum es Zerstören heißen muss? Vielleicht für die Schlagzeile. Ansonsten ist doch alles logisch: wenn Wettbewerber immer erst aus Schaden klug werden:

http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Carl_ ... #Bedeutung

...dann hat es Sinn, den Schaden schnell eintreten zu lassen, damit die Katastrophe kleiner ausfällt.
Fliegen wir also genussvoll in den nächsten Urlaub...
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schokoschendrezki
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Re: #Akzelerationismus

Beitrag von schokoschendrezki »

Demolit » Do 7. Mai 2015, 12:47 hat geschrieben: @ schoko

Hälst du das nicht ein wenig für "pubertär", was da als Ideenwelt ausgebreitet wird? So mal an den alten Mitdenker gefragt.
Eher für pubertär halte ich Dinge wie die Occupy-Bewegung oder auch Teile der globalisierungskritischen Bewegungen. Sich einer Lokomotive entgegenzustellen ... statt sie, wie es die Akzelerationisten wahrscheinlich sehen würden, zu versuchen zu kapern und sie gegen den Prellbock am Gleisende zu fahren.

Ich lehne sie aber trotzdem ab. Dinge wie zum Beispiel Spekulationsblasen, deren Platzen man noch beschleunigen möchte, mögen sich in einer virtuellen Welt abspielen, aber ihre Wirkungen entfalten solche Krisen durchaus in der realen Welt. Nicht für die Finanzspekulanten. Für tausende plötzlich joblose, um ihre Ersparnisse gebrachte usw. usf.

Die Lokomotvie aufs richtige Gleis und in die richtige Geschwindigkeit zu bringen, wäre die bessere Lösung, um im Bilde zu bleiben.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: #Akzelerationismus

Beitrag von SIRENE »

schokoschendrezki » Mo 4. Mai 2015, 09:50 hat geschrieben:Akzelerationismus wird in entsprechenden Reflexionen als die pop-philosophisch-politische Neuerung der letzten Jahre genannt. Eine "Mischung aus Techno, Terminator und Marx". Und vor allem: "Die Matrix".

...

Meinungen?
Nach meinen Recherchen fehlt auch den Akzelerationisten das Bewusstsein über die wesentlichsten Dirigenten menschlichen Verhaltens. (Die gelten übrigens auch für alle anderen Erscheinungsformen der Schöpfung). Warum also sollte sich durch deren Betrachtungsweise unsere Welt in eine Richtung ändern, die uns ermöglicht, so viele Menschen im Wohlstand friedlich zu organsieren?
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