Das moderne Weltbild

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Mithrandir
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von Mithrandir »

odiug » Mi 8. Mai 2013, 10:32 hat geschrieben:Dann stell dir doch bitte folgende Frage:
Warum ist es, dass im Zeichen des Triumph der Aufklaerung ueber den Mythos die Welt versinkt im Chaos des Faschismus und Nationalsoziaismus?
Ganz einfach: Mit dem Triumph der Aufklärung kommt nicht jeder gut zurecht, nicht jeder fühlt sich wohl in der Moderne. Mit ihrem Triumph wird die Aufklärung bedeutender und provoziert damit auch, dass sich Menschen ihr verstärkt entgegenstellen. Es ist ein ganz normaler Mechanismus, dass eine Bewegung eine Gegenbewegung hervorruft. Die kommunistische Idee konnte auch erst als Gegenbewegung zu einer ausgeprägten Herrschaft des Kapitals entstehen; auf die perzeptuell geprägte Malerie eines Cezanne folgt der konzeptuelle Ansatz des Kubismus und der NS ist eine Gegenbewegung zu Aufklärung und Moderne.
odiug » Mi 8. Mai 2013, 10:32 hat geschrieben:"]Die Befreiung des Menschen aus der selbst verschuldeten Unmuendigkeit" bei Kant.
Wobei die Unmuendikeit des Menschen sein ausgeliefert sein an die Natur bedeutet.
Das ist schlicht falsch. Weder ist Unmündigkeit Ausgeliefert-sein an die Natur, noch ist Ausgeliefert-sein an die Natur selbstverschuldet.
Selbstverschuldete Unmündigkeit ist, den eigenen Verstand nicht zu benutzen (obwohl man es könnte) und sich stattdessen an Autoritäten und Überliefertes zu halten.
odiug » Mi 8. Mai 2013, 10:32 hat geschrieben:"]Der Faschismus und Nationalsozialismus folgt dem Credo der Aufklaerung sich aus dieser Unmuendigkeit des Menschen gegenueber der allmaechtigen Natur (dem Mythos) zu befreien und den Menschen als Herr ueber sein Schicksal zu inthronisieren.
Der Herrenmensch ist nichts anderes als der von den Zwaengen der ihn unterdrueckenden Natur befreite Mensch in seiner extremsten Form.
Und wieder falsch. :rolleyes:
Der Herrenmensch ist zuallererst Gegensatz zum Untermensch und Ausdruck einer rassistischen Wertigkeitsvorstellung. Genies wie Einstein, Gropius, Gödel, Meitner, Bloch - die untersten Untermenschen nach NS-Vorstellung, nicht weil sie nichts dazu beigetragen hätten, dem Menschen gegenüber der Natur zu mehr Macht zu verhelfen, sondern schlicht wegen des Bluts in ihren Adern.

Es ist schon etwas ärgerlich, wie Sie diesen vielversprechenden Strang in private Schwurbel-Ideen getunkt haben, die jedenfalls ziemlich sicher nicht das moderne Weltbild verkörpern.
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von odiug »

Ok ... ich habe mich wohl etwas missverstaendlich ausgedrueckt und muss mich da revidieren.
Ich waere euch aber sehr dankbar, wenn ihr mir nicht faschistisches oder nationalsozialistisches Gedankengut unterstellen wuerdet, als wuerde ich die Ideen des Faschismus oder Nationalsozialismus verteidigen wollen.
Nichts liegt mir ferner als das.
Ich wuerde es auch schaetzen, wenn ihr eure Argumente ohne persoenliche Beleidigungen vortragen koenntet, da diese nicht wirklich zur Klaerung beitragen.
odiug

Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von odiug »

Ich stelle hier mal zwei Textauszuege eines Aufsatz von Jürgen Ritsert ein, die vielleicht die Verwirrungen der etwas chaotischen Diskussion hier etwas aufklaert und die Missverstendnisse, die sich aus meinen Beitraegen ergaben, vielleicht auszuraeumen hilft.
Das Bürgertum der Moderne hat „die Vernunft“ als autonomes Denken und freien Willen jedenfalls nicht erfunden, nicht einmal gepachtet, sondern in eine bestimmte historische Form gebracht!
Dazu gehört nach Horkheimer und Adorno die Tendenz, das grundlegende Prinzip der Selbsterhaltung auf machtgestützte Strategien der nackten Selbstbehauptung rationaler Beutegreifer auf Märkten sowie auf effiziente Techniken zur Ausplünderung der Natur zu reduzieren.
Die moderne Aufklärung, so sagen die beiden Autoren dementsprechend, „war vor der Verwechslung der Freiheit mit dem Betrieb der Selbsterhaltung nie gefeit"
Wir denken heute nicht mehr so wie Aristoteles.
Diesem wäre die moderne Idee einer Trennung der Mittel von den
Zwecken und einer Vorstellung von Zweckrationalität, die nur auf die Effizienz,
also auf die Tauglichkeit oder Untauglichkeit von Mitteln für beliebig vorgegebene Zwecke abstellt,
vermutlich als ein völlig unmoralischer Gedanke vorgekommen.
Denn für ihn ist es anders als für die Modernen selbstverständlich,
dass die Rationalität des Mitteleinsatz nicht vom Grad der Sittlichkeit der Ziele abzulösen ist,
die angestrebt werden. Die reinen Effizienzgesichtspunkte der
modernen technokratischen Vernunft, die Vorstellung einer gegenüber Prinzipien der substantiellen Sittlichkeit der Zwecksetzungen gleichgültigen Zweckrationalität wäre für Aristoteles wohl ein
nur schwer nachvollziehbarer Gedanke gewesen.
Mit anderen Worten:
Eine die Fragen des sittlichen Status der Zielsetzungen offen lassende Reduktion von Praxis
auf technische Geschicklichkeit und strategische Klugheit würde bei
Aristoteles gar kein Vernunftprädikat verdienen. Insofern könnte man die Kritik der reinen instrumentellen Vernunft auch als „Kritik der unbedingten Effizienz“ verstehen
Zuletzt geändert von odiug am Do 9. Mai 2013, 04:22, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von schokoschendrezki »

Cat with a whip » Mo 6. Mai 2013, 05:10 hat geschrieben: Das Totalitäre ursächlich in der Aufklärung zu verorten ist meiner Meinung nach fragwürdig. Wo hat denn die Aufklärung in Schweden in den Faschismus geführt? Hingegen keine Aufklärung in Saudi-Arabien. Trotzdem eine totalitäre Gesellschaftsstruktur. Sehr seltsam.
Gerade Schweden ist - im Gegenteil - ein Musterbeispiel dafür, dass Rationalismus zu inhumanen Praktiken führen kann. Bekanntlich wurden in Schweden wie nirgends sonst (außer in Deutschland) eugenische Zwangsmaßnahmen durchgeführt. Lange vor dem deutschen Faschismus und übrigens auch lange Zeit danach gab es ein schwedisches Institut für Rassenhygiene und Programme zur Zwangssterilisierung angeblich minderwertiger Personen. Es wurden in Schweden insgesamt über 60000 Zwangssterilisierungen durchgeführt. Die Argumentation dafür war aber nicht von Faschismus sondern eben gerade von einem sich modern und sozialdemokratisch gebenden Pragmatismus geprägt. Es sei für die Gemeinschaft, für das berühmte schwedische "Volksheim" eben besser, wenn sich minderwertiges Erbgut nicht fortpflanze.

In der globalisierten Welt sind solche Zuschreibungen an einzelne Nationen meiner Ansicht nach sinnlos. Frankreich, Polen oder Irland sind traditionell katholisch und gleichzeitig von allen möglichen Entwicklungen der Welt geprägt.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von schokoschendrezki »

Ideengeschichlich mag das "Moderne Weltbild" ganz überwiegend von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen geprägt sein. Wenn man "Weltbild" aber eher soziologisch als Verteilung der Weltbilder der lebenden Menschen betrachtet, so ist dieses aktuelle moderne Weltbild ganz entschieden von einer Renaissance von Religion, Spiritualität und Irrationalismus geprägt. Ein neues Mittelalter. Außerhalb Europas sowieso. Aber auch in Deutschland steht die Aufweichung der Bindung an traditionellen Kirchen einem deutlichen Aufschwung von Spiritualität und aus traditionellen Versatzstücken zusammengefügten Popreligionen gegenüber. Darüber hinaus gehören geschätzt 40 Prozent der deutschen Bevölkerung zu den Alltagspragmatikern, die an allem was über ihren täglichen Alltagsvollzug hinausgeht keinerlei Interesse haben.
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von Cat with a whip »

schokoschendrezki » Do 9. Mai 2013, 06:45 hat geschrieben:
Gerade Schweden ist - im Gegenteil - ein Musterbeispiel dafür, dass Rationalismus zu inhumanen Praktiken führen kann. Bekanntlich wurden in Schweden wie nirgends sonst (außer in Deutschland) eugenische Zwangsmaßnahmen durchgeführt.
Das zeigt, dass sie nichtmal wissen was Rationalismus meint. Rationalismus meint eine philosophische Bewegung, die rationales Denken entscheidend für den Erkenntnisgewinn hält. Das Gegenteil davon sind ihre Skeptiker. Aber Hauptsache Worte benutzen die "gescheit" klingen. :dead:

Es war auch von etwas ganz anderem die Rede, mit dem Sie mich zitierten. Es ging ursprünglich um die groteske Formulierung "totalitäres Element der Aufklärung". Wenn sie sich in eine Diskussion einklinken, dann wäre es nicht verkehrt von Anfang an zu lesen um zu verstehen worum es jeweils geht. Dann könnte man nämlich auch besser abschätzen ob ein Einwurf zu Sache passt. Das wäre das eine...

Die Eugenik die Sie ansprechen, die auch in Schweden noch nach dem 2 WK. auch mit Zustimmung der Kirche als Sterilisation praktiziert wurde, führte dort nicht zum staatlich organisierten Massenmord aber im faschistischen NS Deutschland schon, wo Menschen dass Recht auf Leben abgesprochen wurde. Desweiteren waren nur ein Fünftel der genannten Sterilisationen in Schweden Zwangsmaßnahmen. Das ist ein erheblich qualitativer Unterschied. Wer das in einen Topf wirft, verkennt das Wesen des verbrecherischen NS und scheint eher an einer Relativierung dessen Verbrechen interessiert zu sein.

Um zum Ende zu kommen: Die Eugenik allgemein wurde sicher innerhalb der Vernunft mit dem gesundheitlichen Wohl des zukünftigen Kollektivs begründet, was aber keine spezifische Folge der Aufklärung war. Sie ist sofern nicht freiwillig durchgeführt als Zwangsmaßnahme oder unter Vortäuschung falscher Annahmen nach heutigem Rechtsverständnis eine schwere Körperverletzung und die Verhinderung der Zeugungsfähigkeit eine massive Verletzung des Persönlichkeitsrechts (Verletzung Intimspäre/Sexualität). Man kann sie sofern sie als Zwangsmaßnahme durchgeführt wurde, durchweg als politisches Verbrechen bezeichnen.
Zuletzt geändert von Cat with a whip am Do 9. Mai 2013, 13:10, insgesamt 3-mal geändert.
"Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen." Joseph Weizenbaum
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von odiug »

Cat with a whip » Do 9. Mai 2013, 08:24 hat geschrieben:
Das zeigt, dass sie nichtmal wissen was Rationalismus meint. Rationalismus meint eine philosophische Bewegung, die rationales Denken entscheidend für den Erkenntnisgewinn hält. Das Gegenteil davon sind ihre Skeptiker. Aber Hauptsache Worte benutzen die "gescheit" klingen. :dead:

Es war auch von etwas ganz anderem die Rede, mit dem Sie mich zitierten. Es ging ursprünglich um die groteske Formulierung "totalitäres Element der Aufklärung". Wenn sie sich in eine Diskussion einklinken, dann wäre es nicht verkehrt von Anfang an zu lesen um zu verstehen worum es jeweils geht. Dann könnte man nämlich auch besser abschätzen ob ein Einwurf zu Sache passt. Das wäre das eine...

Die Eugenik die Sie ansprechen, die auch in Schweden noch nach dem 2 WK. auch mit Zustimmung der Kirche als Sterilisation praktiziert wurde, führte dort nicht zum staatlich organisierten Massenmord aber im faschistischen NS Deutschland schon, wo Menschen dass Recht auf Leben abgesprochen wurde. Desweiteren waren nur ein Fünftel der genannten Sterilisationen in Schweden Zwangsmaßnahmen. Das ist ein erheblich qualitativer Unterschied. Wer das in einen Topf wirft, verkennt das Wesen des verbrecherischen NS und scheint eher an einer Relativierung dessen Verbrechen interessiert zu sein.

Um zum Ende zu kommen: Die Eugenik allgemein wurde sicher innerhalb der Vernunft mit dem gesundheitlichen Wohl des zukünftigen Kollektivs begründet, was aber keine spezifische Folge der Aufklärung war. Sie ist sofern nicht freiwillig durchgeführt als Zwangsmaßnahme oder unter Vortäuschung falscher Annahmen nach heutigem Rechtsverständnis eine schwere Körperverletzung und die Verhinderung der Zeugungsfähigkeit eine massive Verletzung des Persönlichkeitsrechts (Verletzung Intimspäre/Sexualität). Man kann sie sofern sie als Zwangsmaßnahme durchgeführt wurde, durchweg als politisches Verbrechen bezeichnen.
Also ich wuerde mich wehren, wenn aus der Argumentation, dass auch aufgeklaerte, demokratische Nationen Verbrechen begehen geschlussfolgert wird, dass damit die Verbrechen des NS Regimes gleich mit relativiert werden.
Da schiesst man ueber das Ziel etwas hinaus.
Ansonsten ist deinem Beitrag natuerlich zuzustimmen.
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Cat with a whip
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von Cat with a whip »

Dann nehme ich die Unterstellung hiermit zurück, weise aber nochmals auf den qualitativen Unterschied der praktizierten Eugenik hin.
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von odiug »

Cat with a whip » Do 9. Mai 2013, 13:00 hat geschrieben:Dann nehme ich die Unterstellung hiermit zurück, weise aber nochmals auf den qualitativen Unterschied der praktizierten Eugenik hin.
Eben!
Und der qualitative Unterschied ist zentral um das nationalsozialistische Weltbild und die Verbrechen, zu denen es fuehrte zu verstehen.

Gut ... jetzt muessten wir uns darueber unterhalten, was das spezifische der Vernunft der Aufklaerung ist, um zu bestimmen, ob die Aufklaerung in sich selbst totalitaere Tendenzen traegt, welche Entwicklungen wie den Faschismus und Nationalsozialismus ermoeglichten.
Das autonome Denken als Grundlage der Erkenntnis mit Hilfe der Vernunft ist kein alleiniges Postulat der Aufkaerung.
Auch die antiken Denker wie Aristoteles und Plato bestimmten das als Fundament der Erkenntnis.
Das spezifische der Aufklaerung ist, dass die Moral getrennt wurde von der Vernunft und die Vernunft sich dem Zweck der Effizienz unterwarf zum Ziel der Selbsterhaltung.
Die Natur wurde "entseelt" und verdinglicht um sie so der Ausbeutung durch den Menschen auszuliefern.
Der zentrale Aspekt der totalitaeren Aspekte der Aufklaerung wird in diesem Horkheimer Zitat zusammengefasst:
"Die Menschen bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie die Macht ausüben. Die Aufklärung verhält sich zu den Dingen wie der Diktator zu den Menschen. Er kennt sie, insofern er sie manipulieren kann."

Nun gebe ich gerne zu, dass ich mich in meiner Darstellung dieser Argumentation etwas vergallopiert habe und dies auch zu Missverstaendnissen gefuehrt hat.
Dies ist auch dem Umstand geschuldet, dass diese zugegebener Massen provokante These heftigen Widerspruch provozierte aus unterschiedlichsten Richtungen und ich gezwungen war auf verschiedenste Argumente und Einwaende gleichzeitig zu reagieren, was manchmal die Inhalte verwirrte.
Das kommt vor in einem Forum, in der die Diskussion nicht durch einen Moderator geleitet wird.
Zuletzt geändert von odiug am Do 9. Mai 2013, 18:47, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von odiug »

Mithrandir » Mi 8. Mai 2013, 22:16 hat geschrieben: Ganz einfach: Mit dem Triumph der Aufklärung kommt nicht jeder gut zurecht, nicht jeder fühlt sich wohl in der Moderne. Mit ihrem Triumph wird die Aufklärung bedeutender und provoziert damit auch, dass sich Menschen ihr verstärkt entgegenstellen. Es ist ein ganz normaler Mechanismus, dass eine Bewegung eine Gegenbewegung hervorruft. Die kommunistische Idee konnte auch erst als Gegenbewegung zu einer ausgeprägten Herrschaft des Kapitals entstehen; auf die perzeptuell geprägte Malerie eines Cezanne folgt der konzeptuelle Ansatz des Kubismus und der NS ist eine Gegenbewegung zu Aufklärung und Moderne.


Das ist schlicht falsch. Weder ist Unmündigkeit Ausgeliefert-sein an die Natur, noch ist Ausgeliefert-sein an die Natur selbstverschuldet.
Selbstverschuldete Unmündigkeit ist, den eigenen Verstand nicht zu benutzen (obwohl man es könnte) und sich stattdessen an Autoritäten und Überliefertes zu halten.


Und wieder falsch. :rolleyes:
Der Herrenmensch ist zuallererst Gegensatz zum Untermensch und Ausdruck einer rassistischen Wertigkeitsvorstellung. Genies wie Einstein, Gropius, Gödel, Meitner, Bloch - die untersten Untermenschen nach NS-Vorstellung, nicht weil sie nichts dazu beigetragen hätten, dem Menschen gegenüber der Natur zu mehr Macht zu verhelfen, sondern schlicht wegen des Bluts in ihren Adern.

Es ist schon etwas ärgerlich, wie Sie diesen vielversprechenden Strang in private Schwurbel-Ideen getunkt haben, die jedenfalls ziemlich sicher nicht das moderne Weltbild verkörpern.
OK ... aber auch eine Gegenbewegung kann sich Konzepte dessen zu eigen machen, gegen das es sich wendet.
Die These, dass der Nationalsozialismus aus den Prinzipien der Aufklaerung zu erklaeren ist, besagt ja nicht, dass der Nationalsozialismus im Sinne der Aufklaerung, oder besser, ihrer moralischen Intention folgend handelt.
Die Intention der Aufklaerer muss sich ja nicht erfuellen und die Methodik und Prinzipien einer Denkschule koennen auch in das Gegenteil ihrer urspruenglichen Zielsetzung umschlagen.
Nun ist ihr Einwand gegen die von mir vorgebrachte Interpretation des Herrenmenschen durchaus richtig, sie war auch etwas schlampig von mir dargestellt, aber sich gegen tradierte Moralvorstellungen zu wenden und diese zu ueberwinden ist ein Akt der Befreiung.
Der kategorische Imperativ, wonach gesellschaftliche Freiheit sich aus dem freien Willen des Anderen erklaert, ist ein Zwang gegen das eigene Ich.
Und das die objektive Vernunft, aus der sich der kategorische Imperativ ableitet, im Gegensatz zur subjektiven Vernunft des Individuums, universell ist, und fuer alle Traeger der objektiven Vernunft ( der Mensch als Teil der Gesellschaft) gleich gilt, ist aus der Vernunft nicht abzuleiten und ist eine Setzung.
Es gibt verschiedene Gesellschaftsmodelle und die objektive Vernunft gilt nur innerhalb des gesellschaftlichen Systems und kann sich gegen die objektive Vernunft anderer Gesellschaftsformen richten, wie auch die subjektive Vernunft des Individuums sich gegen die subjektive Vernunft des Anderen richten richten kann.
Der ideologische Krieg ist ein Phaenomen der Moderne und wurde mit der gleichen Inbrunst gefuehrt, wie die religioesen Kriege der Neuzeit.
Zuletzt geändert von odiug am Sa 11. Mai 2013, 05:15, insgesamt 5-mal geändert.
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von odiug »

schokoschendrezki » Do 9. Mai 2013, 05:53 hat geschrieben:Ideengeschichlich mag das "Moderne Weltbild" ganz überwiegend von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen geprägt sein. Wenn man "Weltbild" aber eher soziologisch als Verteilung der Weltbilder der lebenden Menschen betrachtet, so ist dieses aktuelle moderne Weltbild ganz entschieden von einer Renaissance von Religion, Spiritualität und Irrationalismus geprägt. Ein neues Mittelalter. Außerhalb Europas sowieso. Aber auch in Deutschland steht die Aufweichung der Bindung an traditionellen Kirchen einem deutlichen Aufschwung von Spiritualität und aus traditionellen Versatzstücken zusammengefügten Popreligionen gegenüber. Darüber hinaus gehören geschätzt 40 Prozent der deutschen Bevölkerung zu den Alltagspragmatikern, die an allem was über ihren täglichen Alltagsvollzug hinausgeht keinerlei Interesse haben.
Ich wuerde unsre aktuelle Situation nicht mit dem Mittelalter vergleichen, eher mit dem Manierismus, also der Zeit nach der Hoch-Renaissance und vor dem Barock.
Auch dies war eine Zeit der Religionskriege und der 30 Jaehrige Krieg faellt in diese Epoche und endete im Barock.
Auch in oekonomischer Hinsicht gibt es Parallelen, die sich in wirtschaftlichen Exzessen und darauf folgenden Krisen zeigt.
Faellt doch die niederlaendische Tulpenkrise in die Zeit des Manierismus.
Kulturell zeichnet sich diese Epoche dadurch aus, dass es einen Verfall stilbestimmender Vorgaben gab und vor allem die bildende Kunst sich in einem scheinbaren Chaos des permanenten Experimentierens fand,in der sich bis zum Barock keine vorherrschende Richtung festmachen laesst.

Was nun die Bestimmung unsres modernen Weltbildes durch die Naturwissenschaften betrifft, so stellt sich die Frage, welche Entwicklung dahin fuehrte, dass die naturwissenschaftliche Erkenntnis als ultima Ratio gelten soll.
Es ist ja nicht so, dass es vor der Aufklaerung und der Moderne keinen wissenschaftlichen Fortschritt gab.
Der Unterschied in den Erkenntnissen der Alchemisten und Astrologen zu den Erkenntnisen der modernen Wissenschaft liegt in der Systematisieren der Methodik wie Erkenntnis zustande kommen kann, was ueberhaupt als Erkenntnis gilt und welche Regeln zu ihrer Bewertung noetig sind.
Das sind aber geisteswissenschaftliche Fragen und keine naturwissenschaftlichen.
Zuletzt geändert von odiug am Sa 11. Mai 2013, 16:17, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von Cat with a whip »

Das moderne Weltbild wurde auch durch Personen wie Babbage, Lovelace, Turing und Zuse geprägt und dem Fortschritt der Realisierung universeller Rechenautomaten. Damit kam ein entscheidendes Moment in der Bewältigung der immer weiter anwachsenden Menge der gewonnenen Daten ins Spiel.

Man stelle sich vor die Entwicklunglinie wäre auf analogen Maschinen verblieben, dann wäre beispielsweise noch monströsere Maschinen als solche für jeweilige spezialisierte Aufgabenstellungen nötig gewesen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Mechanismu ... ntikythera
http://de.wikipedia.org/wiki/Gezeitenrechenmaschine

:D Wobei diese Maschinen durchaus beeindruckender wirken als ein IBM Desktop.
Zuletzt geändert von Cat with a whip am Mo 13. Mai 2013, 17:50, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von odiug »

Cat with a whip » Mo 13. Mai 2013, 16:46 hat geschrieben:Das moderne Weltbild wurde auch durch Personen wie Babbage, Lovelace, Turing und Zuse geprägt und dem Fortschritt der Realisierung universeller Rechenautomaten. Damit kam ein entscheidendes Moment in der Bewältigung der immer weiter anwachsenden Menge der gewonnenen Daten ins Spiel.

Man stelle sich vor die Entwicklunglinie wäre auf analogen Maschinen verblieben, dann wäre beispielsweise noch monströsere Maschinen als solche für jeweilige spezialisierte Aufgabenstellungen nötig gewesen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Mechanismu ... ntikythera
http://de.wikipedia.org/wiki/Gezeitenrechenmaschine

:D Wobei diese Maschinen durchaus beeindruckender wirken als ein IBM Desktop.
Die unglaubliche Steigerung der Berechenbarkeit unsrer Welt durch die Erfindung des Mikroprozessor ist ja in sich selbst nur der vorlaeufige Schlusspunkt einer Entwicklung, die bereits in dem alt-testamentarischen Leitsatz: "Mach Euch die Erde Untertan" festgeschrieben ist.
Das paradoxe dabei ist, dass je mehr Wissen der Mensch ansammelt, desto mehr Fragen stellen sich ihm.
Das eigenartige ist doch, dass der moderne Mensch genauso ratlos vor der Welt steht, wie sein steinzeitlicher Vorfahr.
Der einzige Unterschied ist, dass die Welt des modernen Menschen viel groesser und komplexer ist.
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von Cat with a whip »

"Vorläufiger Schlusspunkt der Festschreibung im alttestamentarischen Leitsatz". :thumbup: :p Brüller!
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von odiug »

Cat with a whip » Mo 13. Mai 2013, 18:58 hat geschrieben:"Vorläufiger Schlusspunkt der Festschreibung im alttestamentarischen Leitsatz". :thumbup: :p Brüller!
Nicht schlecht ... was? :D
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von Cat with a whip »

Zum modernen Weltbild gehört natürlich auch die wissenschaftliche Bestätigung des alten Mythos des zeitlichen Anfangs der Welt über Lemaître, Penzias und Wilson. :thumbup: Was die alten nur ahnten, wissen wir nun heute. :p
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von Mithrandir »

odiug » Fr 10. Mai 2013, 16:22 hat geschrieben:OK ... aber auch eine Gegenbewegung kann sich Konzepte dessen zu eigen machen, gegen das es sich wendet.
Die These, dass der Nationalsozialismus aus den Prinzipien der Aufklaerung zu erklaeren ist, besagt ja nicht, dass der Nationalsozialismus im Sinne der Aufklaerung, oder besser, ihrer moralischen Intention folgend handelt.
Natürlich. Auch eine Gegenbewegung existiert nicht außerhalb ihrer Zeit und erst recht nicht ohne Antagonisten.
odiug » Mo 13. Mai 2013, 20:39 hat geschrieben:Nicht schlecht ... was? :D
Leider ein Übersetzungsfehler. Im hebräischen Original bedeutet das ein bisschen was anderes...
Was der Steinzeitmensch nicht hatte, war ein wissenschaftlich geprägtes Weltbild oder überhaupt Wissenschaft.
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von odiug »

Mithrandir » Mo 13. Mai 2013, 22:44 hat geschrieben: Natürlich. Auch eine Gegenbewegung existiert nicht außerhalb ihrer Zeit und erst recht nicht ohne Antagonisten.

Leider ein Übersetzungsfehler. Im hebräischen Original bedeutet das ein bisschen was anderes...
Was der Steinzeitmensch nicht hatte, war ein wissenschaftlich geprägtes Weltbild oder überhaupt Wissenschaft.
Also ganz so harsch waere ich mir dem Steinzeit Menschen nicht.
Er kannte tradiertes Wissen und Techniken und eine Form der Ueberlieferung.
Das war zwar alles noch nicht sehr sophisticated, aber die Grundbedingungen hat er sich erschaffen.

Und der ganze Text lautet
Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.
"Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen."
Und ob ich jetzt "unterwerft" mit "dienstbar machen" ersetze bleibt sich ja gleich, wenn es sich auch nicht ganz so drastisch anhoert.
Der Mensch gestaltet sich die Natur zweckdienlich in seinem Sinne.
Abgesehen davon, wenn ein paar Tree hugger den biblischen Text heute politisch korrekt uminterpretieren oder neu uebersetzen, so aendert das ja nichts an der Wirkungsgeschichte dieses biblischen Gebots.
Die Natur wird unterjocht und dem menschlichen Zweck angepasst.
Von der lieblichen Blumenlandschaft einer Bundes Gartenschau ueber die Abbaugebiete fuer Oelschlamm in Kanada bis hin zum Kochschinken im Tiefkuehlregal.

Und nochmals ... dass der Nationalsozialismus den moralischen Intentionen der Aufklaerung zuwider lief ist unbestritten.
Aber was ist zwingend an den moralischen Intentionen der Aufklaerung?
Zwingend ist allein die rationelle Ausbeutung der Natur durch den Menschen und die sich dadurch ergebende Konkurrenz der Menschen zueinnder.
So zwingend, dass auch demokratische Nationen sich gezwungen sehen ganze Staedte und ihre Bewohner in einem Atomsturm zu verbrennen um ihre Vorstellung von Aufklaerung gegen deren moralische Antagonisten zu verteidigen.
Zuletzt geändert von odiug am Di 14. Mai 2013, 02:39, insgesamt 3-mal geändert.
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ralphon
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Re: Das moderne Weltbild

Beitrag von ralphon »

Die Nazis waren nicht antimodern, sie wollten bestehende Ordnungen umschmeißen und neue an ihre Stelle setzen. War halt nicht fortschrittlich im Sinne von Erfolg.

Antimodern-reaktionär waren in der Zeit der großen Ideologien andere wie der Philosoph Davila, der gerne von Forumslibertären zitiert wird. Wo bei den beiden die ideologische Verwandschaft liegt, erschließt sich einem nicht immer. Den Libertären gefällt es wohl nicht, irgendeiner Norm entsprechen zu müssen, auch wenn sie einem fortschrittlich erscheint, und halten sich im Zweifelsfall an die Gegner moderner Normen. Aber auch in den alten Ordnungen gab es Normen denen man nach der Vorstellung der Reaktionären entsprechen sollte.
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