Perdedor hat geschrieben:
Du musst es aber tun, wenn du nicht in der Lage bist mit Argumenten zu belegen, dass es sich nicht um eine Geschmacksfrage handelt.
Da brauche ich gar nicht zu belegen, da Du derjenige bist, der die Änderung der Geschäftsordnung beantragst - und im Falle der Grundlagen der Gesellschaft sage ich: Nein! Entscheiden musst Du Dich vielmehr: Soll Deine Äußerung Privatsache bleiben oder nicht? Falls nicht, dann bist Du auf die Zustimmung der Beteiligten angewiesen, sofern die Party nicht scheitern soll.
Im Übrigen ist es bereits ein krasses Zugeständnis Deinerseits, von mir zu verlangen, meine Geschmacksäußerung, dass es sich bei Deiner gar nicht um eine Geschmacksäußerung handeln würde, zu begründen, Du diese Pflicht bei Dir selbst aber nicht auch siehst.
Perdedor hat geschrieben:
Wir befinden uns ja NICHT mehr in einer Argumentationssituation, wenn wir auf der Geschmacksebene angekommen sind.
Natürlich befinden wir uns in einer Argumentationssituation - wir sind uns bei der Bierfrage lediglich einig gewesen, die Regeln zu ändern.
Perdedor hat geschrieben:
Ich gehe NICHT davon aus, dass die Geschmacksäußerung zu widerlegen wäre. Ich behaupte NICHT, dass es sich dabei um ein Argument in deinem Sinne handelt.
Das löst Dein Problem aber nicht. Du musst schließlich zunächst dafür argumentieren, Geschmacksäußerungen in der Argumentationssituation zuzulassen, um für Deine geschmacklichen Präferenzen werben zu können. Ein Anwendungsbeispiel hast Du selbst gebracht:
Perdedor hat geschrieben:
Nein. Dass "2+2=5" eine Geschmacksäußerung ist, lässt sich widerlegen.
In diesem Fall setzt Du bereits bereits ein formales System voraus, von dem Du annimmst, ich verfüge über das entsprechende Handlungswissen im Umgang damit. Soll die Aussage "2 + 2 = 5" wahr werden, bin ich auf Deine Zustimmung angewiesen, nämlich darauf, das Axiomensystem zu verändern. Deine Zustimmung brauche ich, damit meine Äußerungen in dieser neuen Welt für Dich verständlich bleiben.
Genauso ist es in der Argumentationssituation, deren unhintergehbare Regeln Du gerne alterieren möchtest, um in ihr eine Geschmacksäußerung vorbringen zu können - denn diese ist schlicht nicht vorgesehen. Nun sagst Du, Du wolltest gar nicht argumentieren, sondern lediglich Deinem Geschmack Ausdruck verleihen - fein; dann handelst Du Dir aber die Konsequenz ein, für Deine Aussage weder Wahrheit noch Geltung beanspruchen zu können, sie bleibt Deine Privatsache.
Sofern Du sie also auch nur einmal öffentlich äußerst, müsstest Du sie immer mit dem Beisatz versehen, keinerlei Nachfragen zu beantworten oder Gründe angeben zu können. Du müsstest immer sagen: "Weil es so ist (mein Geschmack)." Es ist klar, dass es sich hierbei um das handelt, was wir unserem Handlungswissen vom Argumentieren nach einen dogmatischen Abbruch nennen. Genau dies aber möchtest Du als gültigen Spielzug einführen, d.h. das System so verändern, das es fortdauern kann. Du möchtest, dass "2 + 2 = 5" gilt, um ein Zahlenspiel vorzuführen, eines, das es sonst nicht gäbe.
Perdedor hat geschrieben:
Das war noch nicht vulgär genug. Mach doch nochmal mit der Bierfrage klar, was du damit meinst.
Du verstehst doch, was ich meine, wenn ich sage, nach meinem Geschmack, schmeckt Stauder am besten.
Natürlich "verstehe" ich, was Du mit dieser Aussage meinst, genauso, wie Du verstanden haben musst, was ich mit "2 + 2 = 5" gemeint habe, sonst könntest Du mir den (vermeintlich) offensichtlichen Fehler, den gewissermaßen unverständlichen Spielzug innerhalb des Systems, ja gar nicht aufzeigen. Sofern ich meinen trivialen Fehler nicht einsehen, sondern darauf bestehen würde, ihn als gültigen Spielzug machen zu dürfen, kann das Gespräch offensichtlich nur dann fortgesetzt werden, wenn Du damit einverstanden bist, die systemischen Randbedingungen so zu verändern, dass meine Aussage tatsächlich in diesem Sinne verständlich wird.
Was ich also verstehe, wenn Du sagst, dieses oder jenes sei eine Geschmacksfrage, zu der Du Dich in einer bestimmten Weise verhalten möchtest, ist Dein Wunsch, die Bedingungen des Spiels zu ändern, denn innerhalb der Argumentationssituation, von der Du außerdem sagst, Du wolltest sie verlassen, ist es nicht erlaubt, den Spielzug zu machen, den Du gerne machen würdest.
Konkret: Wie lassen alle Argumente beiseite, die uns sagen, wir sollten kein Bier trinken. Wir lassen alle Argumente beiseite, die aufgrund objektiver Kriterien, wie Inhaltsstoffen, Alkoholgehalt oder die Einhaltung des Reinheitsgebots eine Entscheidungshilfe sein könnten. Wir haben uns entschieden, allein auf Grundlage unserer Geschmäcker zu entscheiden. Nicht nur müssten wir dies jedem, der kopfschüttelnd neben uns im Laden steht und gar nicht verstehen kann, wie man überhaupt Bier trinken könne, bekannt machen, wir müssen uns auch zuvor gemeinsam entschieden haben, dass wir entscheiden wollen (die Aktion also nicht wegen Uneinigkeit abbrechen) und wie wir entscheiden wollen (anhand unserer Geschmäcker).
Kurz und gut: Was wir vorhaben, ist ungemein viel voraussetzungsvoller als bloß zu argumentieren, da es für unser Unterfangen keine unhintergehbaren (Geschäftsordnungs-)Bedingungen gibt.
Perdedor hat geschrieben:Und ich konnte ganz offenbar die Evidenz hintergehen, indem ich die Geschmacksäußerung getätigt habe.
Dies ist ausnahmsweise ein sehr leicht zu einzusehender Irrtum, denn in der Tat wird die Aussage "2 + 2 = 5" nicht allein durch die Tatsache wahrer, dass sie getan werden kann. Demonstriert wird damit lediglich, ein bestimmtes Instrument (hier: Sprache) sinnwidrig verwenden zu können.
Perdedor hat geschrieben:
Mit einer Geschmacksäußerung beanspruche ich keine Geltung im Sinne von vernünftig begründbar.
Um einen Geltungsanspruch irgendeiner Art kommst Du gar nicht herum, immerhin muss er ja stark genug sein, um Akzeptanz für den Kauf der von Dir präferierten Biersorte herzustellen. Im Prinzip schlägst Du vor, das gängige Handlungswissen über das Argumentieren nicht zu aktualisieren, da Du es für inadäquat in Bezug auf die Art der Entscheidungsfindung hältst: Dir schmeckt dieses eine Bier nun mal am besten.
Was nun folgen wird, ist irgendein wie auch immer geartetes Gespräch darüber, ob alle damit leben können oder nicht, ob ein Kompromiss gefunden werden soll, wie dieser aussehen könnte, usw. usf. In jedem Fall, egal wie es läuft, bist Du auf die Kooperation (!) der übrigen Spieler angewiesen. Sie müssen zunächst akzeptieren, Geschmack als Geltungskriterium zuzulassen, ebenso wie Du es zuerst akzeptieren müsstest, innerhalb eines bestimmten formalen Systems zu operieren, damit wir darin bestimmte Aussagen als wahr oder falsch identifizieren und uns darüber sinnvoll verständigen zu können.
Perdedor hat geschrieben:
Konkret: Wieso gibt es diesen Widerspruch nicht bei der Bierfrage?
Diesen Widerspruch gibt es, er ist bloß nicht länger relevant. Als ich Dir zugestanden habe, die Geschäftsordnung so zu ändern, dass wir die Bierfrage von unseren Geschmäckern abhängig machen wollen, haben wir Einigkeit darüber erzielt, den von Dir gewünschten Spielzug als gültigen Spielzug zuzulassen.
Perdedor hat geschrieben:Was sagt eigentlich der Strangersteller dazu?
Humm... vermutlich nimmt er nicht ganz ohne Grund an, dass wir etwas abgeschweift sind
- auch wenn ich das Gespräch sehr spannend fand. Die ausschlaggebenden Einsichten haben wir in den letzten zwei bis drei Postings erlangt, als Du mich gebeten hast, Argumente für mein Ansinnen vorzulegen, die Einbringung Deines Geschmacks in die Argumentation abzulehnen, ein Vorgang, der überhaupt nicht hätte stattfinden brauchen, wenn Geschmäcker von vornherein gültige Spielzüge gewesen wären.
Perdedor: Ich gehe davon aus, dass die Pilsvorliebe eine Geschmackfrage ist (Anmerkung: Dies sei die These "s"). Denn ich habe sie nicht vernünftig begründet und ich wüsste auch nicht, wie ich sie begründen sollte. Widersprichst du dem (mit Argumenten)?
eluveitie: Nein; im Gegenteil. Innerhalb der Argumentationssituation, in der Du mich aufforderst, Argumente (d.i. Gründe) gemäß den Bedingungen der Möglichkeit jeden Argumentierens anzuführen, insofern also einen gültigen Spielzug zu machen, um Dich davon zu überzeugen, keine Geschmacksfrage gestellt zu haben, gestehe ich Dir zu, dass es sich bei der Wahl der Biersorte tatsächlich um eine Geschmacksfrage handelt, zu dessen Entscheidung wir keine Gründe anführen können.
Perdedor: Dann sind wir uns also einig, dass es sich bei der Wahl der Biersorte um eine Geschmacksfrage handelt.
eluveitie: Entscheidend ist nicht, dass wir uns einig sind, sondern
wie wir diese Einigkeit hergestellt haben. Dies ist geschehen, indem wir uns innerhalb der Argumentationssituation darauf verständigten, gewissermaßen in einer Art Diskurs über die Geschäftsordnung, die Bierfrage als Geschmacksfrage abzuhandeln.
In Wolfgang Kuhlmanns Worten klingt die Schlussfolgerung so:
"Du hast das zugegeben im Rahmen eines Gesprächs, das wir qua Mitspieler in der Diskussion über die Wahrheit von s führten, qua Mitspieler, die sich zwischendurch okkasionell und nur im Rekurs auf ihr Handlungswissen vom Argumentieren, um Missverständnisse und Hindernisse für das Spiel zu beheben, über das Spiel und seine Regeln verständigen, und nicht aus der Position von Argumentationstheoretikern, die sich auf ihre falliblen Zwischenresultate beziehen. Das war es, was ich zeigen wollte." - ebd, 116.