Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Moderator: Moderatoren Forum 2

Benutzeravatar
Europa2050
Beiträge: 9831
Registriert: Di 4. Mär 2014, 08:38
user title: Kein Platz für Nationalismus

Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Europa2050 »

Selina hat geschrieben:(08 Dec 2018, 13:22)

Zuerst einmal sollten Deutsche die Mechanismen erkennen, die Deutsche dazu gebracht haben, einem machtbesessenen, brutalen und menschenfeindlichen Führer und seinen Gefolgsleuten hinterherzurennen. Begeistert und frenetisch. Es geht zuerst einmal um uns Deutsche und nicht um irgendein allgemeines Führer-Anbetungs-Problem. Ich glaube, wir brauchen noch Generationen, bis das einmal aufgearbeitet ist. Warum wurde gerade in Deutschland der Boden für den so genannten "Nationalsozialismus" bereitet? Warum klappte das alles so gut mit uns Deutschen? Wie verführbar sind wir? Wo stehen wir da heute? Kann uns brauner Ungeist immer noch verführen?
Ich würde ein klassisches Jein erwidern wollen.

Wenn man auf Europa am 30.1.1933 schaut, waren nur noch Skandinavien (ohne Finnland) Westeuropa (GB, F. Benelux und Schweiz) und die ČSR als Demokratie zu bezeichnen. Ansonsten faschistische Diktaturen, Autokratien, Monarchien oder kommunistische Diktaturen. Da war Deutschland leider nichts Besonderes.
Die viel gescholtene Weimarer Republik hat sich bei ihren schlechten Rahmenbedingungen sogar recht gut gehalten.
Und gerade diese gegenseitige Ansteckung sehe ich auch heute als eine Gefahr. Russland, Ungarn, Türkei, Lega Nord, AfD, Le Pen - in der Ablehnung der Demokratie vereint.

Während aber andere nationalistische/faschistische Diktaturen - z.B. Polen, Finnland oder auch Spanien sich auf Unterdrückung der Oppositionellen und an sonsten Machterhalt beschränkt hatten, haben die Deutschen es nicht geschafft, die wirren Ideen ihres Führers dem es eben nicht nur um Machterhalt, sondern seine eigene diabolische Agenda ging, einzubremsen.

Das sind die Lehren. Nicht nur „wehret den Anfängen“ sondern auch Hirn benutzen und „Bremsen bevor es zu spät ist“. Und weil nicht alle Helden sind, notfalls auch dem Regime durch Emmigration Gefolgschaft verweigern. Das zumindestens kann jeder.

Das Singuläre war also m.E. nicht der NS als solches, der war eine schmutzige Zeiterscheinung, der die Deutschen leider willig gefolgt sind.
Das Singuläre ist, wie die Deutschen ohne nachzudenken und inne zu halten immer tiefer in Bestialität und Aggression versanken und dieses auch in überwiegender Mehrheit für richtig hielten und aktiv mit Denunziation und ähnlichem unterstützten, im überwiegenden Fall auch ohne Gestapo.

Deshalb auch eine Lehre: Immer hinterfragen, ein einmal gemachter Fehler muss nicht unbedingt den Nächsten nach sich ziehen.

Und natürlich trotzdem: Wehret den Anfängen. Menschen- und Freiheitsrechte stehen über allem. Immer.
Почему, Россия? (Warum, Russland?)
Benutzeravatar
Darkfire
Beiträge: 5676
Registriert: Mi 4. Mär 2015, 10:41

Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Darkfire »

Das Problem das dann aber viele haben, ist daß aus einer Gewissheit, ich habe ja alles im Griff ich weis schon wo das Böse ist eine Ohnmacht erwachsen kann.

„Es geht zuerst einmal um uns Deutsche und nicht um irgendein allgemeines Führer-Anbetungs-Problem. „

Solange man also in Deutschland aufpasst das hier keine Leute mit Hackenkreuzen herumrennen kann gar nichts passieren.
Die Argumentation des Rassismus ist daß es ein Volk gibt mit ganz bestimmten Merkmalen.

„Warum wurde gerade in Deutschland der Boden für den so genannten "Nationalsozialismus" bereitet? Warum klappte das alles so gut mit uns Deutschen? Wie verführbar sind wir? Wo stehen wir da heute? Kann uns brauner Ungeist immer noch verführen?“

Andere sind vollkommen Immun, es ist ein spezielles Deutsches Gen das uns anders macht.
Wir sind etwas Besonderes.
Somit müssen wir also nur Stellvertretend für die Welt büssen und schon ist die Welt vor allem bösen sicher.

„Ich glaube, wir brauchen noch Generationen, bis das einmal aufgearbeitet ist.“

Ist es also die Pflicht der Deutschen schön aufzupassen das hier keiner mit Hackenkreuz herumläuft, ist das die Verantwortung der Deutschen dafür was sie angerichtet haben.
Erledigt man das in dem man sich zu Profibösewicht ernennt, glaubt man wäre etwas besonderes was es in der Welt nur in Deutschland gibt und rettet somit die Welt in dem man das so aufarbeitet ?

Wäre es nicht gerade die Pflicht der Deutschen, nicht nur auf die Zeit des Holocaust zu schauen, sondern auf die Zeit in der diese Personen ihre Macht erhalten haben, welche ihnen das alles ermöglichte?
War es wirklich so das bei den Deutschen in dieser Zeit plötzlich ein kollektiver Wahnsinn ausbrach, den wir heute so gar nicht mehr verstehen können und plötzlich alle ganz bewusst böse wurden ?

Ich empfinde es als eine der Pflichten welche Deutschland hat, nicht diese Verbrechen nur aufzuarbeiten wie hier empfohlen wurde, sondern darum zu verstehen warum so etwas geschehen konnte.
Aber vielleicht ist das ja enttäuschend wenn man selber eben nicht so etwas besonderes ist, das potentielle Material aus dem Monster sind.
Man ist nicht die Bestie die man nur mit Mühe im Zaum halten kann, sondern nur das einfache dumme menschliche Wesen, daß eben wegschaut.
Es waren nicht die Menschen die einem Hitler hinterher rannten, es waren die noch viel mehr Menschen die zugeschaut haben.
Die gedacht haben ok eigentlich ist das ja ganz gut was er macht, hin und wieder mal eine geile Parade und da wird das Sudentenland heimgeholt, die Medien schwärmen von ihm, also kann ich ja auch mal wegschauen wenn meine Jüdischen Nachbarn abgeholt werden, tun ja eh alle.
Das Böse kommt eben nicht mit einem Blaulicht auf dem Kopf um die Ecke und sag ich bin das böse.
Wäre Hitler vor 38 gestorben, währe er wohl als einer der größten Deutschen Gestalten in die Geschichte eingegangen.
Wie sich ein Mensch entwickelt wenn es die Macht hat kann man nie wissen, aber man kann sehr gut beobachten wie es dazu kommt das so jemand an die Macht kam.
Leute wie Hitler gibt es viele, nicht nur in Deutschland.
Aber welch ein System kann es geben, welches zulässt das eben so ein Führer-Anbetungs-Problem entsteht ?
Benutzeravatar
Selina
Beiträge: 17527
Registriert: Do 29. Sep 2016, 15:33

Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

Europa2050 hat geschrieben:(11 Dec 2018, 06:57)

Ich würde ein klassisches Jein erwidern wollen.

Wenn man auf Europa am 30.1.1933 schaut, waren nur noch Skandinavien (ohne Finnland) Westeuropa (GB, F. Benelux und Schweiz) und die ČSR als Demokratie zu bezeichnen. Ansonsten faschistische Diktaturen, Autokratien, Monarchien oder kommunistische Diktaturen. Da war Deutschland leider nichts Besonderes.
Die viel gescholtene Weimarer Republik hat sich bei ihren schlechten Rahmenbedingungen sogar recht gut gehalten.
Und gerade diese gegenseitige Ansteckung sehe ich auch heute als eine Gefahr. Russland, Ungarn, Türkei, Lega Nord, AfD, Le Pen - in der Ablehnung der Demokratie vereint.

Während aber andere nationalistische/faschistische Diktaturen - z.B. Polen, Finnland oder auch Spanien sich auf Unterdrückung der Oppositionellen und an sonsten Machterhalt beschränkt hatten, haben die Deutschen es nicht geschafft, die wirren Ideen ihres Führers dem es eben nicht nur um Machterhalt, sondern seine eigene diabolische Agenda ging, einzubremsen.

Das sind die Lehren. Nicht nur „wehret den Anfängen“ sondern auch Hirn benutzen und „Bremsen bevor es zu spät ist“. Und weil nicht alle Helden sind, notfalls auch dem Regime durch Emmigration Gefolgschaft verweigern. Das zumindestens kann jeder.

Das Singuläre war also m.E. nicht der NS als solches, der war eine schmutzige Zeiterscheinung, der die Deutschen leider willig gefolgt sind.
Das Singuläre ist, wie die Deutschen ohne nachzudenken und inne zu halten immer tiefer in Bestialität und Aggression versanken und dieses auch in überwiegender Mehrheit für richtig hielten und aktiv mit Denunziation und ähnlichem unterstützten, im überwiegenden Fall auch ohne Gestapo.

Deshalb auch eine Lehre: Immer hinterfragen, ein einmal gemachter Fehler muss nicht unbedingt den Nächsten nach sich ziehen.

Und natürlich trotzdem: Wehret den Anfängen. Menschen- und Freiheitsrechte stehen über allem. Immer.
Deutschland war durchaus etwas "Besonderes": Der Holocaust und der grausame Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941, der zum beispiellosen Vernichtungskrieg wurde und 20 Millionen Sowjetbürgern das Leben kostete, belegen das.

Zitat:

Aber mit dem Holocaust allein hat es nicht sein Bewenden. Zwei weitere große Verbrechen weisen die Hamburger Historiker der Wehrmacht nach, an denen sie aktiv und als Gesamtorganisation beteiligt war: den Massenmord an sowjetischen Kriegsgefangenen und den Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten des Ostens, auf dem Balkan und in Italien. Exemplarisch vorgeführt werden zwei Schauplätze: Serbien und Weißrußland, außerdem in Bild und Wort eine "kollektive Biographie" der 6. Armee, jener bei Stalingrad untergegangenen Armee, deren Name hierzulande gemeinhin Mitleid und Trauer hervorruft.

Nun können wir sie auf ihrem langen Weg bis zur Wolga begleiten, und am Wegesrand stehen die Galgen und liegen riesige Massengräber (wie das von Babi Jar), in denen gemordete wehrlose Menschen, Männer, Frauen, Kinder, verscharrt wurden.

Diese Wahrheit offenzulegen war gar nicht so einfach. Denn die Wehrmacht achtete peinlich darauf, ihre Verbrechen zu vertuschen. Dauernd ergehen drohende Befehle an die Truppe, das Photographieren bei Massenhinrichtungen zu unterlassen - es geschah dennoch in ungeahntem Ausmaße. Welch Feingefühl spricht aus dem Erlaß des Wehrmachtbefehlshabers Ostland vom 15. November 1941, worin er das Verschicken eines solchen Photos in die Heimat untersagt, "da es im höchsten Grade unerwünscht ist, daß Bilder derart unästhetischer Motive unter der Zivilbevölkerung verbreitet werden". Aber mancher Soldat brachte die Bilder beim Urlaub dennoch mit nach Hause.

Allerdings, und diese Frage entzweit die Besucher und die Teilnehmer bei den Diskussionen im umfangreichen Beiprogramm: Wie weit darf man pauschalieren? Die Wehrmacht eine Verbrecherorganisation? Es war doch nicht jede Kompanie an den Massakern beteiligt. Hingegen: Viele Soldaten haben in den Urlauberzügen eine Menge gruseliger Erzählungen gehört. Und in den Lazaretten wurden Photos von Massengräbern herumgereicht. Zu Hause jedoch erzählten die Landser und die Heimkehrer am liebsten, wie friedlich und einträchtig sie mit den russischen Bauern in der Etappe monatelang zusammengelebt hatten. Was sie verschwiegen: Beim Rückzug legten sie - Befehl ist Befehl!? - Feuer an die Strohdächer.

Der Feind im Osten wurde schon vor Feldzugsbeginn stigmatisiert: Juden waren Partisanen, Zigeuner Kriminelle, Frauen in Uniform Flintenweiber, Kinder Kundschafter. Und jedes Stigma wurde nur zu oft zum Todesurteil. Ein Hauptmann Finselberg vom Infanterie-Regiment 6 machte seine Kompanie vor dem Grenzübertritt mit dem Kommissarbefehl vertraut: Diese politischen Offiziere der Roten Armee, erkennbar am Stern auf dem Ärmel, seien "wahre Teufel in Menschengestalt" und ohne weiteres zu erschießen.

Im Laufe der Operationen, die viel länger dauerten, als sich das der größenwahnsinnige Generalstab erhofft hatte, kam noch ein neues Feindbild hinzu: Herumstreuner. Da sich nach den großen Kesselschlachten in der Ukraine Massen versprengter Soldaten in Wäldern und Sümpfen versteckten - es hatte sich inzwischen herumgesprochen, daß die Deutschen ihre Kriegsgefangenen verhungern ließen oder am Wegesrand und in den Lagern erschossen -, beschloß man kurzerhand, sie alle als Freischärler zu betrachten, die nach Kriegsrecht zu behandeln seien. Der Stab der 6. Armee registriert Ende 1941 voller Zufriedenheit, daß es in Charkow keine Sabotageakte mehr gebe, seit man "mehrere hundert Partisanen und verdächtige Elemente in der Stadt aufgehängt habe". Verdächtig machte sich jeder, der einen Deutschen auch nur schief anguckte. Da wurde jeder Landser zum Herrn über Leben und Tod.


https://www.zeit.de/1995/12/Als_Soldate ... en/seite-2
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
Benutzeravatar
Europa2050
Beiträge: 9831
Registriert: Di 4. Mär 2014, 08:38
user title: Kein Platz für Nationalismus

Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Europa2050 »

Selina hat geschrieben:(12 Dec 2018, 18:49)

Deutschland war durchaus etwas "Besonderes": Der Holocaust und der grausame Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941, der zum beispiellosen Vernichtungskrieg wurde und 20 Millionen Sowjetbürgern das Leben kostete, belegen das.
2
Da hast du komplett recht, und offensichtlich habe ich mich da unklar ausgedrückt:

Singulär war die Machtergreifung 1933 leider nicht, zu viele Demokratien waren zwischen 1918 und1933 schon der Diktatur anheimgefallen, von Finnland über die Türkei bis Portugal.

Singulär war jedoch die Tatsache, dass die Deutschen der Verwandlung ihres Kulturstaates in die größte Barbarei aller Zeiten nicht Einhalt geboten. Das wiederum gab es in den anderen Diktaturen nicht. Shoa und Vernichtungskrieg waren dann eben singulär - und ja, jeder der sich dem nicht entzog oder Einhalt gebot machte sich schuldig - ob enthusiastisch, mitlaufend oder resigniert, mag noch über die Schwere befinden, nicht über die Tatsache.
Es war eben die Maßlosigkeit in der Deutschland seinen Faschismus auslebte, die „Besonders“ war.

Aber prinzipiell liegen wir da schon beinand.
Почему, Россия? (Warum, Russland?)
Benutzeravatar
Selina
Beiträge: 17527
Registriert: Do 29. Sep 2016, 15:33

Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

Europa2050 hat geschrieben:(12 Dec 2018, 20:50)

Da hast du komplett recht, und offensichtlich habe ich mich da unklar ausgedrückt:

Singulär war die Machtergreifung 1933 leider nicht, zu viele Demokratien waren zwischen 1918 und1933 schon der Diktatur anheimgefallen, von Finnland über die Türkei bis Portugal.

Singulär war jedoch die Tatsache, dass die Deutschen der Verwandlung ihres Kulturstaates in die größte Barbarei aller Zeiten nicht Einhalt geboten. Das wiederum gab es in den anderen Diktaturen nicht. Shoa und Vernichtungskrieg waren dann eben singulär - und ja, jeder der sich dem nicht entzog oder Einhalt gebot machte sich schuldig - ob enthusiastisch, mitlaufend oder resigniert, mag noch über die Schwere befinden, nicht über die Tatsache.
Es war eben die Maßlosigkeit in der Deutschland seinen Faschismus auslebte, die „Besonders“ war.

Aber prinzipiell liegen wir da schon beinand.
Ja, nunmehr sehr "beinand" ;)
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
Antworten