Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

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Quatschki
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Quatschki »

Statt verbrennen ist heutzutage löschen angesagt
Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
„Dies ist wieder ein Exempel!“
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Zunder
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Zunder »

Daß Bücher recycelt werden, hat übrigens nichts mit Zensur zu tun.

Es gibt zahlreiche Bücher von DDR-Autoren, die nur im Westen erscheinen konnten.
Die Bücherverbrennung der Nazis in einen Zusammenhang mit dem Aussortieren von Bibliotheksbeständen zu stellen, verhöhnt nicht nur die Autoren der verbrannten Bücher, sondern auch DDR-Autoren wie Stefan Heym, Thomas Brasch, Reiner Kunze und und und....

Wenn das eine Lehre aus dem Nationalsozialismus sein soll, darf man auf Lehren gerne verzichten.
Ger9374

Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Ger9374 »

Es wäre gewiss nicht falsch auch unsere heutige Politiker Generation auf ihre Verflechtungen zur Industrie stärker zu kontrollieren.
Diese plötzlich auftauchenden Pöstchen in Aufsichtsräten ect. Stoßen mir auf.
Der Politiker soll dem Bürger verpflichtet sein nicht dem der am meisten zahlt.Die Verquickung von Industrie und NSDAP waren nicht unerheblich für die Machtergreifung.
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Quatschki
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Quatschki »

Selina hat geschrieben:(30 Nov 2018, 18:17)

Steht alles in meiner Einleitung: Bücher verbrennt man nicht und schmeißt sie auch nicht auf den Müll. Auch wenn man sie vielleicht mal ein paar Jahre lang nicht mehr lesen mag. Bücher pflegt und sammelt man höchstens. Und liest sie. Freut sich an ihnen oder/und kritisiert sie. Die Vernichtung von Büchern dagegen ist immer ein Akt der Barbarei.
Die heranwachsende Generation kann mit diesen Dingern nichts mehr anfangen. Das ist so!
Die Zeit der Bücher geht zu Ende.
Selbst ich als durchaus Bibliophilier könnte 50% meiner Bücher ohne Reue wegschmeißen, da ich weiß, dass ich da nie wieder hinein schauen werde und die Texte und Informationen, die sie enthalten, mit ein paar Klicks auch im Netz finde.

Der Herr Sodann ist ein Narr. Ein Messie.
Denn er kann nicht zwischen guten und schlechten Titeln unterscheiden.
Das sieht man in seinem Online-Shop
http://www.antiquariat-peter-sodann.de/
an den angebotenen Titeln und Preisvorstellungen
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Selina
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

Erstens: An die Bücherverbrennung durch die Nazis hab ich deshalb erinnert, weil sich so ein Akt der Barbarei gegen missliebige Autoren niemals wiederholen darf (siehe Lehre/Thread-Thema). Denn wie Heine sagte: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“ Und wie schafft man das, dass sich so etwas nie wiederholt? Selbstverständlich zuerst mit Bildung und mit Lesen, Lesen, Lesen. Denn aufgeklärte, weltoffene, freie Menschen schließen sich nicht Kleingeistern an, die Menschen mit Vernichtung drohen und die zuerst mal ihre Bücher verbrennen, bevor sie dann noch weitergehen. Bildung, Weltoffenheit, Vermögen, in Widersprüchen zu denken, all das trägt dazu bei, dass so etwas wie die Bücherverbrennung 33 nicht wieder geschehen kann.

Zweitens: Selbstverständlich kann man die Entsorgung von offenbar uninteressant gewordenen Büchern aus DDR-Verlagen nach der Wende nicht mit dem Hass, der Großspurigkeit und der dummen Arroganz der Nazis gleichsetzen. Dennoch kann man dieses Maschinenstürmer-Verhalten (Bücher wegschmeißen, Straßen unbenennen, Denkmäler abreißen) vieler Leute nach der Wende ebenfalls kritisieren, obgleich es natürlich von anderer Dimension ist. Man vernichtet etwas Verhasstes und schmeißt es auf den Müll (der Geschichte). Peter Sodann sagte dazu sinngemäß: "Ich kann doch nicht dabei zuschauen, wie mein Leben zerstört wird".

Drittens: Bücher - egal, welcher Epoche und egal, mit welcher Intention sie geschrieben worden sind - gehören nicht auf Scheiterhaufen und nicht auf Müllberge. Man setzt sich mit ihnen auseinander, schreibt Anmerkungen und Vorworte oder Nachworte zu ihnen, spricht mit Freunden über sie, liest sie vielleicht nach vielen Jahren noch einmal und versteht sie erst dann. Dabei lernt man die Zeit ihrer Entstehung verstehen und die Menschen, die in dieser Zeit agierten.

Viertens: Was Peter Sodann sammelt oder gesammelt hat, ist nicht etwa, wie hier vielleicht einige glauben, üble DDR-SED-Propaganda-Literatur, nein, es ist ein großer bibliophiler Schatz einer vergangenen Zeit, zu dem selbstverständlich auch Klassiker wie Goethe, Heine, Schiller, Tucholsky, Kästner und Brecht gehören, Bildbände zum Leben und Schaffen großer Maler, naturwissenschaftliche Literatur und vieles andere mehr. Nicht zu vergessen natürlich den großen Bestand an Weltliteratur, die in DDR-Verlagen veröffentlicht worden ist: Englische, französische, US-amerikanische, lateinamerikanische, skandinavische, sowjetische etcpp. Ich las damals Zola, Balzac, Merle, Baldwin, Vonnegut, McCullers, Chandler, Dimow, Aitmatow, Lem. Und es gehört natürlich auch die DDR-Literatur selbst dazu (Braun, Kant, Wolf, Bobrowski, Holland-Moritz, Hein, Morgner, Reimann, Seghers etcpp), in der man heute noch viel Interessantes über diesen verflossenen Staat erfahren kann, wann es ideologische Öffnungen gab, wann wieder neue Verhärtungen, welche inneren Kämpfe die Menschen ausgefochten haben. All das auf den Müll schmeißen? Nein.

Sechstens: Und natürlich wird es auch Menschen geben, die all die Literatur von DDR-Autoren sammeln, die nur im Westen erscheinen konnten, weil ihr Erscheinen im Osten verboten war. Eine ebenfalls lohnende spannende Sammlung. Eine, die hoffentlich ebenfalls keiner später einmal irgendwohin "entsorgt".
Zuletzt geändert von Selina am Sa 1. Dez 2018, 09:54, insgesamt 3-mal geändert.
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JJazzGold
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von JJazzGold »

Selina hat geschrieben:(01 Dec 2018, 08:00)

Erstens: An die Bücherverbrennung durch die Nazis hab ich deshalb erinnert, weil sich so ein Akt der Barbarei gegen missliebige Autoren niemals wiederholen darf (siehe Lehre/Thread-Thema). Denn wie Heine sagte: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“ Und wie schafft man das, dass sich so etwas nie wiederholt? Selbstverständlich zuerst mit Bildung und mit Lesen, Lesen, Lesen. Denn aufgeklärte, weltoffene, freie Menschen schließen sich nicht Kleingeistern an, die Menschen mit Vernichtung drohen und die zuerst mal ihre Bücher verbrennen, bevor sie dann noch weitergehen. Bildung, Weltoffenheit, Vermögen, in Widersprüchen zu denken, all das trägt dazu bei, dass so etwas wie die Bücherverbrennung 33 nicht wieder geschehen kann.

Zweitens: Selbstverständlich kann man die Entsorgung von offenbar uninteressant gewordenen Büchern aus DDR-Verlagen nach der Wende nicht mit dem Hass, der Großspurigkeit und der dummen Arroganz der Nazis gleichsetzen. Dennoch kann man dieses Maschinenstürmer-Verhalten (Bücher wegschmeißen, Straßen unbenennen, Denkmäler abreißen) vieler Leute nach der Wende ebenfalls kritisieren, obgleich es natürlich von anderer Dimension ist. Man vernichtet etwas Verhasstes und schmeißt es auf den Müll (der Geschichte). Peter Sodann sagte dazu sinngemäß: "Ich kann doch nicht dabei zuschauen, wie mein Leben zerstört wird".

Drittens: Bücher - egal, welcher Epoche und egal, mit welcher Intention sie geschrieben worden sind - gehören nicht auf Scheiterhaufen und nicht auf Müllberge. Man setzt sich mit ihnen auseinander, schreibt Anmerkungen und Vorworte oder Nachworte zu ihnen, spricht mit Freunden über sie, liest sie vielleicht nach vielen Jahren noch einmal und versteht sie erst dann. Dabei lernt man die Zeit ihrer Entstehung verstehen und die Menschen, die in dieser Zeit agierten.

Viertens: Was Peter Sodann sammelt oder gesammelt hat, ist nicht etwa, wie hier vielleicht einige glauben, üble DDR-SED-Propaganda-Literatur, nein, es ist ein großer bibliophiler Schatz einer vergangenen Zeit, zu dem selbstverständlich auch Klassiker wie Goethe, Heine, Schiller und Shakespeare gehören, Bildbände zum Leben und Schaffen großer Maler, naturwissenschaftliche Literatur und vieles andere mehr. Alles, was jemals in DDR-Verlagen veröffentlicht worden ist. Und es gehört natürlich auch die DDR-Literatur selbst dazu, in der man viel Interessantes über diesen verflossenen Staat erfahren kann, wann es ideologische Öffnungen gab, wann wieder neue Verhärtungen, welche inneren Kämpfe die Menschen ausgefochten haben. All das auf den Müll schmeißen? Nein.

Sechstens: Und natürlich wird es auch Menschen geben, die all die Literatur von DDR-Autoren sammeln, die nur im Westen erscheinen konnten, weil ihr Erscheinen im Osten verboten war. Eine ebenfalls lohnende spannende Sammlung. Eine, die hoffentlich ebenfalls keiner irgendwohin "entsorgt".
Nachdem wir gerade unsere heimische Bibliothek um geschätzt 100 Bücher erleichtert haben, die eigentlich dem einmal monatlich Altpapier sammelnden Sportverein zukommen sollten, sagen Sie mir doch bitte per PN Bescheid, wann Sie diese bei mir abholen wollen, um sie zu bewahren und zu pflegen. Das muss allerdings bis Ende nächster Woche geschehen, da wir nicht vorhaben noch lange um die hinderlichen aufgeschichteten Buchtürme herum zu gehen.
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
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Selina
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

Bücher und Scheiterhaufen - Bücher und Müll: Das schließt sich gegenseitig aus. Punkt.
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Quatschki
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Quatschki »

Selina hat geschrieben:(01 Dec 2018, 08:16)

Bücher und Scheiterhaufen - Bücher und Müll: Das schließt sich gegenseitig aus. Punkt.
Es ist alles relativ.
Die Zeitung von gestern tut man ins Altpapier.
Aber eine Zeitung von vor 50 Jahren ist interessanter und wertvoller als ein Klassiker von Goethe oder Shakespeare in einer Ausgabe von vor 50 Jahren.
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Selina
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

Quatschki hat geschrieben:(01 Dec 2018, 09:05)

Es ist alles relativ.
Die Zeitung von gestern tut man ins Altpapier.
Aber eine Zeitung von vor 50 Jahren ist interessanter und wertvoller als ein Klassiker von Goethe oder Shakespeare in einer Ausgabe von vor 50 Jahren.
Kommt drauf an: Es gibt sehr wertvolle alte Goethe-Ausgaben. Hinzu kommt ja noch, dass gerade solche Klassiker in der DDR sehr liebevoll und aufwändig grafisch, druck- und verlagstechnisch gestaltet worden sind. Für die DDR-Buch-Kunst gabs internationale Anerkennung. Für solche bibliophilen Kostbarkeiten von damals braucht sich keiner der Verlage zu schämen. Bis heute nicht.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Stoner »

Quatschki hat geschrieben:(01 Dec 2018, 09:05)

Es ist alles relativ.
Die Zeitung von gestern tut man ins Altpapier.
Aber eine Zeitung von vor 50 Jahren ist interessanter und wertvoller als ein Klassiker von Goethe oder Shakespeare in einer Ausgabe von vor 50 Jahren.
Bleibt die volksweisheitlich zuletzt sterbende Hoffnung, es sei dies keine Lehre aus dem Nationalsozialismus. Wer Bücher liest und liebt wird wissen, dass das heutige Buch in seiner lieblosen Machart oft schon wie ein Stück Altpapier daherkommt. Und als Besitzer einer kleinen Privatbibliothek bei begrenztem Wohnraum muss man sich halt trennen.

Es fragt sich, was noch alles unter Faschismusverdacht fällt. Vielleicht ist ja die Entprivatisierung des Lebens und die permanente Unterwerfung allen Denkens und Handelns unter ein allgegenwärtiges Nie Wieder selbst das Problem, vor dem gewarnt wird, weil es umfassenden Zugriff auf den Einzelnen beansprucht.
Skeptiker

Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Skeptiker »

Selina hat geschrieben:(01 Dec 2018, 08:00)
Erstens: An die Bücherverbrennung durch die Nazis hab ich deshalb erinnert, weil sich so ein Akt der Barbarei gegen missliebige Autoren niemals wiederholen darf (siehe Lehre/Thread-Thema). Denn wie Heine sagte: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“ Und wie schafft man das, dass sich so etwas nie wiederholt? Selbstverständlich zuerst mit Bildung und mit Lesen, Lesen, Lesen. Denn aufgeklärte, weltoffene, freie Menschen schließen sich nicht Kleingeistern an, die Menschen mit Vernichtung drohen und die zuerst mal ihre Bücher verbrennen, bevor sie dann noch weitergehen. Bildung, Weltoffenheit, Vermögen, in Widersprüchen zu denken, all das trägt dazu bei, dass so etwas wie die Bücherverbrennung 33 nicht wieder geschehen kann.

Zweitens: Selbstverständlich kann man die Entsorgung von offenbar uninteressant gewordenen Büchern aus DDR-Verlagen nach der Wende nicht mit dem Hass, der Großspurigkeit und der dummen Arroganz der Nazis gleichsetzen. Dennoch kann man dieses Maschinenstürmer-Verhalten (Bücher wegschmeißen, Straßen unbenennen, Denkmäler abreißen) vieler Leute nach der Wende ebenfalls kritisieren, obgleich es natürlich von anderer Dimension ist. Man vernichtet etwas Verhasstes und schmeißt es auf den Müll (der Geschichte). Peter Sodann sagte dazu sinngemäß: "Ich kann doch nicht dabei zuschauen, wie mein Leben zerstört wird".

...

Viertens: Was Peter Sodann sammelt oder gesammelt hat, ist nicht etwa, wie hier vielleicht einige glauben, üble DDR-SED-Propaganda-Literatur, nein, es ist ein großer bibliophiler Schatz einer vergangenen Zeit, zu dem selbstverständlich auch Klassiker wie Goethe, Heine, Schiller, Tucholsky, Kästner und Brecht gehören, Bildbände zum Leben und Schaffen großer Maler, naturwissenschaftliche Literatur und vieles andere mehr. Nicht zu vergessen natürlich den großen Bestand an Weltliteratur, die in DDR-Verlagen veröffentlicht worden ist: Englische, französische, US-amerikanische, lateinamerikanische, skandinavische, sowjetische etcpp. Ich las damals Zola, Balzac, Merle, Baldwin, Vonnegut, McCullers, Chandler, Dimow, Aitmatow, Lem. Und es gehört natürlich auch die DDR-Literatur selbst dazu (Braun, Kant, Wolf, Bobrowski, Holland-Moritz, Hein, Morgner, Reimann, Seghers etcpp), in der man heute noch viel Interessantes über diesen verflossenen Staat erfahren kann, wann es ideologische Öffnungen gab, wann wieder neue Verhärtungen, welche inneren Kämpfe die Menschen ausgefochten haben. All das auf den Müll schmeißen? Nein.

Sechstens: Und natürlich wird es auch Menschen geben, die all die Literatur von DDR-Autoren sammeln, die nur im Westen erscheinen konnten, weil ihr Erscheinen im Osten verboten war. Eine ebenfalls lohnende spannende Sammlung. Eine, die hoffentlich ebenfalls keiner später einmal irgendwohin "entsorgt".
Da stimme ich Dir im Grundsatz zu. Man sollte Literatur würdigen - man sollte sie aber nicht heiligen.
Selina hat geschrieben:(01 Dec 2018, 08:00)
...

Drittens: Bücher - egal, welcher Epoche und egal, mit welcher Intention sie geschrieben worden sind - gehören nicht auf Scheiterhaufen und nicht auf Müllberge. Man setzt sich mit ihnen auseinander, schreibt Anmerkungen und Vorworte oder Nachworte zu ihnen, spricht mit Freunden über sie, liest sie vielleicht nach vielen Jahren noch einmal und versteht sie erst dann. Dabei lernt man die Zeit ihrer Entstehung verstehen und die Menschen, die in dieser Zeit agierten.

...
Da sehe ich eine Verehrung von Büchern - nicht deren Inhalten - die ich für eine Konsequenz halte, die aus einem Missverständnis kommen zu scheint.

Die Bücherverbrennung war nicht deshalb so dramatisch, weil es um die physikalische Vernichtung von bedrucktem Papier ging. Es ging bei der Bücherverbrennung nicht vordergründig um die Vernichtung der Bücher, sondern um die Vernichtung der hinter den Büchern stehenden Weltanschauungen und Autoren.

Dafür ist die Öffentlichkeit dieses Ereignisses das besondere Merkmal. Es wird der Öffentlichkeit gezeigt, dass diese Bücher nicht akzeptabel sind und sie aus der Realität zu tilgen sind. Dabei war früher tatsächlich die physikalische Entfernung wichtiger Teil der Strategie, aber eben im Sinne von "Nicht mehr Verfügbar" machen. Damals gab es eben kein Internet in dem man jeden Inhalt dennoch wiederfinden konnte.

Wenn wir also auf Analogien zur heutigen Zeit schauen, dann geht es vielmehr darum zu prüfen, wo Personenkreise die Meinungsfreiheit oder die persönlichen Rechte von Kulturschaffenden oder Publizisten einschränken. Es geht auch darum was und wie publiziert werden kann. Das Medium ist dabei zweitrangig.

So wie Du Bücher (physikalisch) verteidigst verteidige ich das Recht der freien Meinungsäußerung. Und zwar nicht nur im Sinne von juristisch einklagbarer freier Meinungsäußerung, sondern im Sinne von kultureller Akzeptanz der Andersartigkeit von Meinungen.

Überlege einfach mal wer sich heutzuage durch Agitation gegen bestimmte Verlage auf Buchmessen hervortut. Überlege mal was das NetzDG dabei für eine Rolle spielt. Es gibt viele Ansätze in der heutigen Zeit Meinungen aus dem Diskurs zu tilgen. Dass irgendwer irgendwas nicht sagen DARF, steht immer am Anfang einer solchen Kampagne.
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Quatschki
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Quatschki »

Selina hat geschrieben:(01 Dec 2018, 09:52)

Kommt drauf an: Es gibt sehr wertvolle alte Goethe-Ausgaben. Hinzu kommt ja noch, dass gerade solche Klassiker in der DDR sehr liebevoll und aufwändig grafisch, druck- und verlagstechnisch gestaltet worden sind. Für die DDR-Buch-Kunst gabs internationale Anerkennung. Für solche bibliophilen Kostbarkeiten von damals braucht sich keiner der Verlage zu schämen. Bis heute nicht.
Das sind dann Bücher, die man wegen der schönen Deckel oder des Einbandes aufstellt.
Doch wenn man diese Klassiker wirklich lesen will, zieht man sich die Texte immer öfter auf sein Ebook.

Aber sollte man zum Beispiel eine Abhandlung über "progressive amerikanische Negermusik" aufgrund veralteter Sprache aussondern? Oder akzeptieren, dass die Zeit und Sprache eben so war?
Und die Literatur gerade deshalb bewahren, weil sie eben zeigt, wie die Zeitgenossen ihre Zeit sahen?
(während Wikipedia und Co. stets auf den neuesten Stand gebracht wird, und dabei in geradezu orwellscher Weise auch die Geschichte und ihre Bewertung stets der korrekten aktuellen Sicht anpasst.)
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Selina
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

Skeptiker hat geschrieben:(01 Dec 2018, 10:27)

Da stimme ich Dir im Grundsatz zu. Man sollte Literatur würdigen - man sollte sie aber nicht heiligen.


Da sehe ich eine Verehrung von Büchern - nicht deren Inhalten - die ich für eine Konsequenz halte, die aus einem Missverständnis kommen zu scheint.

Die Bücherverbrennung war nicht deshalb so dramatisch, weil es um die physikalische Vernichtung von bedrucktem Papier ging. Es ging bei der Bücherverbrennung nicht vordergründig um die Vernichtung der Bücher, sondern um die Vernichtung der hinter den Büchern stehenden Weltanschauungen und Autoren.

Dafür ist die Öffentlichkeit dieses Ereignisses das besondere Merkmal. Es wird der Öffentlichkeit gezeigt, dass diese Bücher nicht akzeptabel sind und sie aus der Realität zu tilgen sind. Dabei war früher tatsächlich die physikalische Entfernung wichtiger Teil der Strategie, aber eben im Sinne von "Nicht mehr Verfügbar" machen. Damals gab es eben kein Internet in dem man jeden Inhalt dennoch wiederfinden konnte.

Wenn wir also auf Analogien zur heutigen Zeit schauen, dann geht es vielmehr darum zu prüfen, wo Personenkreise die Meinungsfreiheit oder die persönlichen Rechte von Kulturschaffenden oder Publizisten einschränken. Es geht auch darum was und wie publiziert werden kann. Das Medium ist dabei zweitrangig.

So wie Du Bücher (physikalisch) verteidigst verteidige ich das Recht der freien Meinungsäußerung. Und zwar nicht nur im Sinne von juristisch einklagbarer freier Meinungsäußerung, sondern im Sinne von kultureller Akzeptanz der Andersartigkeit von Meinungen.

Überlege einfach mal wer sich heutzuage durch Agitation gegen bestimmte Verlage auf Buchmessen hervortut. Überlege mal was das NetzDG dabei für eine Rolle spielt. Es gibt viele Ansätze in der heutigen Zeit Meinungen aus dem Diskurs zu tilgen. Dass irgendwer irgendwas nicht sagen DARF, steht immer am Anfang einer solchen Kampagne.
Sorry, aber da hast du meine Beiträge nicht verstanden, wenn du zu solchen Schlüssen kommst. Ich verteidige die Literatur selbstverständlich nicht rein "physikalisch" in Form von Büchern (Papierseiten zwischen Pappe). Ich verteidige sie als eine Art Weltgewissen, als gesammeltes Wissen über die Welt, als zeitgeschichtliche Zäsursetzungen, als Erinnerungen, Reflexionen von verschiedenen Autoren. Das wär ja nun wirklich albern, wenn ich Pappe verehren würde. Auch wenn in den von mir erwähnten Büchern zum Teil auch schon besondere "Pappe" verarbeitet worden ist, wie ich oben im Zusammenhang mit preisgekrönter DDR-Buch-Kunst schrieb, die aber natürlich immer als Einheit von Inhalt und Form zu betrachten ist. Nein, hier geht es um einen Schatz, den man nicht einfach vernichtet. Einen Lese-Schatz, den Autoren mit all ihren Wünschen, Hoffnungen und Zweifeln geschrieben haben. Zeugnisse von der Zeit und von den Umständen, in denen sie lebten. Ich glaube sogar auch, je mehr gute internationale Literatur einer gelesen hat in seinem Leben (vor allem auch in der Jugend), desto weniger neigt er später zu deutscher Insichgekehrtheit und zu deutschen Abschottungswünschen. Literatur macht Menschen frei, offen, anderen Nationen zugewandt.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Skeptiker »

Selina hat geschrieben:(01 Dec 2018, 11:02)
Sorry, aber da hast du meine Beiträge nicht verstanden, wenn du zu solchen Schlüssen kommst. Ich verteidige die Literatur selbstverständlich nicht rein "physikalisch" in Form von Büchern (Papierseiten zwischen Pappe). Ich verteidige sie als eine Art Weltgewissen, als gesammeltes Wissen über die Welt, als zeitgeschichtliche Zäsursetzungen, als Erinnerungen, Reflexionen von verschiedenen Autoren. Das wär ja nun wirklich albern, wenn ich Pappe verehren würde.
Genau!
Selina hat geschrieben:(01 Dec 2018, 11:02)
Auch wenn in den von mir erwähnten Büchern zum Teil auch schon besondere "Pappe" verarbeitet worden ist, wie ich oben im Zusammenhang mit preisgekrönter DDR-Buch-Kunst schrieb, die aber natürlich immer als Einheit von Inhalt und Form zu betrachten ist. Nein, hier geht es um einen Schatz, den man nicht einfach vernichtet. Einen Lese-Schatz, den Autoren mit all ihren Wünschen, Hoffnungen und Zweifeln geschrieben haben. Zeugnisse von der Zeit und von den Umständen, in denen sie lebten. Ich glaube sogar auch, je mehr gute internationale Literatur einer gelesen hat in seinem Leben (vor allem auch in der Jugend), desto weniger neigt er später zu deutscher Insichgekehrtheit und zu deutschen Abschottungswünschen. Literatur macht Menschen frei, offen, anderen Nationen zugewandt.
Literatur ist zunächst einmal das Publizieren von Gedanken. Wer als Vorbedingung für den Status als Literatur die Bedingung setzt, dass diese die Menschen frei, offen und anderen Nationen zugewandt machen muss, der ist schon auf dem Weg die Literatur der anderen metaphorisch zu verbrennen.

Jeder hat seinen eigenen Maßstab was gut ist und was schlecht ist. DAS zu verstehen ist ebenfalls eine ganz wichtige Lehre aus dem Nationalsozialismus.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Billie Holiday »

JJazzGold hat geschrieben:(01 Dec 2018, 08:11)

Nachdem wir gerade unsere heimische Bibliothek um geschätzt 100 Bücher erleichtert haben, die eigentlich dem einmal monatlich Altpapier sammelnden Sportverein zukommen sollten, sagen Sie mir doch bitte per PN Bescheid, wann Sie diese bei mir abholen wollen, um sie zu bewahren und zu pflegen. Das muss allerdings bis Ende nächster Woche geschehen, da wir nicht vorhaben noch lange um die hinderlichen aufgeschichteten Buchtürme herum zu gehen.
Der Inhalt der von Dir zu entsorgenden Bücher wird ja nicht verboten, meiner Meinung nach entsorgst Du Altpapier.
Letztes Jahr habe ich vor meinem Umzug ebenfalls viele Bücher entsorgt - alt, ausgeblichen, der Schnitt verstaubt und einsam im Regal verharrend, da von niemandem mehr gelesen. Hat mir nicht wehgetan, neuere Ausgaben gibt es bei Bedarf in jedem Buchhandel zu kaufen oder nachzubestellen.
Das mit der Bücherverbrennung zu vergleichen, klingt ein wenig überkandidelt und albern. Niemand hat diese Bücher auf den Index gesetzt.
Zuletzt geändert von Billie Holiday am Sa 1. Dez 2018, 11:56, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(01 Dec 2018, 11:02)

Sorry, aber da hast du meine Beiträge nicht verstanden, wenn du zu solchen Schlüssen kommst. Ich verteidige die Literatur selbstverständlich nicht rein "physikalisch" in Form von Büchern (Papierseiten zwischen Pappe). Ich verteidige sie als eine Art Weltgewissen, als gesammeltes Wissen über die Welt, als zeitgeschichtliche Zäsursetzungen, als Erinnerungen, Reflexionen von verschiedenen Autoren. Das wär ja nun wirklich albern, wenn ich Pappe verehren würde. Auch wenn in den von mir erwähnten Büchern zum Teil auch schon besondere "Pappe" verarbeitet worden ist, wie ich oben im Zusammenhang mit preisgekrönter DDR-Buch-Kunst schrieb, die aber natürlich immer als Einheit von Inhalt und Form zu betrachten ist. Nein, hier geht es um einen Schatz, den man nicht einfach vernichtet. Einen Lese-Schatz, den Autoren mit all ihren Wünschen, Hoffnungen und Zweifeln geschrieben haben. Zeugnisse von der Zeit und von den Umständen, in denen sie lebten. Ich glaube sogar auch, je mehr gute internationale Literatur einer gelesen hat in seinem Leben (vor allem auch in der Jugend), desto weniger neigt er später zu deutscher Insichgekehrtheit und zu deutschen Abschottungswünschen. Literatur macht Menschen frei, offen, anderen Nationen zugewandt.
Doch Selina - wir haben deine Beiträge recht gut verstanden!
Du hast geschrieben:
"Die Lehre: Bücher niemals verbrennen oder auf dem Müll entsorgen, sondern sammeln, bewahren, pflegen, lesen!"


Du setzt hier tatsächlich die (private) Entsorgung uninteressant gewordener Bücher (im physischer Form) mit der Bücherverbrennung und gleichzeitiger Indizierung von deren Inhalten UND der Verfolgung von den Autoren der Bücher gleich.
Du vergisst dabei, dass keines der "entsorgten" Bücher auf einen Index gelangt, deren Autoren verfolgt oder zur Persona non grata erklärt werden.
Jeder Mensch hat das Recht, sich von etwas zu trennen - welcher Art auch immer, was er nicht mehr benötigt oder was ihn nicht interessiert und genauso hat jeder Mensch das Recht eigene Interessen zu entwickeln/zu haben und das trifft auch auf Literatur zu. Das hat mit deiner postulierten Weltoffenheit "deutscher Insichgekehrtheit und zu deutschen Abschottungswünschen" nicht das Geringste zu tun.
Es mag nicht Jeder die "verschachtelte Art" von Heinrich oder Thomas Mann oder Balzak oder Zola - der wird diese Bücher auch nicht lesen.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

Skeptiker hat geschrieben:(01 Dec 2018, 11:19)

Genau!

Literatur ist zunächst einmal das Publizieren von Gedanken. Wer als Vorbedingung für den Status als Literatur die Bedingung setzt, dass diese die Menschen frei, offen und anderen Nationen zugewandt machen muss, der ist schon auf dem Weg die Literatur der anderen metaphorisch zu verbrennen.

Jeder hat seinen eigenen Maßstab was gut ist und was schlecht ist. DAS zu verstehen ist ebenfalls eine ganz wichtige Lehre aus dem Nationalsozialismus.
Wieder hast du mich missverstanden. Ich schrieb nicht, die Literatur muss die Leute frei und offen machen, sondern ich schrieb wörtlich: "Ich glaube sogar auch, je mehr gute internationale Literatur einer gelesen hat in seinem Leben (vor allem auch in der Jugend), desto weniger neigt er später zu deutscher Insichgekehrtheit und zu deutschen Abschottungswünschen. Literatur macht Menschen frei, offen, anderen Nationen zugewandt." Nix müssen. Nix "Vorbedingung". Das passiert von ganz alleine beim vielen Lesen :D

Und dass jeder "seinen eigenen Maßstab was gut ist und was schlecht ist" hat, wie du schreibst, das versteht sich doch von selbst. Jeder zieht seine eigenen Schlüsse aus dem Gelesenen. Ja, mehr noch, jeder wählt unter allem Publizierten eben gerade das aus, was ihm am ehesten entspricht. Das sind aber alles Binsenweisheiten.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

Billie Holiday hat geschrieben:(01 Dec 2018, 11:22)

Der Inhalt der von Dir zu entsorgenden Bücher wird ja nicht verboten, meiner Meinung nach entsorgst Du Altpapier.
Letztes Jahr habe ich vor meinem Umzug ebenfalls viele Bücher entsorgt - alt, ausgeblichen, der Schnitt verstaubt und einsam im Regal verharrend, da von niemandem mehr gelesen. Hat mir nicht wehgetan, neuere Ausgaben gibt es bei Bedarf in jedem Buchhandel zu kaufen oder nachzubestellen.
Das mit der Bücherverbrennung zu vergleichen, klingt ein wenig überkandidelt und albern. Niemand hat diese Bücher auf den Index gesetzt.
So habe ich das auch nie gesagt. Bitte lies meinen Kommentar von Selina » Sa 1. Dez 2018, 08:00 . Danke.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Dark Angel »

Selina hat geschrieben:(01 Dec 2018, 12:18)

So habe ich das auch nie gesagt. Bitte lies meinen Kommentar von Selina » Sa 1. Dez 2018, 08:00 . Danke.
Würdest du bitte meine Fragen von gestern Abend beantworten:
"Erkläre doch bitte man, warum man Bücher "sammeln, bewahren, pflegen, lesen" soll, die den/die Betreffenden gar nicht interessieren, die zum Bleistift jemand von einer "Leseratte" in der Familie geerbt hat!
Erkläre doch bitte mal, was der Betreffende tun soll, wenn er die Bücher weder im Antiquariat/An- und Verkauf in Zahlung geben/verkaufen kann!"

Dass Literatur "Menschen frei, offen, anderen Nationen zugewandt [macht]". ist eine Behauptung von dir, die du gar nicht belelegen kannst.
Ich behaupte - die (meisten) Menschen wollen gar keine "Schlüsse ziehen", die lesen zu ihrer Entspannung, die wollen nicht über das Gelesene nachdenken, die wollen abschalten u.U. sogar der Realität entfliehen.

Du begehst immer wieder den Fehler, das Argument der übereilten Verallgemeinerung zu verwenden, in diesem ganz speziellen Fall, von dir auf andere zu schließen.
Ehe ich auch nur einen, der von dir genannten Autoren gelesen hätte, habe ich lieber zu Tolstoi, Tralow, London, Hemmingway oder Twain gegriffen. Und was sagt uns das?
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Stoner »

Selina hat geschrieben:(01 Dec 2018, 12:10)

Wieder hast du mich missverstanden. Ich schrieb nicht, die Literatur muss die Leute frei und offen machen, sondern ich schrieb wörtlich: "Ich glaube sogar auch, je mehr gute internationale Literatur einer gelesen hat in seinem Leben (vor allem auch in der Jugend), desto weniger neigt er später zu deutscher Insichgekehrtheit und zu deutschen Abschottungswünschen. Literatur macht Menschen frei, offen, anderen Nationen zugewandt." Nix müssen. Nix "Vorbedingung". Das passiert von ganz alleine beim vielen Lesen :D
98 % der Menschen, mit denen ich so in Kontakt komme, dass ich ungefähr sehe, was die lesen, kennen etwa drei Viertel meiner Autoren nicht und schaffen auch nur 80 % meiner Lesezeit. Rechne ich das nun gemäß Ihrer Behauptung um, müssten die Nationalisten in diesem Land eine deutliche Mehrheit stellen, denn ich kenne ja eher noch mehr Menschen, die überhaupt schon mal ein Buch gelesen haben.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

Eine weitere Lehre aus dem Nationalsozialismus: Nicht schweigend zuschauen, wie sich der braune Ungeist Stück für Stück breit macht. Daher finde ich auch solche Veranstaltungen wie die am 14. Dezember um 19.30 Uhr im Schauspielhaus Chemnitz so gut: "Gemeinsam stärker", ein Gala-Abend mit Ehemaligen des Schauspielensembles. Wer das Theater kennt, weiß, dass viele heute in Film und Theater sehr bekannte Schauspieler wie Gwisdek, Sodann, Gudzuhn, Mühe (gest. 2007), Kockisch, Harfouch, Geffke, Schüttauf, Huhn und Krause ihre Karriere als junge Leute einmal in Chemnitz begonnen haben. Denn das Schauspielhaus Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) war damals ein so genanntes Sprungbrett-Theater und hat allerhand Berliner Größen hervorgebracht. Einige von ihnen wollen nach den rechtsradikalen Aufmärschen im Sommer in der sächsischen Stadt ein Zeichen setzen. Der große Saal ist bereits ausverkauft, so stark ist das Interesse an dieser Veranstaltung. Und sicher wird auch noch etwas zusammengerückt, damit noch ein paar Spontan-Zuschauer reinpassen. Hinterher wird zusammen gefeiert.

https://www.theater-chemnitz.de/spielpl ... bend/8485/
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von schokoschendrezki »

BlueMonday hat geschrieben:(29 Nov 2018, 14:07)

Man sollte sich auch bewusst machen, in welchem Raum sich so eine Frage, wie sie hier im Thread gestellt wird, bewegen kann: in einen Kontinuum zwischen völlig vereinzelten geschichtlichen Daten, für die man gar keine Begriffe mehr findet, weil sie so "eigentlich" betrachtet werden, dass in ihnen nichts mehr gefunden wird, das sich wiederholen kann. Und jeder Begriff basiert auf Wiederholung bzw. potentieller Wiederholbarkeit.

Und auf der anderen Seite steht die völlige Verallgemeinerung, die so allgemein ist, dass sie auf alles passt. Der sinnvolle Diskurs kann sich nur irgendwo zwischen diesen beiden Extremen bewegen, also dass man sich letztlich über Begriffe verständigt, mit denen man über das, was der Fall ist oder gewesen ist, sprechen und nachdenken kann. Und Sprache funktioniert nur über die Bezugnahme, also deutet immer hinaus aus einem Fall auf ein Anderes.
Nun ist der Begriff "Nationalsozialismus" aber eben immer noch das selbstgewählte Attribut der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei". Also Vorsicht. Man lässt sich bei einem unkritischen Beharren auf dieser Begrifflichkeit noch immer, auch zig Dekaden nach der programmatischen Selbstverortung der NSDAP auf deren politisches Programm ein.

Ich wollte für mich das Thema eigentlich abschließen. Zufällig las ich heute früh in der S-Bahn in der Printausgabe des Tagesspiegel einen ganzseitigen Artikel über den politischen Neustart von Erika Steinbach als Präsidentin der "Desiderius-Erasmus-Stiftung". Die das für die AfD werden soll, was die KAS, die Böll-Stiftung usw. für die etablierten Parteien sind. In dem Artikel wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die totale Nach-Rechts-Absetzung Steinbachs u.a. mit folgender Twitter-Meldung 2012 begann: "Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI." Der Artikel ist mit "Die Wutmacherin" überschrieben. Was fasziniert rechte Wutmacherinnen und Hassvergifter wie Steinbach so daran, dass sich die NSDAP in ihrer Gründungsphase entschlossen hatte, mit Atttributen wie "nationalsozialistisch" oder "Arbeiter-"irgendwas bei den DUmmen anzubiedern. Den Dummen von vor etwa hundert jahren stehen die Dummen von heute gegenüber, die die Eigen-Propaganda einer Nazipartei an die Stelle einer objektiven und distanzierten politischen ANalyse von heute setzen.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(01 Dec 2018, 08:00)
Drittens: Bücher - egal, welcher Epoche und egal, mit welcher Intention sie geschrieben worden sind - gehören nicht auf Scheiterhaufen und nicht auf Müllberge. Man setzt sich mit ihnen auseinander, schreibt Anmerkungen und Vorworte oder Nachworte zu ihnen, spricht mit Freunden über sie, liest sie vielleicht nach vielen Jahren noch einmal und versteht sie erst dann. Dabei lernt man die Zeit ihrer Entstehung verstehen und die Menschen, die in dieser Zeit agierten.
Nee. Tut mir leid. "Scheiterhaufen" und "Müllberge" sind ein bissel propagandistisch aufgeladene Schlagworte. Ich habe nun endlich mal, nachdem ich mir das lange vorgenommen hatte, die Bücherkisten einer verstorbenen angeheirateten Oma durchsortiert. Im Wesentlichen, sagen wir mal christlich-katholische Erbauungsliteratur aus dem St. Benno Verlag in Leipzig. Als historische Dokumente z.T. durchaus interessant. Der St. Benno-Verlag in Leipzig war das einzige katholische Verlagshaus in der DDR und die Oma war halt eine engagierte Katholikin in der DDR mit Wurzeln irgendwo auch in der katholischen Zentrumspartei. Da haben wir auch einen Bezug zum Thema. Gerade die Katholiken waren sowohl unter den Nazis wie auch zu DDR-Zeiten eine der wenigen wirklich ernsthaften Oppositionskräfte. IM Gegensatz zu der zu großen Teilen auf Anbiederung bedachten evangelischen Kirche. Auch wenn ich deren Ziele, Vorgaben, politische EInstellungen, Lebensweisen usw. in keinster Weise teile. Wenn ich diese Bücher wirklich sorgfältig durchsortiere, durchblättere, querlese und dann einen sehr großen Teil davon dem Papierrecycling zuführe ... ich glaub' nicht, dass ich mich deshalb als Nazi fühlen muss.

Ich habe auch, im Gegensatz zu einem User-Beitrags weiter oben, nicht den Eindruck, dass die "Zeit der Bücher" vorbei sei. Immer wieder sehe ich in öffentlichen Verkehrsmitteln auch ganz junge Menschen, Kinder mit dicken Büchern auf dem Schoß. Erstaunlicherweise häufig englischsprachige Bücher. Ich sehe allerdings fast nur lesende Mädchen. Es ist vielleicht ein bissel so wie mit Vinyl-Tonträgern. Die Zeit ist überhaupt nicht vorbei. Vorbei ist nur Mainstream-Phänomen,


Und damit zurück zum eigentlichen Thema. Wenn es um NS-Zeit. DDR, Literatur, Bücher geht ... der zentrale aktuelle Aufreger in dieser Hinsicht ist natürlich Uwe Tellkamp, sein Roman "Der Turm", dessen Verfilmung und natürlich auch die Auseinandersetzungen rund um Äußerungen von Tellkamp. Tellkamp gehört neben Lengsfeld, Broder usw. zu den Unterzeichnern der sogenannten "Gemeinsamen Erklärung 2018" von deutschen Publizisten, Künstlern, Schriftstellern, in der es um eine angebliche "Beschädigung Deutschlands durch eine „illegale Masseneinwanderung“ geht. Da geht wirklich die Post ab. Ich kann das vergleichen mit entsprechenden Bewegungen, Phänomenen in anderen osteuropäischen Intellektuellen- und Künstlerszenen. Da gibt es Gemeinsamkeiten. Die auf so etwas wie nationale Rückbesinnung hinauslaufen. Bedenklich.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(03 Dec 2018, 15:51)

Nee. Tut mir leid. "Scheiterhaufen" und "Müllberge" sind ein bissel propagandistisch aufgeladene Schlagworte. Ich habe nun endlich mal, nachdem ich mir das lange vorgenommen hatte, die Bücherkisten einer verstorbenen angeheirateten Oma durchsortiert. Im Wesentlichen, sagen wir mal christlich-katholische Erbauungsliteratur aus dem St. Benno Verlag in Leipzig. Als historische Dokumente z.T. durchaus interessant. Der St. Benno-Verlag in Leipzig war das einzige katholische Verlagshaus in der DDR und die Oma war halt eine engagierte Katholikin in der DDR mit Wurzeln irgendwo auch in der katholischen Zentrumspartei. Da haben wir auch einen Bezug zum Thema. Gerade die Katholiken waren sowohl unter den Nazis wie auch zu DDR-Zeiten eine der wenigen wirklich ernsthaften Oppositionskräfte. IM Gegensatz zu der zu großen Teilen auf Anbiederung bedachten evangelischen Kirche. Auch wenn ich deren Ziele, Vorgaben, politische EInstellungen, Lebensweisen usw. in keinster Weise teile. Wenn ich diese Bücher wirklich sorgfältig durchsortiere, durchblättere, querlese und dann einen sehr großen Teil davon dem Papierrecycling zuführe ... ich glaub' nicht, dass ich mich deshalb als Nazi fühlen muss.

Ich habe auch, im Gegensatz zu einem User-Beitrags weiter oben, nicht den Eindruck, dass die "Zeit der Bücher" vorbei sei. Immer wieder sehe ich in öffentlichen Verkehrsmitteln auch ganz junge Menschen, Kinder mit dicken Büchern auf dem Schoß. Erstaunlicherweise häufig englischsprachige Bücher. Ich sehe allerdings fast nur lesende Mädchen. Es ist vielleicht ein bissel so wie mit Vinyl-Tonträgern. Die Zeit ist überhaupt nicht vorbei. Vorbei ist nur Mainstream-Phänomen,


Und damit zurück zum eigentlichen Thema. Wenn es um NS-Zeit. DDR, Literatur, Bücher geht ... der zentrale aktuelle Aufreger in dieser Hinsicht ist natürlich Uwe Tellkamp, sein Roman "Der Turm", dessen Verfilmung und natürlich auch die Auseinandersetzungen rund um Äußerungen von Tellkamp. Tellkamp gehört neben Lengsfeld, Broder usw. zu den Unterzeichnern der sogenannten "Gemeinsamen Erklärung 2018" von deutschen Publizisten, Künstlern, Schriftstellern, in der es um eine angebliche "Beschädigung Deutschlands durch eine „illegale Masseneinwanderung“ geht. Da geht wirklich die Post ab. Ich kann das vergleichen mit entsprechenden Bewegungen, Phänomenen in anderen osteuropäischen Intellektuellen- und Künstlerszenen. Da gibt es Gemeinsamkeiten. Die auf so etwas wie nationale Rückbesinnung hinauslaufen. Bedenklich.
Naja, meine Bücher-Bemerkungen bezogen sich eher auf die Sodann-Sammel-Aktion und darauf, dass das nix mit propagandistischer DDR-Literatur zu tun hat, was er da sammelt, sondern der Literatur-Begriff auch in der hier so einstimmig und heiß gehassten DDR etwas weiter gefasst war, als nur propagandistischen Zwecken zu dienen. Aber das habe ich weiter oben ausführlich erläutert und da gehe ich auch nicht ab davon. Das wird hier sowieso immer alles sehr verknappt ausfallen. Es geht - zusammengefasst - in die Richtung, nicht immer alles über Bausch und Bogen zu verachten und einseitig schlechtzureden, was aus der DDR stammt. Da lohnt es sich durchaus, mal etwas genauer und sehr viel differenzierender hinzuschauen. Da bin ich auch ziemlich kompromisslos, weil ich es halt sehr gut kenne. Andererseits: Irgendwelchen gedruckten propagandistischen Müll kann man natürlich auch genau dort entsorgen, wo er hingehört: Im Papiercontainer. Interessant war für mich lediglich die Motivation sehr vieler Leute, die halt nach der Wende alles, aber auch alles an Literatur weggeschmissen haben, was jemals in DDR-Verlagen erschienen ist, darunter halt auch richtig viel gute Weltliteratur. Siehe die von mir genannten Autoren Baldwin, Vonnegut, Heller etcpp. Naja, weites Feld halt und mir für hier irgendwie zu schade.

Was Tellkamp anbelangt, ja, das sehe ich wie du. Dazu hatte ich auch irgendwo schon mal was Längeres gepostet. Traurige Entwicklung.

Und zur Steinbach: Ja, die ist in der AfD (wo sie wohl noch gar nicht Mitglied ist) goldrichtig aufgehoben. Wenn ich mir überlege, dass in deren Stiftung in Kürze auch massenhaft Steuergeld fließt, dann wird mir schlecht. Die Afd-nahe Stiftung, um die sich die revanchistische rechte Steinbach kümmern will, soll ja eine ähnliche "Denkfabrik" und "Kaderschmiede" werden, wie sie der Herr Kubitschek mit seiner Frau bereits unterhält. Übrigens: Im untenstehenden Tagesspiegel-Text wird auch eine ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin erwähnt, die den gleichen politischen Weg eingeschlagen hat wie Lengsfeld, Tellkamp und co. Sehr bedenklich das Ganze.

https://www.tagesspiegel.de/themen/repo ... 08620.html
Zuletzt geändert von Selina am Mo 3. Dez 2018, 16:25, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von schokoschendrezki »

BlueMonday hat geschrieben:(28 Nov 2018, 18:47)

Und wozu diese totale Herrschaft? Herrschaft der Herrschaft willen ist auch zirkulär.
Das wäre analog zur Vorstellung, dass man Geld allein des Geldes willen haben will und nicht für dessen Kaufkraft. Dabei ist das die "eigentliche Idee".

Niemand will und kann herrschen ohne Inhalte, Ziele. Herrschaft ist immer gegen etwas gerichtet, etwas, das unterdrückt, bekämpft, wenigstens unter Kontrolle gebracht werden soll.
Das ist das Treibende: Eine verfestigte, fixe Idee, eine Besessenheit von einer Idee. Woraus soll sonst Größenwahn entstehen? Größenwahn ist nichts anderes als eine angeschwollene fiebrige fixe Idee.

Es wird sicherlich immer Menschen geben, die nicht von einer bestimmten Idee befallen wurden, die "Dissidenten". Diese müssen dann mittels Zwang in die gewünschte Richtung getrieben werden. Aber diese Richtung ist nichts anderes als Idee. Die Idee legitimiert den Zwang. Das Standgericht braucht eine Idee, sonst kann man nicht ohne Skrupel jemandem in den Rücken schießen. Sicherlich gibt es dann auch den Sadisten als Systemling, dem es nur zupasse kommt, dass eine bestimmte Idee vorherrscht, die ihm eine Legitimation verschafft seinem Sadismus nachzugehen. Aber das sind nur Abfallprodukte, Fügungen.

Diese Besessenheit gab es bis zum Exzess im dritten Reich, in schwächerer Intensität in der DDR. Und heutzutage? Schwierig einzuschätzen. Ein gewisses Potential zur Gleichrichtung gibt es schon. Aber man liegt sich in dieser Gesellschaft wohl recht quer. Jede Idee hat heutzutage ihre Bedenkenträger, Kritiker. Besessenheit verschreckt heutzutage eher die meisten, wenn sie denn bewusst gemacht werden kann. Die Gefahr liegt vielleicht in einer Ermüdung durch den ewigen Streit und in einer Sehnsucht nach politischem Durchgreifen. Das "Primat der Politik" war ja auch wesentlicher Teil des nationalsozialistischen Denkens.

Das Musterbeispiel für die "Banalität des Bösen" heutzutage ist für mich auf jeden Fall die Ideologie der sogenannten "Nationalen Befreiungsbewegungen". Der aktuell amtierende Präsident Nicaraguas und langjährige Chef der FSLN, der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront Nicaraguas unterscheidet sich von dem von der FSLN gestürzten DIktator Somoza eigentlich nur in einem Punkt: Dass Ortega mit seinen politischen Feinden noch grausamer und diktatorischer umgeht. In beiden Fällen handelt es sich um Familien-Clans, die unter Vorgabe irgendwelcher Ideologien ("Antikommunismus", "Nationale Befreiung") ihr Land ausplündern und sich über die Dummen im stillen amüsieren, die diese vorgeblichen Ideologien für Ernst nehmen. Egal ob nun aus Begeisterung oder aus Ablehnung.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

JunkerPhil hat geschrieben:(03 Dec 2018, 16:15)

Der Begriff Lehre ist im Kontext der Verbrechen des Nationalsozialismus bei genauer Betrachtung auch fragwürdig. Er deutet an, dass ohne diesen Denkzettel nicht zu jenen Erkentnissen vorgedrungen werden könnte , was natürlich Unsinn ist. Wenn ein Kind mit geschlossenen Augen läuft und fällt pflegt man zu sagen " Das war dir nun eine Lehre". Der Mensch als vernunftbegabtes Individuum benötig aber nicht eine Bücher oder sonst ein Verfolgung um einzusehen, dass Verfolgungen falsch sind. An den Juden ist wohl der größte Völkermord der Geschichte geschehen und trotzdem haben die Juden nach wie vor einen schlechten Ruf. Im Grunde ist es gar nicht möglich Lehren aus etwas zu ziehen, wenn man seine Augen und Ohren verschließt.

Nicht jeder der Hitlers Mein Kampf liest wird deshalb zum Gegner des NS. Deshalb kann man nicht jedem jedes Buch zu lesen geben und es gibt durchaus Bücher die verdient haben auf einem Müllberg zu landen. Selina, würdest du Leuten die " Mein Kampf " vor deinen Augen in den Müll werfen ermahnen sie täten Unrecht und einen Kuss aufs Büchlein geben ? Ich vermute Nein ! Du würdest vielleicht solche Werke konstruktiv lesen und interpretieren, aber viele Menschen geraten beim Lesen von Hetz Literatur erst recht auf eine schiefe Bahn.
Vor einiger Zeit gab es genau dazu, also zur erneuten Veröffentlichung von Hitlers "Mein Kampf" eine große öffentliche Diskussion in den Medien. Ich gehöre da eher zu denjenigen, die dieses Machwerk mit Anmerkungen von Historikern versehen durchaus wieder veröffentlichen würden. So soll es ja schließlich auch gekommen sein, falls ich mich nicht täusche. Ich glaube, es ist ziemlich wichtig, diesen Menschenhass und diesen deutschen Größenwahn im Original - selbstverständlich mit erklärenden Anmerkungen aus heutiger Sicht - zu lesen.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von BlueMonday »

schokoschendrezki hat geschrieben:(03 Dec 2018, 14:16)

Nun ist der Begriff "Nationalsozialismus" aber eben immer noch das selbstgewählte Attribut der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei". Also Vorsicht. Man lässt sich bei einem unkritischen Beharren auf dieser Begrifflichkeit noch immer, auch zig Dekaden nach der programmatischen Selbstverortung der NSDAP auf deren politisches Programm ein.

Ich wollte für mich das Thema eigentlich abschließen. Zufällig las ich heute früh in der S-Bahn in der Printausgabe des Tagesspiegel einen ganzseitigen Artikel über den politischen Neustart von Erika Steinbach als Präsidentin der "Desiderius-Erasmus-Stiftung". Die das für die AfD werden soll, was die KAS, die Böll-Stiftung usw. für die etablierten Parteien sind. In dem Artikel wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die totale Nach-Rechts-Absetzung Steinbachs u.a. mit folgender Twitter-Meldung 2012 begann: "Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI." Der Artikel ist mit "Die Wutmacherin" überschrieben. Was fasziniert rechte Wutmacherinnen und Hassvergifter wie Steinbach so daran, dass sich die NSDAP in ihrer Gründungsphase entschlossen hatte, mit Atttributen wie "nationalsozialistisch" oder "Arbeiter-"irgendwas bei den DUmmen anzubiedern. Den Dummen von vor etwa hundert jahren stehen die Dummen von heute gegenüber, die die Eigen-Propaganda einer Nazipartei an die Stelle einer objektiven und distanzierten politischen ANalyse von heute setzen.
Der Bezeichner ist und war mir so was von egal. Wenn die "Nasos" sich Hullawullisten genannt hätten, dann kraucht da trotzdem nationaler Sozialismus aus der rotbraunen Kiste. Es geht darum, was drin ist in der Begriffstüte. Dir scheint etwa die damalige weitreichende inhaltliche Auseinandersetzung Mises' mit Sozialismus und Nationalsozialismus gar nicht bekannt, bzw aus welcher Positionierung man zu so einem Schlusse kommt. Da geht es um einen viel größeren ideengeschichtlichen Bogen, unter dem sich so etwas einordnet. Dazu müsste man auch - wie gesagt - den Wesenkern des Sozialismus herausarbeiten. Von dir kam da ja nur: geht nich. Was bleibt dann übrig? Was war der Nationalsozialismus? Doch wohl mehr als eine völlig beliebige Bezeichnung.
Andernfalls hätte sich der Thread hier ja nun erübrigt. Aus völliger Beliebigkeit und Begriff- und Sprachlosigkeit kann man keine Schlüsse oder Lehren ziehen.

Jedenfalls: Ein Nationalsozialismus, der nichts weiter als eine propagandistische Fassade gewesen wäre, die inhaltlich nichts geliefert bzw. nur Gegensätzliches enthalten hätte, wäre nicht möglich gewesen. So wie auch eine DDR nicht 40 Jahre lang möglich gewesen wäre ohne näherungsweise Lieferung des Versprochenen. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass die Fassade des Nationalsozialismus vergleichsweise dünn war, dass man im Wesentlichen also tatsächlich das tat, wovon man zuvor sprach, dass auch viel echte Überzeugung im Spiel war.

Und lechts rinks ist heutzutage als Begriffspaar hoffungslos verwässert, jedenfall wenn man irgendwelche Skinheads als "rechtsradikal" einordnet.
Nach meiner Definition ist der Nationalsozialismus als linke Bewegung gestartet und ist dann mit Oberrealo Hitler "middle of the road" mit linker Schlagseite angekommen. Wirtschaftspolitisch war das so eine Art Keynesianismus, easy money, Verschuldung über beide Ohren, viel zentrale Lenkung, Wohlfahrtprogramme, drastischer Interventionismus, Preislenkung, "Primat der Politik", "die Wirtschaft muss den Menschen dienen" usw. usf. Vieles, was ja heute auch gern gefordert wird ... von linker bzw. lechtsrinker Seite.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(03 Dec 2018, 16:15)

Naja, meine Bücher-Bemerkungen bezogen sich eher auf die Sodann-Sammel-Aktion und darauf, dass das nix mit propagandistischer DDR-Literatur zu tun hat, was er da sammelt, sondern der Literatur-Begriff auch in der hier so einstimmig und heiß gehassten DDR etwas weiter gefasst war, als nur propagandistischen Zwecken zu dienen. Aber das habe ich weiter oben ausführlich erläutert und da gehe ich auch nicht ab davon. Das wird hier sowieso immer alles sehr verknappt ausfallen. Es geht - zusammengefasst - in die Richtung, nicht immer alles über Bausch und Bogen zu verachten und einseitig schlechtzureden, was aus der DDR stammt. Da lohnt es sich durchaus, mal etwas genauer und sehr viel differenzierender hinzuschauen.

Ganz allgemein ist Geschichte zunächst einmal Ereignisgeschichte. Geschichte ereignet sich, indem reale Ereignisse sich ereignen. Eigentlich eine völlig triviale Aussage. Ich habe aber gerade in letzter Zeit so meine Zweifel, ob das tatsächlich allgemeiner Konsens ist. Oder ob "Geschichte" nicht von vielen Menschen eher als Abfolge von Ideologien gesehen wird. Ideengeschichte vs. Ereignisgeschichte.

Natürlich fängt das Problem damit an, dass sich reale Ereginisse eher selten nachträglich genau rekonstruieren lassen. Aber deswegen fanden sie ja dennoch nicht nicht statt. Sowohl die Epoche der NSDAP- wie auch der SED-Herrschaft fand statt. Man kann versuchen, das Wesen einer solchen Epoche, auf einen Begriff zu bringen. Der nach heutigen Maßstäben und aus kritischer Sicht von heutigen Zeitgenossen die politischen, sozialen, wirtschaftlichen Gegebenheiten auf den Punkt bringt. Einfach so eine Selbstzuschreibung wie "nationalsozialistisch" oder "deutsche demokratische Republik" aus der Eigenbezeichnung, aus der Selbstzuschreibung zu übernehmen und dann in den entsprechenden Begriffs-Kategorien weiterzudenken, ist jedenfalls eine ziemlich schlechte Idee. Naturwissenschaftler gehen umgekehrt vor. Am Anfang steht die Beobachtung. Und am Ende die begriffliche Einordnung.

Es kann dabei durchaus sein, dass mit dem Attribut "nationalsozialistisch" einige wichtige Punkte der Epoche der NSDAP-Herrschaft charakterisiert werden. Und auch, dass die DDR in einigen Punkten tatsächlich (wenn auch entfernt) Elemente von "Demokratie" aufwies. Wenn man zum Beispiel die Geschlechteremanzipation als Teil einer demokratisch gesinnten Gesellschaft auffasst.


Und heute ist es doch auch nicht anders. "CDU". Chrstlich-Demokratische-Union. WIrklich? Christlich? Wollen wir die EIgenbezeichnung als "christliche" Partei wirklich so nehmen, wie sie uns vorgesetzt wird? Leben wir tatsächlich in einer Gesellschaft mit einer Regierungspartei, die sich selbst als zuallererst und noch vor demokratisch und unionistisch als religiös verortet sieht? Muss man das Ernst nehmen oder ist das nicht vielleicht einfach Teil einer politischen Strategie?
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Quatschki »

Selina hat geschrieben:(03 Dec 2018, 16:15)

Interessant war für mich lediglich die Motivation sehr vieler Leute, die halt nach der Wende alles, aber auch alles an Literatur weggeschmissen haben, was jemals in DDR-Verlagen erschienen ist, darunter halt auch richtig viel gute Weltliteratur. Siehe die von mir genannten Autoren Baldwin, Vonnegut, Heller etcpp. Naja, weites Feld halt und mir für hier irgendwie zu schade.
So etwas hat ja kein Privatmann gemacht.
Aber es gab im Leseland DDR eben unzähige öffentliche oder halböffentliche Bibliotheken, Betriebsbibliotheken, Kulturhaus-Bibliotheken, Ferienheim-Bibliotheken, Kasernen-Standort-Bibliotheken und ähnliches, die nach der Wende aufgelöst, abgewickelt und entsorgt wurden.
Die kommunalen und staatlichen Bibliotheken konnten und wollten diese Bücher nicht übernehmen, weil sie sie bereits hatten. Und E-Bay gab es noch nicht, bzw. dort sind das auch nur Ladenhüter, wo die Handlungskosten höher als der Erlös sind.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(03 Dec 2018, 17:08)

Ganz allgemein ist Geschichte zunächst einmal Ereignisgeschichte. Geschichte ereignet sich, indem reale Ereignisse sich ereignen. Eigentlich eine völlig triviale Aussage. Ich habe aber gerade in letzter Zeit so meine Zweifel, ob das tatsächlich allgemeiner Konsens ist. Oder ob "Geschichte" nicht von vielen Menschen eher als Abfolge von Ideologien gesehen wird. Ideengeschichte vs. Ereignisgeschichte.

Natürlich fängt das Problem damit an, dass sich reale Ereginisse eher selten nachträglich genau rekonstruieren lassen. Aber deswegen fanden sie ja dennoch nicht nicht statt. Sowohl die Epoche der NSDAP- wie auch der SED-Herrschaft fand statt. Man kann versuchen, das Wesen einer solchen Epoche, auf einen Begriff zu bringen. Der nach heutigen Maßstäben und aus kritischer Sicht von heutigen Zeitgenossen die politischen, sozialen, wirtschaftlichen Gegebenheiten auf den Punkt bringt. Einfach so eine Selbstzuschreibung wie "nationalsozialistisch" oder "deutsche demokratische Republik" aus der Eigenbezeichnung, aus der Selbstzuschreibung zu übernehmen und dann in den entsprechenden Begriffs-Kategorien weiterzudenken, ist jedenfalls eine ziemlich schlechte Idee. Naturwissenschaftler gehen umgekehrt vor. Am Anfang steht die Beobachtung. Und am Ende die begriffliche Einordnung.
Das habe ich längst verstanden und sehe es ähnlich. Den Begriff "Nationalsozialismus" heute immer noch einfach unkommentiert nachzuplappern, ist schon irgendwie naiv. Gerade, weil sich etliche Nazis anfangs ja wahrhaftig als "Sozialisten" sahen und man ja weiß, was zum Schluss das grauenvolle Ergebnis war. Und ja, auch "Deutsche Demokratische Republik" mag für viele ein Lacher sein. Dennoch liegen zwischen diesem "real existierenden Sozialismus", dem Sozialismus als Theorie und dem Faschismus/"Nationalsozialismus" Welten. Das lässt sich nicht so lapidar in einem Atemzug nennen. Wie gesagt, ich hab lange mit Zeitzeugen zusammengelebt und bin ja selbst ein solcher. Ja, Fackelumzüge und dergleichen mehr haben sich geähnelt, anderes war grundverschieden. Man braucht sich nur Ziele und Motivationen der jeweiligen Vordenker und handelnden Personen etwas genauer anzuschauen.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(03 Dec 2018, 17:08)

Und heute ist es doch auch nicht anders. "CDU". Chrstlich-Demokratische-Union. WIrklich? Christlich? Wollen wir die EIgenbezeichnung als "christliche" Partei wirklich so nehmen, wie sie uns vorgesetzt wird? Leben wir tatsächlich in einer Gesellschaft mit einer Regierungspartei, die sich selbst als zuallererst und noch vor demokratisch und unionistisch als religiös verortet sieht? Muss man das Ernst nehmen oder ist das nicht vielleicht einfach Teil einer politischen Strategie?
Spannende Frage. Wäre fast einen eigenen Thread wert. So sehe ich bei Merkel zum Beispiel wirklich so etwas wie "wahres" Christentum in einigen ihrer Äußerungen. Bei solchen Leuten wie der Ex-CDU-Frau Steinbach dagegen ist davon weit und breit nix zu sehen und zu hören. Auch der sozial und gesundheitspolitisch eiskalte Spahn hat nichts von einem Christen, wie man ihn sich klassisch vorstellt. Polit-Stratege durch und durch.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Selina »

Quatschki hat geschrieben:(03 Dec 2018, 17:27)

So etwas hat ja kein Privatmann gemacht.
Aber es gab im Leseland DDR eben unzähige öffentliche oder halböffentliche Bibliotheken, Betriebsbibliotheken, Kulturhaus-Bibliotheken, Ferienheim-Bibliotheken, Kasernen-Standort-Bibliotheken und ähnliches, die nach der Wende aufgelöst, abgewickelt und entsorgt wurden.
Die kommunalen und staatlichen Bibliotheken konnten und wollten diese Bücher nicht übernehmen, weil sie sie bereits hatten. Und E-Bay gab es noch nicht, bzw. dort sind das auch nur Ladenhüter, wo die Handlungskosten höher als der Erlös sind.
Mir ging es eher um eine Art hasserfüllte "Maschinenstürmerei" damals, die sich unter anderem auch in Wut auf Bücher Bahn brach. Und in Straßenumbenennungen. Die Wut ging so weit, dass man hier sogar eine "Geschwister-Scholl-Straße" nach der Wende umbenennen wollte. Was zum Glück verhindert werden konnte. Nur dümmlicher Hass.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von schokoschendrezki »

BlueMonday hat geschrieben:(03 Dec 2018, 16:58)

Der Bezeichner ist und war mir so was von egal. Wenn die "Nasos" sich Hullawullisten genannt hätten, dann kraucht da trotzdem nationaler Sozialismus aus der rotbraunen Kiste. Es geht darum, was drin ist in der Begriffstüte. Dir scheint etwa die damalige weitreichende inhaltliche Auseinandersetzung Mises' mit Sozialismus und Nationalsozialismus gar nicht bekannt, bzw aus welcher Positionierung man zu so einem Schlusse kommt. Da geht es um einen viel größeren ideengeschichtlichen Bogen, unter dem sich so etwas einordnet.
An Ideengeschichte gibts so einiges. Und die Verlockung und vor allem auch die Bequemlichkeit besteht darin, dass man dazu nur in den entsprechenden Büchern, Manifesten, Essays usw. nachlesen muss und daraus Zitate entnehmen kann, die man sich gegenseitig an den Kopf wirft. Was sich tatsächlich ereignete ... steht nochmal auf einem anderen Blatt.

Ich greife einfach nur mal ein einzelnes Ereignisfragment heraus. Magda Goebbels galt bekanntersmaßen als die First Lady und die Mustermutter des deutschen NSDAP-Staats. Und den Mord an ihren Kindern sieht man im allgemeinen als Indiz für den Psychopathismus der Nazi-Größen der ersten Reihe an. Aber man muss einfach mal darüber nachdenken! Magda Goebbels hat sich erstmal einen ziemlichen Scheiß für ihre kleinen Kinder interessiert. Sowohl sie als auch Josef Goebbels waren ziemlich ununterbrochen in irgendwelche Affären verwickelt und haben die Betreuung ihrer kleinen Kinder natürlich Kindermädchen überlassen. Magda Goebbels hatte einen jüdischen Stief- und "Nenn"-Vater. Man muss nur mal anfangen, darüber nachzudenken. Aus Sicht von kleinen hilflosen Kindern ist ein Kindermord ein schreckliches Verbrechen. Klar. Aus Sicht von Magda Goebbels ... Ihr jüdischer Stiefvater hatte sie wirklich geliebt. Und der ist nicht einfach durch SS-Leute hingerichtet worden. SOndern zunächst verarmt und dann an Erkrankungen in einem KZ gestorben. Es wäre für Magda Goebbels, die Witwe von Quandt, einem der reichsten Männer Deutschlands, ein Leichtes gewesen, diesem Stiefvater völlig anonym eine SUmme Geld zukommen zu lassen, mit der er nicht nur überlebt hätte sondern auch aus Deutschland hätte fliehen können. Hinter dem plakativen Schild "Nationalsozialismus" spielten sich Dinge ab, die vielleicht und eventuell ganz anderer Art waren. Man muss diesen allgemein eingebürgerten Sichtweisen doch nicht einfach kritiklos folgen.

Hitler, die NSDAP ... Arbeiter-Partei? Wirklich? Die Beziehungen Magda Goebbels in die Hochfinanz und die Wirtschaftselite waren für Hitler entscheidende Gründe dafür, sich für diese (scheinbare) Musterfamilie Goebbels einzusetzen. Sozialismus? Arbeiter? Bitte?
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Quatschki »

Selina hat geschrieben:(03 Dec 2018, 17:41)

Mir ging es eher um eine Art hasserfüllte "Maschinenstürmerei" damals, die sich unter anderem auch in Wut auf Bücher Bahn brach. Und in Straßenumbenennungen. Die Wut ging so weit, dass man hier sogar eine "Geschwister-Scholl-Straße" nach der Wende umbenennen wollte. Was zum Glück verhindert werden konnte. Nur dümmlicher Hass.
Das war aber nach 1945 viel schlimmer, als die Antifa-Eiferer zum Teil von sowjetischen Kulturoffizieren ausgebremst werden mußten, damit sie nicht alles auf den Müll werfen, sprengen oder anderweitig plattmachen.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von schokoschendrezki »

Quatschki hat geschrieben:(03 Dec 2018, 17:56)

Das war aber nach 1945 viel schlimmer, als die Antifa-Eiferer zum Teil von sowjetischen Kulturoffizieren ausgebremst werden mußten, damit sie nicht alles auf den Müll werfen, sprengen oder anderweitig plattmachen.
Ganz unmittelbar nach 45 und kurzzeitivg vielleicht ... die viel viel längere Nachkriegszeit war in der westlichen Welt von einem hysterischen Antikommunismus geprägt. Nicht vergessen und nur als eines unter sehr vielen Beispielen: Ein Jahrhundertgenie wie CHarlie Chaplin wurde als angeblicher Kommunist wie ein Verbrecher aus den USA vertrieben. In der SU und in Osteuropa grassierte dagegen eine spezifisch antiintellektuelle Welle von Antisemitismus, den man eigentlich noch mehr als Projektion antisemitischer Erzählungen von Antisemiten sehen müsste als den Antisemitismus der Nazis.

Dass es dann tatsächlich und tätlich und real reale Menschen mit jüdischen Wurzeln traf und nicht nur Projektionen antisemitischer Stereotype ... das darf man natürlich nicht vergessen. Das hat aber nix damit zu tun, dass selbst der Vernichtungsantisemitismus der Nazis auf Projektionen und nicht auf Tatsächlichkeiten beruht. Sonst kommen wir in die paradoxe Situation, dass sich Juden für den Antisemitismus von Antisemiten verantworten sollen.

Was sagt einem alll das heute? Was ist die Lehre aus der Zeit der NSDAP_Herrschaft und dem von ihnen maßgeblich zu verantwortenden Weltkrieg? Lasst euch nicht von Wutbürgern, Wutmachern, Hassvergiftern aufstacheln. Deutschland befindet sich nicht "am Ende" sondern den Menschen in Deutschland geht es so gut wie nie niemals zuvor. Deutschland zählt zu den wenigen exklusiven Regionen der Welt, in denen es keinerlei wirklich existenzielle Probleme gibt. Lasst euch nix einreden. Was wir als Menschen in Deutschland verlieren können ist ein bissel überflüssigen Bauchspreck und reichlich lästige überflüssige Großlimousinen.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Stoner »

Selina hat geschrieben:(03 Dec 2018, 16:49)

Vor einiger Zeit gab es genau dazu, also zur erneuten Veröffentlichung von Hitlers "Mein Kampf" eine große öffentliche Diskussion in den Medien. Ich gehöre da eher zu denjenigen, die dieses Machwerk mit Anmerkungen von Historikern versehen durchaus wieder veröffentlichen würden. So soll es ja schließlich auch gekommen sein, falls ich mich nicht täusche. Ich glaube, es ist ziemlich wichtig, diesen Menschenhass und diesen deutschen Größenwahn im Original - selbstverständlich mit erklärenden Anmerkungen aus heutiger Sicht - zu lesen.
Was sollte daran wichtig sein? Wer so viel Zeit hat, liest vielleicht mal etwas, was einen Bezug zum Hier und Jetzt hat oder mal Keyserling (Eduard von) oder Günter Kunert oder Ludwig Marcuse oder den Zauberberg.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Skeptiker »

Selina hat geschrieben:(03 Dec 2018, 16:49)
Vor einiger Zeit gab es genau dazu, also zur erneuten Veröffentlichung von Hitlers "Mein Kampf" eine große öffentliche Diskussion in den Medien. Ich gehöre da eher zu denjenigen, die dieses Machwerk mit Anmerkungen von Historikern versehen durchaus wieder veröffentlichen würden. So soll es ja schließlich auch gekommen sein, falls ich mich nicht täusche. Ich glaube, es ist ziemlich wichtig, diesen Menschenhass und diesen deutschen Größenwahn im Original - selbstverständlich mit erklärenden Anmerkungen aus heutiger Sicht - zu lesen.
Schön, dass ich da mal einer Meinung mit dir sein kann. Ich halte es für Zeitgeschichte und muss der Öffentlichkeit zugänglich sein. Mein Eindruck ist nicht, dass es eine konkrete Gefahr darstellt. Im Gegenteil, man muss offen damit umgehen, damit es nicht mystifiziert und für labile Leute zur alternativen Ersatzbibel wird.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Quatschki »

schokoschendrezki hat geschrieben:(03 Dec 2018, 21:11)

Ganz unmittelbar nach 45 und kurzzeitivg vielleicht ... die viel viel längere Nachkriegszeit war in der westlichen Welt von einem hysterischen Antikommunismus geprägt.
Aber nicht im Osten.
Wenn Du in meiner Schulzeit, sagen wir mal, ein Bravo-Poster von Udo Lindenberg mit in die Schule gebracht hättest, hätte es die Lehrerin dir hasserfüllt entrissen und dich samt Poster zur Direktorin geschliffen und die hätte noch die Pionierleiterin hinzugerufen und die hätten dich dann runter gemacht, dass dir hören und sehen vergeht und den guten Udo als Corpus Delicti hättest du nie wieder gesehen!
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

Quatschki hat geschrieben:(04 Dec 2018, 08:30)

Aber nicht im Osten.
Wenn Du in meiner Schulzeit, sagen wir mal, ein Bravo-Poster von Udo Lindenberg mit in die Schule gebracht hättest, hätte es die Lehrerin dir hasserfüllt entrissen und dich samt Poster zur Direktorin geschliffen und die hätte noch die Pionierleiterin hinzugerufen und die hätten dich dann runter gemacht, dass dir hören und sehen vergeht und den guten Udo als Corpus Delicti hättest du nie wieder gesehen!
Klar, der hätte dann bei ihrer Tochter gehangen. Die ganzen SED-Mitglieder haben auch Westradio gehört.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von schokoschendrezki »

schokoschendrezki hat geschrieben: ... die viel viel längere Nachkriegszeit war in der westlichen Welt von einem hysterischen Antikommunismus geprägt.
Quatschki hat geschrieben:(04 Dec 2018, 08:30)
Aber nicht im Osten.
Wenn Du in meiner Schulzeit, sagen wir mal, ein Bravo-Poster von Udo Lindenberg mit in die Schule gebracht hättest, hätte es die Lehrerin dir hasserfüllt entrissen und dich samt Poster zur Direktorin geschliffen und die hätte noch die Pionierleiterin hinzugerufen und die hätten dich dann runter gemacht, dass dir hören und sehen vergeht und den guten Udo als Corpus Delicti hättest du nie wieder gesehen!
Ja, na logisch. Wenn ich schreibe, dass der hysterische Nachrkriegsantikommunismus prägend für die westliche Welt war, dann meine ich selbstverständlich nicht, dass er das für die östliche war.


Ich glaub', ich weiß relativ gut, was die wirklichen Roten Tücher für die sich als die "Roten" gebenden SED-Genossen waren. Udo Lindenberg gehört wohl eher nicht dazu. Den totalen Bruch gabs 1988 mit dem Verbot des "Sputnik", einer sowjetischen Digest-artigen AUslandszeitung, die u.a. auch in deutsch erschien. Und in der 1988 ein Artikel über Stalin erschien. Und im gleichen Jahr wurde zumindest ebenso über ein Verbot der akademischen Literaturzeitung "Sinn und Form" nachgedacht. Ebenfalls wegen eines Stalin-Aufarbeitungs-Artikels. Das ganze gehört direkt zum Thread-Thema. Was war eigentlich wirklich so dermaßen brennend an dem Thema Stalin, Hitler-Stalin-Pakt oder offiziell "deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt", dass die SED-Genossen selbst das Verhältnis zum großen Bruder damit in FRage stellten. An sich war in der DDR die (sogenannte) Entstalinisierung abgeschlossen und offiziell aufgearbeitet. Im Sinne von Chruchtschows berühmter Geheimrede und seiner Formulierung "Personenkult". Unter "Personenkult" lief selbst bereits Anfang der 70er ganz offiziell ein Kapitel Geschichtsunterricht in den DDR-Schulen zum Thema Stalinismus. Die Stalin-Allee war umbenannt. Die Stalin-Denkmäler allesamt geschleift. Und nun, 1988, das Sputnik-Verbot wegen eines Artikels zum Hitler-Stalin-Pakt ... Nicht die "Kirche von Unten", nicht die sonstigen Oppositionsbewegungen waren plötzlich Feind Nummer Eins. Was war daran so besorgniserregend für die Genossen? Ich sags dir: Dass man einen Blick hinter die Fassaden wagt. Ideologiekritik ist Fassadenkritik. Darauf ließ man sich noch ein. Aber bitte nicht hinter die Fassaden schauen. Das geht gar nicht. Immer gibt es Fassaden und Tatsächlichkeiten. Und wer die wirklichen Zusammenhänge verstehen will, muss hinter die Fassaden und auf die Tatsächlichkeiten blicken wollen. "Nationalsozialismus" ist eine ideologische Fassade.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Quatschki »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 08:33)

Klar, der hätte dann bei ihrer Tochter gehangen. Die ganzen SED-Mitglieder haben auch Westradio gehört.
Glaub ich kaum.
Ab dem Moment, wo die Lehrerin daraus eine Szene gemacht hat, war es ein offizielles Vorkommnis an einer sozialistischen Schule.
Und da niemand wußte, auf wem Saurons Auge ruht und wer alles dem Ministerium für politische Schönheit Bericht erstattet, waren alle Beteiligten bemüht, sich keine Blöße zu geben und dem sozialistischen Klassenstandpunkt Geltung zu verschaffen.
Natürlich wäre dem Delinquenten nicht der Kopf abgerissen worden, aber man hätte doch erwartet, dass er seine Verfehlung einsieht und die Scharte mit doppeltem Eifer auswetzt!
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

Quatschki hat geschrieben:(04 Dec 2018, 13:37)

Glaub ich kaum.
Kann man nachlesen in zahlreichen Artikeln und Biographien. Im Gegensatz zum Nationalsozialismus haben die Ostsozialdemokraten eher selten wen umgebracht für unerwünschte Oppositionssprüche, das falsche Buch im Schrank oder ähnliches.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Quatschki »

schokoschendrezki hat geschrieben:(04 Dec 2018, 09:17)
... Und nun, 1988, das Sputnik-Verbot wegen eines Artikels zum Hitler-Stalin-Pakt ... Nicht die "Kirche von Unten", nicht die sonstigen Oppositionsbewegungen waren plötzlich Feind Nummer Eins. Was war daran so besorgniserregend für die Genossen? Ich sags dir: Dass man einen Blick hinter die Fassaden wagt. Ideologiekritik ist Fassadenkritik. Darauf ließ man sich noch ein. Aber bitte nicht hinter die Fassaden schauen. Das geht gar nicht. Immer gibt es Fassaden und Tatsächlichkeiten. Und wer die wirklichen Zusammenhänge verstehen will, muss hinter die Fassaden und auf die Tatsächlichkeiten blicken wollen. "Nationalsozialismus" ist eine ideologische Fassade.
Das "Sputnikverbot" hat eher innerhalb der SED, also innerhalb jener Kreise, die sich für "gute Sozialisten" hielten, für Unruhe und Debatten gesorgt.
Außerhalb gab es eher Spott, weil die Genossen ihrer eigenen Parole "Von der Sowjetunion lernen heißt Siegen lernen!" nicht mehr über den Weg trauten.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von schokoschendrezki »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 08:33)
Die ganzen SED-Mitglieder haben auch Westradio gehört.
Unterschiedlich. Ich selbst habe mir einen sehr ernst gemeinten Direktoren-Elternbesuch wegen eines vergleichsweise harmlosen politischen Gedichts eingehandelt. Und nur ganz kurze Zeit später als pubertierender kleiner Junge quer durchs Schulhaus gerufen, die DDR-Staatsführung würde ja doch nur "nach Moskaus Pfeife" tanzen. Da war auch zufällig der Direktor grad auf dem Flur. Der mir mit wohlwollenden Geste andeutete: He, Junge, nicht hier im Haus und nicht so laut. (Dieser Direktor selbst wurde allerdings zusammen mit FDJ-Leiter und Stellvertreter anlässlich der Biermann-Ausweisung gefeuert). Ich nenne es mal das Autokratie-Paradoxon. Autokratische Systeme haben die Eigenschaft, dass an den meisten Stellen Personen darüber entscheiden, wies lang geht. Im positiven wie im negativen Sinn. Ich kenne eine Lyrikerin, die für ihre Gedichte einen von der FDJ gestifteteten Preis gewann. Und für dieselben Texte igrendwo in Anhalt von der Schule geworfen werden sollte. In ganz diktatorischen Systemen hat nur der Diktatoren-Clan etwas zu sagen. In autokratischen Systemen gehts oft nach der Regel "RUssland ist groß und der Zar ist weit". Sprich: Es können vernünftige Leute vor Ort das sagen haben, es kann aber auch sein, dass lokale rote Barone ein weit schlimmeres Regime führen, als es die zentrale Staatsgewalt vorgibt.

Die NS-Zeit in Deutschland war aber nochmal ein ganz anderer Fall. Ein diktatorisches System auf der einen mit als "völkisch" ausgegebenen Merkmalen auf der anderen Seite. Der sprichwörtliche Blockwart. Das gab es in der DDR allerdings auch. Die geistige Enge durch den bestimmenden Einfluss von Hausmeistern und Zeltplatzwarten bzw. Leuten, die man für solche halten konnte. Die Lehre daraus besteht darin, Sprüche wie "Wir sind das Volk" kritisch zu hinterfragen. Wenn sie auf ein "Wir hier in Heidenau begrüßen uns mit einem Guten Tag und unsere Frauen tragen keine Kopftücher" hinauslaufen, befinden wir uns in einer analogen SItuation wie 1933 oder auch in einigen besonders geistig verengten Regionen der Ex-DDR. Außenseiter, überhaupt irgendwie "andere" werden nicht geduldet.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Quatschki »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 13:39)

Kann man nachlesen in zahlreichen Artikeln und Biographien. Im Gegensatz zum Nationalsozialismus haben die Ostsozialdemokraten eher selten wen umgebracht für unerwünschte Oppositionssprüche, das falsche Buch im Schrank oder ähnliches.
Meine Großeltern hatten seit den 20er Jahren haufenweise Literatur linker und jüdischer Schriftsteller im Schrank und wurden nicht umgebracht.
Wie die von dir als "Ostsozialdemokraten" bezeichneten Machthaber im Kriegsfall, wo sowieso Millionen sterben würden, mit "unzuverlässigen oder feindlich-negativen Elementen" verfahren wären, kann man nur erahnen. Die Nationalsozialisten haben in der Friedensphase bis 1939 auch nur wenige Leute umgebracht. Anders als die sowjetischen Freunde.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von schokoschendrezki »

Quatschki hat geschrieben:(04 Dec 2018, 13:43)

Das "Sputnikverbot" hat eher innerhalb der SED, also innerhalb jener Kreise, die sich für "gute Sozialisten" hielten, für Unruhe und Debatten gesorgt.
Außerhalb gab es eher Spott, weil die Genossen ihrer eigenen Parole "Von der Sowjetunion lernen heißt Siegen lernen!" nicht mehr über den Weg trauten.
Das hat es. Weil weder die Auflagen noch das Kaufinteresse für "Sputnik" oder "Sinn und Form" besonders groß war. Aber die Frage stellt sich dennoch, warum ausgerechnet ein Artikel zum Hitler-Stalin-Pakt die Genossen so in Aufregung versetzte. Kurz vorher erst waren einige sowjetische Filme herausgekommen wie etwa "Abschied von Matjora", in denen es um aktuell viel brisantere Themen ging. Umweltprobleme, Tschernobyl, Afghanistan-Einmarsch. Die Artikel zum Hitler-Stalin-Pakt und seinen geheimen Zusatzprotokollen jedoch brechen ein bestimmtes Tabu: Indem sie nämlich nicht nur Kritik an einer Ideologie und an bestehenden Fassaden üben sondern die Frage stellen, was sich eigentlich tatsächlich hinter den Fassaden verbirgt. Den Umgang mit der "freien Stimme der freien Welt", mit Plädoyer für Marktwirtschaft statt Sozialismus und Planwirtschaft usw. ... damit wusste man umzugehen. Aber zu hinterfragen, was es denn und ob es denn überhaupt etwas mit "Antifaschismus" auf sich hat .... das bricht die Tabus. Dass man dahinter kommen könnte, dass "Ideologien" eigentlich nur für die Dummen gemacht sind. Und es tatsächlich den Mächtigen um ihre Macht geht. Dass ein Stalin um seiner Macht willen nicht nur mit Hitler sondern gern auch mit dem Teufel einen Pakt schließt. Dass ein Orbán sich eigentlich einen Scheiß um Nation, christliches ABendland und Ungarntum schert sondern mit diesen Begriffen und dieser Rhetorik erfolgreich seine Macht befestigt.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Di 4. Dez 2018, 14:11, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

Quatschki hat geschrieben:(04 Dec 2018, 13:55)

Meine Großeltern hatten seit den 20er Jahren haufenweise Literatur linker und jüdischer Schriftsteller im Schrank und wurden nicht umgebracht.
Das ist gut für deine Großeltern und niemand wird etwas dagegen sagen. Die Ehrenrettung des NS ist es nicht.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Stoner »

Hat denn eigentlich wirklich jemand Mein Kampf im Schrank und das auch tatsächlich gelesen? Mit welchem Mehrwert wofür? Welchen Wert soll das für Nicht-Historiker haben? Irgendwie ist mir dieser Hitlerhype suspekt. Unzählige Biografen mit tausenden von Seiten, irgendwann scheint jeder Tag des Mannes ausgeleuchtet. Im Fall der Zeitfälle wäre es sinnvoller, seine Zeit dafür zu verwenden, um die Bücher der verbrannten Dichter zu lesen und den Mann mit seinem unsäglichen Konvolut voller Ressentiments und abstruser Metaphern nun endlich auf dem Müllberg der Geschichte verrotten zu lassen.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von imp »

Es ist nie verkehrt, ein Buch wirklich gelesen zu haben.
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Re: Lehren aus dem Nationalsozialismus - Wie aktuell sind sie heute?

Beitrag von Stoner »

imp hat geschrieben:(04 Dec 2018, 14:34)

Es ist nie verkehrt, ein Buch wirklich gelesen zu haben.
Das ist zu wenig. Wer 20 oder 30 ist, mag seine Lebenszeit noch unter ein solches Motto stellen, wer nicht mehr so viel Zeit hat, dem müsste von einem Leser eines solchen Buches der konkrete anstelle des abstrakten Wertes erklärt werden. Und wäre ich 20 oder 30 und politisch interessiert, dann würde ich mich um die Probleme der Gegenwart kümmern statt in diesem Sprach- und Gedankenmüll zu schmökern. Irgendwann muss doch die Faszination für diesen gescheiterten Kunstmaler und Massenmörder einmal enden, keiner seiner Ideenschnipsel ist doch nicht schon von Generationen von Historikern beleuchtet worden. Davon abgesehen: Hat dagegen mal wer Mein zwanzigstes Jahrhundert von Ludwig Marcuse gelesen oder Ernst Erich Noth? Jemand Wassermann oder Stefan und Arnold Zweig? Warum und zu welchem Nutzen ausgerechnet Mein Kampf? Vielleicht kann ja ein Leser mal erklären, wozu ein Junger oder ein Alter seine Zeit dafür verschwenden sollte. Was wäre noch daraus zu lernen, was nicht längst gelernt wurde oder was Junge unbedingt wissen müssten, was sie anders nicht erfahren? Man wünscht sich als Leser, es würden ein paar von den verbrannten Dichtern ähnliche Auflagen und Aufmerksamkeit außerhalb akademischer Zirkel erfahren. Aber es ist halt wie immer: Der Täter fasziniert mehr als das Opfer.
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