Ich gebe zu, das ist viel zu lesen. Aber die Kernpunkte sind klar:
Klar ist: Die Reaktion Deutschlands in der Flüchtlingskrise war nicht nur legal, sie war auch der einzig gangbare Weg. Ich denke, dass damit allen, die "Rechtsbruch! Illegal!" rufen, der Wind aus den Segeln genommen sein wird.Aus völkerrechtlichen Verträgen wurden EU-Verordnungen, konkret der mehrfach revidierte Schengener Grenzkodex und die Dublin III-Verordnung, die heute bekanntlich die innereuropäische Asylzuständigkeit regelt. Als EU-Sekundärrecht gelten diese Bestimmungen innerstaatlich mit Vorrang und verdrängen im Konfliktfall das entgegenstehende deutsche Recht unter Einschluss der Verfassung. Auch dies ist für Nichtjuristen (und manche Jurastudierende) nicht einfach zu verstehen. Daher auch hier ein BVerfG-Zitat: „Im Anwendungsbereich des Unionsrechts … ist entgegenstehendes mitgliedstaatliches Recht grundsätzlich unanwendbar. Der Anwendungsvorrang folgt aus dem Unionsrecht, weil die Union als Rechtsgemeinschaft nicht bestehen könnte, wenn die einheitliche Wirksamkeit des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten nicht gewährleistet wäre“ (Rn. 53).
Nun kennt der Vorrang des Unionsrechts zwar Grenzen, die Karlsruhe behauptet, ohne sie bislang aktiviert zu haben, doch diese greifen hier nicht. Speziell die Menschenwürde verlangt nicht etwa, dass Art. 16a GG sich gegenüber den Dublin-Regeln durchsetzt, denn das BVerfG entschied schon 1996, dass das Asylgrundrecht kein direkter Ausfluss der Menschenwürde sei und daher – anders als das Refoulementverbot – ganz abgeschafft werden könnte (Rn. 209-212). Demgemäß kann sich ein Asylbewerber, den Deutschland nach Kroatien zurückschicken will, weil er dort die EU-Außengrenze überschritt, nicht darauf berufen, dass er wegen Art. 16a Abs. 2 GG nach Österreich zurückgewiesen werden soll. Für den Asylbewerber gilt dasselbe wie für diejenigen, die einen fortwährenden Rechtsbruch behaupten: Maßgeblich sind die Dublin-Regeln, nicht ein isolierter Blick in das Grundgesetz.
[...]
Doch selbst wenn man damals hätte strenger sein können, folgt hieraus kein Rechtsbruch, denn es ist für sich genommen nicht rechtswidrig, bestehende Handlungsmöglichkeiten aus politischen Gründen nicht zu nutzen. Dies gilt umso mehr, als die Bundesregierung alles andere als untätig war, allein ihre Reaktion konzentrierte sich aus guten Gründen nicht auf die Staatsgrenze. Im Oktober 2015 legte Angela Merkel in Istanbul die Grundlage für die EU-Türkei-Erklärung als eine von vielen Stellschrauben, mit denen seither die Situation in halbwegs kontrollierte Bahnen gelenkt wurde. Damit folgt sie der Logik, die bereits dem Asylkompromiss der 1990er Jahre zugrunde lag, der nur funktionierte, weil er europäisch eingebettet war. Eine kluge Migrationspolitik wird nicht auf nationale Alleingänge setzen.