Provokateur hat geschrieben:(17 Apr 2018, 13:33)
Nein, bei den Leuten, die meine Freundin betreut, sind mehrheitlich Leute, die nicht zum Arzt gegangen sind - das machen Schizos selten, weil ihnen die Krankheitseinsicht häufig fehlt. Es wurde vielmehr eine Selbst- oder Fremdgefährdung festgestellt und diese Leute konnten dann dank PsychKG NRW zwangsbehandelt werden. Es befindet sich sogar ein ehemaliger Forensiker darunter, der im Wahn seine Mutter umgebracht hat.
Viele Obdachlose sind schizophren. Das wissen die wenigsten. Mit einem starken PsychKG kann man auch diesen Menschen helfen; man kann sie auch gegen ihren (anfänglichen) Willen dann so therapieren,d ass eine Krankheitseinsicht erst möglich wird.
Das stimmt einerseits schon. Ich möchte aber auch zu bedenken geben, dass es auch gegenteilige Geschichten gibt. Ich für meinen Teil bin seinerzeit schon zu Beginn meines damaligen Studiums freiwillig zur psychologischen Studienberatung der Uni Mannheim gegangen. Als diese mich zum Psychiater schickte, bin ich da auch hingegangen, da ich mir eine Besserung meiner psychischen Probleme erhoffte. Dieser knallte mir aber zunächst nur völlig unsensibel die Diagnose "Schizophrenie" an den Kopf, ohne mir das Ganze zu erklären. Stattdessen wollte er mir eine Beruhigungsspritze geben. Da ich dafür nicht empfänglich war, schickte er mich an die örtliche Klinik weiter. Dort fühlte ich mich allerdings wiederum behandelt, als ob ich meine damaligen psychischen Probleme nur simulieren würde, anstatt dass die Leute dort mich ernstgenommen hätten. Ich schwor mir also damals, meine psychischen Probleme fortan für mich zu behalten und künftig bis zum Umfallen zu kämpfen, damit das mit meinem Studienabschluss und dem Rest der Probleme irgendwann besser wird. Zum Glück besaß ich nach fünf Jahren Überlebenskampf gegen die Krankheit dann doch noch die Größe, die Reißleine zu ziehen, bevor ich mir selbst etwas antun konnte. Ich bekam aber einen Nervenzusammenbruch, landete in der Psychiatrie und erlebte dort das Gegenteil davon, was ich in Mannheim erfahren durfte. Wurde ich an der dortigen Uniklinik noch wie ein Simulant behandelt, so war ich fünf Jahre später dermaßen krank, dass die Ärzte weder ein noch aus wussten, weil ich damals eben extrem krank war. Da ich aber ein Kämpfer bin, konnte ich meine Lebensqualität nach der Psychiatrie immer weiter verbessern.
Was ich damit sagen will, ist: Es kommt nicht nur auf die eigene Krankheitseinsicht an. Noch viel wichtiger ist es auch, dass jemand möglichst früh Hilfe bekommt, wenn er psychische Probleme bekommt. Mit den Ärzten hatte ich lange Zeit Pech. Ansonsten schien das in einer relativ anonymen Großstadt und an der Uni auch niemanden zu interessieren, wie es mir ging. An meine Familie konnte ich mich aus verschiedenen Gründen lange Zeit nicht wenden. Wer hilft einem da aber? Viel zu viele wählen in solch einer Situation den Selbstmord. Manche werden auch irgendwann derart psychotisch, dass sie fremdgefährdendes Verhalten an den Tag legen. Aber wie kommt es dazu? Viel zu oft wird doch weggesehen, wenn jemand psychische Probleme äußert und der Kranke stigmatisiert, anstatt zu helfen. Dieses Wegsehen ist es dann auch, das angeprangert gehört. Wenn ein psychisch Kranker dann irgendwann durchdreht, kann man natürlich sagen, dass er einen an der Waffel hatte. Aber wo waren die Leute, die ihn von irgendwelchem selbst- oder fremdgefährdenden Verhalten abhalten hätten können?
Das, was die Rechtsknaller derzeit absondern, halte ich für blinden und plumpen Populismus ohne Substanz. Wenn die AfD oder unser Innenminister jetzt anscheinend quasi am liebsten alle psychisch Kranken wegsperren wollen, dann müssten sie zunächst einmal aufhören, wegzuschauen, wenn jemand akut psychische Probleme hat. Denn nur dann kann man verhindern, dass jemand im Wahn irgendwelche Dummheiten begeht und/oder kriminell wird. Was die Betroffenen aber brauchen, ist Hilfe und eine gute Medikation schon in einem frühen Stadium der Erkrankung. Ja, und es braucht auch mehr Psychologen und Psychiater. Wie kann es sein, dass jemand erst dann Hilfe bekommt, wenn er schon mit Selbstmord droht? Warum gibt es nicht schon in einem frühen Stadium der Erkrankung Hilfe, wenn man noch viel retten kann? Und auch, was dem Innenminister wohl sonst so vorschwebt, halte ich für total überzogen. Soll sich jeder, der mal psychische Probleme hat, am besten freiwillig gleich ins Gefängnis begeben, da er ja eine potentielle Gefahr für die Allgemeinheit darstellt? Ist das tatsächlich billiger und "sicherer" als ihm oder ihr einen baldmöglichsten Termin bei einem Psychiater oder Psychologen zu verschaffen?
Wenn also der Innenminister und die Rechtspopulisten fordern, psychisch Kranke wegzusperren, dann ist das finsteres 19. Jahrhundert. Und was ist die Steigerung davon? Im Dritten Reich wurden Behinderte als "unwertes Leben" bezeichnet und noch vor den Juden vergast. Wo soll dieses "Sicherheitsdenken" enden? Ich für meinen Teil bin dafür, die Rechtspopulisten und unseren Innenminister frühzeitig in die Schranken zu weisen, bevor sie wieder maximalen Schaden anrichten.
Und zum Threadtitel: Solange jemand nicht akut psychisch krank ist, wird von ihm in der Regel keine überdurchschnittlich große Gefahr ausgehen, kriminell zu werden. Ganz anders sieht es jedoch bei Verschwörungstheoretikern etc. aus. Siehe Reichsbürger etc. Diese zeigen aber nur, dass man auch ohne psychische Erkrankung ein paranoider Querulant sein kann. Wenn jemand aber medikamentös gut eingestellt ist, wird er nicht gefährlicher sein als so mancher schlechter und unfähiger Politiker.