Antisemitismus

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Re: Antisemitismus

Beitrag von imp »

jellobiafra hat geschrieben:(15 Oct 2018, 19:32)

Ich habe vor kurzem auf Arte eine Dokumentation über Antisemitismus gesehen, da sagte ein jüdischer Krav Magav Lehrer in Berlin, dass antisemitische Gewalttaten in Berlin seiner Erfahrung nach ausschließlich von Muslimen verübt werden, während die Straftaten der Deutschen überwiegend Propagandadelikte sind.
Das Problem ist bekannt. Die sonstige Gesellschaft hat ebenso ein schiefes Bild von der Bedrohung durch Zuwanderer und Muslime, warum sollte es bei jüdischen Mitbürgern anders sein? Wichtig ist, erstens nicht Menschengruppen zu dämonisieren, zweitens sich die Kluft zwischen Wahrnehmung und realem Risiko deutlich zu machen, drittens nicht verschiedene Opfergruppen und verschiedene Tätermilieus gegeneinander auszuspielen. Nebenher, warum soll ein Muslim oder ein atheistischer Zuwanderer nicht auch mal rechtsradikal sein? Wo willst du die einsortieren? oder zählen die dann doppelt? In der AfD gibt es sogar ein paar Vorzeigejuden, Russlanddeutsche, Muslime. Linksradikale Kurden wie S. Dagdelen gibt's ja auch. Aber zu denen gern einen separaten Strang, nicht hier.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von imp »

Vongole hat geschrieben:(14 Oct 2018, 17:35)
Übrigens, wer sich im Suff oder, also ungehemmt, judenfeindlich äußert, der ist nicht "ausgerutscht", der denkt so.
Wer zu viel getrunken hat oder wer sehr erregt streitet, sagt vor allem vieles, das er bei Verstand nicht sagen würde - neben Dingen, die er aus Opportunität nicht sagen würde, unbedachte Zusätze zum eigentlich gemeinten, Beleidigungen um der Beleidigung willen (weil er weiß, dass sie treffen - nicht, weil er sie unbedingt für zutreffend hält), nicht zuende überlegte Gedanken. Alles davon für "den wahren Charakter" zu halten, wäre dumm. Es ist auf jeden Fall ein Anlass, hinterher mal in Ruhe drüber zu reden und der Sache auf den Zahn zu fühlen - am Besten in einem freundlichen Klima. Dazu kann aber eine weitere Eskalation in Form irgendwelcher Meldungen nichts beitragen, nur schaden. Kommt dann heraus, dass das alles wirklich so gemeint war, muss man nicht mehr so freundlich sein. Dann ist ein Zweifel ausgeräumt und man muss sich leider auseinandersetzen.

Natürlich bietet so ein Vorgehen auch denen die schmale Möglichkeit, sich zu besinnen, die bisher tatsächlich irgendwelche Probleme hatten. Auch nicht verkehrt.
Angesichts der Tatsache, dass Judenhass in den letzten Jahren in Deutschland signifikant zugenommen hat, frag ich mich wirklich, zu welcher "Vergiftung des Klimas" diese Meldestelle beitragen könnte.
Befürchtest du, die Gesellschaft könnte giftig auf unbequeme Wahrheiten reagieren?
Ich bin immer skeptisch bei solchen Sammlungen - ob sie nun von rechts oder links kommen, ob es um angebliche Betatschungen von Frauen geht oder um Beschimpfungen von Homosexuellen, von Ausländern, von Juden - oder jeweils die schlimmeren Varianten. Die Qualität und Wahrheit der Anschuldigungen ist schwer nachzuvollziehen. Selbst wenn Opfer gutwillig berichten, können sie oft falsche Wahrnehmungen haben. Daneben bleibt dem offenen Mißbrauch die Tür geöffnet. Der Schaden, der entstünde, wenn sowas rauskommt, wäre erheblich. Der Schaden, der entsteht, wenn jemand zu Unrecht in solche Listen kommt und man es ihm vorhält, ist auch furchtbar.

Rechtsstaat, Unschuldsvermutung, keine Strafe ohne Urteil - gute Prinzipien. Bitter für manche Opfer, wenn im Einzelfall der Nachweis nicht gelingt. Aber alles andere wäre fatal.

Der zunehmende Trend, jemandem etwas vorzuhalten und der muss sich dann begründen, warum der Vorhalt nicht gültig ist - absolut toxisch für die Gesellschaft.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Vongole »

Sole.survivor@web.de hat geschrieben:(19 Oct 2018, 08:01)

Das Problem ist bekannt. Die sonstige Gesellschaft hat ebenso ein schiefes Bild von der Bedrohung durch Zuwanderer und Muslime, warum sollte es bei jüdischen Mitbürgern anders sein? Wichtig ist, erstens nicht Menschengruppen zu dämonisieren, zweitens sich die Kluft zwischen Wahrnehmung und realem Risiko deutlich zu machen, drittens nicht verschiedene Opfergruppen und verschiedene Tätermilieus gegeneinander auszuspielen. Nebenher, warum soll ein Muslim oder ein atheistischer Zuwanderer nicht auch mal rechtsradikal sein? Wo willst du die einsortieren? oder zählen die dann doppelt? In der AfD gibt es sogar ein paar Vorzeigejuden, Russlanddeutsche, Muslime. Linksradikale Kurden wie S. Dagdelen gibt's ja auch. Aber zu denen gern einen separaten Strang, nicht hier.
Die jüdische Gesellschaft hat kein schiefes Bild, was den Antisemitismus von Muslimen angeht, die nichtjüdische Gesellschaft hat eins. Im Versuch, jüdische Kritik am musl. Antisemitismus irgendwie zu "verstehen",
verstieg sich Werner Schiffauer, Mitorgansitor der Konferenz "Living with Islamophobia" in der TAZ zu dem bemerkenswerten Satz, Juden und Muslime teilten hier eine Besonderheit: "....sie leben beide in einem Drittland,in diesem Fall Deutschland".
In einem Drittland, deutsche Juden???
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass nicht nur er das so sieht, wenn permanent versucht wird, musl. Judenhetze für marginal und die Kritk daran für islamophob zu halten, oder wie du das ausdrückst, Täter und Opfer
gegeneinander auszuspielen.
In Frankreich haben in den letzten Jahren 52.000 Juden das Land verlassen, weil es die Regierung, die Presse und Gesellschaft für opportun hielten, das Problem kleinzureden und/oder zu ignorieren.
Wollen wir wirklich akzeptieren, dass hier Muslime "Juden ins Gas" schreien, jüdische Kinder aus den Schulen vertreiben, jüdische Bürger physisch angreifen und ihren Juden- bzw. damit verbundenen Israelhass weiter
ausleben können? Wollen wir warten, bis auch hier Juden aus Hass getötet werden?
Antisemitismus richtet sich gegen uns alle, gegen die gesamte deutsche Gesellschaft, denn deutsche Juden sind ein nicht unerheblicher Teil davon, also muss alles dafür getan werden, dieser Entwicklung entgegen zu treten.
Lösungen zu suchen sollte unser aller Aufgabe sein, statt Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben.

Kurz noch zu dieser Sammelstelle: Es geht dabei nicht darum, Herrn X und Frau Y namentlich an den Pranger zu stellen, es geht darum, antisemitische Vorfälle zentral zu erfassen, um sich ein
besseres Bild zu machen und aktiv werden zu können. Den Verantwortlichen traue ich durchaus zu, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, jenseits von Vorverurteilung und Meinungsmache.
Am Yisrael Chai

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Re: Antisemitismus

Beitrag von Vongole »

Anzahl judenfeindlicher Vorfälle allein in Berlin weiter auf hohem Niveau:

Im ersten Halbjahr 2018 hat die Berliner Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) durchschnittlich drei antisemitische Vorfälle pro Tag registriert: 527 gemeldete Taten belegen das konstant hohe Niveau. Im Vorjahreszeitraum waren es 514 Fälle.
Während quantitativ keine besondere Zunahme in der seit 2015 geführten Meldestatistik zu verzeichnen ist, so gibt doch die deutliche Zunahme aggressiver gemeldeter antisemitischer Angriffe und Bedrohungen Anlass zur Sorge. »Gewalttätiger und gezielter« seien die Vorfälle geworden, erklärte RIAS-Projektleiter Benjamin Steinitz.
Häufung 50 Prozent mehr Angriffe gegen Personen wurden registriert, ebenfalls mehr Fälle beleidigenden und verletzenden Verhaltens, aber weniger gezielt antisemitische Sachbeschädigungen, so die Bilanz der Meldestelle.


Reaktionen:
Zu dem nun von RIAS vorgelegten Bericht sagt Lala Süsskind, Vorsitzende des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus: »Judenfeindliche Vorfälle verharren in Berlin weiter auf konstant hohem Niveau. Traurig genug! Zusätzlich erleben wir einen massiven Anstieg von körperlicher Gewalt gegenüber Personen, die als Juden erkennbar sind.«
Der Bericht sei sehr verdienstvoll, weil er öffentlich macht, inwieweit jüdisches Leben in Berlin bedroht wird, betont Süsskind. »Im täglichen Engagement gegen Antisemitismus sind wir jedoch alle gefordert. Denn die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus ist der Lackmustest für die deutsche Demokratie nach der Schoa.«
https://www.juedische-allgemeine.de/art ... w/id/33099

Originalbericht mit Daten, Fakten und Beispielen:
https://report-antisemitism.de/media/Be ... n-2018.pdf
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Julian
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Julian »

Jan Böhmermann wird nun auch des Antisemitismus verdächtigt.
http://www.spiegel.de/kultur/gesellscha ... 35358.html
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Vongole »

Nun, da man Böhmermann kaum mit fehlender Intelligenz entschuldigen kann, trifft der Vorwurf Antisemitimus zu.
Seine Einstellung zeigt sich ja schon in diesen Worten: "Sorry", soll Böhmermann ihm einmal gesagt haben, "aber dein Judentum ist dein Unique Selling Point, da musste jetzt durch"
Klar doch, wer sich, auch noch komisch, zu seinem Judentum bekennt, der muss solch judenfeindlichen Dreck doch aushalten.
Wahrscheinlich kann Polak noch froh sein, dass sich Böhmermann "nur" die Hände desinfizierte, er hätte ja auch duschen können, aber das wäre dann wohl doch zu deutlich gewesen. :mad2:
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Wolverine
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Wolverine »

jellobiafra
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Re: Antisemitismus

Beitrag von jellobiafra »

Es fällt auf dass das Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) auf deutlich höhere Zahlen
von antisemitischen Gewalttaten kommt wie die Kriminalpolizei.

Kriminalpolizei: 4 antisemitisch motivierte Gewalttaten in Berlin im ersten Halbjahr 2018
RIAS: 18 Angriffe auf Personen, (mit Angriffen sind wohl Körperverletzungen - versucht oder vollendet - gemeint)

Was sind die möglichen Gründe für die unterschiedlichen Zahlen. Spontan würden mir zwei einfallen:

1. Das Opfer meldet die Tat bei RIAS, erstattet aber keine Anzeige bei der Polizei.
2. Das Opfer erstattet zwar Anzeige, die Polizei beurteilt die Tat aber nicht als antisemitisch.

https://report-antisemitism.de/media/Be ... n-2018.pdf
So hat sich die Zahl
gemeldeter antisemitischer Angriffe im Vergleich
zum ersten Halbjahr 2017 von neun auf nun 18 Vorfälle
verdoppelt. Als antisemitische Angriffe erfasste
RIAS Berlin z.B. sechs (zum Teil versuchte) Körperverletzungen
gegen Personen, die aufgrund einer Kippa,
einem Davidstern-Tattoo oder dem Hören von israelischer
Musik als Israelis oder als Jüdinnen_Juden
erkennbar waren. In acht gemeldeten Fällen waren
Kritiker_innen von antisemitischen Äußerungen von
den Angriffen betroffen, zwei Angriffe erfolgten aus
dem antisemitischen „Al-Qudstag-Marsch“. Knapp
über die Hälfte der gemeldeten Angriffe (10) konnten
keinem politischen Hintergrund zugeordnet werden,
drei waren islamistisch motiviert und fünf
links-antiimperialistisch.
Was auch auffällt ist die Zuordnung zu der vermuteten politischen Motivation.

Von den 18 Angriffen waren 3 islamistisch motiviert, 5 links-antiimperialistisch und
10 konnten keinem politischen Hintergrund zugeordnet werden.


Es hätte demnach keinen einzigen erkennbar rechts motivierten Angriff auf Juden gegeben im ersten Halbjahr 2018 in Berlin.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von jellobiafra »

Was jetzt den Böhmermann anbelangt, bin ich etwas ratlos.
Ist man automatisch Antisemit, wenn man einen Antisemiten spielt?
Wieso kriegt es nur der Böhmermann ab?
Wieso werden Somuncu und Heufer-Umlauf nicht thematisiert?
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Vongole »

jellobiafra hat geschrieben:(28 Oct 2018, 07:37)

Es fällt auf dass das Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) auf deutlich höhere Zahlen
von antisemitischen Gewalttaten kommt wie die Kriminalpolizei.

Kriminalpolizei: 4 antisemitisch motivierte Gewalttaten in Berlin im ersten Halbjahr 2018
RIAS: 18 Angriffe auf Personen, (mit Angriffen sind wohl Körperverletzungen - versucht oder vollendet - gemeint)

Was sind die möglichen Gründe für die unterschiedlichen Zahlen. Spontan würden mir zwei einfallen:

1. Das Opfer meldet die Tat bei RIAS, erstattet aber keine Anzeige bei der Polizei.
2. Das Opfer erstattet zwar Anzeige, die Polizei beurteilt die Tat aber nicht als antisemitisch.

https://report-antisemitism.de/media/Be ... n-2018.pdf

Was auch auffällt ist die Zuordnung zu der vermuteten politischen Motivation.

Von den 18 Angriffen waren 3 islamistisch motiviert, 5 links-antiimperialistisch und
10 konnten keinem politischen Hintergrund zugeordnet werden.


Es hätte demnach keinen einzigen erkennbar rechts motivierten Angriff auf Juden gegeben im ersten Halbjahr 2018 in Berlin.
Was die Gründe für die unterschiedlichen Zahlen betrifft, gehe ich von beiden Annahmen aus, wobei mir die Falscheinschätzung durch die Polizei einleuchtender erscheint.

Juden mit den Worten "Verpisst euch, ihr Juden, wir schlagen euch Antideutschen den Kopf ein" anzugreifen, würde ich schon als rechtsmotivierten Angriff sehen.
RIAS hat das wohl als den üblichen Judenhass ohne politischen Hintergrund eingeschätzt, schließlich braucht es für Antisemitismus keine politische, sondern "nur" eine widerwärtige Einstellung.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Vongole »

jellobiafra hat geschrieben:(28 Oct 2018, 07:45)

Was jetzt den Böhmermann anbelangt, bin ich etwas ratlos.
Ist man automatisch Antisemit, wenn man einen Antisemiten spielt?
Wieso kriegt es nur der Böhmermann ab?
Wieso werden Somuncu und Heufer-Umlauf nicht thematisiert?
Weil es wohl nur Böhmermann war, der auf den Gag ohne Pointe kam.
Für mich war das kein Spiel, sondern ein ekelhafter "Witz" auf Kosten von Juden, und genau so hat Polak das empfunden.
Böhmermanns Reaktion auf den Vorwurf spricht übrigens Bände.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von PeterK »

Vongole hat geschrieben:(28 Oct 2018, 16:47)
Für mich war das kein Spiel, sondern ein ekelhafter "Witz" auf Kosten von Juden, und genau so hat Polak das empfunden.
Ich habe nur die letzten Beiträge zu dem Thema gelesen. Vielleicht kannst Du mir helfen: Hat Oliver Polak sich zu der Geschichte und dazu, wie er den "Witz" empfunden hat, geäußert? (Mal abgesehen davon, dass der "Witz" nicht witzig war)
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Vongole »

PeterK hat geschrieben:(28 Oct 2018, 17:03)

Ich habe nur die letzten Beiträge zu dem Thema gelesen. Vielleicht kannst Du mir helfen: Hat Oliver Polak sich zu der Geschichte und dazu, wie er den "Witz" empfunden hat, geäußert? (Mal abgesehen davon, dass der "Witz" nicht witzig war)
Er hat sich wohl in seinem Buch dazu geäußert, das ich aber noch nicht gelesen habe.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/ol ... _id=430209

Ein wenig kann man aus diesem Artikel der FAZ entnehmen:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/m ... 58060.html
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Quatschki »

Nachdem ich mit ein paar alte Auftrittsvideos dieses mir unbekannten Oliver Polak angeschaut habe, kann ich nur mit den Schultern zucken.
Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
„Dies ist wieder ein Exempel!“
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Re: Antisemitismus

Beitrag von PeterK »

Vongole hat geschrieben:(28 Oct 2018, 17:09)

Er hat sich wohl in seinem Buch dazu geäußert, das ich aber noch nicht gelesen habe.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/ol ... _id=430209

Ein wenig kann man aus diesem Artikel der FAZ entnehmen:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/m ... 58060.html
Vielen Dank für die Links.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von PeterK »

Quatschki hat geschrieben:(28 Oct 2018, 17:18)
Nachdem ich mit ein paar alte Auftrittsvideos dieses mir unbekannten Oliver Polak angeschaut habe, kann ich nur mit den Schultern zucken.
Warum?

Und warum ist er Dir unbekannt? Du schaust doch West-Fernsehen, oder?
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Ammianus »

PeterK hat geschrieben:(28 Oct 2018, 17:26)

Warum?

Und warum ist er Dir unbekannt? Du schaust doch West-Fernsehen, oder?
Na ja, wenn am auf Pro7 höchstens mal einen Film oder nachts Family Guy schaut wie ich, dann muss man auch erstmal bei Wiki gucken, wer das überhaupt ist.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Vongole »

Quatschki hat geschrieben:(28 Oct 2018, 17:18)

Nachdem ich mit ein paar alte Auftrittsvideos dieses mir unbekannten Oliver Polak angeschaut habe, kann ich nur mit den Schultern zucken.
Hier gehts aber nicht um seine Qualitäten als Comedian, oder bist du der Meinung, Nichtgefallen rechtfertigt Antisemitismus?
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Quatschki »

PeterK hat geschrieben:(28 Oct 2018, 17:26)

Warum?

Und warum ist er Dir unbekannt? Du schaust doch West-Fernsehen, oder?
Vermutlich habe ich die Sender, wo er zu sehen ist, garnicht einprogrammiert.
Vielleicht habe ich ihn auch hin und wieder mal in einer Sendung gesehen. Aber nicht in Erinnerung behalten. Kann mir halt nicht jedes mittelgroße mittelmäßige Vollbartgesicht merken.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Quatschki »

Vongole hat geschrieben:(28 Oct 2018, 17:53)

Hier gehts aber nicht um seine Qualitäten als Comedian, oder bist du der Meinung, Nichtgefallen rechtfertigt Antisemitismus?
Nein. Ich habe gesehen, dass es seine Spezialität war, mit Anspielungen auf Rasse, Diskriminierung und Tabus zu spielen, und daraus seine Pointen zu schöpfen.
So Sätze wie: "Darf man als Jude in Deutschland sagen, dass man Burnout hat?" ... :?:

Wenn ein Comedian, also ein Berufsspaßmacher, auf sowas sein Programm aufbaut?
Also ich kann verstehen, dass das ein Böhmermann als Vorlage benutzte und auch seine Bemerkung: "Judentum ist doch dein Unique Selling Point" treffend analysiert.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von PeterK »

Vongole hat geschrieben:(28 Oct 2018, 17:09)
...
Obwohl ich meine, dass z.B. Serdar Somuncu keineswegs antisemitischer eingestellt sei als Panrassisten wie ich, muss ich Dir Recht geben: Die Nummer war einfach Sch...

Edit: ... und obendrein ganz schlecht von Jon Stewart kopiert.
Zuletzt geändert von PeterK am So 28. Okt 2018, 19:27, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von jellobiafra »

Vongole hat geschrieben:(28 Oct 2018, 16:42)

Was die Gründe für die unterschiedlichen Zahlen betrifft, gehe ich von beiden Annahmen aus, wobei mir die Falscheinschätzung durch die Polizei einleuchtender erscheint.

Juden mit den Worten "Verpisst euch, ihr Juden, wir schlagen euch Antideutschen den Kopf ein" anzugreifen, würde ich schon als rechtsmotivierten Angriff sehen.
RIAS hat das wohl als den üblichen Judenhass ohne politischen Hintergrund eingeschätzt, schließlich braucht es für Antisemitismus keine politische, sondern "nur" eine widerwärtige Einstellung.
Verbunden mit den anderen Aussagen des Vorfalls (Wollt ihr zu der antizionistischen Demo? Boycott Israel) ist es für mich keineswegs klar, dass es sich um Rechte handelt.
Speziell in Berlin würde ich eher auf antiimperialistische linke Gruppen tippen (Jugendwiderstand z.B.). Mit "Antideutsche" können auch Mitglieder der antideutschen Linken gemeint sein.

Hier ein Bericht über die Gruppe Jugendwiderstand:

https://www.berliner-kurier.de/berlin/p ... n-30080956
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Vongole »

Danke für den Link, Jellobiafra, bei diesem Thema lernt man leider nie aus.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Fliege »

Von was redet ihr?
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Re: Antisemitismus

Beitrag von schokoschendrezki »

Vongole hat geschrieben:(28 Oct 2018, 16:47)

Weil es wohl nur Böhmermann war, der auf den Gag ohne Pointe kam.
Für mich war das kein Spiel, sondern ein ekelhafter "Witz" auf Kosten von Juden, und genau so hat Polak das empfunden.
Böhmermanns Reaktion auf den Vorwurf spricht übrigens Bände.
Wobei das Buch von Polak ganz ausdrücklich nicht auf Prominentendenunziation aus ist. Eine Diskussion speziell zum Fall Böhmermann führt eher vom Motiv dieses Buchs weg. Es geht dabei um den alltäglich erlebbaren Antisemitismus. Dieses immer noch erstaunlich häufig anzutreffende augenzwinkernde "na wir wissen doch, was da jetzt der Hintergrund ist ...". Wie hier in diesem Thread schon mehrfach festgestellt wurde, kommt zu diesem pseudointellektuellem Antisemitismus eben noch der neuere tätliche hinzu, der sich direkt gegen Menschen jüdischer Herkunft widmet. Das Buch von Polak erscheint in einem Moment, da gerade noch einige Personen leben (zum Beispiel seine Tante in New York), die die Shoah selbst überlebten. Wir stehen also kurz vor einer endgültigen Historisierung und es kommt darauf an, was in dieser Historisierung übrig und hängen bleibt.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Vongole »

Gute Nachricht: Geschwisterpaar wegen Holocaust-Leugnung und Judenhetze zu Haftstrafe verurteilt.

Schlechte Nachricht:

"Der Prozess wirft ein Schlaglicht auf die offenbar immer bessere Vernetzung von "Reichsbürgern" und Antisemiten. Zumeist waren die Zuschauerbänke während des Verfahrens voll mit Gesinnungsgenossen von S., der sich zum Justizopfer stilisierte. Die Stimmung war während des Verfahrens gereizt, mehrfach kam es zu Tumulten. Bereits am ersten Prozesstag zeigte Alfred S. den Hitlergruß, was seine Schwester mit einem Lächeln quittierte. Die Verhandlung nannte der Ruheständler, der es nach eigener Aussage zu einem gewissen Vermögen gebracht hat, eine "Muppet Show"."
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/m ... 35621.html

Wenn wir und der Staat nicht endlich besser aufpassen und uns dem Judenhass entgegen stellen, könnte sich Pittsburgh in Deutschland wiederholen.
Am Yisrael Chai

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Re: Antisemitismus

Beitrag von Ammianus »

Vongole hat geschrieben:(29 Oct 2018, 14:30)

Gute Nachricht: Geschwisterpaar wegen Holocaust-Leugnung und Judenhetze zu Haftstrafe verurteilt.

Schlechte Nachricht:

"Der Prozess wirft ein Schlaglicht auf die offenbar immer bessere Vernetzung von "Reichsbürgern" und Antisemiten. Zumeist waren die Zuschauerbänke während des Verfahrens voll mit Gesinnungsgenossen von S., der sich zum Justizopfer stilisierte. Die Stimmung war während des Verfahrens gereizt, mehrfach kam es zu Tumulten. Bereits am ersten Prozesstag zeigte Alfred S. den Hitlergruß, was seine Schwester mit einem Lächeln quittierte. Die Verhandlung nannte der Ruheständler, der es nach eigener Aussage zu einem gewissen Vermögen gebracht hat, eine "Muppet Show"."
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/m ... 35621.html

Wenn wir und der Staat nicht endlich besser aufpassen und uns dem Judenhass entgegen stellen, könnte sich Pittsburgh in Deutschland wiederholen.
Das wird nicht helfen. Solche Figuren wie S. und seine Schwester leben in einer anderen Welt. Geht man gegen sie vor, dann fühlen sie sich bestätigt, ihr Leben bekommt dadurch noch einen zusätzlichen Sinn. Den schreckt auch die Haftstrafe nicht ab. Im Gegenteil. Die größte Furcht eines Breivik war höchstwahrscheinlich, dass man ihn für unzurechnungsfähig erklärt und in eine Psychatrie steckt.

Aber andere könnte das schon abschrecken. Drei Jahre sind eine verdammt lange Zeit sein. Wobei den das nicht stören wird. Andere schon. Aber wer wie die Figur jetzt in den USA loszieht um zu töten ist weder mit strengeren Strafen noch mit Aufklärung zu stoppen. Bei denen zeigt sich das ganze Ausmaß ihres kranken Welt- und Selbstbildes darin, wenn man sie mit islamischen Mördern vergleicht. Die sehen sich als Märtyrer und glauben mit ihrem Verrecken vorangegangene Sünden erlassen zu bekommen und für ewig in den paradiesischen Dauerorgasmus hoch unendliche Milliarden einzugehen. Da steht wenigsten noch ein Motiv - so bescheuert es auch sein mag und die Angst vor der Hölle dahinter.
Typen wie S. und der in den USA sind einfach nur gestört und gefährlich. Ich weiss nicht, aber lebte ich in den USA und wäre Jude, dann hätte ich wohl eine Beretta in der Jacke.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von schokoschendrezki »

Vongole hat geschrieben:(29 Oct 2018, 14:30)

Gute Nachricht: Geschwisterpaar wegen Holocaust-Leugnung und Judenhetze zu Haftstrafe verurteilt.

Schlechte Nachricht:

"Der Prozess wirft ein Schlaglicht auf die offenbar immer bessere Vernetzung von "Reichsbürgern" und Antisemiten. Zumeist waren die Zuschauerbänke während des Verfahrens voll mit Gesinnungsgenossen von S., der sich zum Justizopfer stilisierte. Die Stimmung war während des Verfahrens gereizt, mehrfach kam es zu Tumulten. Bereits am ersten Prozesstag zeigte Alfred S. den Hitlergruß, was seine Schwester mit einem Lächeln quittierte. Die Verhandlung nannte der Ruheständler, der es nach eigener Aussage zu einem gewissen Vermögen gebracht hat, eine "Muppet Show"."
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/m ... 35621.html

Wenn wir und der Staat nicht endlich besser aufpassen und uns dem Judenhass entgegen stellen, könnte sich Pittsburgh in Deutschland wiederholen.
Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich diesen Typ von Antisemiten seit der Distanzierung Marine Le Pens von ihrem eigenen Vater für eine Art von widerlichem Auslaufmodell und die "Reichsbüger" für eine sehr skurrile Randerscheinung hielt.

Zu gegenwärtig ist mir noch immer zum einen dieser verschworungstheoretisch-antiintellektuelle Antisemitismus, der möglicherweise auch eine Art Kompensationsritual für unterschwellige Minderwertigkeitskomplexe ist. "Der Jude ist schlau. Der Jude ist reich." hieß denn auch bezeichnenderweise ein Fortbildungs-Seminar des Jüdischen Museums in Berlin. ("Juden haben zu viel Einfluss" müsste man noch ergänzen).

Und dann natürlich auch der nicht antiintellektuelle sondern - im Gegenteil - intellektuelle Antisemitismus. Deutschland hat - lange vor den Nazis - mit Luther, Wagner, Nietzsche und anderen drei sozusagen intellektuelle Großmeister hervorgebracht, die z.T. beträchtlichen Anteil an antisemitischen Stereotypen und Erzählungen haben. Die braucht man natürlich nicht in Gänze zu verwerfen.Aber man sollte ein unbedingt kritisches Verhältnis bewahren. Und, tut mir leid, ist ganz sicher ziemlich subjektiv und dennoch: Die alljährliche Pilgerfahrt von Kanzlers (und anderen Promis) nach Bayreuth .... ich finde das zutiefst widerlich. Wagners Pamphlet heißt nicht etwas "Das Judenthum" sondern "Das Judenthum in der Musik" und seine Musik klingt in meinen Ohren jedenfalls nach Judenfeindlchkeit. Groß, dunkel, deutsch, pathetisch. Das "Erlösungsmotiv" ist zentral für alle Wagner-Opern. In diesem Pamphlet lässt Wagner keinen Zweifel aufkommen, was als Erlösung in Bezug auf die Juden eigentlich gemeint ist: Ihr Untergang. Sollen die Merkels ihre Wagner-Opern doch im Wohnzimmer hören. Sie sind öffentliche Personen und wissen das auch.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(29 Oct 2018, 15:38)

Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich diesen Typ von Antisemiten seit der Distanzierung Marine Le Pens von ihrem eigenen Vater für eine Art von widerlichem Auslaufmodell und die "Reichsbüger" für eine sehr skurrile Randerscheinung hielt.

Zu gegenwärtig ist mir noch immer zum einen dieser verschworungstheoretisch-antiintellektuelle Antisemitismus, der möglicherweise auch eine Art Kompensationsritual für unterschwellige Minderwertigkeitskomplexe ist. "Der Jude ist schlau. Der Jude ist reich." hieß denn auch bezeichnenderweise ein Fortbildungs-Seminar des Jüdischen Museums in Berlin. ("Juden haben zu viel Einfluss" müsste man noch ergänzen).

Und dann natürlich auch der nicht antiintellektuelle sondern - im Gegenteil - intellektuelle Antisemitismus. Deutschland hat - lange vor den Nazis - mit Luther, Wagner, Nietzsche und anderen drei sozusagen intellektuelle Großmeister hervorgebracht, die z.T. beträchtlichen Anteil an antisemitischen Stereotypen und Erzählungen haben. Die braucht man natürlich nicht in Gänze zu verwerfen.Aber man sollte ein unbedingt kritisches Verhältnis bewahren. Und, tut mir leid, ist ganz sicher ziemlich subjektiv und dennoch: Die alljährliche Pilgerfahrt von Kanzlers (und anderen Promis) nach Bayreuth .... ich finde das zutiefst widerlich. Wagners Pamphlet heißt nicht etwas "Das Judenthum" sondern "Das Judenthum in der Musik" und seine Musik klingt in meinen Ohren jedenfalls nach Judenfeindlchkeit. Groß, dunkel, deutsch, pathetisch. Das "Erlösungsmotiv" ist zentral für alle Wagner-Opern. In diesem Pamphlet lässt Wagner keinen Zweifel aufkommen, was als Erlösung in Bezug auf die Juden eigentlich gemeint ist: Ihr Untergang. Sollen die Merkels ihre Wagner-Opern doch im Wohnzimmer hören. Sie sind öffentliche Personen und wissen das auch.
Diese Assoziationen habe ich auch bei Wagner-Musik. Hier in der Nähe gibt es mehrere Wagner-Ring-Interpretationen und unheimliche Völkerwanderungen extra dahin. Und ich hab für all das absolut nüscht übrig. Damit macht man sich nicht viele Freunde. Wagner ist unheimlich beliebt bei sehr vielen. Aber was solls. Ich kann da einfach nicht ran. "Groß, dunkel, deutsch, pathetisch", damit beschreibst du die Musik perfekt. Nicht meins.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(29 Oct 2018, 15:43)

Diese Assoziationen habe ich auch bei Wagner-Musik. Hier in der Nähe gibt es mehrere Wagner-Ring-Interpretationen und unheimliche Völkerwanderungen extra dahin. Und ich hab für all das absolut nüscht übrig. Damit macht man sich nicht viele Freunde. Wagner ist unheimlich beliebt bei sehr vielen. Aber was solls. Ich kann da einfach nicht ran. "Groß, dunkel, deutsch, pathetisch", damit beschreibst du die Musik perfekt. Nicht meins.
Ja, aber man muss natürlich aufpassen. Nicht deine oder meine Unlustgefühle sind das Thema sondern der reale Antisemitismus. Selbst ein Barenboim hat kein Problem mit Wagner. Und meines Wissens regt sich auch in Israel kaum Kritik an der Bayreuth-Euphorie der deutschen Kanzlerin ...

Relevanter schon ist das Phänomen Antisemitismus in Frankreich. In einem kürzlich gesendeten Interview im Radio wurde mir versucht zu erklären, warum, etwas anders als in Deutschland, sich der Antisemtiismus der jungen Generation der Muslime in den Pariser Vorstädten sich nicht nur gegen Juden und nichtmuslimische Franzosen richtet, sondern gegen die Generation ihrer eigenen Eltern. Also typischerweise den schon lange lange in Frankreich lebenden, angepassten Menschen mit Wurzeln in den ehemaligen französischen Kolonien. Nach dem Motto: Ihr ganzes Angepasstsein hat sie in keinster Weise vor einem relativen sozialen Abstieg bewahrt. Und diese potenzielle Wut instrumentalisieren nun islamische Hassprediger auch über Antisemitismus. Und zugleich gebe es eben doch auch unter den französischen Franzosen noch immer tief verwurzelten und nie wirklich aufgearbeiteten Antismeitismus vom Typ Jean Marie Le Pen.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Quatschki »

Selina hat geschrieben:(29 Oct 2018, 15:43)

Diese Assoziationen habe ich auch bei Wagner-Musik. Hier in der Nähe gibt es mehrere Wagner-Ring-Interpretationen und unheimliche Völkerwanderungen extra dahin. Und ich hab für all das absolut nüscht übrig. Damit macht man sich nicht viele Freunde. Wagner ist unheimlich beliebt bei sehr vielen. Aber was solls. Ich kann da einfach nicht ran. "Groß, dunkel, deutsch, pathetisch", damit beschreibst du die Musik perfekt. Nicht meins.
Die ganze Hollywood-Filmmusik hat ihre Wurzeln und Inspirationen bei Wagner
Emotionen, Leitmotive, Dramatik.
Das hat er mehr oder weniger erfunden beziehungsweise als erster in dieser Vollkommenheit zelebriert, lange bevor an Tonfilm-Kino überhaupt zu denken war.
Und die Hollywood-Regisseure, darunter viele Juden, haben es aufgenommen und weiterentwickelt
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Vongole »

Ammianus hat geschrieben:(29 Oct 2018, 15:26)

Das wird nicht helfen. Solche Figuren wie S. und seine Schwester leben in einer anderen Welt. Geht man gegen sie vor, dann fühlen sie sich bestätigt, ihr Leben bekommt dadurch noch einen zusätzlichen Sinn. Den schreckt auch die Haftstrafe nicht ab. Im Gegenteil. Die größte Furcht eines Breivik war höchstwahrscheinlich, dass man ihn für unzurechnungsfähig erklärt und in eine Psychatrie steckt.

Aber andere könnte das schon abschrecken. Drei Jahre sind eine verdammt lange Zeit sein. Wobei den das nicht stören wird. Andere schon. Aber wer wie die Figur jetzt in den USA loszieht um zu töten ist weder mit strengeren Strafen noch mit Aufklärung zu stoppen. Bei denen zeigt sich das ganze Ausmaß ihres kranken Welt- und Selbstbildes darin, wenn man sie mit islamischen Mördern vergleicht. Die sehen sich als Märtyrer und glauben mit ihrem Verrecken vorangegangene Sünden erlassen zu bekommen und für ewig in den paradiesischen Dauerorgasmus hoch unendliche Milliarden einzugehen. Da steht wenigsten noch ein Motiv - so bescheuert es auch sein mag und die Angst vor der Hölle dahinter.
Typen wie S. und der in den USA sind einfach nur gestört und gefährlich. Ich weiss nicht, aber lebte ich in den USA und wäre Jude, dann hätte ich wohl eine Beretta in der Jacke.
Nein, natürlich ist so ein Urteil u.U. nur für andere abschreckend, verändern wird es weder die Beiden noch andere Judenhasser.

Der Mörder von Pittsburgh lebt sicherlich in einer kranken Eigenwelt, aber auch in einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft, die Hass schürt, auch gegen Juden.
Da hilft weder hüben noch drüben eine Beretta - obwohl in Pittsburgh Wachen vor der Synogoge wie hier das Schlimmste wohl verhindert hätten - sondern ein solidarisches Gemeinschaftsgefühl,
welches Antisemitimus in jeder Form ächtet und bekämpft.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Cat with a whip »

jellobiafra hat geschrieben:(28 Oct 2018, 22:18)

Verbunden mit den anderen Aussagen des Vorfalls (Wollt ihr zu der antizionistischen Demo? Boycott Israel) ist es für mich keineswegs klar, dass es sich um Rechte handelt.
Speziell in Berlin würde ich eher auf antiimperialistische linke Gruppen tippen (Jugendwiderstand z.B.). Mit "Antideutsche" können auch Mitglieder der antideutschen Linken gemeint sein.

Hier ein Bericht über die Gruppe Jugendwiderstand:

https://www.berliner-kurier.de/berlin/p ... n-30080956
Das ist eine durchgeknallte linke Splittergruppe militanter Maoisten und Stalinverehrer, die aus den RAZ hervorging. Die rufen zu Gewalt gegen Nazis und gleichzeitig gegen Linke und Juden selbst auf. Die haben dieses Jahr die linke revolutionäre 1. Mai Demo tätlich agegriffen, weil man sich dort mit Spruchbannern gegen Antizionismus stellte.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Ammianus »

Oh mein Gott! Natürlich war Wagner Antisemit und dazu auch noch ein sehr übler. Und was sich dann weiter im Wagner-Clan abspielte mit Onkel Wolf, Winifred und dem anderen Pack ...

Aber Wagner war eben auch ein ganz Großer. Gerade lese ich die Memoiren von Alma Mahler-Werfel - die wussten, welche Bedeutung der hatte auch für ihr Leben und Schaffen. Wenn man bedenkt, dass die, egal ob Jude, Böhme oder Germane, ganze Wanger-Opern auf dem Klavier nachspielten und dazu sangen ...

Die Welt ist eben nicht nur schwarz-weiß und Merkel macht was sie für richtig hält und steht dazu. Und wem das nicht passt und wer das nicht erträgt, der soll eben zusehen, dass es mit der Raumfahrt schneller geht, damit er auf den Mars emigrieren kann oder auf irgend einen Exoplaneten ...
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Ammianus »

Vongole hat geschrieben:(29 Oct 2018, 16:33)

Nein, natürlich ist so ein Urteil u.U. nur für andere abschreckend, verändern wird es weder die Beiden noch andere Judenhasser.

Der Mörder von Pittsburgh lebt sicherlich in einer kranken Eigenwelt, aber auch in einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft, die Hass schürt, auch gegen Juden.
Da hilft weder hüben noch drüben eine Beretta - obwohl in Pittsburgh Wachen vor der Synogoge wie hier das Schlimmste wohl verhindert hätten - sondern ein solidarisches Gemeinschaftsgefühl,
welches Antisemitimus in jeder Form ächtet und bekämpft.
Wobei man nicht vergessen darf, dass diese Spaltung und der Hass in der Gesellschaft dort auch nichts Neues ist. Der Klan z.B. war auch immer antisemitisch. Und dann bis zu den ganz offenen Nazi-Gruppen welche die entsprechenden Uniformen ganz offen tragen plus Svastika.
Trump ist ja nun witzigerweise gar kein Antisemit. Der hat sogar einen jüdischen Schwiegersohn, was dann wohl wieder manchen Antisemiten, der ihn sonst gut findet, völlig verwirren mag.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(29 Oct 2018, 16:14)

Ja, aber man muss natürlich aufpassen. Nicht deine oder meine Unlustgefühle sind das Thema sondern der reale Antisemitismus. Selbst ein Barenboim hat kein Problem mit Wagner. Und meines Wissens regt sich auch in Israel kaum Kritik an der Bayreuth-Euphorie der deutschen Kanzlerin ...

Relevanter schon ist das Phänomen Antisemitismus in Frankreich. In einem kürzlich gesendeten Interview im Radio wurde mir versucht zu erklären, warum, etwas anders als in Deutschland, sich der Antisemtiismus der jungen Generation der Muslime in den Pariser Vorstädten sich nicht nur gegen Juden und nichtmuslimische Franzosen richtet, sondern gegen die Generation ihrer eigenen Eltern. Also typischerweise den schon lange lange in Frankreich lebenden, angepassten Menschen mit Wurzeln in den ehemaligen französischen Kolonien. Nach dem Motto: Ihr ganzes Angepasstsein hat sie in keinster Weise vor einem relativen sozialen Abstieg bewahrt. Und diese potenzielle Wut instrumentalisieren nun islamische Hassprediger auch über Antisemitismus. Und zugleich gebe es eben doch auch unter den französischen Franzosen noch immer tief verwurzelten und nie wirklich aufgearbeiteten Antismeitismus vom Typ Jean Marie Le Pen.
Ja. Ich fand deine Formulierung "groß, dunkel, deutsch, pathetisch" im Zusammenhang mit Wagner vor allem deshalb so treffend, weil es für mich sehr gut etwas beschreibt, was weit über den hier diskutierten Antisemitismus hinausgeht. Was macht es möglich, dass sich Menschen für auserwählt halten, für besser als andere? Woher kommt dieses heilige Pathos, dieses Sich-für-groß-Halten beim Blick auf die eigene (deutsche) Nation? Denn auch, wenn das für einige heute gefühlt anders erscheint, der größte und gefährlichste Antisemitismus geht immer noch oder schon wieder von sich mächtig, groß und überlegen fühlenden Deutschen und selbsternannten "Ariern" aus. Mich macht dieser Umstand nachdenklich und traurig. Und schon deshalb könnte ich diese Musik nicht genießen.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von schokoschendrezki »

Quatschki hat geschrieben:(29 Oct 2018, 16:32)

Die ganze Hollywood-Filmmusik hat ihre Wurzeln und Inspirationen bei Wagner
Emotionen, Leitmotive, Dramatik.
Das hat er mehr oder weniger erfunden beziehungsweise als erster in dieser Vollkommenheit zelebriert, lange bevor an Tonfilm-Kino überhaupt zu denken war.
Und die Hollywood-Regisseure, darunter viele Juden, haben es aufgenommen und weiterentwickelt
Wenn diese Wagner-Ästhetik und ihre Nachfolge und weitere Rezeption, ob nun in Bayreuth, in Hollywood oder bei Metallica hier Thema wären, würde ich mit ganzer Leidenschaft weiter gegen Wagner polemisieren. Gegen alles Große, dunkle, pathetische, massenwirksame. Und mich daran beteiligen, alles was irgendwie unter "Kunst" oder "Kultur" läuft, auf Indielabel, Open Source, maximal 500 bis 1000 Leute Publikum, grundsätzliches Understatement als politische und kulturelle Philosophie herunterzubrechen. Keine Openrhäuser mit 95 Prozent des staatlichen Kulturetats. Keine Fußball-WMs . Keine Olympiaden. Keine Filme mit Milliarden-Budgets. Keine Stadionkonzerte.

Und wenns nur gegen Roger Waters geht.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Vongole »

Der einzige Musiker, der in der Diskussion über den gegenwärtigen Antisemitismus etwas zu suchen hat, ist Roger Waters, denn der ist ein Antisemit erster Güte.
Der Antisemitismus von Bach bis Wagner dagegen ist dieser Diskussion nicht förderlich.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von schokoschendrezki »

Vongole hat geschrieben:(29 Oct 2018, 21:54)

Der einzige Musiker, der in der Diskussion über den gegenwärtigen Antisemitismus etwas zu suchen hat, ist Roger Waters, denn der ist ein Antisemit erster Güte.
Der Antisemitismus von Bach bis Wagner dagegen ist dieser Diskussion nicht förderlich.
Dem stimme ich im ersten Ansatz und mit Bezug auf Gegenwärtigkeit erst mal grundsätzlich zu. Und zu Roger Waters im Bereich Populärmusik kommt noch Henning Mankell im Bereich Populärliteratur. Bach ist sowieso draußen, schon weil eben gerade Mendelssohn-Bartholdy als der Wiederentdecker Bachs gilt.

Nein. Wagner hat nach meiner Ansicht sehr wohl etwas mit gegenwärtigem Antisemitismus zu tun. Sein Judenhass war nicht irgendwie sublim und versteckt sondern ganz offensichtlich und offensiv. Der Judenhass Wagners ist nachlesbar in einer seiner Schriften, die nicht einfach nur so dahingeschrieben wurde sondern eine systematische judenfeindliche Ideologie beschreibt. Und sein ästhetischer EInfluss ist ungebrochen.

Bezeichnend: Der bekannte Konzertveranstalter Marek Lieberberg, selbst Kind von Shoah-Überlebenden, stellt sich offensiv vor Waters und Pink Floyd und verweist stattdessen auf Luther und Wagner als die Herrn mit den "teilweise blutrünstigen antisemitischen Theorien" (siehe wikipedia-Beitrag zu Waters). Was sagt mir das als Zeitgenosse? Dass das ganze Thema überhaupt noch nicht abschließend verarbeitet und nach wie vor aktuell ist.

Es gibt zig Stellungnahmen von allen möglichen prominenten Persönlichkeiten, die alle druchwegs nicht nur fern jedes Antisemitismus-Vorwurfes sind, sondern die sich selbst offensiv mit all diesen Aspekten der Person Wagners auseinandersetzen. "Warum Bayreuth" heißen denn auch typische Presseartikel zu diesem Thema. Und nun frage ich: Ist diese besessene Fixiertheit - ob nun negativ, positiv oder kritisch - nicht eventuell eine der Formen der Sublimierung tradiitioneller Judenfeindlichkeit? Ganz ernsthaft. Wie kann man sich auf solche Zelebrierungen einlassen? Denn auch bei aller formaler künstlerisch-musikalischer Perfektion: Ein Übergott war auch Wagner nicht. Was steckt hinter dieser mythischen Verklärung?
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(29 Oct 2018, 23:27)

Dem stimme ich im ersten Ansatz und mit Bezug auf Gegenwärtigkeit erst mal grundsätzlich zu. Und zu Roger Waters im Bereich Populärmusik kommt noch Henning Mankell im Bereich Populärliteratur. Bach ist sowieso draußen, schon weil eben gerade Mendelssohn-Bartholdy als der Wiederentdecker Bachs gilt.

Nein. Wagner hat nach meiner Ansicht sehr wohl etwas mit gegenwärtigem Antisemitismus zu tun. Sein Judenhass war nicht irgendwie sublim und versteckt sondern ganz offensichtlich und offensiv. Der Judenhass Wagners ist nachlesbar in einer seiner Schriften, die nicht einfach nur so dahingeschrieben wurde sondern eine systematische judenfeindliche Ideologie beschreibt. Und sein ästhetischer EInfluss ist ungebrochen.

Bezeichnend: Der bekannte Konzertveranstalter Marek Lieberberg, selbst Kind von Shoah-Überlebenden, stellt sich offensiv vor Waters und Pink Floyd und verweist stattdessen auf Luther und Wagner als die Herrn mit den "teilweise blutrünstigen antisemitischen Theorien" (siehe wikipedia-Beitrag zu Waters). Was sagt mir das als Zeitgenosse? Dass das ganze Thema überhaupt noch nicht abschließend verarbeitet und nach wie vor aktuell ist.

Es gibt zig Stellungnahmen von allen möglichen prominenten Persönlichkeiten, die alle druchwegs nicht nur fern jedes Antisemitismus-Vorwurfes sind, sondern die sich selbst offensiv mit all diesen Aspekten der Person Wagners auseinandersetzen. "Warum Bayreuth" heißen denn auch typische Presseartikel zu diesem Thema. Und nun frage ich: Ist diese besessene Fixiertheit - ob nun negativ, positiv oder kritisch - nicht eventuell eine der Formen der Sublimierung tradiitioneller Judenfeindlichkeit? Ganz ernsthaft. Wie kann man sich auf solche Zelebrierungen einlassen? Denn auch bei aller formaler künstlerisch-musikalischer Perfektion: Ein Übergott war auch Wagner nicht. Was steckt hinter dieser mythischen Verklärung?
Verteidiger von Roger Waters meinen zudem, dass Merkel die israelische Siedlungspolitik ebenfalls mehrfach aufs Schärfste kritisiert habe und ganz gewiss trotzdem keine Antisemitin ist. Und die Bewegung Boycott, Divestment and Sanctions (BDS), bei der Waters offenbar mitgemacht hat, steht zwar zurecht in der Kritik, weil der Boykott israelischer Waren einfach mal unredlich und der falsche Weg ist, um politische Ziele zu erreichen. Aber ob BDS deshalb auch antisemitisch ist, wird durchaus unterschiedlich bewertet. Hier mal ein Pro und ein Kontra:

http://www.taz.de/!5389548/
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Vongole »

Selina hat geschrieben:(29 Oct 2018, 23:47)

Verteidiger von Roger Waters meinen zudem, dass Merkel die israelische Siedlungspolitik ebenfalls mehrfach aufs Schärfste kritisiert habe und ganz gewiss trotzdem keine Antisemitin ist. Und die Bewegung Boycott, Divestment and Sanctions (BDS), bei der Waters offenbar mitgemacht hat, steht zwar zurecht in der Kritik, weil der Boykott israelischer Waren einfach mal unredlich und der falsche Weg ist, um politische Ziele zu erreichen. Aber ob BDS deshalb auch antisemitisch ist, wird durchaus unterschiedlich bewertet. Hier mal ein Pro und ein Kontra:

http://www.taz.de/!5389548/
Klar, wer einen Stern Davids auf einem aufblasbaren Schwein und daneben ein Dollar-Zeichen sieht, denkt zuerst mal an die politische Situation im Nahen Osten, ja?
Hat Waters bestimmt als Bühnendekoration aus lauter Empathie für die armen Palästinenser gewählt.
BDS ist eine zutiefst antisemitische Bewegung, erinnert in ihrem Slogan an die Naziparole "Kauft nicht beim Juden", zielt auf die Zerstörung/Auflösung Israels ab,
ist verbunden mit Terroristen und unterstützt deren Ziele.
Mit Kritik hat das so wenig zu tun wie die Kuh mit dem Fliegen, aber mit Judenhass jede Menge.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Selina »

Vongole hat geschrieben:(30 Oct 2018, 00:10)

Klar, wer einen Stern Davids auf einem aufblasbaren Schwein und daneben ein Dollar-Zeichen sieht, denkt zuerst mal an die politische Situation im Nahen Osten, ja?
Hat Waters bestimmt als Bühnendekoration aus lauter Empathie für die armen Palästinenser gewählt.
BDS ist eine zutiefst antisemitische Bewegung, erinnert in ihrem Slogan an die Naziparole "Kauft nicht beim Juden", zielt auf die Zerstörung/Auflösung Israels ab,
ist verbunden mit Terroristen und unterstützt deren Ziele.
Mit Kritik hat das so wenig zu tun wie die Kuh mit dem Fliegen, aber mit Judenhass jede Menge.
Tja, das ist das alte Lied und die alte Fragestellung: Ist Kritik an Israels Politik gleichzusetzen mit Antisemitismus? Roger Waters selbst sieht das ja alles etwas anders und weist den Antisemitismus-Vorwurf strikt von sich.

Zitat:

Antisemitismus: Waters wehrt sich in einem offenen Brief

Um eben dieses Schwein geht es. Und um den Davidstern, der an der unteren rechten Seite seines Maules prangt. Der Show, die ­etwa 28 500 Zuschauer in das Frankfurter Stadion lockte, war eine heftige Diskussion vorausgegangen. Ein Besucher von Waters Konzert in Belgien am 18. Juli hatte ein Video von dem Schwein auf der Internetplattform You Tube hochgeladen – prompt hagelte es Kritik von vielen Seiten. Unter anderem von Rabbi Abraham Cooper, dem stellvertretenden Direktor des Simon-Wiesenthal-Centers. Er wirft dem einstigen Mitbegründer der Band Pink Floyd vor, er sei ein Antisemit, „ein bekennender Juden-Hasser“.

Dagegen wehrt sich Waters in einem offenen Brief auf seiner Facebook-Seite: Er fühle sich durch den Vorwurf des Antisemitismus persönlich beleidigt, und weist darauf hin, dass er in seiner Show außer dem Davidstern auch das Kreuz und den Halbmond verwendet. Der Musiker argumentiert, die Symbolik des Davidsterns in „The Wall“ richte sich gegen die Politik des Staates Israel, eines Staates, so Waters, „der Apartheid praktiziert, sowohl innerhalb seiner eigenen Grenzen also auch in den Gebieten, die er seit 1967 besetzt und kolonisiert hat“. Friedlich gegen Israels Innen- und Außenpolitik zu protestieren sei nicht antisemitisch.


https://www.stuttgarter-nachrichten.de/ ... d0202.html
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Vongole »

Wenn Waters den Vorwurf, Israel betreibe Apartheid-Politik, nicht für antisemitisch/antizionistisch hält, dann ist er noch dämlicher, als ich dachte.
Und ob ihn das beleidigt, geht mir persönlich am Achtersteven vorbei.
Was mir aber nicht egal ist, dass Juden sich durch solche "Symbolik" beleidigt, angegriffen und herabgewürdigt sehen, und dass Waters mit BDS aktiv an der Zerstörung des jüdischen Staates Israel arbeitet.


@schoko:
Was Lieberberg angeht, so trifft auf ihn ein Satz von Alexander Roda Roda zu:
"Aus dem Antisemitismus könnte schon was werden, wenn sich nur die Juden seiner annehmen würden".
Mit anderen Worten, solange sich Antisemiten auf sich selbst hassende Juden berufen könnnen, gibt ihnen das ein gutes Gefühl der Selbstgerechtigkeit.
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Beitrag von schokoschendrezki »

Vongole hat geschrieben:(30 Oct 2018, 00:34)

Wenn Waters den Vorwurf, Israel betreibe Apartheid-Politik, nicht für antisemitisch/antizionistisch hält, dann ist er noch dämlicher, als ich dachte.
Und ob ihn das beleidigt, geht mir persönlich am Achtersteven vorbei.
Was mir aber nicht egal ist, dass Juden sich durch solche "Symbolik" beleidigt, angegriffen und herabgewürdigt sehen, und dass Waters mit BDS aktiv an der Zerstörung des jüdischen Staates Israel arbeitet.


@schoko:
Was Lieberberg angeht, so trifft auf ihn ein Satz von Alexander Roda Roda zu:
"Aus dem Antisemitismus könnte schon was werden, wenn sich nur die Juden seiner annehmen würden".
Mit anderen Worten, solange sich Antisemiten auf sich selbst hassende Juden berufen könnnen, gibt ihnen das ein gutes Gefühl der Selbstgerechtigkeit.
Selbsthass kann ich da bei LIeberberg eigentlich nicht erkennen. Er will strikt trennen zwischen künstlerischer Leistung und politischem Engagement. Ersteres hält er bei Waters/PinkFloyd für genial, zweiteres wie etwa Waters' Engagement bei den Israel-Boykott-Aktionen lehnt er rigoros ab. Nun gehört aber die optische Gestaltung von Pink-Floyd-Konzerten definitiv zum künstlerischen Konzept der Band. Und ein fliegendes Schwein mit einem Davidstern hat eben definitiv eine antisemitische Konnotation. Da führt kein Weg vorbei, Ich sehe da eher eine Art Selbstverliebtheit in ein generationenprägendes Konzept von Rockmusik. Ich war als Pubertierender ja selbst mal glühender Pink-Floyd-Fan. Und sehe das heute eben als das: Als typische Pubertäts-Macke. Ein Angezogensein von Macht, Größe, Pathos, Männlichkeitsphantasien.

Meine Abneigung gegen Wagner, das muss ich zugeben, ist irgendwie auch ein wenig obsessv. Aber: Man muss diesen Text ("Über das Judenthum in der Musik") wirklich mal komplett gelesen haben. Und man muss verstehen, dass Wagner diese Ansichten nicht als spontane Gefühlsentladung verstanden haben wollte. Es gab bei ihm ein thematisches Insistieren auf das Thema. Immer wieder. Und in diesem Text sind - wie kaum sonst irgendwo - die typischen Erzählungen und Stereotype auf den Punkt gebracht und vor allem reproduzierbar in die Welt gesetzt. Nur als ein Beispiel: Der sogenannte definite Singular: Aus "die Juden" wird "der Jude". Alle heißen Itzig. Wobei interessanterweise neben Wagner auch Karl Marx einer derjenigen ist, die sich dieses Singulars bedienen (in "Zur Judenfrage"), Da würde ich dann wirklich von Selbsthass reden. "Der Jude" also sei unfähig zu tatsächlicher, authentischer künstlerischer Artikulation, weil ihm eine tatsächliche Zugehörigkeit fehle und nur aus solchen Zugehörigkeiten authentischer Ausdruck entstehen könne. Das ist eine der zentralern Thesen in "Das Judenthum in der Musik". Es sei immer nur Nachahmung und an die Stelle eines völkischen, nationalen Wir-Zusammenhangs trete die "mauschelnde" Individualität. Künstliches anstelle von Künstlerischem. Ich glaube, dass dieser gedankliche Topos bis tief ins Unterbewusste der westlichen Zivilisation eingesickert ist und sich heute nur in allen möglichen anderen Varianten äußert.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(29 Oct 2018, 23:47)

Verteidiger von Roger Waters meinen zudem, dass Merkel die israelische Siedlungspolitik ebenfalls mehrfach aufs Schärfste kritisiert habe und ganz gewiss trotzdem keine Antisemitin ist. Und die Bewegung Boycott, Divestment and Sanctions (BDS), bei der Waters offenbar mitgemacht hat, steht zwar zurecht in der Kritik, weil der Boykott israelischer Waren einfach mal unredlich und der falsche Weg ist, um politische Ziele zu erreichen. Aber ob BDS deshalb auch antisemitisch ist, wird durchaus unterschiedlich bewertet. Hier mal ein Pro und ein Kontra:

http://www.taz.de/!5389548/
Die politische Situation heute und Mitte, Ende des 19. Jahrhunderts ist nun mal sehr sehr unterschiedlich.

Aber zu Pink FLoyd/Wagner/Antisemitismus noch mal. Das Album mit dem orchestralen Pompwerk "Atom Heart Mother" erschien 1970. Noch vor den großen kommerziellen Erfolgen der Band. Für die meisten ist es inzwischen vergessen und für viele andere zurecht als "ungenießbar" eingestuft. Natürlich handelt es sich musiktechnisch um eine Trivialisierung, um eine Art André-Rieuisierung des Tonkünstlers Wagners. Und dennoch: Die Intentionen der Musiker von Pink FLoyd wie auch des eigentlichen Komponisten und Arrangeurs Ron Geesin gehen ganz eindeutig auf Wagner-Ästhetik zurück oder zumindest auf das, was dafür gehalten wurde. Von der Empfehlung Geesins an die Band, sich mal Wagners Parsifal als Vorbild anzuhören bis hin zum Einsatz von "Wagnertuben" in den bombastischen Orchesterpassagen. (Die übrigens keine Tuben sondern eine spezielle Ausführung von Waldhörnern sind). Eine halb männlich-infantile, halb kommerziell erfolgreiche Begeisterung für: Rausch. Volk. Körper. Pathos. Und - wenn auch vielleicht damals nicht bewusst wahrgenommenem - Gegenkonzept zum vermeintlich künstlichen und vermeintlich jüdischen Intellektualismus. Und Wagner hatte als Juden-Feindbild noch jemanden wie Meyerbeer vor Augen. Wenn er geahnt hätte, dass ein Kafka, ein Freud, ein Einstein ihm folgen würden! "Das Judenthum in der Musik", Bayreuth, Wagner, Pink Floyd, Roger Waters, das Schwein mit dem Davidstern ... es gehört zusammen!
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Selina
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(30 Oct 2018, 08:06)

Die politische Situation heute und Mitte, Ende des 19. Jahrhunderts ist nun mal sehr sehr unterschiedlich.

Aber zu Pink FLoyd/Wagner/Antisemitismus noch mal. Das Album mit dem orchestralen Pompwerk "Atom Heart Mother" erschien 1970. Noch vor den großen kommerziellen Erfolgen der Band. Für die meisten ist es inzwischen vergessen und für viele andere zurecht als "ungenießbar" eingestuft. Natürlich handelt es sich musiktechnisch um eine Trivialisierung, um eine Art André-Rieuisierung des Tonkünstlers Wagners. Und dennoch: Die Intentionen der Musiker von Pink FLoyd wie auch des eigentlichen Komponisten und Arrangeurs Ron Geesin gehen ganz eindeutig auf Wagner-Ästhetik zurück oder zumindest auf das, was dafür gehalten wurde. Von der Empfehlung Geesins an die Band, sich mal Wagners Parsifal als Vorbild anzuhören bis hin zum Einsatz von "Wagnertuben" in den bombastischen Orchesterpassagen. (Die übrigens keine Tuben sondern eine spezielle Ausführung von Waldhörnern sind). Eine halb männlich-infantile, halb kommerziell erfolgreiche Begeisterung für: Rausch. Volk. Körper. Pathos. Und - wenn auch vielleicht damals nicht bewusst wahrgenommenem - Gegenkonzept zum vermeintlich künstlichen und vermeintlich jüdischen Intellektualismus. Und Wagner hatte als Juden-Feindbild noch jemanden wie Meyerbeer vor Augen. Wenn er geahnt hätte, dass ein Kafka, ein Freud, ein Einstein ihm folgen würden! "Das Judenthum in der Musik", Bayreuth, Wagner, Pink Floyd, Roger Waters, das Schwein mit dem Davidstern ... es gehört zusammen!
Danke für die Hintergründe. Bin immer großer Pink-floyd-Fan gewesen, wir haben bis auf das von dir erwähnte alle Alben (was damals in der DDR ein absoluter finanzieller und organisatorischer Kraftakt war, die zu kriegen), aber so hab ich das nie gesehen. Werd mal drüber nachdenken und einen nahen Angehörigen fragen, der als wirklicher Kenner von Roger Waters und Pink floyd gilt. Mal sehen, was der dazu sagt. Ansonsten fänd ich es sehr sehr schade, wenn hinter dieser Musik und diesen Texten wirklich Antisemitismus stecken würde. Uns alle hat das damals immer sehr bewegt, was die musikalisch und auch textlich gemacht haben. Aber Parallelen zum Antisemiten Wagner? Nee, haben wir nicht gesehen. Aber wie gesagt, ich frag mal unseren Familien-Pink-floyd-Kenner ;) Ansonsten finde ich die heutigen Aktionen von Roger Waters (von denen ich bis zu deiner Bemerkung gar nichts wusste) sehr überzogen, zumal doch jeder weiß, was gerade wieder für ein Klima weltweit herrscht. Und dennoch muss es meines Erachtens möglich sein, die Politik Netanjahus kritisch betrachten zu dürfen, ohne als Antisemit und Feind Israels zu gelten. Bei mir zum Beispiel hat sowas eher kapitalismuskritische Hintergründe. Ich glaube auch, wenn man da sehr vorsichtig und differenziert rangeht, müsste doch eigentlich deutlich werden, dass einem nichts fremder ist als Antisemitismus. Ich selbst würde mich entschieden dagegen verwahren, falls mich jemand in diese Schublade stecken wollte. Mal ganz unabhängig von Roger Waters. Was hälst du denn selbst von Netanjahu und seiner Politik gegenüber den Palästinensern und von seiner Nähe zum Rechtspopulisten Trump?
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Quatschki »

schokoschendrezki hat geschrieben:(29 Oct 2018, 21:45)
.... bei Aufführung des Stücks "Nathan der Weise" des jüdischen Dichters Lessing ...
Anmerkung dazu: Lessing war kein Jude, sondern Lutheraner und ist auch nie aus Deutschland herausgekommen.
Und sein Stück "Nathan der Weisse", mit dem hierzulande Generationen von Schulkindern malträtiert werden, offenbart viel von jener Gutmenschen-Naivität, mit der die Deutschen gern die Welt betrachten, die sie selbst nie erlebt haben.
in arabisch oder hebräisch gibt es noch nicht mal einen Wikipedia-Eintrag weder von Lessing, noch von seinem bekanntesten Stück.
Die können vermutlich mit dem Stoff und der Botschaft dieses sächsischen Geistesmannes einfach nichts anfangen.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von Marmelada »

Vongole hat geschrieben:(28 Oct 2018, 17:53)

Hier gehts aber nicht um seine Qualitäten als Comedian, oder bist du der Meinung, Nichtgefallen rechtfertigt Antisemitismus?
Nun ja, Polak nutzt selbst "Comedy-Qualitäten", mit denen Böhmermann zu Recht in die Kritik gerät. Und damit meine ich nicht einmal Sprüche wie „Ich fick gerade eine Zigeunerin. Beim Petting weißt du nie, ob sie dich oder deine Wertsachen abtastet.“, sondern die Diffamierung von Personen live auf der Bühne:

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-129339538.html
Polak: Dann entdeckte ich in der dritten Reihe ein siebenjähriges Mädchen, das mit so einem dubiosen Typen da war. Eine Siebenjährige in einer Late-Night-Show! Das kann ich als Komiker nicht liegen lassen. Ich sagte der Kleinen, dass ich für sie hoffte, der Typ neben ihr sei ihr Vater - "sonst könntest du nachher auf dem Heimweg noch richtige Probleme kriegen". Dann fragte ich sie, wie alt sie sei. Sieben, sagte sie. Ach, leider zu alt für mich.

SPIEGEL: Oje.

Polak: Superschäbiger, mieser Gag, ich weiß, aber ich mag den. Das Publikum hat gebuht wie verrückt. Ich ging von der Bühne, und der Moderator entschuldigte sich anschließend für mich.
Das Gesamtwerk Polaks kenne ich nicht, aber was man auf youtube so findet, ist tatsächlich "ultrakrasse Ficki-Ficki-Comedy", wie Böhmermann es nennt. Ultrakrass durch häufige Einbeziehung von Pädophilie-"Witzen". Ansonsten noch "Witze" mit Anne Frank und so, die ich persönlich auch nicht witzig oder zum Nachdenken anregend finde, aber das müssten Holocaust-Opfer natürlich selbst beurteilen, ob Polak das darf.

Für mich steht aber fest, dass Polaks Austeiler-Qualitäten mindestens genauso gefestigt sind wie seine Empfindsamkeit auf die eigene Person.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von schokoschendrezki »

Quatschki hat geschrieben:(30 Oct 2018, 10:17)

Anmerkung dazu: Lessing war kein Jude, sondern Lutheraner und ist auch nie aus Deutschland herausgekommen.
Autsch. Danke. Ja. Da hast Du mich jetzt aber auf dem falschen Fuß erwischt. Wahrscheinlich hat mich als pubertierender Schüler die Erörterung der "Ringparabel" auch irgenndwie genervt.

Hier gehts aber um was anderes. Der Antisemitismus von Richard Wagner war exzeptionell. Das steht fest. Wagner wurde nicht einfach so und ungefragt instrumentalisiert. Der wollte genau so verstanden werden, wie er es in "Das Judenthum in der Musik" beschrieben hat. Als (natürlich kritisch kommentierten) Text könnte man Schülern die Wesenszüge des Antisemitismus im 19. Jahrhundert anhand dieses Pamphlets wohl kaum anschaulicher beschreiben.
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Re: Antisemitismus

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(30 Oct 2018, 08:52)

Danke für die Hintergründe. Bin immer großer Pink-floyd-Fan gewesen, wir haben bis auf das von dir erwähnte alle Alben (was damals in der DDR ein absoluter finanzieller und organisatorischer Kraftakt war, die zu kriegen), aber so hab ich das nie gesehen. Werd mal drüber nachdenken und einen nahen Angehörigen fragen, der als wirklicher Kenner von Roger Waters und Pink floyd gilt. Mal sehen, was der dazu sagt. Ansonsten fänd ich es sehr sehr schade, wenn hinter dieser Musik und diesen Texten wirklich Antisemitismus stecken würde. Uns alle hat das damals immer sehr bewegt, was die musikalisch und auch textlich gemacht haben. Aber Parallelen zum Antisemiten Wagner? Nee, haben wir nicht gesehen. Aber wie gesagt, ich frag mal unseren Familien-Pink-floyd-Kenner ;) Ansonsten finde ich die heutigen Aktionen von Roger Waters (von denen ich bis zu deiner Bemerkung gar nichts wusste) sehr überzogen, zumal doch jeder weiß, was gerade wieder für ein Klima weltweit herrscht. Und dennoch muss es meines Erachtens möglich sein, die Politik Netanjahus kritisch betrachten zu dürfen, ohne als Antisemit und Feind Israels zu gelten. Bei mir zum Beispiel hat sowas eher kapitalismuskritische Hintergründe. Ich glaube auch, wenn man da sehr vorsichtig und differenziert rangeht, müsste doch eigentlich deutlich werden, dass einem nichts fremder ist als Antisemitismus. Ich selbst würde mich entschieden dagegen verwahren, falls mich jemand in diese Schublade stecken wollte. Mal ganz unabhängig von Roger Waters. Was hälst du denn selbst von Netanjahu und seiner Politik gegenüber den Palästinensern und von seiner Nähe zum Rechtspopulisten Trump?
Der Bombastismus der Pink-Floyd-Musik ist für mich zunächst mal mein eigener selbstkritischer Blick auf meine eigene pubertäre musikgeschmackliche Verwirrtheit. Das gehört eigentlich nicht hierher. Erst viel viel später, anlässlich eines der letzten Pink-Floyd-Konzerte überhaupt (in Lissabon 1994 und ohne Roger Waters) ist mir endgültig ein Licht aufgegangen, dass das Musik für VW-Manager und zum Sektanstoßen ist. Nix für kreative Menschen.

Netanjahu halte ich, um es kurz zu sagen, für einen ebensolchen Opportunisten wie Viktor Orbán, den er trotz staatlicher antisemitischer Kampagnen in Ungarn anlässlich eines Staatsbesuchs im Juli diesen Jahres für (wörtlich!) "einen wahren Freund Israels" hält. Dies schlicht einen "Irrtum" zu nennen, wäre noch der vorsichtigste Versuch einer Kritik.
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