Eine Regierung ohne FDP ist für mich kein Verlust. Und sicher, es ist ebenso legitim vor wie nach Verhandlungen eine Koalition auszuschließen. Das kreide ich ihr nicht an. Aber das Vorbringen von Argumenten wie etwa mangelndes Vertrauen führt für mich zum Schluss, dass die Sondierungen nur Show und nicht ernstgemeint waren. Mir fällt hier auch Lindners Ungehaltenheit bei Maischberger direkt im Anschluss an die Bundestagswahl ein, als Schulz verkündete, dass sie für eine GroKo nicht zu Verfügung stehen. Aus Sicht der FDP finde ich das auch nachvollziehbar. Eine Verweigerung von vornherein hätte nur Minuspunkte gebracht, es hätte wie Unfähig- bzw. Unwilligkeit zum Regieren ausgesehen. Das widerspricht dem aufgebauten Image des Machers Lindner; man konnte den Eindruck bekommen, das Programm der FDP heißt Lindner. Von daher war es politisch ein Unding, von vornherein zu sagen "wir wollen nicht". Daraus wäre ein "wir können nicht" geworden. Eine Absage nach Verhandlungen bringt dagegen Profilierungschancen.JJazzGold hat geschrieben:(23 Nov 2017, 16:01)
Eine Verweigerung von Anfang an wäre legitim gewesen, die SPD hat diese für sich in Anspruch genommen.
Nichts desto trotz bin ich der Meinung, dass sich eine Sondierung immer lohnt, auch wenn das Fazit negativ ausfällt. Dass diese mit einer 50:50 Chance behaftet war, war allen Beteiligten bewusst und daran hat auch keiner der Beteiligten Zweifel gelassen.
Der Fehler der externen Beobachter war, anfänglich auch meiner, allein vom Zustandekommen einer Sondierung darauf zu schließen, es würde sich ggfls. doch rütteln und am Ende eine halbwegs stabile Regierung ergeben, die wenigstens anteilig meinen Interessen widerspiegelt. Das ist auch ein wenig die Friede, Freude, Eierkuchen Erwartung zu verdanken, die uns die vergangenen Wahlen gelehrt haben. Den leisen Zweifel, in Abetracht wie sich der letzte Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Koalition auf die FDP ausgewirkt hat und der etwas weniger leise Zweifel, welche weitreichenderen Auswirkungen diese Viererkonstellation Jamaika Koalition haben könnte, den habe ich zugunsten des Abwartens, wie sich die Sondierung entwickeln würde, einen Versuch ist es wert, hintangestellt, aber nicht gelöscht. Eine Sondierung, die in ihrer Tiefe, völlig verfehlt für eine Sondierung im übrigen, den Koalitionsgesprächen gleichzusetzen ist.
Letztendlich hat sich herausgestellt, dass es eben nicht passt, dass zuvor Beschlossenes wieder gekippt wurde, dass beschlossene Formulierungen erneut überarbeitet werden sollten, was ggfls. eine völlig andere Aussage und Auswirkung dargestellt hätte, das nachträglich Einwände eingereicht wurden, die zuvor nicht genannt, gelistet worden waren und zu einem Zeitpunkt x stand man vor nicht bereinigbaren “Neins“, kurz, was den negativen 50% Erwartung entsprach.
Dann die Haltung einzunehmen, angesichts des Erreichten und überwiegend Unerreichten, zuzüglich unverhandelbarer konträrer Standpunkte zu sagen, das wird nichts, halte ich nicht für ehrenrührig, sondern für anerkennenswert realistisch und konsequent.
Hätte man sich gar nicht erst darauf eingelassen, dann wäre man um etliche Erkenntnisse ärmer, die ggfls. einer zukünftigen Zusammenarbeit, oder Oppositionsarbeit, zugute kommen, inhaltlich wie zeitlich und nicht zuletzt in der Vertrauensbildung. Das wird, auch das eines dieser Erkenntnisse, keine Jamaika Koalition auf Bundesebene sein, aber es wird im Zuge anderer Koalitionsmöglichkeiten zum Tragen kommen.
Was damit nicht nur einem Verlust, Jamaikakoaltion, entspricht, sondern auch einem Gewinn dieser Gespräche. Hätte man darauf verzichten sollen, indem man von Anfang an die Zweifel hätte überwiegen lassen? Die Frage müssen Sie für sich beantworten, ich habe sie bereits beantwortet, mit nein.
Aus meiner Sicht ist das ein unwürdiges und potentiell gefährliches Spiel, da eine der Grundtugenden der parlamentarischen Demokratie mit Verhältniswahlrecht das Finden und Aushalten von Kompromissen ist. Ja, zwischen Kompromiss und Beliebigkeit ist manchmal schwer zu unterscheiden und die Notwendigkeit von Kompromissen kann die Unterscheidbarkeit von Parteien nivellieren, was mMn ebenso eine der Schwachstellen der parlamentarischen Demokratie ist. Sie lebt von Streit, von Unterscheidbarkeit, von dem Bild, dass sie einen Rahmen bietet für unterschiedliche politische Ansätze und Vorstellungen, die sich über Verwaltungsfragen erstrecken. Es ist vollkommen legitim zu sagen, wir sehen keine Kompromissmöglichkeiten, deswegen verzichten wir auf Koalitionsgespräche. Sondierungen sollen eigentlich die Kompromissbreite ausloten, aber wie Sie schon sagten, gingen diese sehr tief. Das bedeutet aber auch, dass die Kompromissfähigkeit frühzeitig absehbar gewesen sein muss. Dann steigt man eben aus und begründet das mit der Absehbarkeit.
Auf diese Weise aber, am Ende der Verhandlungen diese für gescheitert zu erklären, wirkt es wie das Drehen einer langen Nase. Und die grotesken Begründungen (Vertrauensmangel, etc) unterstreichen das nur. Das hält die Demokratie nicht lebendig, es karikiert die Tugend als Hindernis eben aufgrund der wochenlangen Verhandlungen. Lassen Sie es mich so sagen: Entweder hat die FDP versagt bei der Durchsetzung von für sie unabdingbaren Punkten, dann ist sie nicht fähig. Oder sie hat es verabsäumt, die Bruchlinien zu benennen und darauf gewartet, dass diese dann nicht beachtet wurden (werden konnten). Dann hat sie nicht gewollt. Die Kompromissnot hat ja nicht allein die Gelben getroffen, sondern drei weitere Parteien.
Wie gesagt, mich stört nicht die Absage der FDP. Von der Opposition aus kann sie erheblich weniger Schaden anrichten und gelegentlich sogar nutzen, wenn sie sich ihrer bürgerrechtlichen Komponente erinnert. Mich stört die Verlogenheit, die über das übliche politisch-strategische Maß hinausgeht.
Eine weitere Sichtweise, die das Scheitern im Licht des aufsteigenden Populismus deutet, habe ich hier gefunden.
Ein bedenkenswerter Ansatz.Germany’s political system is based on the ability to compromise. All German governments since 1949 have been coalition governments and so far, they have always worked. The rise of populism has complicated all this, and not only in mathematical terms. Mr. Lindner’s decision also shows that the AfD has corrupted the ability to compromise in a more fundamental way. It has managed to discredit compromise as a core value of democracy.