Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

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Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von streicher »

Vor einiger Zeit habe ich einen Artikel über die Aleviten gelesen, in dem erwähnt wurde, dass das Alevitentum in seine Theologie Elemente aus vorislamischen Religionen Mesopotamiens sowie aus dem Sufismus übernommen hat. "Allah" wurde vom Islam wohl auch von altarabischen Kulten übernommen, wo er ein Hauptgott darstellte.

Kennt ihr einschlägige Literatur, aufschlussreiche Internetquellen? Welche archäologischen Funde gibt es? Es interessiert mich auch, inwiefern sie den Islam und seine Richtungen beeinflusst haben, welche Kulthandlungen zum Beispiel übernommen worden sind. Was spricht die Altarabistik? Welche Erkenntnisse gibt es?
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von streicher »

Wikipedia hat zu Altarabischen Gottheiten einen ziemlich ausführlichen Eintrag: Altarabische Gottheiten.
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immernoch_ratlos
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von immernoch_ratlos »

Ein interessantes Thema - jeder hat vom Anderen irgendwie "abgeschrieben" - besteht allerdings immer darauf selbst an "Gottes Lippe" gehangen zu haben - als Einziger, versteht sich ! - immer ist man dabei auch der Einzige, der "Gottes Ohr hat".

Wer gegenteiliges zu behaupten wagt wird günstigstenfalls einen - um seinen Kopf - "kürzer gemacht". Wenn die "gefühlte Verfehlung" dramatischer ist, wird auch die "gerechte Strafe" (im Namen des jeweiligen Gottes) sehr viel unangenehmer - Verbrennen bei lebendigem Leib (war) da sehr gebräuchlich. Wenn gerade kein Holz zur Hand ist, tut es auch das "Steinigen".

Es ist eher unwahrscheinlich, dass Vorgängerreligionen keinen Einfluss auf die Folgereligionen haben. Beim Islam liegt die Frage des Einflusses der jüdisch / christlichen Religion(en) um einiges näher. Da wäre das "Grab der Eva" (bei Dschidda (Jeddah Saudi Arabien) ein "gutes" Beispiel - wie die "Urmutter" - Nomen est Omen - „Dschadda“ was arab. „Großmutter“ bedeutet, mal sehr wichtig, dann wieder verpönt (der Wahhabismus verbietet jegliche "Heiligenverehrung") in den Zeitläufen verändert wird. Das legendäre Grab der "Urmutter Eva" wurde 1975 zerstört - eingeebnet - zubetoniert.

Nun geht "Eva" durchaus in die religiösen Überzeugungen weit vor dem Jahr Null (Hidschra) Flucht des Mohammed im Juli 622 (christlicher Zeitrechnung) hinaus. Nicht nur als "Eva" - "Stammmutter" (1. Buch Mose Genesis) sondern auch als "Erdgöttin, Erdmutter oder Erdherrin" existiert dieser Archetypus als Ursprung gleich für mehrere Religionen dieser Welt.

Zwangsläufig enthält eine so junge Religion wie der Islam zahlreiche "Anleihen" aus anderen und alle älteren Religionen. Kein Wunder also, das fanatische Anhänger des Islam, dies nicht nur bestreiten das dies so sei, sondern bemüht sind, alle Hinweise - also besonders archäologische "Beweise" zu tilgen. Übrigens wäre es sehr einseitig, solches Verhalten nur beim Islam zu beklagen. Keine Religion - eine Machtfrage - kann "Vorgängerreligionen" dulden, schließlich ist die eigenen Religion immer auf direkte göttlichen Einfluss hin entstanden.

Gleichgültig wann und woher - mit den Monotheistischen Religionen ist größere Unfreiheit verbunden, als mit polytheistischen Religionen. Wer sowieso für jedwede Angelegenheit die dazu passende Gottheit zur Verfügung hat, ist weniger an "harte" religiöse Vorstellungen gebunden. Da kann man / frau sich auch mal das "Passende" von anderen - aber auch von Vorgängerreligionen heraussuchen. Für Herrscher ist das allerdings problematisch. Soviel Freiheit kann man einfach nicht dulden. Selbst "Nichttheistische Religionen" mögen unterschiedliche "Götter" aka Parteien bis hin zur Einparteiendiktatur nicht sehr. Die Parallelen sind unübersehbar. In jedem Fall haben da immer "Vorgängerreligionen" Einfluss.
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von streicher »

Vom "Grab der Eva" habe ich noch nicht gewusst. Sehr interessant. Viele historische Stätten wurden erst in den letzten Jahrzehnten zerstört. Diese fundamentalistische und wüste Strenge im Islam scheint insbesondere ein Phänomen der letzten Jahrzehnte zu sein.
Was allerdings die Geschichte von Adam und Eva angeht: nicht nur wurde die jüdische Darstellung der Tora abgeschrieben und verändert (es gibt übrigens in der jüdischen Mythologie noch viele Darstellungen der Schöpfungsgeschichte), die Darstellung, wie wir sie aus der Bibel kennen, ist keineswegs die älteste. Eine 800 Jahre ältere Version, mit El als Gott und Horon als Widersacher, aber eben auch mit Adam und Eva in Hauptrollen, existiert im Ugarit in Keilschrift.

Judentum, Christentum und Islam werden gerne als Religionsfamilie bezeichnet. Mich hat lange verwundert, dass Muslime aus aller Welt zur Kaaba in Mekka reisen, um dieses Heiligtum zu umkreisen, in welchem ein Stein aufbewahrt. Der Ursprung dieses Brauchs liegt allerdings in den vor dem Islam existierenden Steinkulten. Ein übernommener Brauch.
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von Ingolstädter »

In der Kaaba befindet sich ein vor-islamisches Heiligtum (Stein).

Ebenso befindet sich ein ähnlicher Stein auf Zypern (Aphrodite-Tempel Kuklia alt-paphos ).

Mehr sage ich dazu nicht, weil ich die religiösen Gefühle fanatischer Gläubiger nicht verletzen will.
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Tom Bombadil
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von Tom Bombadil »

immernoch_ratlos hat geschrieben:(06 Nov 2018, 13:30)

Für Herrscher ist das allerdings problematisch. Soviel Freiheit kann man einfach nicht dulden.
Die alten Römer sind damit aber sehr lange sehr gut gefahren.
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von streicher »

Ingolstädter hat geschrieben:(18 Dec 2018, 10:15)

In der Kaaba befindet sich ein vor-islamisches Heiligtum (Stein).

Ebenso befindet sich ein ähnlicher Stein auf Zypern (Aphrodite-Tempel Kuklia alt-paphos ).
In Altarabien waren Steinkulte recht weit verbreitet.
1979 sollen sich noch unter der Kaaba Götterfiguren befunden haben, die durch eine Explosion freigelegt worden sind (Die Kaaba wurde besetzt: die Besetzung wurde durch militärischen Einsatz beendet). Die Götterfiguren verschwanden dann recht schnell. Verbleib unbekannt.
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von streicher »

Nach islamischer Auffassung sind sie 2000 Jahre vor dem Menschen erschaffen worden. Die Vorstellung von den Dschinn, aus Feuer erschaffenen Wesen, ist aus dem vorislamischen Arabien übernommen worden.
Im vorislamischen Arabien glaubten Menschen an Dämonen und Naturgeister, die eine für die Menschen feindliche Außenwelt verkörperten. Bis zur Zeit des Propheten Mohammed hatten sich die Dschinn zu unpersönlichen und charakterlosen Himmelswesen entwickelt, verantwortlich für ungewöhnliche Dinge. In dieser Vorstellung übernahmen sie die frühislamischen Araber und machten sie zu Gefährten Allahs.

Als Aufenthaltsorte bevorzugen Dschinn Wüsten, Wälder, Busch- und Strauchlandschaften, Ruinen, Grabstätten und Schlangengruben. Auch lieben sie Orte, die dunkel oder auch feucht sind, wie etwa Erdlöcher oder einen Hammām, besonders in der Nacht. Tagsüber bewegen sie sich im Allgemeinen in der Luft oberhalb der Menschensphäre bis direkt unterhalb der Engelsphäre, von wo aus sie fallweise die Gespräche der Engel belauschen können. Dieses Wissen können sie unter besonderen Umständen auch bestimmten Menschen mitteilen. Der Nutzen ist jedoch umstritten. Sie haben Familien (...)
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Lomond
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von Lomond »

Ingolstädter hat geschrieben:(18 Dec 2018, 10:15)

In der Kaaba befindet sich ein vor-islamisches Heiligtum (Stein).

Ebenso befindet sich ein ähnlicher Stein auf Zypern (Aphrodite-Tempel Kuklia alt-paphos ).

Mehr sage ich dazu nicht, weil ich die religiösen Gefühle fanatischer Gläubiger nicht verletzen will.
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von Umetarek »

streicher hat geschrieben:(19 Oct 2018, 19:09)

Vor einiger Zeit habe ich einen Artikel über die Aleviten gelesen, in dem erwähnt wurde, dass das Alevitentum in seine Theologie Elemente aus vorislamischen Religionen Mesopotamiens sowie aus dem Sufismus übernommen hat. "Allah" wurde vom Islam wohl auch von altarabischen Kulten übernommen, wo er ein Hauptgott darstellte.

Kennt ihr einschlägige Literatur, aufschlussreiche Internetquellen? Welche archäologischen Funde gibt es? Es interessiert mich auch, inwiefern sie den Islam und seine Richtungen beeinflusst haben, welche Kulthandlungen zum Beispiel übernommen worden sind. Was spricht die Altarabistik? Welche Erkenntnisse gibt es?
Allah ist das arabische Wort für Gott, vielleicht stammt es aus aus altarabischen Kulturen, aber auch arabische Christen glauben an Allah, eben weil heute Allah schlicht und ergreifend Gott bedeutet.
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von Adam Smith »

Umetarek hat geschrieben:(23 Sep 2019, 07:28)

Allah ist das arabische Wort für Gott, vielleicht stammt es aus aus altarabischen Kulturen, aber auch arabische Christen glauben an Allah, eben weil heute Allah schlicht und ergreifend Gott bedeutet.
Wenn jemand sagt, dass er an Allah glaubt, dann wird davon ausgegangen, dass er an den Islam glaubt. Wenn jemand sagt, dass er an Gott glaubt, dann kann er an fast alles glauben. Bis auf den Buddhismus.
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von Umetarek »

Adam Smith hat geschrieben:(23 Sep 2019, 08:27)

Wenn jemand sagt, dass er an Allah glaubt, dann wird davon ausgegangen, dass er an den Islam glaubt. Wenn jemand sagt, dass er an Gott glaubt, dann kann er an fast alles glauben. Bis auf den Buddhismus.
Nicht wenn er Araber ist. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass arabische Juden auch an Allah glauben. Ist eigentlich einfach verständlich.
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von streicher »

Umetarek hat geschrieben:(23 Sep 2019, 07:28)

Allah ist das arabische Wort für Gott, vielleicht stammt es aus aus altarabischen Kulturen, aber auch arabische Christen glauben an Allah, eben weil heute Allah schlicht und ergreifend Gott bedeutet.
Ja, das habe ich auch gelesen, dass "Allah" als Begriff mit unserem Begriff "Gott" vergleichbar ist und der Eigenname eher eine westliche Vorstellung ist.
Zu den vorislamischen Gottheiten fand ich noch folgenden Link: Altarabische Gottheiten

Daraus zitiert:
Allah (الله), auch ʾIlāh und Lāh „(der) Gott“. Er war schon bei den vorislamischen Arabern Hauptgott.
Ar-Rahmān (الرحمن) war eine ebenbürtige Bezeichnung für den Hauptgott in al-Yamāma und in Zentralarabien.[48] Noch in der islamischen Zeit ist die Unterscheidung zwischen Allah und Ar-Rahman überliefert. Bei Muhammad ibn Saʿd ist eine Zeile des Dichters Bischr ibn ʿAmr al-Dschārūd aus al-Yamāma überliefert, in der es heißt: „Wir sind in jeder Hinsicht mit Allāhs Religion zufrieden. Wir sind es zufrieden, Allāh und (!) ar-Raḥmān zum Herrn zu haben.“
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von Progressiver »

Die wissenschaftliche Forschung der heutigen Zeit über die Ursprünge des Islam ist schon lange nicht mehr auf dem Trip, dass alleine Mohammed durch seine Erlebnisse der Begründer des Islam sein kann, der quasi aus dem Nichts heraus eine neue Religion geschaffen hat. Ich kenne mich mit dem Thema selbst zu wenig aus. Aber es gibt auch Autoren, die der Meinung sind, der Islam entstand aus fanatisierten christlichen und jüdischen Sekten. In der Islamwissenschaft wird selbst die Frage erörtert, ob Mohammed wirklich gelebt hat oder ob er als Mensch so gewesen sei, wie es die Araber gerne hätten. Das ist aber auch der Unterschied zwischen einer wirklichen Islamwissenschaft und der islamischen Theologie, die absolute Wahrheiten behauptet und sie im Ernstfall mit Mord und Totschlag bekräftigen will. Im Christentum wurde man früher auch verbrannt, weil man es wagte, unorthodoxe Fragen und Antworten zu stellen. Ich denke, wir als freie Gesellschaft müssen also 1. die wirklichen Islamwissenschaftler bei der Suche nach Erkenntnissen vor Morddrohungen und nachfolgenden Taten schützen. Und 2. müssen wir die Erkenntnisse der modernen Islamwissenschaften auch unter den Muslimen verbreiten. Nichts darf zu heilig sein an Religionen, als dass man sie nicht infragestellen dürfte. Diese Schritte würden dann im Übrigen helfen, die Masse der hier lebenden Muslime zu befrieden und ihnen den Stachel des Fanatismus zu nehmen. Was aber die regierenden Parteien in Deutschland machen, zementiert den Glauben an die Mythen des Islam. Sie wollen ein Lehrfach "Islamische Theologie" einführen, um dann deutschsprachige islamische Religionslehrer auszubilden. Wenn man aber den religiösen Muslimen genau wie den religiösen Christen den jeweiligen Stand der Forschung zu ihren Religionen näherbringen könnte, dann würde das meiner Ansicht nach die Mehrheit der jeweiligen Religionsanhänger dazu bewegen, ihren Glauben als Mythos zu sehen bzw. als Folklore, welche in der heutigen Zeit aber keine größere Bedeutung mehr zu haben brauchen.
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von Ammianus »

Wenn man mit Maßstäben heutiger Historiker an die Entstehungszeit des Islam herangeht, sagen wir, das erste Jahrhundert, dann zeigt sich, dass es so gut wie keine originalen Dokumente aus dieser Zeit darüber gibt.
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von al-Faylasuf »

Ein äußerst lesenswertes Buch in Sachen frühislamischer Quellen ist das Werk "Seeing Islam as others saw it" von Robert G. Hoyland, eine Sammlung aus nichtislamischen zeitgenössischen Quellen (griechisch, lateinisch, syro-aramäisch, jüdisch, persisch, etc.pp)
Online nachzulesen (auf englisch) für Interessierte:

https://legrandsecretdelislam.files.wor ... saw_it.pdf

Sydney Griffith zeigte in seinem „Comparative Religion in the Apologetics of the First Christian Arabic Theologians“ ebenfalls anhand von zeitgenössischen Quellen auf, dass die ersten Christen, die sich apologetisch mit dem Islam auseinandersetzten, als Gründe für die Unterlegenheit des Islam dessen Betonung der Vernunft und offensichtliches Desinteresse an Mysterien anführten.

Tatsächlich gibt es zahlreiche akademisch äußerst lesenswerte Bücher, die sich allerdings eben in einer solchen akademischen Blase befinden, und man sich als Interessierter schon auf Portalen wie academia.eu registrieren sollte, um (vor allem auf englisch) sich weiterzubilden. Stattdessen wird der hiesige Mainstream eher von populär"wissenschaftlichen" Bestsellern mit vermeintlich tabubrechenden und dem traditionellen Narrativ dekonstruierenden Thesen beherrscht.

Über diese Lücke gab es vor nicht allzulanger Zeit einen lesenswerte Artikel: https://de.qantara.de/inhalt/wissenscha ... mversteher
„Wir sollten keine Scham empfinden, die Wahrheit anzuerkennen und sie zu verarbeiten, selbst wenn sie von früheren Geschlechtern und fremden Völkern kommt." (al-Kindi, gest. 873)
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Progressiver
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von Progressiver »

Die Anfänge des Islam liegen im Dunkeln. Falls Mohammed gelebt haben soll, dann hat er sich seine Ideen nicht völlig aus dem Nichts heraus ausgedacht, sondern wird sich von anderen, vorislamischen Religionen der arabischen Halbinsel bzw. der Christen und der Juden abgeguckt haben. Auch der Jesuskult gründet auf einem Mythos. Genau so ist es mit dem Mohammedkult. Bei beiden Religionen wird aber behauptet, alle in ihren angeblich heiligen Schriften und Geschichten dargestellten Ereignissen handele es sich um absolut unanzweifelbare Tatsachen. Es gibt Christen, die erkennen, dass die Bibel eine Mischung aus Tatsachen und Märchenbuch ist. Bzw. ein wirres Sammelsurium aus Regeln. Diese können aber in der Regel problemlos ihre Religionsgemeinschaft verlassen, wenn sie vom Glauben abfallen. Wer dagegen erkennt, dass die Geschichten um Mohammed und die Anfänge des Islam nichts als ein Mythos darstellen, der bekommt mörderische Probleme mit seinen ehemaligen Glaubensgenossen.

Dies soll nicht heißen, dass christliche Sekten gegenüber ihren Aussteigern nicht ebenso gewaltigen Psychoterror verbreiten. Und auch bei diesen wirkt die gewaltige Indoktrinations- und Einschüchterungsmaschine, dass man bei Glaubensabfall in eine sogenannte Hölle kommen würde. Aber der Islam funktioniert da nicht humaner, sondern gegenüber Leuten, die vom Glauben abfallen, eben eine Stufe mörderischer. Würde es das Konzept dieser gewaltigen Einschücherungsversuche nicht geben, wäre das der Tod des Islam. So aber tötet der Islam -genau so wie jede andere Religion oder Ideologie, die für sich beansprucht, die absolute, einzige und alleinglückseligmachende Wahrheit zu verkünden- jeglichen Rest an Menschlichkeit.
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von streicher »

Progressiver hat geschrieben:(23 Sep 2019, 20:58)

Die wissenschaftliche Forschung der heutigen Zeit über die Ursprünge des Islam ist schon lange nicht mehr auf dem Trip, dass alleine Mohammed durch seine Erlebnisse der Begründer des Islam sein kann, der quasi aus dem Nichts heraus eine neue Religion geschaffen hat. Ich kenne mich mit dem Thema selbst zu wenig aus. Aber es gibt auch Autoren, die der Meinung sind, der Islam entstand aus fanatisierten christlichen und jüdischen Sekten. In der Islamwissenschaft wird selbst die Frage erörtert, ob Mohammed wirklich gelebt hat oder ob er als Mensch so gewesen sei, wie es die Araber gerne hätten.
Bekannt ist wohl, dass die Bestrebungen nach einer monotheistischen Religion in dem dortigen Raum älter sind. Neben Judentum und Christentum gab es den Rahmanismus, der die früheren polytheistischen Religionen seit dem 4. Jahrhundert nach Christus verdrängten.
Auch war Mohammed nicht allein im Anspruch zu seiner Zeit, Prophet zu sein: ein weiterer Hanif beanspruchte dies zur selben Zeit: Abu Amir (Hanif: Anhänger einer vorislamischen monotheistischen Religion, jedoch nicht Anhänger des Juden- oder Christentums).

Bei der Besetzung der Großen Moschee 1979 kam es zu einer Explosion, die den Boden der Kaaba aufgerissen hat. Vorislamische Idole wurden dadurch aufgedeckt, die durch arabische Behörden schnell beseitigt und damit weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen entzogen wurden. So bekommt man natürlich den Eindruck, dass Saudi-Arabien das, was davor war, gar nicht thematisiert haben will.
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Re: Altarabische Religionen und Gottheiten - und ihr Einfluss auf den Islam

Beitrag von al-Faylasuf »

Das islamische Selbstverständnis lautet auch nicht, dass Muhammad Begründer einer neuen Religion "aus dem Nichts" gewesen ist, sondern ein Glied in einer langen Kette von Gesandten/göttlich inspirierten Personen stand.*** Man sollte den Islam als spätantike Reformation betrachten, welche einerseits die heidnisch-hellenischen Neuerungen auf christlicher Seite und andererseits die Anhänger des Judentums (neben seiner Kritik an dessen strikten Literalismus in Form hunderter Gebote, die letztlich - um es in der Sprache der Rabbiner auszudrücken - dahin führt, "die Thora mehr zu lieben als Gott") daran erinnert, dass die Errettung nicht durch die Zugehörigkeit zu einem auserwählten Volk gehört, sondern aus "glauben und gutes tun" besteht. Wobei heute, 1.400 Jahre nach Muhammad, bei den Muslimen genau jener kontext- und sinnbefreiter Literalismus en vogue geworden ist, den man den Juden seinerzeit noch vorwarf - ein Ergebnis des klassischen Konflikts zwischen freier Wille/Vernunft einerseits und andererseits dem ebenso menschlichen Wunsch nach klaren Regeln. Aber das ist wiederum ein anderes Thema. Die Christlichen Theologen der Spätantike bzw. des Frühmittelalters begriffen den Islam jedenfalls auch als "christliche Häresie", einer Art Geißel Gottes durch die (dank Paulus) vom Heil ausgeschlossenen Nachfahren Hagars (deswegen auch "Hagarenen" oder "Ismaeliten" als zeitgenössische Bezeichnung).


***ergänzend zum Konzept der Prophetie sei dies hinzugefügt. Die islamische "Theologie" (kalam) als auch die Philosophie (sowohl die klassische falsafa als auch die nachklassische hikma) kennt - ebenso wie andere isl. Diszipline wie "aqida" (Dogmatik) usw. - unterschiedliche Abstufungen in Sachen "göttlicher Inspiration". Muhammad stellte, so die islamische Sichtweise, den Schlusspunkt in der höchsten Kategorie dar. Was jedoch nicht bedeutet, dass nach seinem Tod Gott sozusagen aufhört, seinen Funken Person x oder y einzuhauchen, auf das sie die Menschen zum Guten inspirieren möge. Neben "Resulullah" (Gesandter Gottes) und "Nebi'ullah" (Prophet Gottes) gibt es u.a. auch den Waliullah - den "Freund" Gottes, was man durchaus mit "Heiliger" übersetzen kann - was sich zumeist auf einflussreiche Sufis wie Ibn al-Arabi oder al-Dschilani bezieht.

Ibn Sina (Avicenna) - nach Ansicht einiger Autoren der originellste und einflussreichste Philosoph zwischen Aristoteles und Descartes (wobei man m.E.N. bei Letzterem in Sachen Originalität einige Abstriche machen muss, aber dafür schrieb er stilistisch lesenswert) - hat äußerst interessante und lesenswerte Gedanken zum Konzept der "Prophetie" dargelegt, indem er den Versuch unternahm, dies rational zu begründen. Und auch dies ist wiederum ein klassisches Thema der Philosophie in der islamischen Welt, das de facto nie wirklich gelöst wurde. Vielleicht hat jemand von euch schon einmal von der sogenannten "doppelten Wahrheit" gehört. U.a. warf die Kirche den christlichen Scholastikern - genauer - den sog. "Averroisten" genau dies vor. Tatsächlich hat keiner dieser Averroisten dies vertreten, auch nicht Averroes (Ibn Rushd) selbst, der eher lehrte, dass es zwei Wege zur ein und derselben Wahrheit gibt, was etwas anderes ist. Daher ist nicht ganz geklärt, woher dieser Vorwurf genau herrührt. Eine Vermutung, die Frank Griffel - Kenner der westlichen und islamischen Philosophie und Professor in Yale - äußert: Die islamische Theologie und PHilosophie ging ab Anfang des 13. Jhdt. genau diesen Weg, den ar-Razi (sowohl Theologe als auch Aristoteliker) skizzierte: Er stellte fest, dass man einfach nicht feststellen kann ob bsp. die Welt/Materie ewig ist oder von Gott erschaffen, wie es mit der Seele/dem Jenseits aussieht, ob Gott tatsächlich Einzeldinge wüsste etc. pp. Mögen die Theologen mit der Offenbarung argumentieren, die logischen Argumente der Philosophen waren einfach zu gut. Diese Unentschiedenheit, so befand er und nach ihm im Grunde alle großen Denker des nachklassischen Islams, ist eine Ambiguität, die man als Muslim schlicht ertragen muss - was dem Vorwurf der "doppelten Wahrheit" im Grunde entspricht. Und da ar-Razi stand immerhin stellvertretend für eine komplette Denkrichtung.

Man verzeihe mir das Abschweifen, aber ich komme ohnehin selten genug zum Schreiben hier. Also kurz nochmal, die islamische Sicht: Muhammads Botschaft als Versuch, Judentum und das damals zutiefst zersplitterte Christentum unter einen Hut und ebenfalls die Polytheisten auf Kurs zu bringen. Da der Islam ebenfalls sich auf Abraham bezieht, werden die altarabischen Götzen derart interpretiert, dass Ismails Nachfahren von der ursprünglichen Botschaft abwichen. Dabei erinnert man z.B. auch daran, dass Moses Volk keine 40 Tage brauchte, um auf die Idee zu kommen, ein goldenes Kalb anzubeten ;-)

Dass die Saudis generell ein Problem mit historischen Stätten haben, merkt man daran, dass sich anstelle von Muhammads Geburtshaus in Mekka heute eine öffentliche Toilette befindet.
„Wir sollten keine Scham empfinden, die Wahrheit anzuerkennen und sie zu verarbeiten, selbst wenn sie von früheren Geschlechtern und fremden Völkern kommt." (al-Kindi, gest. 873)
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