Progressiver hat geschrieben:(21 Aug 2016, 14:29)
In einem Beitrag im Feuilleton der Frankfurter Allgemeine hat Ilja Trojanow die These gebracht, dass der größte Feind des islamischen Extremismus der Sufismus sei. Und er appelliert an den Westen, diese Richtung zu unterstützen:
Es kommt halt immer darauf an was man unter "Islamischen Extremismus" und mit "unterstützen" meint. Sicherlich konkurrieren Sufi-Gruppen um Gläubige aber jemand der in Deutschland zum Islam konvertiert z.B. der kann sich ja problemlos informieren und je nach Vorliebe dann die entsprechende Gruppe aufsuchen.
Ich denke aber nicht, dass Sufi-Gruppen mehr Anrecht haben auf staatliche Anerkennung und auf das Anrecht den Islam zu repräsentieren und für ihn zu sprechen als andere Gruppen.
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/b ... 94753.html
Dieser Artikel war eine Antwort auf einen Beitrag Stefan Weidners in der Süddeutschen Zeitung, der den Sufismus als eben doch nicht so friedlich hinstellen wollte:
http://www.sueddeutsche.de/kultur/islam ... .3109023-2
Aus dessen Artikel habe ich selbst aber nur herausgelesen, dass der Sufismus -also die sogenannte mystische Richtung des Islam- eben doch nicht radikalpazifistisch in seiner Geschichte war. Dieser Autor scheint sich aber daran vor allem zu stören, dass die Sufis früher aktiv Widerstand gegen die Kolonialmächte geleistet hatten.
Prinzipiell eröffnet das Lehrer-Schüler-Verhältnis im Sufismus bei dem der Schüler bis zum Rande der Selbstaufgabe seinem Meister zu gehorchen hat, und die Organisation in womöglich größere Orden die Möglichkeit weltliche, politische und militärische Macht anzuhäufen. Bei der großen Masse können dann, ähnlich wie bei der Schia, können vor allem charismatische Persönlichkeiten auch politische Bedeutung erlangen, wie in der Türkei Fethullah Gülen oder in Pakistan
Tahir ul Qadri.
So eine Persönlichkeit kann im Extremfall auch Anführer einer revolutionären-militanten Bewegung sein, das ist im Moment aber nicht so in Mode, weil es ja die Jihadisten gibt und wer im Moment mit der Waffe in der Hand eine Revolution machen will, wird eben Salafi-Jihadist.
Es kommt eben immer auf die Umstände an. Der Sufismus ist seit dem Mittelalter in Orden organisiert, d.h. es gibt einen obersten Lehrer und einen Kreis von Schülern, die dann womöglich auch wieder Schüler haben usw. und so gibt es große Orden mit vielen Verzweigungen usw. Und es kommt dann halt immer auf den Lehrer/Meister an und welche Vorlieben er hat und in welcher Tradition er steht. Das führt zu einer großen Vielfalt in der Religionsausübung und das zieht dann unterschiedliche Klientel an. Es gibt einige überaus liberale Sufi-Orden vor allem in Indien mit dem Chishti-Orden und auch im Westen gibt es, gerne auf Ableger des Chishti-Ordens zurückgehende, teils extrem-liberale Sufis die sich selbst gar nicht mehr als richtige Muslime sehen und Teil der Esoterik-Szene sind.
Dem gegenüber steht die islamische Orthodoxie die sich in den Kernländern der islamischen Welt findet und dort konservative Schichten anspricht, die vielen Zweige der Naqshbandiya und einige andere mehr. Da sollte man nicht allzu viel Liberalität erwarten.
Dazu muss man sehen, dass die Inhalte des Sufismus sehr großen Einfluss auch auf solche Muslime haben, welche nicht Mitglied in einem Sufi-Orden sind. Gerade in Ländern wie Ägypten, Indonesien oder der Türkei ist Islam, auch konservativer, stark mysthisch geprägt. Der Islam ist eben eine Religion und die Spiritualität die er anbietet ist sehr stark von Sufi-Ideen geprägt.
So wirklich abgrenzbar wird das erst durch die salafistische Reform, welche gegen diese Ideen vorgeht und sie dadurch auch erst problematisiert, wie z.B. der Kult um heilige Persönlichkeiten zu deren Gräbern man pilgert um dort um Hilfe/Einsicht zu beten oder um Punkte fürs Jenseits zu sammeln.
[...]Hat also Ilja Trojanow Recht? Ist es wirklich so einfach? Reicht es, wenn man nur die pazifistische, mystische und antiautoritäre Seite des Islam unterstützt, damit das Morden der Selbstmordattentäter im Nahen Osten weniger wird? Und wird die baldige Säkularisierung der islamischen Welt demgegenüber wirklich eine Fata Morgana bleiben? Diese und andere Fragen will ich hier mit Hilfe dieses Threads erörtern.
Nein. Es ist auch nicht Sache des Westens in der islamischen Welt bestimmte Strömungen zu unterstützen. Es werden sich am Ende die durchsetzen, welche Antworten auf die Lebensverhältnisse der dortigen Menschen finden. Die Gewalt in der arabischen Welt hat nichts damit zu tun, dass sich bestimmte Strömungen ausbreiten oder nicht sondern mit sozialen und politischen Problemen der jeweiligen Länder. Würde der Salafismus aus der Region von heute auf morgen verschwinden würde man halt unter einer anderen Flagge Krieg führen. Es würden sich lediglich die Namen der Gruppen ändern, nicht aber die grundlegenden Ursachen von Gewalt und Krieg. Wie gesagt abgesehen davon, dass es nicht Sache des Westens ist und ohnehin jeder vom Westen unterstützte Islam als koloniales Projekt abgelehnt werden würde und man das genaue Gegenteil erreichen würde, als was intendiert ist.
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