Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

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Joker
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Joker »

Platon hat geschrieben:(31 Mar 2016, 12:28)
Der größte Denkfehler bleibt bei ihr, dass sie den Salafismus weitgehend als Vertreter der Orthodoxie versteht und nicht als Reformbewegung, die er eigentlich ist. Eine solche Sichtweise ist verständlich, weil Salafismus und Orthodoxie von liberalen Reformideen zumeist nicht viel halten, aber es bleibt dennoch sachlich falsch.
Ich habe noch nie eine quelle gesehen welche den Salafismus als "Islamische Reformbewegung" bezeichnet.

Das kommt ausschließlich von dir .

Das du mit der Theorie irgendwann mal Geld verdienen wirst bezweifle ich auch.
Die Wahrscheinlichkeit das du mal einen Gürtel zündest halte ich um einiges höher.

Und komm jetzt bloß nicht mehr mit irgendwelchen Salafisten Youtube Filmchen als Beweis bei denen jedes 2. Wort Allah ist
Wasteland
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Wasteland »

Joker hat geschrieben:(31 Mar 2016, 12:54)

Ich habe noch nie eine quelle gesehen welche den Salafismus als "Islamische Reformbewegung" bezeichnet.
Da kann dir geholfen werden:
Die ideologische und damit politische Komponente bekam der Salafismus erst in seiner Ausprägung
als islamische Reformbewegung Ende des 19. Jahrhunderts und seiner weiteren Entwicklung.
http://www.mik.nrw.de/fileadmin/_migrat ... ktuell.pdf

Reformbewegungen müssen nicht immer "modern" sein oder liberal. Es gibt auch rückwärtsgewandte, so wie die Salafisten. Reform ist nicht gleich "gut" oder "fortschrittlich".
Das sie eine Reformbewegung sind ist unumstritten. Nicht nur die Salafisten, sondern eigentlich alle Islamisten heute.
Anhand zweier Zitate veranschaulicht:

Der Vorgänger von Khomeini über die Pläne einen islamischen Staat zu gründen:

„Wir, die Geistlichkeit, sollen einen islamischen Staat gründen ? … Wir wären hundertmal größere Verbrecher als die, die jetzt an der Macht sind.“
– Husain Borudscherdi.

Khomeini über seine Vorgänger:

„Denn sie bilden ein Hindernis auf dem Wege unserer Reformen und unserer Bewegung. Sie haben uns die Hände gebunden. Im Namen des Islam fügen sie dem Islam Schaden zu.“
- Khomeini

Weil sie den Islam aus der Politik heraushielten.
Politischer Quietismus oder quietistischer Islam (von lat. quietus, „ruhig“, „schweigsam“) beschreibt jene Strömung des islamischen Klerus, insbesondere der Schia, die eine aktive Beteiligung der Geistlichkeit in der Politik ablehnt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Politischer_Quietismus

Das wurde im negativen Sinne reformiert.
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Bleibtreu
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Bleibtreu »

Platon hat geschrieben:(31 Mar 2016, 12:28)
In diesem Strang z.B. habe ich ja mehr oder weniger die Argumente von Bleibtreu übernommen und aus einer anderen etwas besser informierten Perspektive entfaltet. Der größte Denkfehler bleibt bei ihr, dass sie den Salafismus weitgehend als Vertreter der Orthodoxie versteht und nicht als Reformbewegung, die er eigentlich ist. Eine solche Sichtweise ist verständlich, weil Salafismus und Orthodoxie von liberalen Reformideen zumeist nicht viel halten, aber es bleibt dennoch sachlich falsch.
1. Ich habe nie bestritten, dass ich die Salafis als Reformer sehe, aber als negative.
2. Ist es eine Tatsache, dass Wahabis, Salafis und Islamisten auf der Orthodoxie fußen. Sie bedienen sich an dem, was als Mainstream bereits vorhanden ist und was man als Praxis in islamischen Ländern bewundern kann.
Genau diese in der Ummah so tief verankerte Basis ist es, die es den Salafs so leicht macht. Weil ihnen eben inhaltlich schwer bei zukommen ist, ohne die Orthodoxie mit zu köpfen. ^^
Und mit der Meinung stehe ich nicht alleine.

HK: Welche Aspekte kommen aus den weiteren Traditionen islamischer Überlieferung, etwa der Sunna, hinzu, aus denen sich offensichtlich Vorstellungen mit dem Hang zur Gewaltausübung speisen?

Ourghi: Tatsächlich gibt es neben der kanonischen Quelle des Koran auch die Tradition des Propheten mit Aufrufen zum Heiligen Krieg. „Mir wurde befohlen, die Menschen zu bekämpfen, solange sie sich nicht zum Islam bekehren“, soll der Prophet Mohammed gesagt haben. Die dritte Quelle für Gewalttaten ist schließlich die klassische islamische Theologie. Der militante Islamismus beruft sich auf eine theologisch fundierte Theologie, die vor allem bis zum 14. Jahrhundert entstand, es handelt sich dabei allerdings um vormoderne Gesellschaften mit gänzlich anderen Loyalitäten.

HK: Was bedeutet das für Muslime heute in der Auseinandersetzung mit dem Thema Religion und Gewalt innerhalb ihrer Religion? Wie sollten sie dieses Thema angehen?

Ourghi: Das Problem des Extremismus wird jedenfalls nicht gelöst, wenn man behauptet, dass es nicht zum Islam gehört. Muslime, gerade auch hier bei uns in Europa und in den anderen westlichen Kulturen weichen diesen Problemen zu schnell aus. Sie wollen nur ungern darüber sprechen und betonen stattdessen nur den ethischen Aspekt des Islam. Das ist im Prinzip natürlich richtig. Mit Blick auf den Koran reicht es aber nicht aus, über Toleranz, Barmherzigkeit und Liebe im Koran zu sprechen, auch wenn sie dort ganz wichtig und fundamental sind. Wir müssen auch die unangenehmen Aspekte in den kanonischen Quellen kritisieren, um das Klima für eine angemessene Interpretation des Islam zu schaffen. Es geht darum, den Koran als Text zu historisieren, ihn in der damaligen Situation zu verstehen, dann aber auch mit Blick auf heute mit diesem Wissen kritisch umzugehen. Man muss die Koranpassagen, die zur Gewalt aufrufen, erst einmal geschichtlich verorten, sie reflektieren und sich mit der Frage beschäftigen, wie man die daraus erwachsenden Schwierigkeiten lösen kann. Es ist eine zentrale Aufgabe, in einer Kultur des Dialoges auch über sich selbst und seine eigene Geschichte nachzudenken. Das ist dann gerade nicht gegen den Islam gerichtet, sondern eine unabdingbare Vorrausetzung für eine zeitgenössische Reformlektüre jenseits politischer Interessen.


Abdel-Hakim Ourghi, leitet den Fachbereich Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg :)


Hier noch 2 Beiträge zur Ergänzung, die in diesem Strang zu finden sind:
Bleibtreu hat geschrieben:(16 Jan 2016, 05:09)

Für die, die es nicht wissen und immer noch nicht glauben wollen, lassen sich bitte von diesem klugen Mann belehren, der kennt seine Religion, ihre Schwächen und wo es hakt:

Mouhanad Khorchide im Gespräch - „Mit Mahnwachen bekämpft man den Islamismus nicht“
Er ist liberal, er ist Islamwissenschaftler und er steht unter Polizeischutz. Mouhanad Khorchide kritisiert die Haltung vieler Muslime nach den Anschlägen von Paris. Wer sage, Salafismus habe nichts mit dem Islam zu tun, der verdränge das Problem.

PROF. DR. MOUHANAD KHORCHIDE ist Leiter des Zentrums für Islamische Theologie, Professor für Islamische Religionspädagogik und Stellv. Direktor des Centrums für religionsbezogene Studien an der Uni Münster

Und hier, ab 9:25 GENAU zuhören, was Marwan Abou Taam, SicherheitsExperten vom LKA und Islamwissenschaftler von der al-Azhar sagt, die für die Orthodoxie steht, die die DeutungsHoheit im Islam hat, die RechtsSchulen:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnav ... erroristen?

Genau in dem, was er aufzeigt, liegt das eigentliche Problem: DAS worauf sich DAESH stützt, das lehrt die Orthodoxie! :|
Bleibtreu hat geschrieben:(16 Jan 2016, 17:22)

Hast du dir das Beispiel, das gebracht wurde nicht angehört oder verstanden? Die al-Azhar ist der Meinung, man hätte sie kreuzigen, Hände und Kopf abschlagen sollen. Gestritten haben sie darüber, ob DAESH die Verbrennung erlaubt gewesen wäre oder nicht! Und das ist der Punkt, den auch Khorchide immer wieder anführt, warum ER für eine kritisch-historische KoranExegese ist. Weil sein liberaler Islam, für den er vehement auch von den deutschen IslamVerbänden angegangen wird die seine Absetzung forderten, nicht gelehrt wird/anerkannt ist. Weil der Mainstream im Islam DAS ist, was DAESH "nur" konsequent umsetzt. DAESH praktiziert das, was als Mainstream durch die RechtsSchulen und die al-Azhar gelehrt wird. Die haben da nix falsch interpretiert. Und genau diese konsequente Umsetzung findest du überall in den Ländern, wo auch die Sharia gilt. Oder was denkst du, warum Schwule, vergewaltigte Frauen, wer vom Islam abfällt oder ihn modernisieren will usw. in diesen Ländern zum Tode verurteilt werden? :|
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harry52
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von harry52 »

Platon hat geschrieben: So ein bisschen nur Islamhasser auf der einen Seite und nur Islamapologeten auf der anderen Seite. Es gibt da diese Polarisierung in der Diskussion, die sehr weit reichend ist, gerade auch in Bezug auf AfD und Flüchtlinge und diese Sachen. Und einerseits muss man halt sagen, dass die Argumente vieler Islamkritiker Schwachsinn sind und primär einem Feindbild entspringen, andererseits gibt es ja problematische Stellen in islamischen Texten und man muss das ja irgendwie zur Kenntnis nehmen und kritisieren. Hier im Strang habe ich auch mal versucht ein wenig aus dieser Polarität herauszukommen.
Ich bin da ganz deiner Meinung.
Ich selber bin Atheist und kenne mich in der jüngeren und älteren Geschichte ganz gut aus. Ich kann nur wiederholen, was ich sagte, dass Muslime ihren Koran oft genauso bunt auslegen wie Christen ihre Bibel. Man ist da ganz flexibel. Die einen lesen da raus, dass man Ehebrecher steinigen soll und andere lesen da unser ganz modernes Schweidúngsrecht heraus, wo der Ehebrecher keine Bestrafung erhält und sogar Unterhalt vom Treuen bekommen kann, wenn der Letztere mehr Geld verdient.

Das ist erstmal Fakt
und jetzt kommen wir mal zu unterschiedlichen Ländern. Nimm mal die christlichen aber relativ armen Länder in Mittelamerika. Meint irgendeiner, dass die viel moderner sind als die Türken. Meint irgendeiner, dass es dort keine Bürgekriege, Terror und ähnliches gegeben hat? Der irrt. Auch in armen christlichen Ländern gibt und gab es Terror, Bürgerkriege und wie wir wissen gab es sogar noch Schlimmeres in christlichen Ländern. (Hexenwahn, Jagd auf Ungläubige sogenannte Ketzer ...)

Und nicht vergessen:
Wir Deutsche (meine Großelterngeneration) waren in der Weimarer Republik nicht einmal so arm wie heute manches dritte Welt Land. Unsere Großeltern konnten auch fast alle lesen und schreiben und waren nicht alle ungebildet. Trotzdem reichte eine Wirtschaftskrise und viele unserer Großeltern wurden zu Massenmördern ohne die geringsten Skrupel. Und noch verwirrender ist, dass es einen Weltkrieg vorher beim ersten noch nicht einmal eine Wirtschaftskrise gab.

Also:
Es ist viel komplizierter mit der Gewalt. Es ist nicht nur die Religion, oder die Armut, oder der Analphabetismus, der uns zu grausamen Mördern machen kann. Und man sollte auch nicht übersehen, dass die Home Grown Terroristen gar nicht in der islamischen Welt erzogen wurden. Sie kommen aus Brüssel, Paris und Berlin... Viele sind auch nicht religiös erzogen. Viele waren Kleinkriminelle, die sich bis zu ihrer plötzlichen Verwandlung zum IS Kämpfer Null für Religion und Koran interessiert haben.
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Tom Bombadil
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Tom Bombadil »

Ich frage mich nur immer wieder, warum vermeintlich weltoffene Menschen dieser rückständigen Religion inklusive der innewohnenden Ideologie, die ihre Anhänger mit massenhaft Vorschriften gängelt, Frauen als nicht gleichberechtigt ansieht, Homo- und Transsexuelle sowie Andersgläubige und Apostasie mit dem Tod bedroht, mit soviel Verständnis und Toleranz begegnen und auch immer wieder die banale "tu quoque" Argumentation anbringen, wie schlimm das Christentum oder der Westen doch auch sind (was so ja auch nicht stimmt). Das ist mir ein vollkommenes Rätsel, widerspricht "der Islam" doch grundsätzlich allen liberalen und linken Idealen. Woher kommt das?
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Platon
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

Bleibtreu hat geschrieben:(31 Mar 2016, 14:06)
[...]
2. Ist es eine Tatsache, dass Wahabis, Salafis und Islamisten auf der Orthodoxie fußen. Sie bedienen sich an dem, was als Mainstream bereits vorhanden ist und was man als Praxis in islamischen Ländern bewundern kann.
Genau diese in der Ummah so tief verankerte Basis ist es, die es den Salafs so leicht macht. Weil ihnen eben inhaltlich schwer bei zukommen ist, ohne die Orthodoxie mit zu köpfen. ^^
Und mit der Meinung stehe ich nicht alleine.
Das ist wie gesagt ein falsches Bild. Der Salafismus bezieht sich auf Teile(!) der klassischen Islamischen Gelehrtenliteratur, einige findet man gut wie Ibn Taymiya, Ahmad ibn Hanbal und andere. Wieder andere Teile sieht man skeptisch oder lehnt sie ab, d.h. alles was irgendwie nach Sufismus - und der ist Teil der Orthodoxie - oder Philosophie riecht. Ein Beispiel: Im sunnitischen Islam ist die Person al Ghazali die Personifikation der Orthodoxie, er gilt für viele als der größte Islamische Gelehrte der je gelebt hat und er hat auch einen interessanten Lebenslauf. Er ist die sunnitische Orthodoxie und steht in der Bedeutung für den sunnitischen Islam neben Leuten wie ash-shafii in der zweiten Reihe lediglich hinter Mohammed, eigentlich. (Abdul Adhim über ihn) Die Salafisten lehnen ihn ab, er ist ein Sufi, bzw. sie behaupten - und das zeigt seine Bedeutung für den sunnitischen Islam nur noch mehr - er habe kurz vor seinem Tod "bereut" und den Salafi-Weg eingeschlagen. Eine Meinung die sie exklusiv für sich haben. Seine Autobiographie und wichtige Teile seiner Werke sind auch ins Deutsche übersetzt. Er ist aus moderner Sicht natürlich auch nicht nur schön, sondern gerade beim Thema Frauen hat er einige Ansichten, die heutzutage nicht mehr zeitgemäß sind. Kann man im Wiki-Artikel oder auch hier nachlesen.

Worauf ich dabei hinaus will, auch die Salafisten fußen nicht einfach auf der Orthodoxie, sie beziehen sich auf die Teile der klassischen islamischen Literatur die ihnen am besten in den Kram passen. Solche die ihnen nicht in den Kram passen, lehnen sie ab und sagen die haben halt Mist erzählt.

Das ist aber auch völlig selbstverständlich. Denn jeder der im Islam irgendeine Lehre entwickeln will, wird sich auf die Texte des klassischen Islams beziehen. Man kann ja nicht einfach irgendwas erzählen, jeder der eine Reform einer intellektuellen Tradition anstrebt muss diese auch rezipieren und sich konstruktiv darauf beziehen, irgendwo Anknüpfungspunkte finden. Die Liberalen müssen ja genau das Gleiche machen. Die können ja auch nicht einfach ihren Wunschislam aufschreiben und dabei 1300 Jahre islamische Gelehrsamkeit ignorieren. Teilweise können sich Liberale und Salafisten sogar auf genau das gleiche beziehen, wenn es z.B. um ablehnende Ansichten über den Konsens der Gelehrten geht. Ibn Taymiya hat lt. seiner Wiki-Seite die Ansicht vertreten, dass der Konsens nur dann gültig kein kann, wenn die Prophetengelehrten einen solchen hatten - das erlaubt einen recht freien Umgang mit Fiqh-Literatur weil man jeden angeblichen Konsens der Gelehrten darin mit Ibn Taymiya getrost ignorieren kann - entsprechend bleibt viel Raum für die eigene Rechtsfindung, das gefällt Salafisten ebenso wie den Liberalen.

Die Orthodoxie d.h. die klassische islamische Literatur köpfen oder nicht köpfen zu wollen ist albern, weil dabei handelt es sich um 1300 Jahre islamische Tradition und die kann man nicht abschaffen, mit der muss man sich auseinander setzen. Die Salafisten haben das gemacht und machen das, die Liberalen machen das gleiche, haben aber wohl schon noch einige Hausaufgaben in dieser Hinsicht zu erledigen.

Wenn also Ourghi sagt:
Ourghi: Tatsächlich gibt es neben der kanonischen Quelle des Koran auch die Tradition des Propheten mit Aufrufen zum Heiligen Krieg. „Mir wurde befohlen, die Menschen zu bekämpfen, solange sie sich nicht zum Islam bekehren“, soll der Prophet Mohammed gesagt haben. Die dritte Quelle für Gewalttaten ist schließlich die klassische islamische Theologie. Der militante Islamismus beruft sich auf eine theologisch fundierte Theologie, die vor allem bis zum 14. Jahrhundert entstand, es handelt sich dabei allerdings um vormoderne Gesellschaften mit gänzlich anderen Loyalitäten.
dann ist das eine Binsenweiseheit. Ja natürlich beziehen sich Salafisten auf Koran, Sunna und die klassische islamische Gelehrtenliteratur. Der Wahabismus/Salafismus ist schließlich eine sunnitische Strömung, dessen wichtigste theologische und rechtswissenschaftliche Schriften von islamischen Gelehrten geschrieben wurden, welche an den jeweiligen islamischen Bildungseinrichtungen studiert haben. Wie soll es also auch anders sein?

Es ist jetzt halt Aufgabe der islamischen Theologen und Rechtsgelehrten hierzulande bzw. sofern sie entsprechende Ansichten haben auch in der islamischen Welt, sich mit Koran, Sunna und der klassisch islamischen Literatur so auseinander zu setzen, dass sie zu einem Islam kommen, wie er hierzulande von Muslimen praktisch gelebt werden kann und wird.

Und ich habe ja versucht im Eingangsbeitrag mal ganz konkret aufzuzeigen wo da die Probleme liegen und auch wo sie nicht liegen, de facto ist ein Großteil des klassischen Islams unproblematisch, es geht um ganz spezielle Fälle und da muss man dann auch schauen, ob sie sozusagen einfach nur ein moralisches Bauchschmerzen verursachen (wie ungleiche Erbteile von Mann und Frau) oder tatsächlich mit der hier herrschenden Rechtsordnung in keinster Weise in Übereinstimmung zu bringen sind (Körperstrafen, Kinderheirat, Frauenbeschneidung etc.).
Zuletzt geändert von Platon am Do 31. Mär 2016, 16:54, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

Tom Bombadil hat geschrieben:(31 Mar 2016, 16:37)

Ich frage mich nur immer wieder, warum vermeintlich weltoffene Menschen dieser rückständigen Religion inklusive der innewohnenden Ideologie, die ihre Anhänger mit massenhaft Vorschriften gängelt, Frauen als nicht gleichberechtigt ansieht, Homo- und Transsexuelle sowie Andersgläubige und Apostasie mit dem Tod bedroht, mit soviel Verständnis und Toleranz begegnen und auch immer wieder die banale "tu quoque" Argumentation anbringen, wie schlimm das Christentum oder der Westen doch auch sind (was so ja auch nicht stimmt). Das ist mir ein vollkommenes Rätsel, widerspricht "der Islam" doch grundsätzlich allen liberalen und linken Idealen. Woher kommt das?
Also ich habe meine Ansichten im EIngangsbeitrag ausführlich beschrieben. Dort kann man nachlesen was ich denke und warum ich etwas denke.
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Tom Bombadil
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Tom Bombadil »

Das war jetzt eher auf Harry bezogen, weil er ja noch extra betonte, Atheist zu sein.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Fuerst_48 »

Tom Bombadil hat geschrieben:(31 Mar 2016, 16:37)

Ich frage mich nur immer wieder, warum vermeintlich weltoffene Menschen dieser rückständigen Religion inklusive der innewohnenden Ideologie, die ihre Anhänger mit massenhaft Vorschriften gängelt, Frauen als nicht gleichberechtigt ansieht, Homo- und Transsexuelle sowie Andersgläubige und Apostasie mit dem Tod bedroht, mit soviel Verständnis und Toleranz begegnen und auch immer wieder die banale "tu quoque" Argumentation anbringen, wie schlimm das Christentum oder der Westen doch auch sind (was so ja auch nicht stimmt). Das ist mir ein vollkommenes Rätsel, widerspricht "der Islam" doch grundsätzlich allen liberalen und linken Idealen. Woher kommt das?
Der Islam ist einfach in seinem Werdegang um die paar Jahrhunderte hinterher, die er jünger als das Christentum ist. Christen haben seinerzeit Hexenprozesse geführt, Ketzer (nach Ansicht fanatischer Eiferer) auf den Scheiterhaufen gebracht, Weltbilder diskreditiert, etc. etc. ...
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von H2O »

Fuerst_48 hat geschrieben:(31 Mar 2016, 16:58)

Der Islam ist einfach in seinem Werdegang um die paar Jahrhunderte hinterher, die er jünger als das Christentum ist. Christen haben seinerzeit Hexenprozesse geführt, Ketzer (nach Ansicht fanatischer Eiferer) auf den Scheiterhaufen gebracht, Weltbilder diskreditiert, etc. etc. ...
Diese Theorie habe ich inzwischen mehrfach
an unterschiedlichen Stellen gelesen. Ist es denn
nicht aber so, daß im Hauptverbreitungsgebiet
der Islams nur wenig neuzeitliches Schöpfungs-
vermögen zu beobachten ist. Natürlich weiß man
nicht so genau, ob nun der Islam dafür verant-
wortlich zu machen ist, oder ob der Islam an sich
zu geringem Veränderungsdruck ausgesetzt war,
den die christlichen Kirchen zu ertragen hatten.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Fuerst_48 »

H2O hat geschrieben:(31 Mar 2016, 17:20)

Diese Theorie habe ich inzwischen mehrfach
an unterschiedlichen Stellen gelesen. Ist es denn
nicht aber so, daß im Hauptverbreitungsgebiet
der Islams nur wenig neuzeitliches Schöpfungs-
vermögen zu beobachten ist. Natürlich weiß man
nicht so genau, ob nun der Islam dafür verant-
wortlich zu machen ist, oder ob der Islam an sich
zu geringem Veränderungsdruck ausgesetzt war,
den die christlichen Kirchen zu ertragen hatten.
Der Islam ist einfach nicht unter den Glassturz irgendwelcher Mullahs zu stellen. Und die Unantastbarkeit des Koran ist unhaltbar.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von H2O »

Fuerst_48 hat geschrieben:(31 Mar 2016, 17:32)

Der Islam ist einfach nicht unter den Glassturz irgendwelcher Mullahs zu stellen. Und die Unantastbarkeit des Koran ist unhaltbar.
Das kann ich alles sofort einsehen. Dazu hatte ich
mir vor langer Zeit angelesen, daß der Koran un-
mittelbar Gottes Wort gewesen sei, das Gott an
seinen Propheten gerichtet habe.

So gesehen darf man Gottes Wort nicht ändern;
der Koran ist das letzte Wort für die Gläubigen.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Fuerst_48 »

H2O hat geschrieben:(31 Mar 2016, 17:40)

Das kann ich alles sofort einsehen. Dazu hatte ich
mir vor langer Zeit angelesen, daß der Koran un-
mittelbar Gottes Wort gewesen sei, das Gott an
seinen Propheten gerichtet habe.

So gesehen darf man Gottes Wort nicht ändern;
der Koran ist das letzte Wort für die Gläubigen.
Pass bloß auf, dass du nicht unversehens zum Islam konvertierst!! :mad2: :mad2: :D :D
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von H2O »

Fuerst_48 hat geschrieben:(31 Mar 2016, 17:43)

Pass bloß auf, dass du nicht unversehens zum Islam konvertierst!! :mad2: :mad2: :D :D
Das ist mir zu gefährlich; einmal Islam, immer Islam;
oder Tod wegen Ausstiegs aus dem Islam... :eek:
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Fuerst_48 »

H2O hat geschrieben:(31 Mar 2016, 17:54)

Das ist mir zu gefährlich; einmal Islam, immer Islam;
oder Tod wegen Ausstiegs aus dem Islam... :eek:
Da bin ich ja nun echt beruhigt. :cool: :cool:
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Bleibtreu »

Platon hat geschrieben:(31 Mar 2016, 16:37)

Das ist wie gesagt ein falsches Bild. Der Salafismus bezieht sich auf Teile(!) der klassischen Islamischen Gelehrtenliteratur, einige findet man gut wie Ibn Taymiya, Ahmad ibn Hanbal und andere. Wieder andere Teile sieht man skeptisch oder lehnt sie ab, d.h. alles was irgendwie nach Sufismus - und der ist Teil der Orthodoxie - oder Philosophie riecht. Ein Beispiel: Im sunnitischen Islam ist die Person https://de.wikipedia.org/wiki/Al-Ghaz%C4%81l%C4%AB die Personifikation der Orthodoxie, er gilt für viele als der größte Islamische Gelehrte der je gelebt hat und er hat auch einen interessanten Lebenslauf. Er ist die sunnitische Orthodoxie und steht in der Bedeutung für den sunnitischen Islam neben Leuten wie ash-shafii in der zweiten Reihe lediglich hinter Mohammed, eigentlich. (Abdul Adhim über ihn)
Auch wieder nicht korrekt. Auch die 4 sunnitischen Madhabs sind ja nicht 1:1 identisch, sonst wären es nicht 4. Salafisten, Wahabis, Islamisten haben ihre Basis in den RechtsSchulen, im orthodoxen, im klassischen Islam. Sie weigern sich lediglich, sich explizit einer bestimmten Madhab anzuschließen, wie es im sunnitischen Glauben üblich ist. Lehnen sich allerdings sehr stark an die strengste RechtsSchule der Hanbaliten an. Diese ist auch die in Saudi-Arabien staatlich befolgte Rechtsschule.

Die Hanbaliten sind die kleinste Rechtsschule des sunnitischen Islam, der etwa fünf Prozent der Sunniten anhängen. In Saudi-Arabien ist es die staatlich befolgte Rechtsschule. Obwohl es in den Rechtsquellen nicht immer explizit erwähnt wird, ist der Hanbalismus im Rechtssystem Saudi-Arabiens stark vertreten. Die Hanbaliten üben aufgrund des Einflusses in Saudi-Arabien, in dem die heiligen Stätten Mekka und Medina liegen, die jedes Jahr Ziel der Haddsch sind, einen starken Einfluss auf die gesamte sunnitische Gemeinschaft aus. So befolgen die salafitischen Strömungen, die explizit keiner Rechtsschule anhängen, in den meisten Fällen die Ansichten, die mit der hanbalitischen Meinung übereinstimmen

Auf dieser Basis der Regeln der Orthodoxie propfen sie dann ihre SuperGelehrten Ibn Taimīya und Muhammad ibn ʿAbd al-Wahhāb auf. Deswegen nennen wir sie Salafisten, Wahabis usw. Also extrem radikale SpielArten der Orthodoxie [wobei die gemäßigste und größte schon für unsere Maßstäbe zum Kotzen ist], die ihre eigenen Bezeichnungen bekommen haben. Die übrigens von den meisten Salafis und Wahabis empört zurück gewiesen werden. ;)

Die Salafisten lehnen ihn ab, er ist ein Sufi, bzw. sie behaupten - und das zeigt seine Bedeutung für den sunnitischen Islam nur noch mehr - er habe kurz vor seinem Tod "bereut" und den Salafi-Weg eingeschlagen. Eine Meinung die sie exklusiv für sich haben. Seine Autobiographie und wichtige Teile seiner Werke sind auch ins Deutsche übersetzt.
Salafisten, Wahabis & Co lehnen Mystiker, Sufis per se ab - da machen die auch bei einem großen keine Ausnahme. Auch wenn sie ihn dann durch die Hintertür wieder vereinnahmen wollen.
Für mich weder was Neues, noch ändert es etwas daran, dass die Orthodoxie die Basis der Radikalen ist.
Im Übrigen hat die Orthodoxie noch nie ein großes Liebesverhältnis zu den Sufis per se gehabt. Sufitische Strömungen wurden schon immer in der Orthodoxie scharf kritisiert.

Solche ketzerischen Äußerungen ließ sich der orthodoxe Islam nicht gefallen. Ende des 11. Jahrhunderts schaffte es der berühmte Theologe Al-Ghazzali durch eine Abmilderung der radikalen Askese der frühen Sufis und einer Systematisierung des sufischen Gedankenguts, dem Sufismus einen Platz im orthodoxen Islam einzuräumen. Er trug maßgeblich dazu bei, dass die Dogmatik einem Gottesbewusstsein wich, das dem Herzen entspringt. Die Liebe zu Gott war jetzt legitim, aber sie tat der Transzendenz Gottes keinen Abbruch. Doch blieb das Verhältnis zur Orthodoxie gespannt und immer mehr sahen sich die Mystiker gezwungen, ihre Lehre zu einem esoterischen System zu entwickeln und dadurch der strengen Kontrolle der Orthodoxie zu entgehen.


Umgekehrt ist es allerdings so, dass in der Regel jeder Sufi einer Madhab angehört und damit auch die orthodoxen Regeln anerkennt, wie Verschleierung und Steinigung.
Sufis sind eben nicht per se mystische Hippies, wie es sich romantische Orientalisten gerne erträumen. ;)
Worauf ich dabei hinaus will, auch die Salafisten fußen nicht einfach auf der Orthodoxie, sie beziehen sich auf die Teile der klassischen islamischen Literatur die ihnen am besten in den Kram passen. Solche die ihnen nicht in den Kram passen, lehnen sie ab und sagen die haben halt Mist erzählt.
Dann solltest du mal aus deinem Schia verbrämten und mit SufiHippies überzogenem Elfenbeinturm steigen und dich wie ich beruflich mit diesen Idioten auseinandersetzen.
Wenn du mit ihnen auf theologischer Ebene diskutierst, wirst du sehr schnell feststellen, dass sie mit dem orthodoxen Islam argumentieren, mit den Fatwas der Orthodoxie, usw.
Siehe Ourghi, siehe Oben. Nicht nur mit kleinen Bruchstücken oder ausgepickten Rosinen. Wofür diese Irren stehen, dass findest du genau so in islamischen Staaten umgesetzt.

Die Orthodoxie d.h. die klassische islamische Literatur köpfen oder nicht köpfen zu wollen ist albern, weil dabei handelt es sich um 1300 Jahre islamische Tradition und die kann man nicht abschaffen, mit der muss man sich auseinander setzen. Die Salafisten haben das gemacht und machen das, die Liberalen machen das gleiche, haben aber wohl schon noch einige Hausaufgaben in dieser Hinsicht zu erledigen
.
Das ist wieder nur sinnlose Rabulistik. Selbstverständlich geht es der Orthodoxie an den Kragen, wenn klar ist, dass diese eben die Basis für Salafisten, Wahabis & Co. ist.
Denn dadurch wird sie, wie es auch Ourghi sehr ausführlich in seinem Interview macht, auf den Seziertisch gepackt und auseinander genommen. Es wird und muss genau
das getan werden, wogegen die Ummah sich seit der Schließung der Tore des Idschtihād wehrt. Vor allem will man sich mit dieser kindischen Nummer wieder davor drücken,
dass Islamismus eben eine SpielArt des Islam ist, der eine sehr tiefgreifende Basis im Mainstream des Islam hat.
Wenn also Ourghi sagt:

dann ist das eine Binsenweiseheit. Ja natürlich beziehen sich Salafisten auf Koran, Sunna und die klassische islamische Gelehrtenliteratur. Der Wahabismus/Salafismus ist schließlich eine sunnitische Strömung, dessen wichtigste theologische und rechtswissenschaftliche Schriften von islamischen Gelehrten geschrieben wurden, welche an den jeweiligen islamischen Bildungseinrichtungen studiert haben. Wie soll es also auch anders sein?
Deswegen wird es für mich auch immer lächerlicher, wenn du offensichtlich nicht begreifen willst, wovon ist schon ewig schreibe, mir aber dann doch zustimmen musst.
Denn einem Ourghi zu widersprechen, das wäre dann die endgültige BankrottErklärung. :)
• Wer fuer alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!
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Fuerst_48
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Fuerst_48 »

Bleibtreu hat geschrieben:(31 Mar 2016, 18:05)

Auch wieder nicht korrekt. Auch die 4 sunnitischen Madhabs sind ja nicht 1:1 identisch, sonst wären es nicht 4. Salafisten, Wahabis, Islamisten haben ihre Basis in den RechtsSchulen, im orthodoxen, im klassischen Islam. Sie weigern sich lediglich, sich explizit einer bestimmten Madhab anzuschließen, wie es im sunnitischen Glauben üblich ist. Lehnen sich allerdings sehr stark an die strengste RechtsSchule der Hanbaliten an. Diese ist auch die in Saudi-Arabien staatlich befolgte Rechtsschule.

Die Hanbaliten sind die kleinste Rechtsschule des sunnitischen Islam, der etwa fünf Prozent der Sunniten anhängen. In Saudi-Arabien ist es die staatlich befolgte Rechtsschule. Obwohl es in den Rechtsquellen nicht immer explizit erwähnt wird, ist der Hanbalismus im Rechtssystem Saudi-Arabiens stark vertreten. Die Hanbaliten üben aufgrund des Einflusses in Saudi-Arabien, in dem die heiligen Stätten Mekka und Medina liegen, die jedes Jahr Ziel der Haddsch sind, einen starken Einfluss auf die gesamte sunnitische Gemeinschaft aus. So befolgen die salafitischen Strömungen, die explizit keiner Rechtsschule anhängen, in den meisten Fällen die Ansichten, die mit der hanbalitischen Meinung übereinstimmen

Auf dieser Basis der Regeln der Orthodoxie propfen sie dann ihre SuperGelehrten Ibn Taimīya und Muhammad ibn ʿAbd al-Wahhāb auf. Deswegen nennen wir sie Salafisten, Wahabis usw. Also extrem radikale SpielArten der Orthodoxie [wobei die gemäßigste und größte schon für unsere Maßstäbe zum Kotzen ist], die ihre eigenen Bezeichnungen bekommen haben. Die übrigens von den meisten Salafis und Wahabis empört zurück gewiesen werden. ;)



Salafisten, Wahabis & Co lehnen Mystiker, Sufis per se ab - da machen die auch bei einem großen keine Ausnahme. Auch wenn sie ihn dann durch die Hintertür wieder vereinnahmen wollen.
Für mich weder was Neues, noch ändert es etwas daran, dass die Orthodoxie die Basis der Radikalen ist.
Im Übrigen hat die Orthodoxie noch nie ein großes Liebesverhältnis zu den Sufis per se gehabt. Sufitische Strömungen wurden schon immer in der Orthodoxie scharf kritisiert.

Solche ketzerischen Äußerungen ließ sich der orthodoxe Islam nicht gefallen. Ende des 11. Jahrhunderts schaffte es der berühmte Theologe Al-Ghazzali durch eine Abmilderung der radikalen Askese der frühen Sufis und einer Systematisierung des sufischen Gedankenguts, dem Sufismus einen Platz im orthodoxen Islam einzuräumen. Er trug maßgeblich dazu bei, dass die Dogmatik einem Gottesbewusstsein wich, das dem Herzen entspringt. Die Liebe zu Gott war jetzt legitim, aber sie tat der Transzendenz Gottes keinen Abbruch. Doch blieb das Verhältnis zur Orthodoxie gespannt und immer mehr sahen sich die Mystiker gezwungen, ihre Lehre zu einem esoterischen System zu entwickeln und dadurch der strengen Kontrolle der Orthodoxie zu entgehen.


Umgekehrt ist es allerdings so, dass in der Regel jeder Sufi einer Madhab angehört und damit auch die orthodoxen Regeln anerkennt, wie Verschleierung und Steinigung.
Sufis sind eben nicht per se mystische Hippies, wie es sich romantische Orientalisten gerne erträumen. ;)


Dann solltest du mal aus deinem Schia verbrämten und mit SufiHippies überzogenem Elfenbeinturm steigen und dich wie ich beruflich mit diesen Idioten auseinandersetzen.
Wenn du mit ihnen auf theologischer Ebene diskutierst, wirst du sehr schnell feststellen, dass sie mit dem orthodoxen Islam argumentieren, mit den Fatwas der Orthodoxie, usw.
Siehe Ourghi, siehe Oben. Nicht nur mit kleinen Bruchstücken oder ausgepickten Rosinen. Wofür diese Irren stehen, dass findest du genau so in islamischen Staaten umgesetzt.


.
Das ist wieder nur sinnlose Rabulistik. Selbstverständlich geht es der Orthodoxie an den Kragen, wenn klar ist, dass diese eben die Basis für Salafisten, Wahabis & Co. ist.
Denn dadurch wird sie, wie es auch Ourghi sehr ausführlich in seinem Interview macht, auf den Seziertisch gepackt und auseinander genommen. Es wird und muss genau
das getan werden, wogegen die Ummah sich seit der Schließung der Tore des Idschtihād wehrt. Vor allem will man sich mit dieser kindischen Nummer wieder davor drücken,
dass Islamismus eben eine SpielArt des Islam ist, der eine sehr tiefgreifende Basis im Mainstream des Islam hat.


Deswegen wird es für mich auch immer lächerlicher, wenn du offensichtlich nicht begreifen willst, wovon ist schon ewig schreibe, mir aber dann doch zustimmen musst.
Denn einem Ourghi zu widersprechen, das wäre dann die endgültige BankrottErklärung. :)
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

Bleibtreu hat geschrieben:(31 Mar 2016, 18:05)
[...]Dann solltest du mal aus deinem Schia verbrämten und mit SufiHippies überzogenem Elfenbeinturm steigen und dich wie ich beruflich mit diesen Idioten auseinandersetzen.
Wenn du mit ihnen auf theologischer Ebene diskutierst, wirst du sehr schnell feststellen, dass sie mit dem orthodoxen Islam argumentieren, mit den Fatwas der Orthodoxie, usw.
Siehe Ourghi, siehe Oben. Nicht nur mit kleinen Bruchstücken oder ausgepickten Rosinen. Wofür diese Irren stehen, dass findest du genau so in islamischen Staaten umgesetzt.
Zumindest in 2 davon - Saudi Arabien und dem Islamischen Staat.
Das ist wieder nur sinnlose Rabulistik. Selbstverständlich geht es der Orthodoxie an den Kragen, wenn klar ist, dass diese eben die Basis für Salafisten, Wahabis & Co. ist.
Wie gesagt. Die Orthodoxie, d.h. die klassischen Islamischen Texte sind die Basis bzw. der Ausgangspunkt von allem was irgendwie mit Islam zu tun hat.
Denn dadurch wird sie, wie es auch Ourghi sehr ausführlich in seinem Interview macht, auf den Seziertisch gepackt und auseinander genommen. Es wird und muss genau das getan werden, wogegen die Ummah sich seit der Schließung der Tore des Idschtihād wehrt.
Natürlich. In Deutschland muss das getan werden und welche Teile problematisch sind, habe ich im Eingangsbeitrag erläutert.
Vor allem will man sich mit dieser kindischen Nummer wieder davor drücken, dass Islamismus eben eine SpielArt des Islam ist, der eine sehr tiefgreifende Basis im Mainstream des Islam hat.
Es kommt halt darauf an. Islamisten sind natürlich immer Muslime. Der politische Islam bringt auch keine Neuerungen im kultischen Bereich und ähnlichen, da wo der politische Islam neue Gedanken entwickelt ist im politischen Denken und im Verhältnis Mensch und Staat/Herrscher. Auf die Idee die islamische Welt reislamisieren zu wollen war vor 1870 keiner gekommen.
Deswegen wird es für mich auch immer lächerlicher, wenn du offensichtlich nicht begreifen willst, wovon ist schon ewig schreibe, mir aber dann doch zustimmen musst.
Der Unterschied zwischen uns beiden ist nach wie vor das Verständnis von Orthodoxie. Zunächst einmal verwendest du (und teilweise auch ich) den Begriff sowohl auf die Rechtstexte und auf real existierende Rechtssprechung in der arabischen Welt. Für dich werden diese Texte heutzutage einfach 1:1 angewendet, sowohl von Orthodoxen, als auch von Salafisten, mit nur minimalen Unterschieden - was für dich ein Skandal ist, aber nicht von Liberalen, weil die sich vom vormodernen klassischen Islam abgewendet haben, haben mussten. Aus diesem Grunde muss für dich die Orthodoxie/der klassische Islam und die Salafisten gleichermaßen dämonisiert werden.
Ich hingegen sehe den klassischen Islam vor allem als Text, welcher heutzutage von allen nicht 1:1 angewendet sondern ausgelegt wird. Indem man sich die Dinge herausgreift, welche einem gerade in den Kram passen um dann zu dem passenden Ergebnis zu kommen. Ich sehe also Salafisten, Orthodoxen und Liberalen allesamt gleichermaßen als Ausleger des klassischen Islam und daher muss man sich anschauen a) welche Teile am klassischen Islam wirklich schlimm sind und b) sich konkret anschauen wie die jeweiligen Ausleger sich dazu verhalten. Das ist ja mein Argument aus dem Eingangsbeitrag.
Denn einem Ourghi zu widersprechen, das wäre dann die endgültige BankrottErklärung. :)
Ich kenne den gar nicht so richtig. Ich glaube hier nur mal gelesen zu haben er hätte Khorchide kritisiert oder so.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von aleph »

schelm hat geschrieben:(30 Mar 2016, 22:46)

So viel Mühe, und doch lese ich nur eines heraus, daran knüpft sich eine Frage : 1. Der hochkomplexe Islam scheint mir ungeeignet für Muslime, denn um zu wissen, ob sie mit dem was sie tun und denken überhaupt islamisch handeln, müssen sie umfangreiche Expertisen von Gelehrten einholen. 2. Die Frage : Wie bringen wir weltweit den Muslimen bei mit ihrer Religion überfordert zu sein ?
So funktioniert Religion und deren Aneignung ja gerade nicht. Ich möchte da auf ein kleines Problemchen aufmerksam machen: das, was Platon sagt, ist wohl alles richtig (er ist hier der Experte), aber er beschreibt die Religion des Islams aus der Sicht eines Islamwissenschaftlers, der sich wissenschaftlich mit dem dem Islam befasst. Ein Kind aber, das im Islam aufwächst, wird ja gar nicht mit diesen ganzen Dingen konfrontiert. Das ist doch beim Christentum genauso. Selbst ein erwachsener Christ, der konfirmiert wurde und im Religionsunterricht gut aufgepasst hat, bekommt doch nichts mit z.B. von der Problematik des Wesens Jesu. Er weiß zwar um die Dreieinigkeit, aber was das genau heißt und wie man darauf kommt, darüber denkt er nicht großartig nach. Er geht in die Kirche (wenn er besonders fromm ist), singt die Lieder mit, vielleicht sogar im Chor und spricht das Glaubensbekenntnis, das wars dann aber auch. Ähnlich tut das ein durchschnittliche Moslem auch, der hat halt seine moslemischen Gewohnheiten. Er denkt nicht über den Schwertvers im Koran nach, das überlässt er den Gelehrten und den Islamwissenschaftlern.
Auf dem Weg zum Abgrund kann eine Panne lebensrettend sein. Walter Jens
Besser schweigen und als Narr zu scheinen, als sprechen und jeden Zweifel zu beseitigen. Abraham Lincoln
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von scriptor »

aleph hat geschrieben:(01 Apr 2016, 07:20)

So funktioniert Religion und deren Aneignung ja gerade nicht. Ich möchte da auf ein kleines Problemchen aufmerksam machen: das, was Platon sagt, ist wohl alles richtig (er ist hier der Experte), aber er beschreibt die Religion des Islams aus der Sicht eines Islamwissenschaftlers, der sich wissenschaftlich mit dem dem Islam befasst. Ein Kind aber, das im Islam aufwächst, wird ja gar nicht mit diesen ganzen Dingen konfrontiert. Das ist doch beim Christentum genauso. Selbst ein erwachsener Christ, der konfirmiert wurde und im Religionsunterricht gut aufgepasst hat, bekommt doch nichts mit z.B. von der Problematik des Wesens Jesu. Er weiß zwar um die Dreieinigkeit, aber was das genau heißt und wie man darauf kommt, darüber denkt er nicht großartig nach. Er geht in die Kirche (wenn er besonders fromm ist), singt die Lieder mit, vielleicht sogar im Chor und spricht das Glaubensbekenntnis, das wars dann aber auch. Ähnlich tut das ein durchschnittliche Moslem auch, der hat halt seine moslemischen Gewohnheiten. Er denkt nicht über den Schwertvers im Koran nach, das überlässt er den Gelehrten und den Islamwissenschaftlern.
Religion funktioniert aber auch nicht nur so, dass völlig Unkritische ihre Kinderkampflos jedem Scharlatan der extremistischen Interpretation überlassen.
So viele übertriebene Glaubenseifer gibt es auch unter den Muslimen nicht.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Liegestuhl »

Forum am Freitag (allerdings vom letzten Freitag)

Streitgespräch zwischen Prof. Dr. Mouhanad Khorchide und Hamed Abdel-Samad zum Thema "Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren"

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanalueb ... ngversion)

Dort wird alles gesagt, was man über den Islam wissen muss. Mehr muss nicht gesagt werden.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Antonius »

Liegestuhl hat geschrieben:(01 Apr 2016, 11:01)
Forum am Freitag (allerdings vom letzten Freitag)

Streitgespräch zwischen Prof. Dr. Mouhanad Khorchide und Hamed Abdel-Samad zum Thema "Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren"

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanalueb ... ngversion)

Dort wird alles gesagt, was man über den Islam wissen muss. Mehr muss nicht gesagt werden.
Danke, Liegestuhl, für diesen Hinweis.

Zweifellos führen hier Mouhanad Khorchide und Hamed Abdel-Samad ein substanzielles Gespräch zum genannten Thema.
Überhaupt, wir sollten uns vielmehr an die kritischen Geister halten, denn diese dringen am ehesten zum Kern des Problems vor.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

Liegestuhl hat geschrieben:(01 Apr 2016, 11:01)

Forum am Freitag (allerdings vom letzten Freitag)

Streitgespräch zwischen Prof. Dr. Mouhanad Khorchide und Hamed Abdel-Samad zum Thema "Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren"

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanalueb ... ngversion)

Dort wird alles gesagt, was man über den Islam wissen muss. Mehr muss nicht gesagt werden.
Die Barmherzigkeit des Herrn Khorchide und des Herrn Abdel-Samad füreinander. :)

Ich nehme das ein bisschen so wahr, als wenn Abdel Samad nach seinem publizistischem "Durchbruch" zunächst einmal intellektuell Amok gelaufen ist - als er den Monotheismus komplett für Faschistisch erklärt hat. Durch das Gespräch mit Khorchide wird er nun von ihm auf sehr pädagogische Weise ein wenig zur verbalen Mäßigung gebracht, weil er ihn respektiert und auch ernst nimmt was er sagt - was im Gespräch mit Islamkritikern ja nicht immer der Fall ist. Dazu hat Abdel Samad die religiösen Quellentexte tatsächlich in größerem Umfang selber gelesen, wohl auch auf Arabisch, was ihn ebenfalls in den Reihen der Islamkritiker hervorhebt und auch zum geeigneten Sparringspartner für Khorchide macht, wenn der sich wiederum als liberaler Islamgelehrter profilieren kann. Man merkt das ja auch im Gespräch immer mal wieder. Gibt die Sache ja auch in Buchform. Ich bin wie man weiß der Ansicht, dass das Vorhaben als Kritiker den Islam selber interpretieren zu wollen und weniger die Interpretationen der Muslime ins Zentrum der Kritik zu stellen für völlig witzlos und an dem vorbei worum es in der Islamkritik eigentlich gehen sollte, weswegen ich Abdel-Samads Ideen ebenso für zumeist nicht hilfreich halte. Aber es ist schön, dass in diesem Fall miteinander geredet wird und nicht nur übereinander.

Welches sind denn die Themen und Ideen, welche für dich interessant waren am Austausch dieser beiden. Was ist da besonders bei dir hängen geblieben?
Zuletzt geändert von Platon am Fr 1. Apr 2016, 16:32, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Liegestuhl »

Platon hat geschrieben: Welches sind denn die Themen und Ideen, welche für dich interessant waren am Austausch dieser beiden. Was ist da besonders bei dir hängen geblieben?
Schöne Frage. Ich antworte heute Abend. Muss jetzt erstmal Feierabend machen.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Antonius »

Platon hat geschrieben:(30 Mar 2016, 22:34)
Liebe Leserinnen und Leser, nachdem ich zuletzt wieder etwas mehr im Strang " Grundsatzdiskussion Islam" diskutiert habe, möchte ich mal ein paar grundsätzliche Gedanken zur Frage schreiben, in welchem Rahmen ich Islamkritik für richtig und wichtig halte. Um meine Ansichten wirklich verständlich zu machen, muss ich leider etwas weiter ausholen, ich entschuldige mich von vorne herein dafür.

(...) Volltext

Worauf will ich nun hinaus?

Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, dass der übergroße Teil der Islamkritik - sofern sie Beachtung verdient und "den Finger in die Wunde legt" und nicht einfach irgendwelches dummes Zeug daher redet - bezieht sich praktisch ausschließlich auf eine Reihe von juristische Regelungen die im klassischen Islam von der dortigen orthodoxen islamischen Rechtswissenschaft entwickelt wurden und welche heutzutage noch nicht von allen vollständig abgeschafft sind, teilweise auch wieder eingeführt wurden und mit unseren europäischen Verständnis von Grund- und Menschenrechten und allgemeiner Moral nicht vereinbar sind. Ein großer Teil der von dieser Orthodoxie entwickelten Regeln und Normen sind unbedenklich und unproblematisch, einige Teile davon sind es aber dann halt doch.
Wenn man nun sinnvoll Islamkritik betreiben will, dann sollte man meines Erachtens nicht irgendeine infantile Koranexegese betreiben oder irgendwelche halb verstandenen Sachen oder Erfahrungen verallgemeinern, sondern man muss sich anschauen wie bestimmte Gruppen, Gelehrten und Einzelpersonen zu bestimmten, bevorzugt den potenziell problematischen, Sachverhalten stehen. Das heißt man muss sich den Islam anschauen, welcher auch tatsächlich als wahrer Islam vertreten wird und sich keinen eigenen zurecht interpretieren.
(...)
Wenn man sich dann aber halt die Rhetorik von Ayaan Hirsi Ali, Necla Kelek, Abdel Samad und anderen ansieht, welche ihre persönlichen negativen Erfahrungen zu einer Polemik gegen den Islam als Ganzes ausweiten, dann mögen sie zwar auf allgemein als problematisch bekannte Dinge hinweisen, dies aber mit einer anti-islamischen Polemik verbinden, die sehr öffentlichkeitswirksam ist, aber letztlich dann wieder selbst zu verallgemeinernd und auch an das falsche Publikum gerichtet. Nämlich nicht die Muslime sondern die Islamkritiker, vor allem die etwas depperten.
(...)
Ich habe mir den Tort angetan und den gesamten Text gelesen.
Texte diesen Umfanges sind eigentlich für ein Diskussionsforum ziemlich ungeeignet.... :)
Das vorweg !

Trotz des sehr umfangreichen Textes fehlen aus meiner Sicht wichtige Sachverhalte, vor allem die Betrachtungen der Islam-Dissidenten.
Diese kommen aus dem Islam, wurden dort sozialisiert, haben bestimmte Erfahrungen mit der (Religions-)Ideologie gemacht und stellen diese dar.
Das ist ihr Verdienst, diese sollten wir in unserer westlichen Gesellschaft zur Kenntnis nehmen.
Die Stimmen der Islam-Dissidenten sind für die hiesige Gesellschaft eine wichtige Informationsquelle, sicherlich viel wichtiger als die Stimmen der Islamwissenschaftler und der Islamapologeten.
Natürlich gibt es auch unter den Islamwissenschaftlern einige berühmte Namen, die sich mit dem Thema kritisch auseinandersetzen.
Hier wären vor allem Dr. Christine Schirrmacher und Dr. Ursula Spuler-Stegemann zu nennen, die sich mit dem Thema "sharia" befaßt haben.
Für den "Normalverbraucher" hierzulande sind jedoch Namen wie Ayaan Hirsi Ali, Necla Kelek, Serap Cileli, Hamed Abdel-Samad, Afshin Ellian, etc., für die sachliche Information unverzichtbar.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Brainiac »

Antonius hat geschrieben:(02 Apr 2016, 13:52)
Die Stimmen der Islam-Dissidenten sind für die hiesige Gesellschaft eine wichtige Informationsquelle, sicherlich viel wichtiger als die Stimmen der Islamwissenschaftler und der Islamapologeten.
Fändest du es eigentlich gleichermaßen auch sinnvoll, sich über das Christentum und die Kirchen vor allem durch die Dissidenten und Kritiker zu informieren, sagen wir, Uta Ranke-Heinemann und Adolf Holl?
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Liegestuhl »

Platon hat geschrieben:(01 Apr 2016, 16:25)
Welches sind denn die Themen und Ideen, welche für dich interessant waren am Austausch dieser beiden. Was ist da besonders bei dir hängen geblieben?
So!

Was beiden wichtig war und worüber sich beide einig waren, ist die Tatsache, dass es im Koran friedliche, barmherzige, sowie auch kriegerische, aufhetzende Abschnitte (Suren, Ayat) gibt. Entsprechend wäre der Koran ein Baukasten, aus dem sich jeder für sein Verständnis von Religion bedienen kann. Dem kann ich zunächst einmal zustimmen, jedoch weitergedacht bedeutet dies, dass niemand behaupten kann, seine Auslegung von Koran wäre die Richtige. Es würde auch die Aussage, islamistische Terroristen und Fanatiker würden den Koran für ihre Zwecke missbrauchen, widerlegen, denn diese Fanatiker missbrauchen ihn nicht, sondern sie gebrauchen ihn lediglich. Ein Missbrauch würde vom Sprachverständnis ein "falsches" Gebrauchen voraussetzen. Dieses kann es aber nicht geben. Diese Inanspruchnahme des "einzig wahren Islam" wird ja nicht nur von den Extremisten, sondern auch von den "friedlichen" Muslimen gemacht, die mit dem Finger auf die Extremisten zeigen und behaupten, das wäre nicht der richtige Islam.

Jetzt kommt aber der sensationelle Begriff "Volksislam" in die Diskussion, der postuliert, dass der überwiegende Teil der Muslime den Koran nie gelesen hätte und auch keine theologischen Gespräche darüber führt. Es sucht sich also nicht selbständig die Sachen aus dem Koran heraus, sondern bekommt sie soziokulturell übergestülpt. Das gibt es im Christentum ja auch massenhaft. Der muslimische Plebs weiß von den 5 Säulen des Islams, isst kein Schweinefleisch, kennt einige islamische Riten und Gebräuche und das wars dann auch schon. Das konterkariert natürlich völlig die Theorie vom Islam als Baukasten.

Der Koran hat, wie oben bereits erwähnt, diese unterschiedlichen und sich teilweise widersprechenden Gesichter (oder "Formen" wie Khorchide meint). Es gibt mekkanische und medinensische Suren und deren Abbild von Barmherzigkeit gegenüber Juden, Christen und Polytheisten korreliert doch stark mit der jeweiligen Lebenssituation in der sich Mohammed gerade befindet. Diese Widersprüchlichkeit oder mindestens Ambivalenz spricht nicht gerade für eine göttliche Herkunft des Koran.

Laut Khorchide hat Gott so viel Vertrauen in die Menschen, dass er sie wählen lässt, wie sie den Koran bzw. Religiösität auszuleben haben. Wenn man sich dann die Kriege und Verbrechen anschaut, die im Namen des Islams gemacht wurden und werden, kann man nur zu dem Ergebnis kommen, dass der Islam (analog zum Kommunismus) eventuell eine dufte Sache ist, aber die menschliche Natur einfach nicht für ihn gemacht ist. Auf der einen (wirklich wichtigen) Seite diese Wahlfreiheit und auf anderen Seite schreibt Gott den Menschen haarklein vor, was sie zu tun und wie sie zu leben haben. Das passt nicht zusammen.

Khorchide meint, der Koran müsse im historischen Kontext gelesen werden. Im Koran steht, dass Frauen die Hälfte von dem erben, was Männer erben. Khorchide antwortet darauf, dass es eine Verbesserung gegenüber vorislamischen Zeiten ist, in denen Frauen nichts erben konnten. Die Verbesserung in Richtung Gleichberechtigung würde hier im Vordergrund als göttliche Maxime stehen. Das ist für mich wirklich absurd, denn letztlich wird Gott damit eine gewisse Kurzsichtigkeit unterstellt. Der Koran hat den Anspruch, die letzte Offenbarung Gottes an die Menschen zu sein und in dieser meißelt Gott ein konkretes und unmissverständliches Erbrecht in Stein, von dem er dann ausgeht, dass Menschen es nicht mehr befolgen, wenn der Kontext sich geändert hat. Für mich nicht nachvollziehbar, aber nur mal nebenbei würde ich gerne mal in diesem Zusammenhang von ihm wissen, wie er zum Verzehr von Schweinefleisch steht, das zweifelsfrei auch ein Kind seiner Zeit ist.

Khorchide hat eine schöne Position eingenommen. Jedoch ist sie sehr schwach und angreifbar. Ich mag ihn wirklich und denke, er ist ein guter Kerl. Manchmal tut er mir bei seinem Kampf gegen Windmühlen leid.

Was mir bisher zwar bekannt war, aber ich noch nie bewusst miteinander in Verbindung gebracht habe, ist die Aussage, dass ein Muslim sich nie sicher sein kann, nach dem Tode ins Paradies zu kommen. Die einzige Möglichkeit sich sicher zu sein, ist der Tod als Mehrtürer im Dschihad. Das habe ich bisher noch nicht zu Ende gedacht und ich bin mir auch nicht sicher, ob diese Prädestinationslehre überhaupt Bestandteil des Volksislams ist. :)
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

Liegestuhl hat geschrieben:(02 Apr 2016, 15:55)

So!

Was beiden wichtig war und worüber sich beide einig waren, ist die Tatsache, dass es im Koran friedliche, barmherzige, sowie auch kriegerische, aufhetzende Abschnitte (Suren, Ayat) gibt. Entsprechend wäre der Koran ein Baukasten, aus dem sich jeder für sein Verständnis von Religion bedienen kann. Dem kann ich zunächst einmal zustimmen, jedoch weitergedacht bedeutet dies, dass niemand behaupten kann, seine Auslegung von Koran wäre die Richtige.
Zumindest ist es problematisch zu sagen, es wäre die einzig Richtige.
Es würde auch die Aussage, islamistische Terroristen und Fanatiker würden den Koran für ihre Zwecke missbrauchen, widerlegen, denn diese Fanatiker missbrauchen ihn nicht, sondern sie gebrauchen ihn lediglich.
So ist es.
Ein Missbrauch würde vom Sprachverständnis ein "falsches" Gebrauchen voraussetzen. Dieses kann es aber nicht geben. Diese Inanspruchnahme des "einzig wahren Islam" wird ja nicht nur von den Extremisten, sondern auch von den "friedlichen" Muslimen gemacht, die mit dem Finger auf die Extremisten zeigen und behaupten, das wäre nicht der richtige Islam.
Die gängigste Formulierung ist eigentlich, dass es nicht "der Islam ist, wie ich ihn verstehe". Aber es ist prinzipiell so eine Sache takfir gegenüber dem IS zu machen.
Jetzt kommt aber der sensationelle Begriff "Volksislam" in die Diskussion, der postuliert, dass der überwiegende Teil der Muslime den Koran nie gelesen hätte und auch keine theologischen Gespräche darüber führt. Es sucht sich also nicht selbständig die Sachen aus dem Koran heraus, sondern bekommt sie soziokulturell übergestülpt. Das gibt es im Christentum ja auch massenhaft. Der muslimische Plebs weiß von den 5 Säulen des Islams, isst kein Schweinefleisch, kennt einige islamische Riten und Gebräuche und das wars dann auch schon. Das konterkariert natürlich völlig die Theorie vom Islam als Baukasten.
Volksislam ist halt der gelebte populäre Islam, wie man ihn vor allem auf den ländlichen Gebieten antrifft. Ist in der Islamwissenschaft/Kulturwissenschaft ein gängiger Begriff. Da spielen dann Heiligenverehrung, Amulette, Gebete und vieles mehr eine Rolle. Auch stark lokal bedingt als Synkretismus von islamischen und regional verbreiteten Vorstellungen. Man vergleicht es gerne z.B. mit dem (bayrischen) Volkskatholizismus.
Der Koran hat, wie oben bereits erwähnt, diese unterschiedlichen und sich teilweise widersprechenden Gesichter (oder "Formen" wie Khorchide meint). Es gibt mekkanische und medinensische Suren und deren Abbild von Barmherzigkeit gegenüber Juden, Christen und Polytheisten korreliert doch stark mit der jeweiligen Lebenssituation in der sich Mohammed gerade befindet. Diese Widersprüchlichkeit oder mindestens Ambivalenz spricht nicht gerade für eine göttliche Herkunft des Koran.
Ja. Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen, als Gott per Koranoffenbarung in laufende Diskussionen eingegriffen hat. Und darum spielt ja auch die historische Situation eines Koranvers eine so große Rolle, nicht nur bei den Liberalen sondern bei allen die Koranexegese betreiben.
Laut Khorchide hat Gott so viel Vertrauen in die Menschen, dass er sie wählen lässt, wie sie den Koran bzw. Religiösität auszuleben haben. Wenn man sich dann die Kriege und Verbrechen anschaut, die im Namen des Islams gemacht wurden und werden, kann man nur zu dem Ergebnis kommen, dass der Islam (analog zum Kommunismus) eventuell eine dufte Sache ist, aber die menschliche Natur einfach nicht für ihn gemacht ist. Auf der einen (wirklich wichtigen) Seite diese Wahlfreiheit und auf anderen Seite schreibt Gott den Menschen haarklein vor, was sie zu tun und wie sie zu leben haben. Das passt nicht zusammen.
Das ist einfach das Denken Khorchides. Er versteht den Islam als Angebot von Gott, welches der Mensch in Freiheit annehmen kann oder nicht. Aus seiner Perspektive hat der IS ihn nicht oder nur teilweise angenommen.
Khorchide meint, der Koran müsse im historischen Kontext gelesen werden. Im Koran steht, dass Frauen die Hälfte von dem erben, was Männer erben. Khorchide antwortet darauf, dass es eine Verbesserung gegenüber vorislamischen Zeiten ist, in denen Frauen nichts erben konnten. Die Verbesserung in Richtung Gleichberechtigung würde hier im Vordergrund als göttliche Maxime stehen. Das ist für mich wirklich absurd, denn letztlich wird Gott damit eine gewisse Kurzsichtigkeit unterstellt.
Nein. Er erklärt es in dem VIdeo ja so, dass Gott zu den Menschen in ihrer spezifischen Situation geredet hat. Nun will Khorchide verstehen was hat er in dieser spezifischen Situation gemeint und was würde er mit derselben Intention heute sagen. Das ist dann die historische Exegese, bei der er sich ja ich glaube im Video sogar mit Namen auf Nasr Hamid Abu Zaid bezieht, inklusive dem Schlagwort der Koran als Gottes Menschenwort. Das heißt der Koran ist als Rede Gottes für Menschen, in menschlicher Sprache verfasst und darum ist es möglich sich zu fragen, was hat Gott denn nun wirklich gemeint. Und dann im nächsten Schritt, was bedeutet das heute.
Der Koran hat den Anspruch, die letzte Offenbarung Gottes an die Menschen zu sein und in dieser meißelt Gott ein konkretes und unmissverständliches Erbrecht in Stein, von dem er dann ausgeht, dass Menschen es nicht mehr befolgen, wenn der Kontext sich geändert hat. Für mich nicht nachvollziehbar, aber nur mal nebenbei würde ich gerne mal in diesem Zusammenhang von ihm wissen, wie er zum Verzehr von Schweinefleisch steht, das zweifelsfrei auch ein Kind seiner Zeit ist.

Ich würde mich wundern, wenn er nicht für ein Verbot ist. Er wird sich sicher aber irgendwie eine Rechtfertigung dafür einfallen lassen, warum es ganz toll ist kein Schweinefleisch zu essen. Weiß es aber nicht.
Khorchide hat eine schöne Position eingenommen. Jedoch ist sie sehr schwach und angreifbar. Ich mag ihn wirklich und denke, er ist ein guter Kerl. Manchmal tut er mir bei seinem Kampf gegen Windmühlen leid.
Naja, er ist Professor an einem Institut für Islamische Theologie und er bildet Imame aus. Er verfasst Bücher und kann seine Ideen hier entwickeln und erhält entsprechende Förderung. Also er ist schon wer. Ob seine Positionen nun theologisch schwach begründet sind, das würde ich gar nicht mal sagen. Ich habe mir gestern mal in der Bibliothek Scharia - der missverstandene Gott: Der Weg zu einer modernen islamischen Ethik geholt und heute war Islam ist Barmherzigkeit in der Post. Er schließt in seinem Verständnis von Koranhermeneutik stark an Abu Zaid und wohl auch bei Shahrur an, dazu sind viele Sachen über den Islam als Ethik, das es im Islam auch ganz stark auf die richtige inneren ethische Einstellung geht ist nichts Neues, nennt sich Niya, auch wenn er möglicherweise mit seinem Verständnis davon etwas weiter geht als normalerweise und dies dann auch in das Zentrum seiner islamischen Ethik setzt. (Er redet darüber auch 45 Minuten lang in einem YouTube-Video, habe es mir aber noch nicht angesehen) Auch kommt in seinen Texten häufig die Läuterung der Seele vor, dass diese möglichst rein (und gottähnlich) werden soll - das ist ein Kerngedanke des Sufismus und auch außerhalb eigentlich ein Standartkonzept im Islam.
Von daher bezieht sich Khorchide schon sehr stark auf Konzepte die man auch anderswo im Islam finden kann. Man merkt ihm aber ständig an, dass er kein klassischer Rechtsgelehrte sondern Religionspädagoge ist. Bei ihm spielt auch immer eine wichtige Rolle, welchen "lebensweltlichen Nutzen" eine bestimmte im Islam vorgeschriebene Handlung hat. Im Eingangsbeitrag habe ich ein Video verlinkt, wo er es über das Gebet erläutert, das es einen bereichert, näher zu Gott bringt und solche Sachen. Das habe ich so in einem islamischen Text noch nie gehört, was aber nichts heißen muss.

Von daher sollte man seine Fähigkeiten als islamischer Theologe jetzt auch nicht unterschätzen.

Die Details dieses liberalen Islamverständnisses sind eigentlich auch einen eigenen Strang wert.
Was mir bisher zwar bekannt war, aber ich noch nie bewusst miteinander in Verbindung gebracht habe, ist die Aussage, dass ein Muslim sich nie sicher sein kann, nach dem Tode ins Paradies zu kommen. Die einzige Möglichkeit sich sicher zu sein, ist der Tod als Mehrtürer im Dschihad. Das habe ich bisher noch nicht zu Ende gedacht und ich bin mir auch nicht sicher, ob diese Prädestinationslehre überhaupt Bestandteil des Volksislams ist. :)
Wobei der Märtyrertod auch nur gestorben wird, wenn der Jihad auf dem Weg Gottes ist. Das heißt man muss erstmal überzeugt sein, dass ein bestimmter Kampf gerecht ist, das ihn zu kämpfen im Gottes Sinne ist. Und wenn man das glaubt, dann kommt das Jihad-Verständnis ins Spiel. Deswegen finde ich es auch immer schwierig auf einer dogmatischen Ebene Politik, Gewalt und Islam zu diskutieren, weil das nie auch nur annähernd nur dogmatisch ist sondern die Dogmatik der politischen Meinung und Notwendigkeiten folgt und gar nicht so sehr umgekehrt.
Wenn es diese Selbstmordargumentationen nicht gäbe, würden die Leute meines Erachtens genauso kämpfen, nur möglicherweise wären nicht so viele scharf darauf Märtyrer zu werden, sondern würden lieber normale Soldaten sein ohne Spezialauftrag.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Antonius »

Brainiac hat geschrieben:(02 Apr 2016, 15:03)
Fändest du es eigentlich gleichermaßen auch sinnvoll, sich über das Christentum und die Kirchen vor allem durch die Dissidenten und Kritiker zu informieren, sagen wir, Uta Ranke-Heinemann und Adolf Holl?
Im Christentum gibt es keine Denkverbote.
Der Christ ist frei in seiner Entscheidung, wie und wo er sich informiert. :cool:
SAPERE AUDE - Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.
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Brainiac
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Brainiac »

Antonius hat geschrieben:(02 Apr 2016, 18:30)

Im Christentum gibt es keine Denkverbote.
Der Christ ist frei in seiner Entscheidung, wie und wo er sich informiert. :cool:
Das ist keine Antwort auf meine Frage.
History doesn't repeat itself, but it often rhymes (Twain). Unfortunately, we can't predict the rhyme.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Kirchgessner »

1. Dem Eingangstext gebricht es an Struktur und Gliederung und klarer Fragestellung und Ziel. Anscheinend hat hier ein Student der Islamwissenschaften versucht, sein gesammeltes Wissen unter Volk zu bringen.

2. Die religionswissenschaftliche Diskussion über den Islam ist eine erkenntnisdienstliche Sackgasse. Die heutigen mit dem Islam verknüpften Probleme, derentwegen wir uns überhaupt mit dem Islam beschäftigen, sind politisch-sozialer Natur. Islamismus etc. pp. Ist eine Folge davon.

3. Der politische Islam bedroht die Welt und die Freiheit. Dem muss mit aller Entschiedenheit entgegen getreten werden. Vertreter der Islamwissenschaften und "aufgeklärte" Apologeten eines "modernen" Islam müssen dabei aus der Diskussion verdrängt werden. Sie können allenfalls dort Beiträge leisten, wo es darum geht, die Divergenzen im Islam für sinnvolle Bekämpfungsstrategien zu nutzen.
Zuletzt geändert von Kirchgessner am Mo 4. Apr 2016, 07:13, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Platon »

Kirchgessner hat geschrieben:(04 Apr 2016, 07:06)

1. Dem Eingangstext gebricht es an Struktur und Gliederung und klarer Fragestellung und Ziel. Anscheinend hat hier ein Student der Islamwissenschaften versucht, sein gesammeltes Wissen unter Volk zu bringen.

2. Die religionswissenschaftliche Diskussion über den Islam ist eine erkenntnisdienstliche Sackgasse. Die heutigen mit dem Islam verknüpften Probleme, derentwegen wir uns überhaupt mit dem Islam beschäftigen, sind politisch-sozialer Natur. Islamismus etc. pp. Ist eine Folge davon.
Ich empfehle den Text dann noch einmal zu lesen, der ist 1a.

Inwiefern das nicht der Fall ist steht auch im Text. Also bitte noch einmal lesen.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Kandyd »

Liegestuhl hat geschrieben: So!

Was beiden wichtig war und worüber sich beide einig waren, ist die Tatsache, dass es im Koran friedliche, barmherzige, sowie auch kriegerische, aufhetzende Abschnitte (Suren, Ayat) gibt. Entsprechend wäre der Koran ein Baukasten, aus dem sich jeder für sein Verständnis von Religion bedienen kann. Dem kann ich zunächst einmal zustimmen, jedoch weitergedacht bedeutet dies, dass niemand behaupten kann, seine Auslegung von Koran wäre die Richtige. )
So ein "Baukasten", wo man sich bestimmte Gebote oder Suren frei wählen darf, ist der Koran doch nicht. Bei den sich widersprechenden Suren soll ein gläubiger Moslem das Prinzip der Abrogation anwenden. Nach diesm Prinzip sind die neueren gültig, nicht die alten. Deswegen die "friedlichen" Suren aus der früheren Zeit des Muhamads- zum Beispiel im Bezug auf die Nicht-Muslime - sehr wohl ersetzt werden dürfen duch die neueren, strengeren und aufhetzenden der späteren Zeit. Ob das nicht genug Begründung ist für alle Mörder, die im Namen des Islam Andersgläubige umbringen ? Sie wären eben konsequenter Ausleger des Islam als diejenigen, die Barmherzigkeit und Toleranz gegenüber anderer predigen.
Andere Seite des gleichen Problems ist : wie kann Gott als ein absolutes Wesen sich ändernde, widersprüchliche Gebote auflegen ? Für mein Verständnis : ein dialektischer Fehler.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Progressiver »

Antonius hat geschrieben:(02 Apr 2016, 18:30)

Im Christentum gibt es keine Denkverbote.
Der Christ ist frei in seiner Entscheidung, wie und wo er sich informiert. :cool:
Bist du katholisch? Du weißt wohl nicht, dass die Päpste über viele Jahrhunderte einen Index hatten, auf dem alle verbotenen Bücher standen. Diese wurden aus dem Verkehr gezogen und durften von den Gläubigen nicht gelesen werden. Deren Schreiberlingen ging es oft nicht anders. Sie landeten auf dem Scheiterhaufen, solange die katholische Kirche die Allmacht hatte. Dies wurde erst nach dem Zeitalter der Reformation anders. Ab diesem Zeitraum gab es nämlich nicht mehr eine einzige gültige Weltsicht, sondern es konnten mehrere Interpretationen miteinander konkurrieren. Und erst mit dem daraus entstandenen Zeitalter der Aufklärung konnte so etwas wie eine grundlegende Religionskritik entstehen. Und das, was wir als moderne Wissenschaft bezeichnen.

Im Übrigen kann "der Christ" sich zwar überall informieren. Jedoch darf er ebenso die Dogmenlehre nicht antasten. Es muss weiterhin geglaubt werden, dass es eine Jungfrauengeburt gab und dass es eine Dreieinigkeit gibt. Wer innerhalb der Kirche gegenteiliges behauptet, ist somit auch schnell weg vom Fenster. Sprich: Da es dem ehemaligen Gläubigen zu lächerlich wird, verlässt er die Kirche in der Regel von alleine. Wer aber beispielsweise als staatlicher Religionswissenschaftler die Kirchenlehren anzweifelt, muss ebenfalls seinen Hut nehmen. Und da ansonsten der Spruch beibehalten wird "Kein Heil außerhalb der Kirche", werden die letzten verbliebenen Gläubigen nur dadurch bei der Stange gehalten, indem man ihnen ewiges Höllenfeuer androht, wenn sie auf ketzerische Gedanken kommen. Insofern sind die christlichen Kirchen vom dogmatischen Denken her genau so unfrei wie die Muslime. Glücklicherweise besitzen sie aber nicht mehr die Macht, die Freiheit des Denkens und des Handelns zu unterdrücken.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Liegestuhl »

Du verwechselst Kirche mit Christentum.
Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen.
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Re: Islamkritik, Scharia und Islamische Reform

Beitrag von Fuerst_48 »

Liegestuhl hat geschrieben:(10 Apr 2016, 23:11)

Du verwechselst Kirche mit Christentum.
Das wird gern mal verwechselt. Unabsichtlich und auch absichtlich...
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