Liegestuhl hat geschrieben:(02 Apr 2016, 15:55)
So!
Was beiden wichtig war und worüber sich beide einig waren, ist die Tatsache, dass es im Koran friedliche, barmherzige, sowie auch kriegerische, aufhetzende Abschnitte (Suren, Ayat) gibt. Entsprechend wäre der Koran ein Baukasten, aus dem sich jeder für sein Verständnis von Religion bedienen kann. Dem kann ich zunächst einmal zustimmen, jedoch weitergedacht bedeutet dies, dass niemand behaupten kann, seine Auslegung von Koran wäre die Richtige.
Zumindest ist es problematisch zu sagen, es wäre die einzig Richtige.
Es würde auch die Aussage, islamistische Terroristen und Fanatiker würden den Koran für ihre Zwecke missbrauchen, widerlegen, denn diese Fanatiker missbrauchen ihn nicht, sondern sie gebrauchen ihn lediglich.
So ist es.
Ein Missbrauch würde vom Sprachverständnis ein "falsches" Gebrauchen voraussetzen. Dieses kann es aber nicht geben. Diese Inanspruchnahme des "einzig wahren Islam" wird ja nicht nur von den Extremisten, sondern auch von den "friedlichen" Muslimen gemacht, die mit dem Finger auf die Extremisten zeigen und behaupten, das wäre nicht der richtige Islam.
Die gängigste Formulierung ist eigentlich, dass es nicht "der Islam ist, wie ich ihn verstehe". Aber es ist prinzipiell so eine Sache takfir gegenüber dem IS zu machen.
Jetzt kommt aber der sensationelle Begriff "Volksislam" in die Diskussion, der postuliert, dass der überwiegende Teil der Muslime den Koran nie gelesen hätte und auch keine theologischen Gespräche darüber führt. Es sucht sich also nicht selbständig die Sachen aus dem Koran heraus, sondern bekommt sie soziokulturell übergestülpt. Das gibt es im Christentum ja auch massenhaft. Der muslimische Plebs weiß von den 5 Säulen des Islams, isst kein Schweinefleisch, kennt einige islamische Riten und Gebräuche und das wars dann auch schon. Das konterkariert natürlich völlig die Theorie vom Islam als Baukasten.
Volksislam ist halt der gelebte populäre Islam, wie man ihn vor allem auf den ländlichen Gebieten antrifft. Ist in der Islamwissenschaft/Kulturwissenschaft ein gängiger Begriff. Da spielen dann Heiligenverehrung, Amulette, Gebete und vieles mehr eine Rolle. Auch stark lokal bedingt als Synkretismus von islamischen und regional verbreiteten Vorstellungen. Man vergleicht es gerne z.B. mit dem (bayrischen) Volkskatholizismus.
Der Koran hat, wie oben bereits erwähnt, diese unterschiedlichen und sich teilweise widersprechenden Gesichter (oder "Formen" wie Khorchide meint). Es gibt mekkanische und medinensische Suren und deren Abbild von Barmherzigkeit gegenüber Juden, Christen und Polytheisten korreliert doch stark mit der jeweiligen Lebenssituation in der sich Mohammed gerade befindet. Diese Widersprüchlichkeit oder mindestens Ambivalenz spricht nicht gerade für eine göttliche Herkunft des Koran.
Ja. Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen, als Gott per Koranoffenbarung in laufende Diskussionen eingegriffen hat. Und darum spielt ja auch die historische Situation eines Koranvers eine so große Rolle, nicht nur bei den Liberalen sondern bei allen die Koranexegese betreiben.
Laut Khorchide hat Gott so viel Vertrauen in die Menschen, dass er sie wählen lässt, wie sie den Koran bzw. Religiösität auszuleben haben. Wenn man sich dann die Kriege und Verbrechen anschaut, die im Namen des Islams gemacht wurden und werden, kann man nur zu dem Ergebnis kommen, dass der Islam (analog zum Kommunismus) eventuell eine dufte Sache ist, aber die menschliche Natur einfach nicht für ihn gemacht ist. Auf der einen (wirklich wichtigen) Seite diese Wahlfreiheit und auf anderen Seite schreibt Gott den Menschen haarklein vor, was sie zu tun und wie sie zu leben haben. Das passt nicht zusammen.
Das ist einfach das Denken Khorchides. Er versteht den Islam als Angebot von Gott, welches der Mensch in Freiheit annehmen kann oder nicht. Aus seiner Perspektive hat der IS ihn nicht oder nur teilweise angenommen.
Khorchide meint, der Koran müsse im historischen Kontext gelesen werden. Im Koran steht, dass Frauen die Hälfte von dem erben, was Männer erben. Khorchide antwortet darauf, dass es eine Verbesserung gegenüber vorislamischen Zeiten ist, in denen Frauen nichts erben konnten. Die Verbesserung in Richtung Gleichberechtigung würde hier im Vordergrund als göttliche Maxime stehen. Das ist für mich wirklich absurd, denn letztlich wird Gott damit eine gewisse Kurzsichtigkeit unterstellt.
Nein. Er erklärt es in dem VIdeo ja so, dass Gott zu den Menschen in ihrer spezifischen Situation geredet hat. Nun will Khorchide verstehen was hat er in dieser spezifischen Situation gemeint und was würde er mit derselben Intention heute sagen. Das ist dann die historische Exegese, bei der er sich ja ich glaube im Video sogar mit Namen auf
Nasr Hamid Abu Zaid bezieht, inklusive dem Schlagwort der Koran als
Gottes Menschenwort. Das heißt der Koran ist als Rede Gottes für Menschen, in menschlicher Sprache verfasst und darum ist es möglich sich zu fragen, was hat Gott denn nun wirklich gemeint. Und dann im nächsten Schritt, was bedeutet das heute.
Der Koran hat den Anspruch, die letzte Offenbarung Gottes an die Menschen zu sein und in dieser meißelt Gott ein konkretes und unmissverständliches Erbrecht in Stein, von dem er dann ausgeht, dass Menschen es nicht mehr befolgen, wenn der Kontext sich geändert hat. Für mich nicht nachvollziehbar, aber nur mal nebenbei würde ich gerne mal in diesem Zusammenhang von ihm wissen, wie er zum Verzehr von Schweinefleisch steht, das zweifelsfrei auch ein Kind seiner Zeit ist.
Ich würde mich wundern, wenn er nicht für ein Verbot ist. Er wird sich sicher aber irgendwie eine Rechtfertigung dafür einfallen lassen, warum es ganz toll ist kein Schweinefleisch zu essen. Weiß es aber nicht.
Khorchide hat eine schöne Position eingenommen. Jedoch ist sie sehr schwach und angreifbar. Ich mag ihn wirklich und denke, er ist ein guter Kerl. Manchmal tut er mir bei seinem Kampf gegen Windmühlen leid.
Naja, er ist Professor an einem Institut für Islamische Theologie und er bildet Imame aus. Er verfasst Bücher und kann seine Ideen hier entwickeln und erhält entsprechende Förderung. Also er ist schon wer. Ob seine Positionen nun theologisch schwach begründet sind, das würde ich gar nicht mal sagen. Ich habe mir gestern mal in der Bibliothek
Scharia - der missverstandene Gott: Der Weg zu einer modernen islamischen Ethik geholt und heute war
Islam ist Barmherzigkeit in der Post. Er schließt in seinem Verständnis von Koranhermeneutik stark an Abu Zaid und wohl auch bei
Shahrur an, dazu sind viele Sachen über den Islam als Ethik, das es im Islam auch ganz stark auf die richtige inneren ethische Einstellung geht ist nichts Neues, nennt sich
Niya, auch wenn er möglicherweise mit seinem Verständnis davon etwas weiter geht als normalerweise und dies dann auch in das Zentrum seiner islamischen Ethik setzt. (Er redet darüber auch 45 Minuten lang in
einem YouTube-Video, habe es mir aber noch nicht angesehen) Auch kommt in seinen Texten häufig die Läuterung der Seele vor, dass diese möglichst rein (und gottähnlich) werden soll - das ist ein Kerngedanke des Sufismus und auch außerhalb eigentlich ein Standartkonzept im Islam.
Von daher bezieht sich Khorchide schon sehr stark auf Konzepte die man auch anderswo im Islam finden kann. Man merkt ihm aber ständig an, dass er kein klassischer Rechtsgelehrte sondern Religionspädagoge ist. Bei ihm spielt auch immer eine wichtige Rolle, welchen "lebensweltlichen Nutzen" eine bestimmte im Islam vorgeschriebene Handlung hat. Im Eingangsbeitrag habe ich ein Video verlinkt, wo er es über das Gebet erläutert, das es einen bereichert, näher zu Gott bringt und solche Sachen. Das habe ich so in einem islamischen Text noch nie gehört, was aber nichts heißen muss.
Von daher sollte man seine Fähigkeiten als islamischer Theologe jetzt auch nicht unterschätzen.
Die Details dieses liberalen Islamverständnisses sind eigentlich auch einen eigenen Strang wert.
Was mir bisher zwar bekannt war, aber ich noch nie bewusst miteinander in Verbindung gebracht habe, ist die Aussage, dass ein Muslim sich nie sicher sein kann, nach dem Tode ins Paradies zu kommen. Die einzige Möglichkeit sich sicher zu sein, ist der Tod als Mehrtürer im Dschihad. Das habe ich bisher noch nicht zu Ende gedacht und ich bin mir auch nicht sicher, ob diese Prädestinationslehre überhaupt Bestandteil des Volksislams ist.
Wobei der Märtyrertod auch nur gestorben wird, wenn der Jihad
auf dem Weg Gottes ist. Das heißt man muss erstmal überzeugt sein, dass ein bestimmter Kampf gerecht ist, das ihn zu kämpfen im Gottes Sinne ist. Und wenn man das glaubt, dann kommt das Jihad-Verständnis ins Spiel. Deswegen finde ich es auch immer schwierig auf einer dogmatischen Ebene Politik, Gewalt und Islam zu diskutieren, weil das nie auch nur annähernd nur dogmatisch ist sondern die Dogmatik der politischen Meinung und Notwendigkeiten folgt und gar nicht so sehr umgekehrt.
Wenn es diese Selbstmordargumentationen nicht gäbe, würden die Leute meines Erachtens genauso kämpfen, nur möglicherweise wären nicht so viele scharf darauf Märtyrer zu werden, sondern würden lieber normale Soldaten sein ohne Spezialauftrag.
Dieser Beitrag ist sehr gut.