gott schafft sich selbst durch uns

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jabarin

gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von jabarin »

der inquisitor von baghdad, ibn al-jawzi, zitiert in seinem kitab al-mawdu'at ("buch der gefälschten hadithe") eine bemerkenswerte überlieferung mit dem ziel zu zeigen, welche art von prophetensprüchen man nicht vorrangig aufgrund ihrer überliefererkette, sondern aufgrund ihres textuellen wortlauts als gefälscht ansehen müsste: "gott wollte sich selbst schaffen, also schuf er ein pferd, ließ es galoppieren und schuf sich dann selbst von seinem schweiß."

ibn al-jawzi argumentiert, dieser hadith müsse gefälscht sein, da der prophet unmöglich so einen quatsch behauptet haben könne. nun, wenn man allerdings bedenkt, wie viele unglaublich blöde überlieferungen es in die kanonischen traditionssammlungen geschafft haben, ist das natürlich ein geradezu entwaffnendes argument. :D

jedenfalls ist es bemerkenswert, dass offensichtlich überlieferungen noch im entstehungsprozess einer dogmatik ausgeschlossen wurden, nur weil sie einer prädogmatik nicht entsprachen. mit dem ziel, kohärenz zu schaffen, sind also unter umständen im selben maße, wie gefälschte überlieferungen als authentisch durchgegangen sind, auch authentische überlieferungen als gefälscht beiseite geschoben wurden - was wiederum natürlich bedeutet, dass wir per se bei einem blick auf die kanonischen traditionssammlungen überhaupt gar nicht erkennen können, was der prophet getan oder gelassen haben könnte.

(um auch ein gutes haar an ibn al-jawzi zu lassen: er führt an anderer stelle eine überlieferung an, derzufolge der prophet beim besuch eines bades dies oder jenes gesagt habe. er deklariert diesen hadith als gefälscht, weil es zur zeit des propheten im hidjaz keine bäder gegeben habe. das ist ein gutes beispiel für ein valides argument, das viel öfter hätte angeführt werden sollen - sein argument gegen den pferdeschweiß-hadith hingegen eher nicht.)
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das sollen aber nur vorbemerkungen sein - denn das thema, das ich hier eigentlich diskutieren will, ist: was ist, wenn
a) dieser hadith authentisch wäre (welche folgen hätte das für ein islamisches gottesbild), oder
b) gott sich tatsächlich selbst durch seine geschöpfe schafft (welche folgen hätte das für ein gottesbild auch außerhalb des islam).

ich hatte ja an anderer stelle schon einmal dafür argumentiert, dass genau das der fall ist, jedenfalls dann, wenn man konstruktivismus und theismus miteinander verbinden will:
jabarin » Sa 4. Aug 2012, 11:18 hat geschrieben: gott schafft sich selbst durch uns, gott konstruiert den menschen und der mensch konstruiert durch seine erkenntnis gott, und entsprechend seiner konstruktion von gott gestaltet sich auch sein verhältnis zu gott. soll heißen: ich glaube, dass gott so ist, wie der mensch ihn glaubt. [...]
anders gesagt: gott ist ein schema, das durch den menschen konkretisiert wird. ganz analog zur konkretisierung eines textes durch den leser im rahmen des ästhetischen erlebnisses (vgl. hierzu roman ingarden), konkretisiert - und konstruiert - sich gott im rahmen des religiösen erlebnisses durch den menschen. genau diesen schluss kann man nämlich auch aus einer passage aus dem talmud entnehmen, den ich an derselben stelle zitiert hatte:
baba mezi'a 59b: "It has been taught: On that day R. Eliezer brought forward every imaginable argument, but they did not accept them. Said he to them: 'If the halachah agrees with me, let this carob-tree prove it!' Thereupon the carob-tree was torn a hundred cubits out of its place — others affirm, four hundred cubits. 'No proof can be brought from a carob-tree,' they retorted. Again he said to them: 'If the halachah agrees with me, let the stream of water prove it!' Whereupon the stream of water flowed backwards — 'No proof can be brought from a stream of water,' they rejoined. Again he urged: 'If the halachah agrees with me, let the walls of the schoolhouse prove it,' whereupon the walls inclined to fall. But R. Joshua rebuked them, saying: 'When scholars are engaged in a halachic dispute, what have ye to interfere?' Hence they did not fall, in honour of R. Joshua, nor did they resume the upright, in honour of R. Eliezer; and they are still standing thus inclined. Again he said to them: 'If the halachah agrees with me, let it be proved from Heaven!' Whereupon a Heavenly Voice cried out: 'Why do ye dispute with R. Eliezer, seeing that in all matters the halachah agrees with him!' But R. Joshua arose and exclaimed: 'It is not in heaven.' What did he mean by this? — Said R. Jeremiah: That the Torah had already been given at Mount Sinai; we pay no attention to a Heavenly Voice, because Thou hast long since written in the Torah at Mount Sinai, After the majority must one incline.

R. Nathan met Elijah and asked him: What did the Holy One, Blessed be He, do in that hour? — He laughed [with joy], he replied, saying, 'My sons have defeated Me, My sons have defeated Me.'"
der mensch konkretisiert und da hat das "schema gott" dann auch nix mehr zu sagen. ;)

gott schuf den menschen also nicht, damit er ihm dient, und auch nicht, weil er ein armes kleines würstchen ist, das jemanden braucht, der ihn liebt, auch nicht, weil es ihm nach einem schoßhündchen oder einem sandsack oder einem sitzkissen verlangte, sondern weil er eine potenzialität ist, die konkretisiert werden wollte. da mein gehirn zu klein ist, um die konsequenzen dieser idee vollständig zu erfassen, bitte ich jetzt um euren input.

danke! :)
Zuletzt geändert von jabarin am Mittwoch 5. September 2012, 09:35, insgesamt 2-mal geändert.
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Tantris
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von Tantris »

Für wahrscheinlicher halte ich es, dass nicht gott den menschen, sondern der mensch den gott erschaffen hat und nach seinem bilde geformt.
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relativ
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von relativ »

Tantris » Mi 5. Sep 2012, 08:43 hat geschrieben:Für wahrscheinlicher halte ich es, dass nicht gott den menschen, sondern der mensch den gott erschaffen hat und nach seinem bilde geformt.

Den Gott den ein Großteil der Menschen sich so vorstellt bestimmt.
Zuletzt geändert von relativ am Mittwoch 5. September 2012, 11:42, insgesamt 1-mal geändert.
Das Banale braucht man nicht zu schälen.
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von jabarin »

Tantris » Mi 5. Sep 2012, 08:43 hat geschrieben:Für wahrscheinlicher halte ich es, dass nicht gott den menschen, sondern der mensch den gott erschaffen hat und nach seinem bilde geformt.
ich hatte eigentlich gehofft, dass dieser strang nicht direkt zu beginn durch die verwendung von phrasen in eine simple atheismus-vs.-theismus-debatte abdriftet. solche debatten interessieren mich nicht sonderlich und meines erachtens gibt es in diesem forum genügend stränge, in denen genau diese debatte bereits geführt wird.

man kann mit whitehead auch behaupten, dass es genauso wahr ist zu sagen, dass gott die welt erschafft, wie zu sagen, dass die welt gott erschafft;
dass es genauso wahr ist zu sagen, dass die welt gott immanent ist, wie dass gott der welt immanent ist;
dass es genauso wahr ist zu sagen, dass gott die welt transzendiert, wie zu sagen, dass die welt gott transzendiert.

ich habe in meinem eingangsbeitrag im grunde für die prozessphilosophie und den prozesstheismus plädiert; als theismus ist er -vielleicht ;) - kein atheismus, aber er ist auch kein theismus im herkömmlichen sinne. vergleiche die stanford encyclopedia of philosophy:
For both Whitehead and Hartshorne, it is an essential attribute of God to be fully involved in and affected by temporal processes. This idea contrasts neatly with traditional forms of theism that hold God to be in all respects non-temporal (eternal), unchanging (immutable,) and unaffected by the world (impassible). Process theism does not deny that God is in some respects eternal, immutable, and impassible, but it contradicts the classical view by insisting that God is in some respects temporal, mutable, and passible. The views of Whitehead and Hartshorne should also be distinguished from those that affirm that the divine being, by an act of self-limitation, opens itself to influence from the world.
fett von mir.

ich darf dazu sagen, dass whitehead ursprünglich agnostiker war und sein theismus eine logische folge aus seiner philosophie eines "organischen realismus" war, den er als alternative zum wissenschaftlichen materialismus entwickelte. später gab es eine interessante debatte, ob die whiteheadsche philosophie tatsächlich einen gott braucht - die wir hier gerne nachvollziehen können, aber nicht müssen.

dazu müsste man sich allerdings erst einmal auf das thema einlassen...
Zuletzt geändert von jabarin am Mittwoch 5. September 2012, 11:39, insgesamt 4-mal geändert.
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Tantris
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von Tantris »

jabarin » Mi 5. Sep 2012, 11:33 hat geschrieben: ich hatte eigentlich gehofft, dass dieser strang nicht direkt zu beginn durch die verwendung von phrasen in eine simple atheismus-vs.-theismus-debatte abdriftet...
okok...
vielleicht wäre ein hinweis im ersten posting nicht schlecht gewesen, dass du eben nicht über prämissen diskutieren willst, sondern nur auf der voraussetzungen, dass es z.b. einen gott gibt, der im prinzip den der 3 großen patriarchalischen religonen entspricht und der starke menschenähnlichkeit hat. All das soll nicht in frage gestellt werden, sondern als basis für weitere spekulationen dienen.

Also, so verstehe ich dich jetzt, und, natürlich kann ich mich unter diesen umständen raushalten, da ich ja schon am anfang über diese prämissen stolpern würde.
jabarin

Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von jabarin »

Tantris » Mi 5. Sep 2012, 10:41 hat geschrieben:
okok...
vielleicht wäre ein hinweis im ersten posting nicht schlecht gewesen, dass du eben nicht über prämissen diskutieren willst, sondern nur auf der voraussetzungen, dass es z.b. einen gott gibt, der im prinzip den der 3 großen patriarchalischen religonen entspricht und der starke menschenähnlichkeit hat. All das soll nicht in frage gestellt werden, sondern als basis für weitere spekulationen dienen.

Also, so verstehe ich dich jetzt, und, natürlich kann ich mich unter diesen umständen raushalten, da ich ja schon am anfang über diese prämissen stolpern würde.
dass es einen gott gibt, ist die "prämisse" meines ansatzes, die sich, zugegeben, eher aus religiösem erleben denn aus philosophischen überlegungen speist und daher tatsächlich im grunde indiskutabel ist; es ist aber etwa auch ein "resultat" der organismischen philosophie whiteheads, wobei sich durchaus diskutieren ließe, ob es ein notwendiges resultat ist; das wäre dann eine diskussion, an der sich selbstverständlich auch atheisten beteiligen können, genauso darin, etwaige rein logische fehlschlüsse in meinem ansatz aufzuzeigen.

dass dieser gott "im prinzip dem der drei großen patriarchalischen religionen entspricht und starke menschenähnlichkeit hat" ist hingegen eigentlich nicht die prämisse meines ansatzes. ;)

auf die unterschiede zwischen dem gott der prozesstheologie und dem gott des klassischen theismus hatte ich ja bereits hingewiesen.
Zuletzt geändert von jabarin am Mittwoch 5. September 2012, 11:56, insgesamt 1-mal geändert.
Bukowski

Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von Bukowski »

Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind, Metaphern, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen.

sagte Herr N. :)
jabarin

Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von jabarin »

Bukowski » Mi 5. Sep 2012, 10:55 hat geschrieben:Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind, Metaphern, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen.

sagte Herr N. :)
schön hat er das gesagt, der herr n.! :)

wusstest du, dass barthes' diktum vom "tod des autors" auf nietzsches "tod gottes" zurückgeht? das ist spannend, weil ich gott ja nicht als autor, sondern als text denke... ;)

das wiederum erinnert mich jetzt an ein buch, das ich eigentlich noch lesen wollte: "faithful to the earth: nietzsche and whitehead on god and the meaning of human life". klappentext:
On the surface, Friedrich Nietzsche and Alfred North Whitehead represent very different positions on God and the meaning of human life. Put simply, Nietzsche is an atheist--belief in God, he argues, denies the value and meaning of human life. Whitehead says the opposite--human life finds no meaning unless God exists. Faithful to the Earth, winner of the Bross Prize for Christian Scholarship that is awarded only once every 10 years, goes way beyond contrasting the theist with the atheist. J. Thomas Howe argues that Whitehead's understanding of God lays the foundation for a religious life strikingly similar to that described in Nietzsche's tragic, but affirmative, philosophy. In Howe's eyes, the theology of Whitehead provides a doctrine of God that is not subject to Nietzsche's criticism of Christianity. For Whitehead, religious life is not opposed to life in the world.
das liegt jetzt schon ewig auf meinem couchtisch und ich komme einfach nicht dazu, es zu lesen.

ich nehm's mir am besten direkt heute abend mal vor.

oder hat das vielleicht schon jemand hier gelesen und kann mal kurz die argumentation skizzieren?
Zuletzt geändert von jabarin am Mittwoch 5. September 2012, 12:10, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von ThorsHamar »

jabarin » Mi 5. Sep 2012, 08:28 hat geschrieben: ...... da mein gehirn zu klein ist, um die konsequenzen dieser idee vollständig zu erfassen, bitte ich jetzt um euren input.

danke! :)
Dein Gehirn bleibt aber "zu klein"? Wohin dann, bitte, mit dem Input?
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von Gutmensch »

Tantris » Mi 5. Sep 2012, 09:43 hat geschrieben:Für wahrscheinlicher halte ich es, dass nicht gott den menschen, sondern der mensch den gott erschaffen hat und nach seinem bilde geformt.
Ist der Satz originär von Ihnen? Kompliment. :thumbup:
the NSA is watching you! :D
jabarin

Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von jabarin »

ThorsHamar » Mi 5. Sep 2012, 11:10 hat geschrieben: Dein Gehirn bleibt aber "zu klein"? Wohin dann, bitte, mit dem Input?
mein gehirn - bzw. meine synapsen - wachsen mit ihren aufgaben. :)

im ernst, den whitehead finde ich zum beispiel schon recht kompliziert, und denkt es sich gemeinsam nicht manchmal leichter? wozu sind wir sonst hier?
Gutmensch » Mi 5. Sep 2012, 11:13 hat geschrieben: Ist der Satz originär von Ihnen? Kompliment. :thumbup:
nee, der ist ursprünglich von ludwig feuerbach und wurde auch schon vom hier schon von frau bukowski angesprochenen herrn n. rezipiert ...

"der fromme spricht
gott liebt uns weil er uns erschuf! -
der mensch schuf gott! - sagt darauf ihr feinen."
(die fröhliche wissenschaft)

heutzutage ist dieser satz eines der wichtigsten dogmen des atheismus. :)
Zuletzt geändert von jabarin am Mittwoch 5. September 2012, 12:43, insgesamt 4-mal geändert.
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ralphon
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von ralphon »

anders gesagt: gott ist ein schema, das durch den menschen konkretisiert wird.
Der Islam ist eigentlich die falsche Religion als Grundlage für so eine Frage, denn dort wird gelehrt, daß Gott nicht Mensch werden kann. Im alten Testament steht, daß Gott den Menschen entwickelt mit dem Ziel, als sein Abbild dienen zu können. Im neuen Testament wird Gott, wie er für sich existiert, als eine Art Multitasking-Prozessormaschine beschrieben. Das eröffnet ein bischen mehr Möglichkeiten, sich das ganze vorzustellen.
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schokoschendrezki
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von schokoschendrezki »

Die (hypothetische) "Feinabstimmung" der universellen Naturkonstanten und das anthropische Prinzip, nach denen die physikalischen Gesetze im Universum auf der weiten Skala des Möglichen sich in dem winzig kleinen Bereich befinden, der die Entstehung von Kohlenstoff und komplexen organischen Verbindungen überhaupt nur möglich macht, geht ja in eine ähnliche Richtung. Voraussetzung für eine Nicht-Zufälligkeit dieser Zusammenhänge wäre allerdings die Existenz nur eines, "unseres" Universums. Andernfalls gäbe es noch Myriaden Universen, in denen Leben nicht möglich ist und selbstverständlich werden die Lebewesen in dem einen oder den wenigen Universen, in denen es entsteht, die eher zufällige Abseitigkeit ihres Universums nicht erkennen und einen Schöpfer für deren Entstehung verantwortlich machen, der in den Mythen und Religionen dieser Geschöpfe quasi aufersteht.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von jabarin »

ralphon » Mi 5. Sep 2012, 11:59 hat geschrieben: Der Islam ist eigentlich die falsche Religion als Grundlage für so eine Frage, denn dort wird gelehrt, daß Gott nicht Mensch werden kann. Im alten Testament steht, daß Gott den Menschen entwickelt mit dem Ziel, als sein Abbild dienen zu können. Im neuen Testament wird Gott, wie er für sich existiert, als eine Art Multitasking-Prozessormaschine beschrieben. Das eröffnet ein bischen mehr Möglichkeiten, sich das ganze vorzustellen.
warum muss der mensch denn gott als menschen konkretisieren? :?:

nun, ich würde sagen, was die prozesstheologie betrifft, so ist das eigentlich unproblematisch.

sicher steht die im eingangsbeitrag dargestellte sicht auf gott dem klassischen gottesbild der monotheistischen religionen einschließlich des islams entgegen. für das christentum ist das neben den dogmen der ewigkeit, unveränderlichkeit etc. gottes, die ja im grunde die klassischen lehren des judentums, christentums und islam miteinander teilen, zum beispiel auch das dogma der erbsünde - das anzuzweifeln bzw. in einen neuen kontext zu rücken dem jesuitenpater teilhard de chardin, der ja im grunde auch ein prozesstheologe war, immerhin ein lehrverbot einbrachte und dazu führte, das sein hauptwerk "le phénomène humaine" erst posthum veröffentlicht werden konnte.

dass prozesstheologie und islam vereinbar sind, hat übrigens schon muhammad iqbal in seinen vorlesungen zur islamischen philosophie gezeigt, die 1930 unter dem titel "the reconstruction of religious thought in islam" veröffentlicht wurden:
The Ultimate Ego exists in pure duration wherein change ceases to be a succession of varying attitudes, and reveals its true character as continuous creation, “untouched by weariness” and unseizable “by slumber or sleep”. To conceive the Ultimate Ego as changeless in this sense of change is to conceive Him as utter inaction, a motiveless, stagnant neutrality, an absolute nothing. To the Creative Self change cannot mean imperfection. The perfection of the Creative Self consists, not in a mechanistically conceived immobility, as Aristotle might have led Ibn Hazm to think. It consists in the vaster basis of His creative activity and the infinite scope of His creative vision. God’s life is self-revelation, not the pursuit of an ideal to be reached. The “not-yet” of man does mean pursuit and may mean failure; the “not-yet” of God means unfailing realization of the infinite creative possibilities of His being which retains its wholeness throughout the entire process. [...]

From the standpoint of the all-inclusive Ego there is no “other”. In Him thought and deed, the act of knowing and the act of creating, are identical. It may be argued that the ego, whether finite or infinite, is inconceivable without a confronting non-ego, and if there is nothing outside the Ultimate Ego, the Ultimate Ego cannot be conceived as an ego. The answer to this argument is that logical negations are of no use in forming a positive concept which must be based on the character of Reality as revealed in experience. Our criticism of experience reveals the Ultimate Reality to be a rationally directed life which, in view of our experience of life, cannot be conceived except as an organic whole, a something closely knit together and possessing a central point of reference. This being the character of life, the ultimate life can be conceived only as an ego.

[...] No doubt, the emergence of egos endowed with the power of spontaneous and hence unforeseeable action is, in a sense, a limitation on the freedom of the all-inclusive Ego. But this limitation is not externally imposed. It is born out of His own creative freedom whereby He has chosen finite egos to be participators of His life, power, and freedom.
das ist ergänzungsbedürftig, aber meines erachtens schon ein guter anfang. :)
schokoschendrezki » Mi 5. Sep 2012, 13:16 hat geschrieben: Die (hypothetische) "Feinabstimmung" der universellen Naturkonstanten und das anthropische Prinzip, nach denen die physikalischen Gesetze im Universum auf der weiten Skala des Möglichen sich in dem winzig kleinen Bereich befinden, der die Entstehung von Kohlenstoff und komplexen organischen Verbindungen überhaupt nur möglich macht, geht ja in eine ähnliche Richtung. Voraussetzung für eine Nicht-Zufälligkeit dieser Zusammenhänge wäre allerdings die Existenz nur eines, "unseres" Universums. Andernfalls gäbe es noch Myriaden Universen, in denen Leben nicht möglich ist und selbstverständlich werden die Lebewesen in dem einen oder den wenigen Universen, in denen es entsteht, die eher zufällige Abseitigkeit ihres Universums nicht erkennen und einen Schöpfer für deren Entstehung verantwortlich machen, der in den Mythen und Religionen dieser Geschöpfe quasi aufersteht.
spannend, danke für den gedanken! :thumbup:

nun habe ich aber gerade von achim t. in einem anderen strang gelesen, dass es - per definition - nur ein universum geben kann und man gegebenenfalls von einem poly- oder multiversum sprechen muss. was sagst du dazu? vielleicht magst du deine gedanken näher ausführen? :)
Zuletzt geändert von jabarin am Mittwoch 5. September 2012, 14:47, insgesamt 2-mal geändert.
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Platon
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von Platon »

Verstehe ich das jetzt richtig?
Indem sich der Mensch Gott vorstellt, erschafft er sich Gott.

Damit aber Gott nicht einfach nur ein Menschliches Phantasie-Produkt ist, muss vorher natürlich ein entsprechendes göttliches Potenzial da sein, das durch die menschliche Vorstellung geformt wird.

Die Frage die ich mir da stelle ist natürlich, inwieweit sich Aussagen über Gott über die eigene Vorstellung und den Gedanken des Potenzials hinaus treffen lassen.

Für ein Islamisches Gottesbild stellt sich naheliegenderweise die Frage inwieweit durch die Vorstellung, dass Gott ein Erschaffener ist, die klassischen islamischen Dogmen vom Tauhid verletzt sind.

Also immer wieder das Problem wie sich die Subjektivität des Konstruktivismus mit der Objektivität des Theismus zueinander verhalten. Oder ist das zu simpel gedacht? :?:
Dieser Beitrag ist sehr gut.
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von schokoschendrezki »

jabarin » Mi 5. Sep 2012, 14:43 hat geschrieben: warum muss der mensch denn gott als menschen konkretisieren? :?:

nun, ich würde sagen, was die prozesstheologie betrifft, so ist das eigentlich unproblematisch.

sicher steht die im eingangsbeitrag dargestellte sicht auf gott dem klassischen gottesbild der monotheistischen religionen einschließlich des islams entgegen. für das christentum ist das neben den dogmen der ewigkeit, unveränderlichkeit etc. gottes, die ja im grunde die klassischen lehren des judentums, christentums und islam miteinander teilen, zum beispiel auch das dogma der erbsünde - das anzuzweifeln bzw. in einen neuen kontext zu rücken dem jesuitenpater teilhard de chardin, der ja im grunde auch ein prozesstheologe war, immerhin ein lehrverbot einbrachte und dazu führte, das sein hauptwerk "le phénomène humaine" erst posthum veröffentlicht werden konnte.

dass prozesstheologie und islam vereinbar sind, hat übrigens schon muhammad iqbal in seinen vorlesungen zur islamischen philosophie gezeigt, die 1930 unter dem titel "the reconstruction of religious thought in islam" veröffentlicht wurden:

das ist ergänzungsbedürftig, aber meines erachtens schon ein guter anfang. :)


spannend, danke für den gedanken! :thumbup:

nun habe ich aber gerade von achim t. in einem anderen strang gelesen, dass es - per definition - nur ein universum geben kann und man gegebenenfalls von einem poly- oder multiversum sprechen muss. was sagst du dazu? vielleicht magst du deine gedanken näher ausführen? :)
Begrifflich ist die Formulierung "mehrere Universen" sicher widersprüchlich. Man braucht aber nur der Gesamtheit der aus dem angenommenen Urknalll hervorgegangenen Teil der Realität, in der sich auch unsere Galaxis befindet, einen anderen Namen geben. Auf die Überlegungen zur Feinabstimmung der Naturkonstanten hat das keinen Einfluss und ist nur ein "Raider heißt jetzt Twix".

Das Entscheidende für mich ist die Frage, ob diese Feinabstimmung nur faktisch feststellbar ist oder ob sie aus einem "höheren" Prinzip ableitbar ist. Zum Beispiel aus einer abstrakten, rein mathematischen Herleitung wie etwa die Zahlen e oder pi aus den Lösungsfunktionen eines Differentialgleichungsansatzes y'=y bzw. y''=-y. Im letzteren Falle könnte man a) auch für Parallel-Welten eine solche Feinabstimmung vorprognostizieren und b) stünde man vor der philosophisch sehr schwierigen Frage, ob die Grundaxiome der Mathematik, auf der eine solche Herleitung basieren müsste, also etwa die Aussagenlogik, unter allen Umständen unkündbar sind oder doch so etwas wie "Welteinstellungsparameter" darstellen. Nur im letzteren Fall könnte man ja von einer Art zielgerichteten Erschaffung einer Welt mit dem Wunsch der Entstehung intelligenter Wesen sprechen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von jabarin »

Platon » Mi 5. Sep 2012, 13:44 hat geschrieben:Verstehe ich das jetzt richtig?
Indem sich der Mensch Gott vorstellt, erschafft er sich Gott.

Damit aber Gott nicht einfach nur ein Menschliches Phantasie-Produkt ist, muss vorher natürlich ein entsprechendes göttliches Potenzial da sein, das durch die menschliche Vorstellung geformt wird.

Die Frage die ich mir da stelle ist natürlich, inwieweit sich Aussagen über Gott über die eigene Vorstellung und den Gedanken des Potenzials hinaus treffen lassen.

Für ein Islamisches Gottesbild stellt sich naheliegenderweise die Frage inwieweit durch die Vorstellung, dass Gott ein Erschaffener ist, die klassischen islamischen Dogmen vom Tauhid verletzt sind.

Also immer wieder das Problem wie sich die Subjektivität des Konstruktivismus mit der Objektivität des Theismus zueinander verhalten. Oder ist das zu simpel gedacht? :?:
zum tawhid hatte ich ja, kurz bevor du deinen beitrag abgesetzt hast, bereits eine passage von muhammad iqbal zitiert. meines erachtens ist die erschaffung gottes durch den menschen als konkretisation einer potenzialität anzusehen, die im "schema gott" schon angelegt ist. da wird also nichts hinzugefügt, es wird nur verwirklicht. da die "schöpferische vision" gottes unendlich ist, sind auch die potenziellen realisationen gottes durch den menschen unendlich.

da kann man natürlich fragen: was soll dann die eifersucht gottes in der bibel, das verbot des shirqs im koran? wie kann man denn gott etwas "beiseite" stellen, was in gott eigentlich schon angelegt ist?

nun, der punkt ist, wir haben es bereits mit konkretisationen von gott zu tun, die erlebt, beschrieben, verteidigt und verbreitet werden und die als von menschen erfahrene oder gedachte "götter" selbstverständlich ihre berechtigung haben. was liegt es an mir, die wirklichkeiten anderer menschen als wirklichkeiten anzuzweifeln? der mensch - auch ich! - kann ja nur hoffen, einen bruchteil der realisierungsmöglichkeiten des potenziellen "schemas gott" überhaupt konkretisieren zu können. und es kommt eben darauf an zu sehen, welche das zu einem bestimmten ort in einer bestimmten zeit in einem bestimmten menschen sind. und dann kann man über den "selbst erlebten", "gedachten" oder "geglaubten" gott und auch über den "erlebten", "gedachten" oder "geglaubten" gott anderer menschen auch analytische, vergleichende und unter umständen sogar definitive aussagen treffen.

der von mir persönlich konkretisierte gott kommt dem im koran beschriebenen gott sehr nah. er ist teil meiner wirklichkeit. deshalb muss er aber nicht teil der wirklichkeit anderer menschen sein.
schokoschendrezki » Mi 5. Sep 2012, 14:20 hat geschrieben: Das Entscheidende für mich ist die Frage, ob diese Feinabstimmung nur faktisch feststellbar ist oder ob sie aus einem "höheren" Prinzip ableitbar ist. Zum Beispiel aus einer abstrakten, rein mathematischen Herleitung wie etwa die Zahlen e oder pi aus den Lösungsfunktionen eines Differentialgleichungsansatzes y'=y bzw. y''=-y. Im letzteren Falle könnte man a) auch für Parallel-Welten eine solche Feinabstimmung vorprognostizieren und b) stünde man vor der philosophisch sehr schwierigen Frage, ob die Grundaxiome der Mathematik, auf der eine solche Herleitung basieren müsste, also etwa die Aussagenlogik, unter allen Umständen unkündbar sind oder doch so etwas wie "Welteinstellungsparameter" darstellen. Nur im letzteren Fall könnte man ja von einer Art zielgerichteten Erschaffung einer Welt mit dem Wunsch der Entstehung intelligenter Wesen sprechen.
wenn ich dich recht verstehe, setzt du hier eine "theistische" weltdeutung mit einer "teleologischen" weltdeutung gleich. damit wäre wohl die validität theistischer erklärungsmuster von der validität teleologischer hypothesen abhängig. geht man dann weiter davon aus, dass hypothesen nur dann wissenschaftlich gültig sind, wenn sie antiteleologisch sind, muss man ohnehin folgerichtig davon ausgehen, dass theismus und naturwissenschaft unvereinbar sind. und klar, insbesondere das anthropische prinzip verweist intuitiv eher auf eine antiteleologische weltdeutung, zu diesem zweck wurde es ja eigentlich formuliert.

ich frage mich aber, ob man diese gleichsetzung von theismus und teleologie (und die gleichzeitige inkompabilität von teleologie und wissenschaftlichkeit) wirklich behaupten muss. der punkt an der prozessphilosophie ist ja, dass gott zwar transzendent ist insofern, als er die "gesamtheit der möglichkeiten" umfasst, aber auch immanent insofern, als er an der tatsächlich realisierten wirklichkeit teilhat - und sich mit ihr verändert, weil er auf die realisierte auswahl aus der gesamtheit der möglichkeiten reagiert. damit gibt es aber eben auch keine finale ordnung; keine zielgerichtete erschaffung einer welt im eigentlichen sinne. antizipation, ja, vielleicht, aber eben keine determination.

insgesamt scheint mir die quantenmechanik philosophisch noch zu wenig erschlossen zu sein, als dass sich hier irgendwelche definiten aussagen treffen lassen - vielleicht ist das aber auch nur eine ausrede meinerseits, mich damit nicht näher befassen zu müssen...

was sich mir auch nicht ganz erschließt, ist dein fazit im letzten satz; warum genau soll es nur im letzteren fall möglich sein, von einer "zielgerichteten erschaffung einer welt mit dem wunsch der entstehung intelligenter wesen" zu sprechen? meines erachtens ist es in den anderen fällen zwar nicht "notwendig", aber trotzdem "möglich", von einer "... erschaffung ..." auszugehen. aber wahrscheinlich komme ich hier nur nicht ganz mit; ---

vielleicht kannst du das näher erläutern? :)
Zuletzt geändert von jabarin am Donnerstag 6. September 2012, 02:35, insgesamt 4-mal geändert.
allahu a3lam
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von allahu a3lam »

Hallo Jabarin,
jabarin » Mi 5. Sep 2012, 08:28 hat geschrieben:[...]
anders gesagt: gott ist ein schema, das durch den menschen konkretisiert wird. ganz analog zur konkretisierung eines textes durch den leser im rahmen des ästhetischen erlebnisses (vgl. hierzu roman ingarden), konkretisiert - und konstruiert - sich gott im rahmen des religiösen erlebnisses durch den menschen.[...]

gott schuf den menschen also nicht, damit er ihm dient, und auch nicht, weil er ein armes kleines würstchen ist, das jemanden braucht, der ihn liebt, auch nicht, weil es ihm nach einem schoßhündchen oder einem sandsack oder einem sitzkissen verlangte, sondern weil er eine potenzialität ist, die konkretisiert werden wollte. da mein gehirn zu klein ist, um die konsequenzen dieser idee vollständig zu erfassen, bitte ich jetzt um euren input.

danke! :)
es ist schwer eine theologische (emische) frage aus etischer perspektive zu "beantworten". aber es soll ja nur um input gehen. zunächst ist festzustellen, dass dieses gottesbild dem orthodoxen verständnis widerspricht, nachdem gott unabhängig von seiner schöpfung existiert.
um sich an die frage vorsichtig heranzutasten:
. es gibt ja leider nicht DEN menschen, sondern nur eine vielzahl unterschiedlicher, die gott jeweils sehr individuell, mitunter widersprüchlich konkretisieren.
. ist ein derartiges gottesbild nicht speziezistisch? würde es gott nicht ebenso zu "würstchen machen", dass er der konkretisierung der menschen bedarf? wie verhält sich das mit der allmächtigkeit gottes?
. warum überhaupt die konkretisierung? ändert es einen text, wenn er unterschiedlich konkretisiert wird?.

ich lese die passage aus dem talmud auch anders: es geht weniger um konkretisierung, sondern darum, dass die "spielregeln" nicht nachträglich geändert werden können. der mensch muss sich darauf verlassen können, was offenbart wurde. es ist, glaube, ich eine alte theologische diskussion, ob sich gott mit dem koran nicht selbst einschränkt. reicht es nicht, dass er die konkretisierung gewissermaßen in sich trägt? diese einschränkung wird mit eben jener begründung hingenommen.

ich musste beim lesen deines textes an meister eckhart denken, wenn er eigentlich auch komplett gegenteiliges vertritt - trotzdem ist der ansatz - wie auch deiner - irgendwie versöhnlich:
Die Kluft zwischen dem ewigen Gott und dem vergänglichen Geschaffenen ist bei Eckhart so tief, dass nichts Geschaffenes einen Zugang zu Gott finden kann. Das Untere fasst und begreift das Obere nicht.[42] Die Beziehungen zwischen Gott und seinen menschlichen Geschöpfen stehen aber im Mittelpunkt der christlichen Lehre, und auch Eckharts Denken kreist um sie. Diesen Widerspruch beseitigt Eckhart, indem er die menschliche Seele hinsichtlich ihres Kernbereichs nicht dem Bereich der geschaffenen Dinge zuordnet, sondern ihr eine göttliche Qualität zuspricht. Die Gottheit selbst ist unmittelbar zuinnerst in der Seele ständig anwesend. Somit ist in der Seele etwas, dem die Ungeschaffenheit, Unvergänglichkeit und Eigenschaftslosigkeit der Gottheit zukommt. Der Kernbereich der Seele ist ewig und einheitlich wie Gott, genauer gesagt wie Gott als „Gottheit“ oberhalb der Dreifaltigkeit. Eckhart spricht ausdrücklich von einem „Teil“ der Seele, der im Unterschied zu den anderen Teilen „gottgleich“ ist.[43] Der göttliche „Teil“ der Seele ist aber nicht ein Teil eines Ganzen neben anderen Teilen, sondern von all dem in der Seele, was geschaffen ist, seiner Natur nach fundamental verschieden. Ausdrücke wie „Teil“ und „in der Seele“ scheinen eine Position anzudeuten. Sie sind aber nur in einem übertragenen Sinn gemeint, denn sie erwecken die Vorstellung einer räumlichen Struktur, womit sie der gemeinten Realität nicht gerecht werden.
http://de.wikipedia.org/wiki/Meister_Ec ... is_zu_Gott
Wer (grobe) Rechtschreibfehler findet, darf mich gerne darauf hinweisen.
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aleph
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von aleph »

Diese Vorstellungen gibt es auch im Westen und ich glaube, auch in Indien. Ich glaube, das geht in Richtung Pantheismus oder Naturalismus. Es gibt eine Art Weltseele, die sich materialisieren und Leben schaffen und beseelen kann.

Diese Vorstellung hat den Vorzug, dass einige ungeklärte Phänomene erklärt werden (z.B. wie entstand das Leben?), andererseits wird hier auch geklärt, warum ein allmächtiger Gott, der doch das Leben geschaffen haben soll, nicht handelt, um Leben zu erhalten und Leid zu verhindern.


Ja, ich sage damit nicht, dass ich an diese Vorstellung glaube, mir gefällt sie nur, glauben tue ich an nichts, ich weiß zu wenig, um etwas glauben zu können;)
Auf dem Weg zum Abgrund kann eine Panne lebensrettend sein. Walter Jens
Besser schweigen und als Narr zu scheinen, als sprechen und jeden Zweifel zu beseitigen. Abraham Lincoln
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Cerberus
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von Cerberus »

Edit.
Zuletzt geändert von Cerberus am Donnerstag 24. Januar 2013, 09:22, insgesamt 3-mal geändert.
Dirk Müller zum Thema Ukraine/Krim: https://www.youtube.com/watch?v=K_YWdaQhRU4
pittbull

Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von pittbull »

Im Islam heisst es ja, dass Gott uns erschuf damit wir ihm dienen. Dieses Dienen kann man auch als von Gott gewollte Konkretisierung Gottes verstehen. Er scheint diese Formung durch uns offenbar zur endgültigen Gottwerdung zu benötigen. Und damit er so wird, wie er sich das in etwa wünscht, gab er uns entsprechende Bücher, die seine zukünftigen Eigenschaften benennen.

Gott braucht uns. Er ist ohne uns nicht komplett. Wir sollen glauben, wir bräuchten ihn, doch eigentlich ist es umgekehrt. Naja, diesen Gedanken kann man beliebig weiterspinnen und sicher zu ganz phantastischen Schlüssen kommen. :)
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Gutmensch
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Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von Gutmensch »

jabarin » Mi 5. Sep 2012, 12:30 hat geschrieben: mein gehirn - bzw. meine synapsen - wachsen mit ihren aufgaben. :)

im ernst, den whitehead finde ich zum beispiel schon recht kompliziert, und denkt es sich gemeinsam nicht manchmal leichter? wozu sind wir sonst hier?


nee, der ist ursprünglich von ludwig feuerbach und wurde auch schon vom hier schon von frau bukowski angesprochenen herrn n. rezipiert ...

"der fromme spricht
gott liebt uns weil er uns erschuf! -
der mensch schuf gott! - sagt darauf ihr feinen."
(die fröhliche wissenschaft)

heutzutage ist dieser satz eines der wichtigsten dogmen des atheismus. :)

Danke. Sicherlich ist die Aussage provokant aus der Sicht eines Gottgläubigen. Man muß aber aus meiner Sicht kein Atheist sein, um diesem Satz zuzustimmen.
Ein Atheist schließt die Existenz eines Gottes aus. Es gibt aber viele Nicht-Gläubige, die seine Existenz nicht ausschließen.
the NSA is watching you! :D
jabarin

Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von jabarin »

hallo ihr alle,

ich habe im moment nur sehr wenig zeit, hier mit euch zu diskutieren, wollte euch jedoch mitteilen, dass ich eure beiträge gelesen und zur kenntnis genommen habe.

speziell der beitrag von dir, allahu a3lam, ist mir aber noch eine kurze antwort wert:

-----
zunächst mal: ich für meinen teil habe überhaupt kein problem mit "widersprüchen" und auch gar kein bedürfnis, sie aufzulösen. im gegenteil: gerade bei texten und auch beim "text gott" finde ich widersprüche ganz außerordentlich reizend und anregend, sie gehören für mich dazu, wie überhaupt zu dieser welt.

und ja, der text verändert sich durch seine konkretisation. wenn du einen text liest, zerreißt und zerschlägst du ihn zwangsläufig dabei und baust ihn gleichzeitig neu und anders und vielleicht auch vollkommener zusammen, das liegt in der natur der sache. er ist nicht mehr der text, der er war, bevor du ihn gelesen hast, aber er ist auch nicht vollends neu, sondern besteht aus elementen, die schon in ihm angelegt sind. anders herum: schon in dem moment, in dem ein text geschrieben wird, ist er ein gewebe aus texten, die vorher da waren, und wenn er geschrieben wurde und gelesen wird, wird er dadurch ein teil wird von allen texten, die nach ihm kommen, und verändert gleichzeitig die texte, die vor ihm da waren. auch unter der gewagten annahme, dass es einen "ersten" text gibt, so wird dieser text durch die texte, die nach ihm kommen, verändert, ergänzt und vollkommener.

ein anschauliches und vielleicht offensichtliches beispiel: wenn du z.b. faust: der tragödie dritter teil von vischer liest oder auf der bühne siehst, wird sich dadurch deine lektüre von faust i und ii verändern. normalerweise funktioniert das jedoch subtiler und ist zum beispiel nicht einmal, wie in diesem fall, "beabsichtigt". ein text verändert sich schlichtweg mit jeder neuen lektüre, und da ein text, der nicht gelesen wird, kein text ist, ist es auch redundant zu unterscheiden, ob sich der text oder die lektüre des textes verändert. beziehungsweise dann, übertragen auf gott: es ist redundant zu unterscheiden, ob sich gott selbst oder die wahrnehmung gottes durch die menschen ändert. das schema gott wird nämlich erst durch den menschen zu dem "gott", den wir im allgemeinen bezeichnen, wenn wir das wort "gott" in den mund nehmen.

und da sind wir auch beim thema speziesistisch: ich - und ich glaube auch sonst niemand - weiß nicht, ob tiere, pflanzen, steine, planeten, atome oder götter gottesvorstellungen haben; insofern kann ich mich dazu überhaupt nicht äußern. ich sehe nur, dass lesen und schreiben im grunde genommen zwei aspekte eines einzigen prozesses sind. genauso sind auch die erschaffung der welt durch gott und die erschaffung gottes durch die welt in meinen augen ein einziger prozess. und nein, weder gott noch die menschen noch die welt werden dadurch, dass sie teil eines großartigen, wunderbaren prozesses sind, "zum würstchen". im gegenteil, in meinen augen bringt das überhaupt erst die größe und herrlichkeit gottes wirklich zur geltung. und die der welt, die er erschafft und die ihn erschafft, natürlich auch.
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tut mir leid, wenn das etwas wirr und oberflächlich klingt, mir fehlt im moment einfach die zeit, das besser und konkreter auszuformulieren; ich wollte deinen beitrag aber auch nicht vollkommen unbeantwortet lassen, und hoffe, du kannst dennoch etwas damit anfangen.

gruß,

jabarin
Helicobacter

Re: gott schafft sich selbst durch uns

Beitrag von Helicobacter »

Der Gott, falls es ihn gibt, braucht den Menschen nicht, schon eher braucht der Mensch einen Gott, um seiner Endlichkeit einen Sinn zu geben.
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