ibn al-jawzi argumentiert, dieser hadith müsse gefälscht sein, da der prophet unmöglich so einen quatsch behauptet haben könne. nun, wenn man allerdings bedenkt, wie viele unglaublich blöde überlieferungen es in die kanonischen traditionssammlungen geschafft haben, ist das natürlich ein geradezu entwaffnendes argument.

jedenfalls ist es bemerkenswert, dass offensichtlich überlieferungen noch im entstehungsprozess einer dogmatik ausgeschlossen wurden, nur weil sie einer prädogmatik nicht entsprachen. mit dem ziel, kohärenz zu schaffen, sind also unter umständen im selben maße, wie gefälschte überlieferungen als authentisch durchgegangen sind, auch authentische überlieferungen als gefälscht beiseite geschoben wurden - was wiederum natürlich bedeutet, dass wir per se bei einem blick auf die kanonischen traditionssammlungen überhaupt gar nicht erkennen können, was der prophet getan oder gelassen haben könnte.
(um auch ein gutes haar an ibn al-jawzi zu lassen: er führt an anderer stelle eine überlieferung an, derzufolge der prophet beim besuch eines bades dies oder jenes gesagt habe. er deklariert diesen hadith als gefälscht, weil es zur zeit des propheten im hidjaz keine bäder gegeben habe. das ist ein gutes beispiel für ein valides argument, das viel öfter hätte angeführt werden sollen - sein argument gegen den pferdeschweiß-hadith hingegen eher nicht.)
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das sollen aber nur vorbemerkungen sein - denn das thema, das ich hier eigentlich diskutieren will, ist: was ist, wenn
a) dieser hadith authentisch wäre (welche folgen hätte das für ein islamisches gottesbild), oder
b) gott sich tatsächlich selbst durch seine geschöpfe schafft (welche folgen hätte das für ein gottesbild auch außerhalb des islam).
ich hatte ja an anderer stelle schon einmal dafür argumentiert, dass genau das der fall ist, jedenfalls dann, wenn man konstruktivismus und theismus miteinander verbinden will:
anders gesagt: gott ist ein schema, das durch den menschen konkretisiert wird. ganz analog zur konkretisierung eines textes durch den leser im rahmen des ästhetischen erlebnisses (vgl. hierzu roman ingarden), konkretisiert - und konstruiert - sich gott im rahmen des religiösen erlebnisses durch den menschen. genau diesen schluss kann man nämlich auch aus einer passage aus dem talmud entnehmen, den ich an derselben stelle zitiert hatte:jabarin » Sa 4. Aug 2012, 11:18 hat geschrieben: gott schafft sich selbst durch uns, gott konstruiert den menschen und der mensch konstruiert durch seine erkenntnis gott, und entsprechend seiner konstruktion von gott gestaltet sich auch sein verhältnis zu gott. soll heißen: ich glaube, dass gott so ist, wie der mensch ihn glaubt. [...]
der mensch konkretisiert und da hat das "schema gott" dann auch nix mehr zu sagen.baba mezi'a 59b: "It has been taught: On that day R. Eliezer brought forward every imaginable argument, but they did not accept them. Said he to them: 'If the halachah agrees with me, let this carob-tree prove it!' Thereupon the carob-tree was torn a hundred cubits out of its place — others affirm, four hundred cubits. 'No proof can be brought from a carob-tree,' they retorted. Again he said to them: 'If the halachah agrees with me, let the stream of water prove it!' Whereupon the stream of water flowed backwards — 'No proof can be brought from a stream of water,' they rejoined. Again he urged: 'If the halachah agrees with me, let the walls of the schoolhouse prove it,' whereupon the walls inclined to fall. But R. Joshua rebuked them, saying: 'When scholars are engaged in a halachic dispute, what have ye to interfere?' Hence they did not fall, in honour of R. Joshua, nor did they resume the upright, in honour of R. Eliezer; and they are still standing thus inclined. Again he said to them: 'If the halachah agrees with me, let it be proved from Heaven!' Whereupon a Heavenly Voice cried out: 'Why do ye dispute with R. Eliezer, seeing that in all matters the halachah agrees with him!' But R. Joshua arose and exclaimed: 'It is not in heaven.' What did he mean by this? — Said R. Jeremiah: That the Torah had already been given at Mount Sinai; we pay no attention to a Heavenly Voice, because Thou hast long since written in the Torah at Mount Sinai, After the majority must one incline.
R. Nathan met Elijah and asked him: What did the Holy One, Blessed be He, do in that hour? — He laughed [with joy], he replied, saying, 'My sons have defeated Me, My sons have defeated Me.'"

gott schuf den menschen also nicht, damit er ihm dient, und auch nicht, weil er ein armes kleines würstchen ist, das jemanden braucht, der ihn liebt, auch nicht, weil es ihm nach einem schoßhündchen oder einem sandsack oder einem sitzkissen verlangte, sondern weil er eine potenzialität ist, die konkretisiert werden wollte. da mein gehirn zu klein ist, um die konsequenzen dieser idee vollständig zu erfassen, bitte ich jetzt um euren input.
danke!
