Raskolnikof hat geschrieben:(28 Dec 2017, 15:07)
Als ich kürzlich beim Schachspiel mit meinem Nachbarn dieses Thema ansprach wunderte der sich nur über meine in seinen Augen veralteten Ansichten. Auch er und seine Frau übermitteln Geburtstags- und Weihnachtsgrüße so gut wie nur noch per WhatsApp. Sinngemäß sagte er mir „Ist doch egal, wie der Gruß übermittelt wird. Hauptsache, er kommt von Herzen.“
Ich wurde von einigen Mitmenschen auch schon u. a. als "nicht normal" bezeichnet, weil ich (Jahrgang '85) mich dem ganzen Socialmedia-Mist verweigere und wenn schon elektronisch/virtuell, mich auf "altmodische" Emails und SMS beschränke. Ich ernte herunterfallende Kinnladen, wenn ich erwähne, dass der Akku meines Smartphones bis zu zehn Tage durchhält, während andere diesen ein- bis zweimal am Tag aufladen müssen - weil sie eben nonstop mit dem Internet verbunden sind und jede noch so sinn-und nutzlose Whatsapp-Nachricht erhalten/lesen und entsprechend darauf reagieren müssen, nur weil sie sich irgendeiner Gruppe angeschlossen haben.
Als wir Nachbarn im Haus uns am vergangenem Silvesterabend kurz vor Jahreswechsel zum Anstossen vor dem Haus trafen, standen einige wirklich am Rande und widmeten sich ausschließlich ihrem Smartphone. Wozu kamen die überhaupt raus - das Feuerwerk am Himmel hat sie nicht interessiert und menschliche Nähe schon mal gleich gar nicht.
Bei der Arbeit in den Pausen ist es ähnlich - Gespräche untereinanden sind immer weniger möglich, weil ständig ein Handy piept oder vibriert und dann vollste Aufmerksamkeit beansprucht. Wir haben in den letzten zwei, drei Jahren schon mehrere Aushilfen und sogar Auszubildende entlassen müssen, weil diese es partout nicht einsehen wollten, dass während der Arbeitszeit das Privathandy tabu ist. Im Fall des Falles bekommst du dann so Schwachsinnsargumente zu hören, wie "Aber ich muss doch antworten, wenn mir jemand schreibt!"
Ich erlebe auch immer wieder, wenn ich in der Innenstadt unterwegs bin und ein Auto an der Straße parkt, dass bspw. kleine Kinder ungehindert auf die befahrene Straße rennen, während Mami oder Papi konzentriert ihr Smartphone studieren und nix mehr mitkriegen. Heftig auch immer wieder, wenn sogenannte "Smombies" auf dich zulaufen und du ihnen ausweichen musst, um einen Zusammenprall zu verhindern.
Traurigerweise habe ich auch viele Freundschaften reduzieren müssen, bzw. gehe nicht mehr so gerne aus, weil eben Smartphoneritis und das mobile Internet immer dazwischenstehen. Es ist mir in der Vergangenheit schon einige Male passiert, dass ich mich bspw. mit einem Bekannten in der Kneipe zu einem Bierchen verabredet habe und absolut kein Gespräch zustande kam, weil mein Bekannter erstmal ausgiebig und tief versunken seine Whatsapp-Nachrichten lesen und beantworten musste. Einmal bin ich einfach mal so abgehauen, hat mein Kollege gar nicht bemerkt. 'ne gute Dreiviertelstunde später (!) dann ein Anruf, wo ich denn plötzlich abgeblieben sei...
"Man kann auf seinem Standpunkt stehen, aber man sollte nicht darauf sitzen." Erich Kästner