Was ist eigentlich "Kultur"?

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schokoschendrezki
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

JJazzGold hat geschrieben:(23 Nov 2017, 18:41)

Das ist richtig, aber ich lese hier mit großem Vergnügen mit und hoffe, dass ihr euch noch eine Weile inhaltlich auseinandersetzt, sprich diejenigen, die das beherrschen. ;)
Ich hoffe vor allem nicht, dass es einen totalen kulturellen Niedergang geben wird, wenn sich Leute wie D.A. durchsetzen und anstelle von kosmopolitischer Literatur, experimentellem Theater, Jazz und Indiepop, moderner Kunst usw. dann Trachtenfeste, Historienspiele und Feuerwehrbälle angesagt sind.

Wirds aber nicht. Ich weiß ziemlich genau, dass es genügend kosmopolitisch eingestellte Intellektuelle und Künstler gibt, die sich mit Zähnen und Klauen dagegen wehren werden.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von JJazzGold »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 08:01)

Ich hoffe vor allem nicht, dass es einen totalen kulturellen Niedergang geben wird, wenn sich Leute wie D.A. durchsetzen und anstelle von kosmopolitischer Literatur, experimentellem Theater, Jazz und Indiepop, moderner Kunst usw. dann Trachtenfeste, Historienspiele und Feuerwehrbälle angesagt sind.

Wirds aber nicht. Ich weiß ziemlich genau, dass es genügend kosmopolitisch eingestellte Intellektuelle und Künstler gibt, die sich mit Zähnen und Klauen dagegen wehren werden.
Weshalb anstelle?
Jazz und Dirndl sind keine Widersprüche.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 07:55)

Und ich hab' dir entgegnet, dass ich monatlich eine ganz hübsche Summe für medizinsche Behandlungen einzahle. 16000/800=20. Rund anderthalb Jahre nur, und ich habe einen Stent-Einsatz bezahlt. Tatsächlich zahle ich weit mehr ein als ich für mich entnehme.

Und im Übrigen betrifft der Wunsch nach Nichtzugehörigkeit vor allem oder auch nur politisch relevante Gemeinschaften wie Staat und Nation. Ich gehöre zu meinem (sehr weiten) Freundes- und Bekanntenkreis. Und wir sind hier in einem politischen Forum. Und müssen, wenn wir das ernst nehmen, distanziert urteilen können. Distanziert, analytisch, hart, unbeeinflusst, kritisch, rational. Wie soll das, bitte, gehen, wenn ich irgendwo "dazugehören" will ... Dann kann ich vielleicht für einen Fußballverein argumentieren. Aber nicht über politische Vorgänge diskutieren.
Kultur ist kein politischer Vorgang, sondern eine anthropologische Tatsache. Es sei denn, man möchte, wie schon mehrfach auch von mir gesagt wurde, menschliche Alltagsbeziehungen komplett politisieren.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Bleibtreu »

JJazzGold hat geschrieben:(24 Nov 2017, 08:07)

Weshalb anstelle?
Jazz und Dirndl sind keine Widersprüche.
Richtig - damit sind wir bei den Begriffen Makro/Mikro und SubKultur:
http://www.politik-forum.eu/viewtopic.p ... 0#p4024340
http://www.politik-forum.eu/viewtopic.p ... 6#p3995746
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(23 Nov 2017, 16:48)

Ich glaube, du verwechselst da was.
Ich sprach von nationalem Kulturerbe und Weltkulturerbe:
Wroclaw (Brelau) ist Europas Kulturhauptstadt, die gesamte Stadt wurde zum Weltkulturerbe erklärt. Ich glaube kaum, dass die Polen es besonders witzig fänden Weltkulturerbe mit "Welt-Kitsch-Zentrum" gleichzusetzen.
Die Menschen in Breslau, die Kultur organisieren und betreiben (und ich kenne die Stadt ziemlich gut) .... fänden es vor allem alles andere als witzig, wenn man sie mit der gegenwärtigen polnischen Regierung und ihrem schrecklichen, furchtbaren natioanalem Gehabe identifizieren würde. Leute wie Kaczynski stehen hinter unsäglichen nationalistischen Machwerken wie dem Film "Smolensk". Weltoffenen kulturell Tätigen in Polen (hier gehts doch um Kultur, oder?) ist es (ich weiß es persönlich) unsäglich peinlich in einem Zusammenhang mit diesen Neo-Nationalisten und Traditionspflegern gebracht zu werden. Nicht anders siehts bei Leuten aus, die für die wenigen verbliebenen unabhängigen, auf "Nichtzugehörigkeit" pochenden Medien, Blogs, Zeitungen usw. in Budapest tätig sind. Es gibt dort vor allem eine Bitte: Glaub mir: Wir sind das nicht. Wir gehören nicht dazu. Wir haben mit Volk und Nation nichts, nichts, nichts, gar nichts am Hut. Wir stehen in der Tradition von "Nyugat" (Zeitschrift: Der Westen, 1908-1941). Den typischerweise jüdischen Kosmopoliten Budapests. "Nation", Orbán, Hymnen, Zurückbesinnung sind eine Katastrophe.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 08:01)

Ich hoffe vor allem nicht, dass es einen totalen kulturellen Niedergang geben wird, wenn sich Leute wie D.A. durchsetzen und anstelle von kosmopolitischer Literatur, experimentellem Theater, Jazz und Indiepop, moderner Kunst usw. dann Trachtenfeste, Historienspiele und Feuerwehrbälle angesagt sind.

Wirds aber nicht. Ich weiß ziemlich genau, dass es genügend kosmopolitisch eingestellte Intellektuelle und Künstler gibt, die sich mit Zähnen und Klauen dagegen wehren werden.
Also für mich ist Indiepop so eine Art elitärer Musikantenstadel :D Ich bin musikalisch eher in der Renaissance oder in Westafrika zuhause.

Was "kosmopolitische Literatur" sein soll, würde sich mir auch nach lebenslanger Beschäftigung mit Literatur nicht erschließen - damit auch nicht ihr Gegenteil. Dass Regionalkrimis und toskanischer und bergdoktorischer Schmachtmüll exzessiv gelesen wird, mag ja richtig sein.

Mir wäre wichtig, dass der Begriff der Kultur nicht so eng ausgelegt würde, wie du das in deiner Reduzierung auf folkloristische Freizeitbeschäftigungen das tust. Und vor allem hoffe ich, dass man irgendwann das ganze sozialkonstruktivistische Pack des gehobenen Geschwätzes, die Hohepriester der universitären Genderrhoe mal aus den akademischen Tempeln vertreibt, um wieder Wissenschaft und keine Theologie zu betreiben.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 08:24)

Die Menschen in Breslau, die Kultur organisieren und betreiben (und ich kenne die Stadt ziemlich gut) ....
Man kann "Kultur" nicht betreiben oder organisieren :rolleyes:
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

JJazzGold hat geschrieben:(24 Nov 2017, 08:07)

Weshalb anstelle?
Jazz und Dirndl sind keine Widersprüche.
Na ... :) Sicher. Wenns ironisch und humorvoll gemeint ist. Klar.

Ich hoffe mal, dir ist bekannt: In Österreich ist das Trachten-Tragen von Politikern ganz eindeutig und ohne jeden Zweifel keine kulturelle Rückbesinnung sondern ein politisches Statement.
Politik in Tracht: Signale an die Wähler

Wenn die Lenker der Republik in traditionelle Kleidung schlüpfen, dann nicht, weil ihnen nach Lederhose und Hirschknöpfen ist. Sie wollen Wählern Signale senden - besonders in unsicheren Zeiten. Es sind nicht nur Slimfit-Anzüge, die in den Kleiderschränken der Politiker hängen. Auch Loden und Filz sind wieder en vogue. Kanzler Christian Kern (SPÖ), ÖVP-Chef Sebastian Kurz und die anderen Spitzenkandidaten bekennen sich regelmäßig zur Tracht.
Und das steht in der Kronen-Zeitung. Dem Zentral-Organ der Zurückgebliebenen. ("Pamhagen liest Kronen-Zeitung") ...
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(24 Nov 2017, 08:31)

Man kann "Kultur" nicht betreiben oder organisieren :rolleyes:
Und ob man das kann. Eine bösartige Unterstellung an all jene, die in der großartigen weltoffenen Breslau-Szene aktiv sind ....
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

@Sixtus: Genz ehrlich. Du kannst dich nicht intensiv mit Literatur beschäftigt haben, wenn Dir der klassiche europäische Kosmopolitismus in Kultur, Literatur, Musik unverständlich ist. Lesetipp: "Jonas Engelmann: Wurzellose Kosmopoliten. Von ­Luftmenschen, Golems und jüdischer Popkultur". Worum gehts darin? Eine Auswahl: ": Kathy Acker, Isaak Babel, Maxim Biller, Black Ox Orkestar, Paul Celan, Maya Deren, Raymond Federman, Hubert Fichte, Kinky ­Friedman, Herman Düne, The Fugs, Adam Green, Richard Hell, Theodor Herzl, Jeffrey Lewis, Cynthia Ozick, Georges Perec, Phranc, The Ramones, Reagan Youth, Mordecai Richler, Joseph Roth, Charlotte Salomon, Bruno Schulz, Joann Sfar, Regina Spektor, Art Spiegelman, Marnie Stern, James Sturm, Suicide, Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra, The Velvet Underground, Why?, John Zorn."
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Bleibtreu »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 08:46)

@Sixtus: Genz ehrlich. Du kannst dich nicht intensiv mit Literatur beschäftigt haben, wenn Dir der klassiche europäische Kosmopolitismus in Kultur, Literatur, Musik unverständlich ist. Lesetipp: "Jonas Engelmann: Wurzellose Kosmopoliten. Von ­Luftmenschen, Golems und jüdischer Popkultur". Worum gehts darin? Eine Auswahl: ": Kathy Acker, Isaak Babel, Maxim Biller, Black Ox Orkestar, Paul Celan, Maya Deren, Raymond Federman, Hubert Fichte, Kinky ­Friedman, Herman Düne, The Fugs, Adam Green, Richard Hell, Theodor Herzl, Jeffrey Lewis, Cynthia Ozick, Georges Perec, Phranc, The Ramones, Reagan Youth, Mordecai Richler, Joseph Roth, Charlotte Salomon, Bruno Schulz, Joann Sfar, Regina Spektor, Art Spiegelman, Marnie Stern, James Sturm, Suicide, Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra, The Velvet Underground, Why?, John Zorn."
Soviel dreistes DummGeschwalle ist ja nicht auszuhalten. Ganz spontan, da er mir sofort ins Auge gesprungen ist:

Theodor Herzl ist mit absoluter Sicherheit kein Vertreter deines wurzellosen Kosmopolitismus. Ich empfehle dir dringend seinen JudenStaat zu lesen. :D
Herzl's Zionismus steht fuer so ziemlich alles, was du als fanatischer AntiNationalist zutiefst verabscheust. Da bleib besser bei denen, die Juden wieder ins antisemitisch verseuchte Polen zurueck rufen wollen. Wofuer du schon oefters geworben hast. :dead:
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von pikant »

JJazzGold hat geschrieben:(24 Nov 2017, 08:07)

Jazz und Dirndl sind keine Widersprüche.
[/color]
Schlager, Schnulzen und Dirndl passen fuer mich besser zusammen

Hardrock und Dirndl sind aucn keine Widersprueche

alles Kultur - klar!
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 08:46)

@Sixtus: Genz ehrlich. Du kannst dich nicht intensiv mit Literatur beschäftigt haben,
Jesses, mich gibt's nicht :?

Aber wir müssen das nicht vertiefen, du kannst ja selbst mal "kosmopolitische Literatur" googeln. Schau dir die 428 Treffer an, die das ausspuckt, auf schnelle Durchsicht bestenfalls ein paar der notorischen Sozialkonstruktivisten. Mir ging es nur darum, dass der Begriff sinnlos ist, weil Kosmopolitismus eine menschliche Haltung, eine Idee ist. Aber ein Teil des modernen deutschen Sprachgebrauchs ist die vollkommen sinnfreie (und grammatisch falsche) Verwendung von Adjektiven. Und genau so ein vollkommen sinnfreier Satz ist es zu behaupten, jemand betreibe oder organisiere Kultur. Das ist keine normative Aussage übers Treiben und Organisieren, sondern ein Hinweis auf einen Satz, der nichts ausdrückt.

Und noch einmal: Du reduzierst Kultur auf das Handeln der sog. "Kulturschaffenden", also auf die Literatur, Musik, bildende Kunst. Leider bietet die deutsche Sprache hier keine vernünftigen Abgrenzungen.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Bleibtreu »

Kosmopolitismus ist WeltBuergertum. :D
Sextus Ironicus hat geschrieben:(24 Nov 2017, 09:17)
[...] Und noch einmal: Du reduzierst Kultur auf das Handeln der sog. "Kulturschaffenden", also auf die Literatur, Musik, bildende Kunst. Leider bietet die deutsche Sprache hier keine vernünftigen Abgrenzungen.
Tja, dabei verkuendete er doch vor wenigen Tagen zusammen mit Selina grossspurig, was Kultur ist sei simpel, da eben alles, was von Menschen geschaffen wurde. Deswegen sei jede weitere Diskussion zum Thema was Kultur ist ueberfluessig. Sagt er, setzt es aber nicht um, wenn es dann an die Details der Bedeutung geht, dass Kultur eben ALLES von Menschen geschaffene ist. Was nicht ins schraege WeltBild der verherrlichten Wurzellosigkeit passt wird radikal ausgeblendet. :|
Zuletzt geändert von Bleibtreu am Fr 24. Nov 2017, 09:31, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Bleibtreu hat geschrieben:(24 Nov 2017, 09:06)

Soviel dreistes DummGeschwalle ist ja nicht auszuhalten. Ganz spontan, da er mir sofort ins Auge gesprungen ist:

Theodor Herzl ist mit absoluter Sicherheit kein Vertreter deines wurzellosen Kosmopolitismus. Ich empfehle dir dringend seinen JudenStaat zu lesen. :D
Herzl's Zionismus steht fuer so ziemlich alles, was du als fanatischer AntiNationalist zutiefst verabscheust. Da bleib besser bei denen, die Juden wieder ins antisemitisch verseuchte Polen zurueck rufen wollen. Wofuer du schon oefters geworben hast. :dead:
Ich hab' auch nicht geschrieben, dass der ein "Vertreter" ist, sondern worums in dem Buch geht. Bitte genauer lesen. Herzl wird dort (wörtlich) "behandelt" und nicht als Vertreter bezeichnet.

Und es handelt sich auch nicht um "meinen" Kosmopilitismus sondern um eine sehr bedeutsame, tragende, verfolgte und leider häufig verleumdete kulturelle, politische Richtung, die von sehr sehr vielen vornehmlich jüdischen Intellektuellen getragen wurde/wird. "Wurzellose Kosmopoliten" war bekanntlich eine Schmähbezeichnung Stalins für jüdische Intellektuelle in Russland.

Nächste Lektüre-Empfehlung: Natan Sznaider: Gedächtnisraum Europa.
Visionen des europäischen Kosmopolitismus:

Trotz aller Rituale und Gedenktage:
Das jüdische Denken ist aus Europa verschwunden

Bei all diesen Debatten in Europa werden jüdische Stimmen jedoch nicht wahrgenommen. Das jüdische Gedächtnis ist aus dem europäischen Diskurs verschwunden. Und das trotz aller Rituale und Gedenktage! Oder vielleicht auch deswegen. Dieses ausgelöschte Gedächtnis wieder in das Zentrum der europäischen Debatte zu stellen, ist das Ziel dieses Essays.
http://www.hagalil.com/archiv/2008/10/sznaider-1.htm
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Bleibtreu hat geschrieben:(24 Nov 2017, 09:29)

Kosmopolitismus ist WeltBuergertum. :D


Tja, dabei verkuendete er doch vor wenigen Tagen zusammen mit Selina grossspurig, was Kultur ist sei simpel, da eben alles, was von Menschen geschaffen wurde.
Ist es auch. Dass Kunst, Literatur, Musik usw. nur ein Teil von "Kultur" ist wurde hier zigmal von allen Beteiligten geschrieben. Darüber herrscht vollkommene Einigkeit.

Dass einem das Schicksal von Kunst durch "Natioanalisierung" nach dem Muster von aktuell Polen oder Ungarn gleichgültig ist, ist das eigentlich Bedenkliche. Wir setzen damit die bedeutsamsten kulturellen Leistungen des letzten Jahrhunderts aufs Spiel.
Nathan Sznaider hat geschrieben: Wir leben in finsteren Zeiten – Zeiten, die das jüdische Problem zum Allgemeinproblem werden lassen. Sozialwissenschaftler haben angesichts der neuen Barbarei einen schweren Stand: Unser Handwerkszeug taugt nicht viel, wenn es darum geht, die heutigen Gefahren zu verstehen. So drehen wir uns im Kreis, versuchen die Welt in alten Kategorien zu verstehen, die wir alle noch so fleißig gelernt haben. Ob es nun um Europa geht oder um die Welt, ob es sich um Kosmopolitismus oder Globalisierung handelt. Man erfreut sich an der Vision eines kosmopolitischen Europas, das die Grenzen sprengt, und wundert sich gleichzeitig über die Wiederkehr der Tradition, des Eigenen, des Lokalen, der Kultur.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 07:55)

Und ich hab' dir entgegnet, dass ich monatlich eine ganz hübsche Summe für medizinsche Behandlungen einzahle. 16000/800=20. Rund anderthalb Jahre nur, und ich habe einen Stent-Einsatz bezahlt. Tatsächlich zahle ich weit mehr ein als ich für mich entnehme.

Und im Übrigen betrifft der Wunsch nach Nichtzugehörigkeit vor allem oder auch nur politisch relevante Gemeinschaften wie Staat und Nation. Ich gehöre zu meinem (sehr weiten) Freundes- und Bekanntenkreis. Und wir sind hier in einem politischen Forum. Und müssen, wenn wir das ernst nehmen, distanziert urteilen können. Distanziert, analytisch, hart, unbeeinflusst, kritisch, rational. Wie soll das, bitte, gehen, wenn ich irgendwo "dazugehören" will ... Dann kann ich vielleicht für einen Fußballverein argumentieren. Aber nicht über politische Vorgänge diskutieren.
Erkennst du eigentlich den Widerspruch?
Du verweigerst die Zugehörigkeit zu einem Staat/einer Nation/einem Volk, aber die Zugehörigkeit zu einer Solidargemeinschaft verweigerst du nicht.
Dabei realisiertst du allerdings nicht, dass es ohne diesen Staat, dem du deine Zugehörigkeit verweigerst, auch keine Solidargemeinschaft gibt/geben kann. Es ist ja gerade der Staat, der die rechtlichen/gesetzlichen Grundlagen für das Zusatandelkommen und die Existenz der Solidargemeinschaft überhaupt schafft und der die Rahmenbedingungen für diese Solidargemeinschaft bildet.
Wenn du dich der Zugehörigkeit zu einem Staat, seiner Gesellschaft verweigerst, musst du dich logischerweise auch der Solidargemeinschaft verweigern, die der Staat erst ermögicht bzw schafft.
Wenn du dich so sehr als Kosmopolit/Weltbürger ohne Staatszugehörigkeit siehst, kannst du ja mal schauen, ob diese "Weltgemeinschaft" fähig ist eine Solidargemeinschaft aufzubauen.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 09:40)

Ist es auch. Dass Kunst, Literatur, Musik usw. nur ein Teil von "Kultur" ist wurde hier zigmal von allen Beteiligten geschrieben. Darüber herrscht vollkommene Einigkeit.

Dass einem das Schicksal von Kunst durch "Natioanalisierung" nach dem Muster von aktuell Polen oder Ungarn gleichgültig ist, ist das eigentlich Bedenkliche. Wir setzen damit die bedeutsamsten kulturellen Leistungen des letzten Jahrhunderts aufs Spiel.
Ehrlich gesagt verstehe ich deine Position nicht ganz. Du hattest dieses Zitat eingestellt:
Wir leben in finsteren Zeiten – Zeiten, die das jüdische Problem zum Allgemeinproblem werden lassen. Sozialwissenschaftler haben angesichts der neuen Barbarei einen schweren Stand: Unser Handwerkszeug taugt nicht viel, wenn es darum geht, die heutigen Gefahren zu verstehen. So drehen wir uns im Kreis, versuchen die Welt in alten Kategorien zu verstehen, die wir alle noch so fleißig gelernt haben. Ob es nun um Europa geht oder um die Welt, ob es sich um Kosmopolitismus oder Globalisierung handelt. Man erfreut sich an der Vision eines kosmopolitischen Europas, das die Grenzen sprengt, und wundert sich gleichzeitig über die Wiederkehr der Tradition, des Eigenen, des Lokalen, der Kultur.
Ich hätte dieses Wundern exakt auf dich bezogen.

Spannend wäre ja, wie Sznaider mit der Entgrenzung, die er konstatiert umgeht. Denn, um in Bleibtreus Bild zu bleiben: Jemand ohne Wurzeln hat keinen festen Stand.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(24 Nov 2017, 09:48)

Erkennst du eigentlich den Widerspruch?
Du verweigerst die Zugehörigkeit zu einem Staat/einer Nation/einem Volk, aber die Zugehörigkeit zu einer Solidargemeinschaft verweigerst du nicht.
Dabei realisiertst du allerdings nicht, dass es ohne diesen Staat, dem du deine Zugehörigkeit verweigerst, auch keine Solidargemeinschaft gibt/geben kann. Es ist ja gerade der Staat, der die rechtlichen/gesetzlichen Grundlagen für das Zusatandelkommen und die Existenz der Solidargemeinschaft überhaupt schafft und der die Rahmenbedingungen für diese Solidargemeinschaft bildet.
Wenn du dich der Zugehörigkeit zu einem Staat, seiner Gesellschaft verweigerst, musst du dich logischerweise auch der Solidargemeinschaft verweigern, die der Staat erst ermögicht bzw schafft.
Wenn du dich so sehr als Kosmopolit/Weltbürger ohne Staatszugehörigkeit siehst, kannst du ja mal schauen, ob diese "Weltgemeinschaft" fähig ist eine Solidargemeinschaft aufzubauen.
Da sind wir uns eben uneinig. Was für dich eine Solidargemeinschaft ist, ist für mich in erster Linie eine Rechtsordnung. "Liberalismus" gründet sich auf der Annahme, dass der Staat die Aufgabe hat, mit der Etablierung einer Rechtsordnung den Rahmen für individuelle Freiheit zu schaffen. Fertig. Und die Ablehnung von identitären Solidargemeinschaftszugehörigkeiten heißt noch lange nicht, das Ideal von Solidarität zu verschmähen. Für mich heißt Solidarität in erster Linie "Verantwortlichkeit" und nicht "Zugehörigkeit". "Veranwortlichkeit" bedeutet ganz konkret, Kriegsflüchtlinge und von existenzieller Armut bedrohte Menschen nicht an Deutschlands STaatsgrenzen abzuweisen. "Zugehörigkeit" geht in eine ganz andere Richtung. In eine "Wir zuerst"-Richtung, die ich kategorisch ablehne.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(24 Nov 2017, 09:59)

Ehrlich gesagt verstehe ich deine Position nicht ganz. Du hattest dieses Zitat eingestellt:



Ich hätte dieses Wundern exakt auf dich bezogen.

Spannend wäre ja, wie Sznaider mit der Entgrenzung, die er konstatiert umgeht. Denn, um in Bleibtreus Bild zu bleiben: Jemand ohne Wurzeln hat keinen festen Stand.
... Sondern "Wurzeln mit Flügeln" wie es der Soziologe Ulrich Beck auf einem Kongress zu der Frage der jüdischen Wurzeln des europäischen Kosmopolitismus formulierte.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 09:59)

Da sind wir uns eben uneinig. Was für dich eine Solidargemeinschaft ist, ist für mich in erster Linie eine Rechtsordnung. "Liberalismus" gründet sich auf der Annahme, dass der Staat die Aufgabe hat, mit der Etablierung einer Rechtsordnung den Rahmen für individuelle Freiheit zu schaffen. Fertig. Und die Ablehnung von identitären Solidargemeinschaftszugehörigkeiten heißt noch lange nicht, das Ideal von Solidarität zu verschmähen. Für mich heißt Solidarität in erster Linie "Verantwortlichkeit" und nicht "Zugehörigkeit". "Veranwortlichkeit" bedeutet ganz konkret, Kriegsflüchtlinge und von existenzieller Armut bedrohte Menschen nicht an Deutschlands STaatsgrenzen abzuweisen. "Zugehörigkeit" geht in eine ganz andere Richtung. In eine "Wir zuerst"-Richtung, die ich kategorisch ablehne.
Was soll denn der Schwachsinn von identitären Solidargemeinschaftszugehörigkeiten nun schon wieder?
Wenn du Teil einer Solidargemeinschaft bist, dann gehörst du ZU dieser Gemeinschaft. Niemand verlangt oder erwartet, dass du dich mit dieser Solidargemeinschaft idetifizierst.
Wenn dir so viel daran liegt Verantwortung zu übernehmen und Kriegsflüchtlinge und von existenzieller Armut bedrohte Menschen nicht an Deutschlands STaatsgrenzen abzuweisen, dann hindert dich niemand daran, diese Verantwortung auch zu tragen, Flüchtlinge bei dir aufzunehmen und diese zu finanzieren, statt von der Solidargemeinschaft zu verlangen, dass sie das (ungefragt) tut, statt in billigend Kauf zu nehmen, dass diese Soldiargemeinschaft an den explodierenden Kosten kollabiert.
Genauso wie jede Privatperson nur ein begrenztes finanzielles Budget hat und Geld nur einmal ausgeben kann, genauso hat auch ein Staat/eine Solidargemeinschaft nur ein begrenztes finanzielles Budget und kann vorhandene finanzielle Mittel nur einmal ausgeben. Das Geld, was an der einen Stelle mehr ausgegeben wird, fehlt an einer anderen.
Momentan sind das ganz konkret Bildung und Infrastruktur, denen die Mittel fehlen.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(24 Nov 2017, 09:59)

Ehrlich gesagt verstehe ich deine Position nicht ganz. Du hattest dieses Zitat eingestellt:

Ich hätte dieses Wundern exakt auf dich bezogen.
Und: Ja klar. Selbstverständlich wundere ich mich über die Rückkehr von Tradition, Verwurzeltheit, Heimat als Wert. Da stehe ich allerdings nun wirklich nicht allein da. Ich gestehe unumwunden, dass ich die Ursachen dieser Rückkehr nicht oder so gut wie nicht verstehe. Eine Art Arbeitshypothese besteht darin, dass diese Rückkehr einfach ein Abwehrreflex gegen die beschleunigte Modernisierung und Globalisierung in allen Lebensbereichen ist. Vor allem auch ein Abwehrreflex gegen Überfoderung in diesem Zusammenhang. Und ich gestehe ebenso ehrlich ein, dass mein Unwillen darüber nicht zuletzt mit dem Ehrgeiz zu tun hat, sich einem solchen Überforderungsreflex zu entziehen. Ich habe keine Lust auf Kapitulation. Kapitulation mach einfach keinen Spaß. Und die Beschwörung von Heimat, Vaterland, Nation als "Wert" ist in meinen Augen lediglich eine vorgeschobene Ideologie, um sich diese Kapitulation nicht einzugestehen.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Bleibtreu »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 09:31)

Ich hab' auch nicht geschrieben, dass der ein "Vertreter" ist, sondern worums in dem Buch geht. Bitte genauer lesen. Herzl wird dort (wörtlich) "behandelt" und nicht als Vertreter bezeichnet.
Nein, du hast nicht ausgefuehrt worum es in dem Buch genau geht. Du hast Autor, Titel und dann die Kuenstler aufgefuehrt. Also wenn, bist du hier absichtlich unter falscher Flagge gesegelt, um deinen fanatisch vertretenen wurzellosen Kosmopolitismus mit bekannten Namen aufzublasen! DAS ist der vollstaendige Text deines Beitrag:

@Sixtus: Genz ehrlich. Du kannst dich nicht intensiv mit Literatur beschäftigt haben, wenn Dir der klassiche europäische Kosmopolitismus in Kultur, Literatur, Musik unverständlich ist. Lesetipp: "Jonas Engelmann: Wurzellose Kosmopoliten. Von ­Luftmenschen, Golems und jüdischer Popkultur". Worum gehts darin? Eine Auswahl: ": Kathy Acker, Isaak Babel, Maxim Biller, Black Ox Orkestar, Paul Celan, Maya Deren, Raymond Federman, Hubert Fichte, Kinky ­Friedman, Herman Düne, The Fugs, Adam Green, Richard Hell, Theodor Herzl, Jeffrey Lewis, Cynthia Ozick, Georges Perec, Phranc, The Ramones, Reagan Youth, Mordecai Richler, Joseph Roth, Charlotte Salomon, Bruno Schulz, Joann Sfar, Regina Spektor, Art Spiegelman, Marnie Stern, James Sturm, Suicide, Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra, The Velvet Underground, Why?, John Zorn."
Und es handelt sich auch nicht um "meinen" Kosmopilitismus sondern um eine sehr bedeutsame, tragende, verfolgte und leider häufig verleumdete kulturelle, politische Richtung, die von sehr sehr vielen vornehmlich jüdischen Intellektuellen getragen wurde/wird. "Wurzellose Kosmopoliten" war bekanntlich eine Schmähbezeichnung Stalins für jüdische Intellektuelle in Russland.
Nächste Lektüre-Empfehlung: Natan Sznaider: Gedächtnisraum Europa.

"Trotz aller Rituale und Gedenktage:
Das jüdische Denken ist aus Europa verschwunden

Bei all diesen Debatten in Europa werden jüdische Stimmen jedoch nicht wahrgenommen. Das jüdische Gedächtnis ist aus dem europäischen Diskurs verschwunden. Und das trotz aller Rituale und Gedenktage! Oder vielleicht auch deswegen. Dieses ausgelöschte Gedächtnis wieder in das Zentrum der europäischen Debatte zu stellen, ist das Ziel dieses Essays."
http://www.hagalil.com/archiv/2008/10/sznaider-1.htm
Dass sich selbsternannte Wichtigtuer gerne mit uns Juden schmuecken, um sich als ach so weltbuerglich/offen/antirassistisch zu verkaufen, ist nichts Neues. Das machen die RechtsKnaller im Umkehrfall genauso; uns fuer ihren politische Ideologie als AlibiJuden zu missbrauchen. Genau dieselbe abscheuliche Nummer! Nur weil der Missbrauch von "Edlen" kommt, ist er nicht besser. Denk mal darueber nach, warum es dir immer so wichtig ist herauszustellen, dass sich auch einige Juden als Kosmopoliten verstehen. DAS spricht doch Baende und hat fuer mich einen klar rassistischen Anstrich. Und du brauchst ausgerechnet mich nicht darueber zu belehren, dass das Judentum in Europa ausstirbt. Dank Antisemitismus ist das auch kein Wunder ==>
Bleibtreu hat geschrieben:(14 Nov 2017, 20:50)

Ich habe mir die Doku Der ewige Antisemit auf Youtube angesehen

[youtube][/youtube]

und ich teile das Fazit von Broder & de Winter: In 50 Jahren ist juedisches Leben in Europa so gut wie ausgestorben.
Aussagekraeftiger als dein Zitat ist ein Passus, der ganz Unten auf deiner verlinkten Seite steht:
Universalismus und Partikularismus nicht als sich gegenseitig ausschließende Begriffe, sondern als gelebte Praxis:
Jüdischer Pluralismus

In der Menschheit, so kann man sagen, gibt es keinen Ort für die Menschen in ihrer Besonderheit. Das Weiterbestehen und Weiterbestehen wollen von Partikularität wird nur noch als Rückschritt und Reaktion verstanden. Wenn man die europäische jüdische Erfahrung jedoch mit in die Analyse holt - und genau das ist unser Anliegen -, werden Universalismus und Partikularismus, das Allgemeine und das Besondere keine sich gegenseitig ausschließenden Begriffe mehr sein, sondern gelebte Praxis. Das ist historisch schwierig, denn diese gelebte Praxis, die jüdische kulturelle Existenz in Europa, existiert trotz der physischen Anwesenheit von Juden in Europa nicht mehr...

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 09:40)
Ist es auch. Dass Kunst, Literatur, Musik usw. nur ein Teil von "Kultur" ist wurde hier zigmal von allen Beteiligten geschrieben. Darüber herrscht vollkommene Einigkeit.
Natuerlich sind Kunst, Literatur und Musik Teil von Kultur. Kultur ist aber viel mehr, was du selbst vollmundig zugegeben hast mit deiner Aussage, dass Kultur ALLES ist, was vom Menschen geschaffen wurde - aber du setzt es nicht konsequent um. Du beschraenkst dich nur auf die Teile der Kultur, die dir gefallen. Alle Restlichen ignorierst du! :D
Dass einem das Schicksal von Kunst durch "Natioanalisierung" nach dem Muster von aktuell Polen oder Ungarn gleichgültig ist, ist das eigentlich Bedenkliche. Wir setzen damit die bedeutsamsten kulturellen Leistungen des letzten Jahrhunderts aufs Spiel.
Was fantasierst du da schon wieder? Was du mir hier unterstellst habe ich nirgends geschrieben. Es ging um deine schoen oefter gemachte Aeusserung, die Juden sollen doch wieder nach Polen ziehen. Liegestuhl und ich haben dir dann jedes Mal klar gemacht, warum das fuer Juden nicht gerade eine prickelnde Idee ist. ==> Antisemitismus! :cool:
Zuletzt geändert von Bleibtreu am Fr 24. Nov 2017, 10:21, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(24 Nov 2017, 10:12)

Was soll denn der Schwachsinn von identitären Solidargemeinschaftszugehörigkeiten nun schon wieder?
Wenn du Teil einer Solidargemeinschaft bist, dann gehörst du ZU dieser Gemeinschaft. Niemand verlangt oder erwartet, dass du dich mit dieser Solidargemeinschaft idetifizierst.
Wenn dir so viel daran liegt Verantwortung zu übernehmen und Kriegsflüchtlinge und von existenzieller Armut bedrohte Menschen nicht an Deutschlands STaatsgrenzen abzuweisen, dann hindert dich niemand daran, diese Verantwortung auch zu tragen, Flüchtlinge bei dir aufzunehmen und diese zu finanzieren, statt von der Solidargemeinschaft zu verlangen, dass sie das (ungefragt) tut, statt in billigend Kauf zu nehmen, dass diese Soldiargemeinschaft an den explodierenden Kosten kollabiert.
Mal ganz ruhig und ohne Hysterie. Deutschland ist von einer "Kollabierung" so weit entfernt wie vom Andromedanebel. Ich verlange gar nix von irgendeiner Solidargemeinschaft. Ich verlange, dass ich nachts im Dunkel in der Stadt spazieren gehen kann und nicht erschlagen werde, weil das strafrechtlich sanktioniert wird. Und dass ich für normale Arbeit normal bezahlt werde und mir was zum Essen dafür kaufen kann. Und ja: Tatsächlich. Jeder deutsche Staatsbürger finanziert bereits mit einem Teil seiner Steuerabgaben die Unterstützung von Flüchtlingen. "Verantwortlichkeit" heißt zunächst mal, sich politisch gegen die Empörerei darüber einzusetzen.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 10:14)

Und: Ja klar. Selbstverständlich wundere ich mich über die Rückkehr von Tradition, Verwurzeltheit, Heimat als Wert. Da stehe ich allerdings nun wirklich nicht allein da. Ich gestehe unumwunden, dass ich die Ursachen dieser Rückkehr nicht oder so gut wie nicht verstehe. Eine Art Arbeitshypothese besteht darin, dass diese Rückkehr einfach ein Abwehrreflex gegen die beschleunigte Modernisierung und Globalisierung in allen Lebensbereichen ist. Vor allem auch ein Abwehrreflex gegen Überfoderung in diesem Zusammenhang. Und ich gestehe ebenso ehrlich ein, dass mein Unwillen darüber nicht zuletzt mit dem Ehrgeiz zu tun hat, sich einem solchen Überforderungsreflex zu entziehen. Ich habe keine Lust auf Kapitulation. Kapitulation mach einfach keinen Spaß. Und die Beschwörung von Heimat, Vaterland, Nation als "Wert" ist in meinen Augen lediglich eine vorgeschobene Ideologie, um sich diese Kapitulation nicht einzugestehen.
Nun, manchmal "helfen" bekanntlich Schockerlebnisse, dem Bewusstsein auf die Sprünge zu helfen. Man lebt jahrelang vor sich, intensiv, engagiert, ganz lebenszugewandt, und plötzlich passiert etwas, was einen aus der täglichen Sicherheit reißt. Man erkennt in seiner Abwesenheit oder seiner massiven Gefährdung das nun fehlende, vorangegangene Glück. Und das gilt eben in gesellschaftlichen Umbruchzeiten auch fürs "Kollektiv".

Und was den "Wert" angeht: Es sind die ethischen Universalisten, die über die letzten 30 Jahre alles "verwertet" haben. Ich kann heute nicht mal mehr in ein Stück Fleisch beißen, ohne über Werte nachdenken zu müssen. Selbst Frau Merkel weiß ja nichts mehr über Europa zu sagen, als dass man eine "Wertegemeinschaft" sei. Aber wenn jemand Heimat oder Vaterland oder Nation sagt, werden die heiligen Werte plötzlich ein Problem. Da kann ich den Werteaposteln nur ein fröhliches "Guten Morgen, Kollegen!" zurufen. :D
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Bleibtreu hat geschrieben:(24 Nov 2017, 10:16)
Dass sich selbsternannte Wichtigtuer gerne mit uns Juden schmuecken, um sich als ach so weltbuerglich/offen/antirassistisch zu verkaufen, ist nichts Neues.
Nur mal ganz persönlich und ehrlich und ohne jede Polemik (ich kanns halt nur unbeweisbar in Worten schreiben): Glaubst Du wirklich, ich würde mich mit den künstlerischen Leistungen von jüdischen Menschen "schmücken" wollen und würde die Musik von John Zorn oder A Silver Mt. Zion oder Black Ox Orkestar oder die Lyrik von ungarischen Dichtern mit jüdischen Wurzeln wie Gábor Hajnal oder Sándor Weöres nicht einfach von ganzem Herzen lieben. Ich habe einige der Gedichte dieser Autoren ins Deutsche übertragen und dafür gesorgt, dass sie in Büchern in Deutschland in den Handel kommen. Habe mich stundenlang darüber mit denen in Budapester Kaffeehäusern unterhalten. Bist Du dir im Klaren darüber, welche Unterstellungen du da eigentlich formulierst?
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Bleibtreu »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 10:36)

Nur mal ganz persönlich und ehrlich und ohne jede Polemik (ich kanns halt nur unbeweisbar in Worten schreiben): Glaubst Du wirklich, ich würde mich mit den künstlerischen Leistungen von jüdischen Menschen "schmücken" wollen und würde die Musik von John Zorn oder A Silver Mt. Zion oder Black Ox Orkestar oder die Lyrik von ungarischen Dichtern mit jüdischen Wurzeln wie Gábor Hajnal oder Sándor Weöres nicht einfach von ganzem Herzen lieben. Ich habe einige der Gedichte dieser Autoren ins Deutsche übertragen und dafür gesorgt, dass sie in Büchern in Deutschland in den Handel kommen. Habe mich stundenlang darüber mit denen in Budapester Kaffeehäusern unterhalten. Bist Du dir im Klaren darüber, welche Unterstellungen du da eigentlich formulierst?
Doch, ich glaube dir, dass du bestimmte juedische Kuenstler [Kosmopoliten] + ihre Kunst schaetzt. Dir diese Wertschaetzung abzusprechen war gar nicht der Punkt meiner Aussage. Ganz und gar nicht - Lies bitte nochmal genau nach. ;)
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von JJazzGold »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(23 Nov 2017, 22:36)

Letztlich beherrschen es alle, notfalls unter Berufung auf Anton Kuh: „Nur nicht gleich sachlich werden! Es geht ja auch persönlich.“ :)
Emotionale Ausbrüche ignoriere ich dank vorhandener Distanziertheit, analytisch, hart, unbeeinflusst, kritisch, rational. ;)
Zuletzt geändert von JJazzGold am Fr 24. Nov 2017, 10:49, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von JJazzGold »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 08:32)

Na ... :) Sicher. Wenns ironisch und humorvoll gemeint ist. Klar.

Ich hoffe mal, dir ist bekannt: In Österreich ist das Trachten-Tragen von Politikern ganz eindeutig und ohne jeden Zweifel keine kulturelle Rückbesinnung sondern ein politisches Statement.

Und das steht in der Kronen-Zeitung. Dem Zentral-Organ der Zurückgebliebenen. ("Pamhagen liest Kronen-Zeitung") ...

Das ist keinesfalls ironisch gemeint. Schon mal was von Alpenjazz gehört, Schoko?

https://www.berliner-philharmoniker.de/ ... ils/23609/
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 10:36)

Lyrik von ungarischen Dichtern mit jüdischen Wurzeln wie Gábor Hajnal oder Sándor Weöres nicht einfach von ganzem Herzen lieben. Ich habe einige der Gedichte dieser Autoren ins Deutsche übertragen und dafür gesorgt, dass sie in Büchern in Deutschland in den Handel kommen. Habe mich stundenlang darüber mit denen in Budapester Kaffeehäusern unterhalten.
Kleiner OT-Einschub: Dann sorg doch mal dafür, dass es endlich "Karneval" von Bela Hamvas auf Deutsch gibt :) Das wäre mal eine "kosmopolitische" Leistung.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 10:21)

Mal ganz ruhig und ohne Hysterie. Deutschland ist von einer "Kollabierung" so weit entfernt wie vom Andromedanebel. Ich verlange gar nix von irgendeiner Solidargemeinschaft. Ich verlange, dass ich nachts im Dunkel in der Stadt spazieren gehen kann und nicht erschlagen werde, weil das strafrechtlich sanktioniert wird. Und dass ich für normale Arbeit normal bezahlt werde und mir was zum Essen dafür kaufen kann. Und ja: Tatsächlich. Jeder deutsche Staatsbürger finanziert bereits mit einem Teil seiner Steuerabgaben die Unterstützung von Flüchtlingen. "Verantwortlichkeit" heißt zunächst mal, sich politisch gegen die Empörerei darüber einzusetzen.
Wovon träumst du eigentlich nachts? Du scheinst unter ziemlichem Realitätsverlust zu leiden.
Mit ihren Forderungen sind die Grünen gerade dabei, den Wirtschaftsstandort Deutschland irreversibel zu demontieren ==> Ausstieg aus der Energiegewinnung mittels Kohle (Abschalten aller Kohlekraftwerke) bringt zig Tausend Arbeitslose, die dann nicht mehr in den gemeinsamen Topf der Solidargemeinschaft einzahlen, die keine Steuern mehr zahlen.
alternative Arbeitsplätze für den Kohleausstieg haben die Grünen keine zu bieten. Dass alternative Energiequellen nicht grundlastfähig sind, wird ignoriert/ausgeblendet
Der Druck der auf die Automobilindustrie ausgeübt wird ==> Elektroautos. Wo die Energie für diese Fahrzeuge herkommen soll, dafür haben Grüne kein Konzept.
Aber Hauptsache sie retten die Welt - am "deutschen Wesen soll (mal wieder) die Welt genesen".
Wie viele Arbeitsplätze gerade an der Automobilindustrie und ihren Zulieferern hängen, darüber machen sich Grüne keine Gedanken.
Und DU faselst etwas von Deutschland ist von eine[m] [Kollaps der Sozialsysteme]" so weit entfernt wie vom Andromedanebel? Ein solcher Kollaps kann bei verfehlter Wirtschaftspolitik, wie sie den Grünen vorschwebt, sehr schnell kommen.

Achja und die Berliner Grünen denken über "die letzte Meile" nach, die zum Ziel hat den gesamten LKW-Verkehr aus der Stadt zu verbannen und die Belieferung aller Verkaufseinrichtungen mit Elektrolastenfahrrädern durchgeführt werden. Viel Spaß dabei!
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Dark Angel hat geschrieben:(24 Nov 2017, 10:52)



Achja und die Berliner Grünen denken über "die letzte Meile" nach, die zum Ziel hat den gesamten LKW-Verkehr aus der Stadt zu verbannen und die Belieferung aller Verkaufseinrichtungen mit Elektrolastenfahrrädern durchgeführt werden. Viel Spaß dabei!
Vielleicht wird ja dann das Unisexfahrrad erfunden :D
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Bleibtreu »

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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Bleibtreu »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(24 Nov 2017, 11:04)

Ich kenne das Projekt. Aber ich hätte gerne ein richtig schön gebundenes fettes Buch, auch wenn es dann 89 Euro kostet.
DAS kann ich sehr gut verstehen. Ich liebe Literatur auch im Buchformat. Als ich monatelang nur Ebook nutzen konnte, bin ich fast kaputt gegangen! :D
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(24 Nov 2017, 10:49)

Kleiner OT-Einschub: Dann sorg doch mal dafür, dass es endlich "Karneval" von Bela Hamvas auf Deutsch gibt :) Das wäre mal eine "kosmopolitische" Leistung.
:) Alle Achtung! Ich bin wirklich nur auf dem Bereich Lyrik kompetent und aktuell auch mit entsprechenden Projekten vollkommen ausgelastet.

Der in Budapest lebende Germanist Wilhelm Droste (den ich leider nur flüchtig kennengelernt habe) und der gute Freund der Familie, der leider vor kurzem verstorbene Berliner Schrifsteller Hans Skirecki haben einiges von Béla Hamvas übersetzt. Aber ich will beim Thema bleiben:
Bitterer und bewegender kann man dem Mangel an Zukunft, die ganz in der patriotischen Selbstberauschung aufgeht, nicht ins Auge sehe. Zugleich kann man nicht entschlossener feststellen, dass es an jedem Einzelnen liegt, diese Zukunft herzustellen. Es ist richtig, wie Droste die „Irrationalität und Hysterie“ der Lage zu beschreiben: „Schuld sind immer die anderen, der Nachbar, die Kommunisten und Kosmopoliten, die Zigeuner, die Flüchtlinge, die Fremden, die Juden, Brüssel und die Liberalen, die Muslime oder vielleicht doch lieber die Griechen.“ Es ist aber auch wichtig, eben dem standzuhalten. In den Worten der 1984 geborenen Dichterin Timea Turi: „Alle gehen weg, ich derweil / versperre mir die Flügeltüren / dieses Landes.“
Das ist der Geist dieser kosmopolitisch-jüdisch geprägten Szene Osteuropas. Ekel vor "patriotischer Selbsberauschung" und auf der anderen Seite ein Setzen "auf jeden Einzelnen" und nicht auf irgendwelche identitären Gemeinschaften. Die Bewunderung dafür ist, zugegebenermaßen, natürlich wegen ihrer leider feststellbaren Nichtgegenwärtigkeit natürlich auch auf eine gewisse Art eine Rückwärtsgewandtheit und Nostalgie.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Die "Philosophie des Weins", übersetzt von Skirecki, ist auf Deutsch erschienen und auch jetzt aktuell (z.B. bei amazon) erhältlich ... und eine "Weinmeditiation" ist jetzt, Ende November, in der Zeit des Dunkels auch mal fällig ...
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 11:18)

Die "Philosophie des Weins", übersetzt von Skirecki, ist auf Deutsch erschienen und auch jetzt aktuell (z.B. bei amazon) erhältlich ... und eine "Weinmeditiation" ist jetzt, Ende November, in der Zeit des Dunkels auch mal fällig ...
"Kierkegaard in Sizilien" gibt's auch (Matthes und Seitz), enthält ein paar hübsche Essays, insbesondere den über den Urvater der modernen Existenzialisten und Radikalindividualisten.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 11:18)

Die "Philosophie des Weins", übersetzt von Skirecki, ist auf Deutsch erschienen und auch jetzt aktuell (z.B. bei amazon) erhältlich ... und eine "Weinmeditiation" ist jetzt, Ende November, in der Zeit des Dunkels auch mal fällig ...
Ja, und mit dem kann man auch schön über Kultur nachdenken, denn der Wein hat, nach einem Wort Ernst Jüngers, Europa mehr verändert als das Schwert.

Natürlich gibt es Abstinenzler. Béla Hamvas nennt sie in seiner Philosophie des Weins die "Pietisten", ein Menschenschlag, der bei ihm anders als die Atheisten, die dumm und unwissend und beschränkt und einfältig sind, nicht gut bis ganz schlecht wegkommt. Es sind Hyperventilierer des Korrekten, die in dieses Schema passen, die Trinken höchstens als einen Akt des Wertepraktizierens begreifen :D

Es ist ein merkwürdiges Büchlein eines noch merkwürdigeren Mannes, eines Mystikers der Sinne, für den Gott noch im Schinken steckt und dessen Schrift unter dem Motto Franz von Baaders steht, nach dem jedes Denken mit den Sinnen beginnen muss. Und so geht er sein Thema an, bei dem am Ende zwei übrig bleiben, Gott und der Wein.

Er führt uns durch eine Metaphysik des Weines, erzählt wie ein Mystiker aus der Welt des Weingenusses, in herrlicher und vollkommen kitschfreier Sprache, direkt, fröhlich, unbeschwert, ein sinnliches Gebet, bei dem selbst der hartgesottenste Atheist und Nihilist nicht umhin kann, angesichts der vielen Fress- und Trinkgelagedarstellungen starke metaphysische Gelüste zu entwickeln. In seinem kurzen eschatologischen Exkurs nennt er ihn angesichts des Sündenfalls die Brücke zwischen dem ersten und dem letzten Tag.

Nebenher bekommen alle ihr Fett weg, die Atheisten, die Puritaner, die Pietisten (ganz schlimm), die Szientisten, der abstrakte Mensch mit seiner Wissenschaft, Moral, seinen Gesetzen, seinem Staat. Der abstrakte Mensch, der keine Liebe kennt, sondern nur Sexualtriebe, der nicht arbeitet, sondern produziert, der kein Fleisch, keine Kartoffeln, Pflaumen, Birnen, Butterbrote und Honig isst, sondern Kalorien, Vitamine, Kohlenhydrate und Eiweiß zu sich nimmt und keinen Wein trinkt, sondern Alkohol.

Ein wundervoller mystischer Parforceritt durch die metaphysische Welt des Weins, der Anpielungen auf auf eine Vielzahl mystischer Texte, ebenso wie auf Romane enthält, in dem die Bibel und die Upanischaden oder Zhuangzi ebenso vertreten sind wie Rabelais und D.H. Lawrence, Epikur oder James Joyce usw.

Und ich habe selten oder nie in meinem Leben so schallend gelacht bei einer Philosophie-Lektüre, die ein reiner Spaß war. Den Erlösungsgedanken auf eine solch sinnlich-fröhliche Weise mit dem Wein zu verknüpfen hat ein gewaltiges Moment der Versuchung zur Aussöhnung mit Gott und/oder dem Sein.

Der Text ist übrigens um so bemerkenswerter, wenn man die Entstehungsgeschichte dazu liest.

So, nach diesem Stückchen Weinkultur wieder zurück zum Begriff der Kultur.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von BlueMonday »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 07:55)

Und ich hab' dir entgegnet, dass ich monatlich eine ganz hübsche Summe für medizinsche Behandlungen einzahle. 16000/800=20. Rund anderthalb Jahre nur, und ich habe einen Stent-Einsatz bezahlt. Tatsächlich zahle ich weit mehr ein als ich für mich entnehme.
.
Ja, das ist es schon, was sich viele nicht bewusst machen: dass aus einem Gemeinschaftskorb (ob nun ein freiwillig oder erzwungen finanzierter) nur so viel heraus genommen werden kann, wie man zuvor hineingelegt und dass, wenn es Fälle gibt, bei denen mehr genommen als hergegeben wird, es auch umgekehrte Fälle geben muss. Kurz gesagt, es wird nicht das Wunder geschehen, dass sich alle etwas leisten könnten, das sie sich ohne diesen Gemeinschaftkorb nicht leisten könnten. There ain’t no such thing as a free lunch... Im Gegenteil, im Falle des erzwungenen Beitrags wird man praktisch immer das Problem der Kostenexplosion haben und dann wird ein "Stent-Einsatz" auch unglaublich teuer... Das entscheidene Korrektiv fehlt, dass man sich auch zum Nichtbeitrag, zur Abspaltung etc. entscheiden kann.

Das sind praktisch die zwei Metakulturen: die Kultur der Gewalt, des bewusst herbeigeführten Zwanges, in Gestalt des "Politischen" und die Kultur der freien Assoziation. Sicherlich gibt es dabei, wie bei jeder begrifflichen Scheidung, fließende Übergänge. Anders gesagt, das Problem ist nicht der Verein, die Sammlung unter irgendeiner Symbolik, irgendein Zusammengehen, Assoziieren, Gleichtun, ein Brauchtum, ein Gemeinsames oder Identisches... sondern ... ökonomisch/handlungslogisch ausgedrückt, die Kosten für das Wiederverlassen des Vereins oder das Nichtvereinenwollen, Andersseinwollen. Sind sie hoch, ist der Zwang hoch. Die Zahl der Möglichkeiten in Gestalt ablehnbarer Abgebote zu erhöhen, ist gewissermaßen die Gegenkultur zum Politischen.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Bleibtreu »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 11:11)
[...] Das ist der Geist dieser kosmopolitisch-jüdisch geprägten Szene Osteuropas. Ekel vor "patriotischer Selbsberauschung" und auf der anderen Seite ein Setzen "auf jeden Einzelnen" und nicht auf irgendwelche identitären Gemeinschaften. Die Bewunderung dafür ist, zugegebenermaßen, natürlich wegen ihrer leider feststellbaren Nichtgegenwärtigkeit natürlich auch auf eine gewisse Art eine Rückwärtsgewandtheit und Nostalgie.
Und wieder die Betoenung auf juedisch. Jetzt muss ich doch laut auflachen und ein weiteres mal nachhaken. :)

Das klingt, als existiere die kosmopolitisch gepraegte Szene OstEuropas nur von Juden. Gibt es in OstEuropa keine nicht-juedischen Kosmopoliten oder worin ist die staendige Betonung auf kosmopolitisch-juedisch gegruendet? Und ist es nicht ein Widerspruch einerseits "identitaere Gemeinschaften" und damit kulturelle Zugehoerigkeit abzulehnen, sie aber andererseits explizit mit dem Wort juedisch hervorzuheben? Entweder lehne ich "identitaere Gemeinschaft" und damit auch die kulturelle & meine Wurzeln ab oder ich akzeptiere sie und erachte ihre Existenz als selbstverstaendlich. Beides gleichzeitig geht nicht. Die Eier legende WollMilchSau ist ein FabelWesen.

Dass sich bei intelligenten und politisch interessierten Menschen OstEuropas ein Ekel gegen "partriotische Selbstberauschung" eingestellt hat, ist auf Grund der Geschichte und ebenso der politischen Gegenwart nachvollziehbar. Fuer mich kein Grund ins andere Extrem zu schnellen. Ich verachte den FN mit seiner GallionsFigur Madame LePengPeng und wofuer sie stehen, trotzdem verachte ich deswegen nicht die franzoesische Kultur oder Identitaet und lehne sie rundheraus ab. Ich halte es stattdessen mit Monsieur Macron und wofuer er steht. Die unsaegliche Madame ist fuer mich kein Grund, Frankreich ideell/politisch in Schutt und Asche legen zu wollen.
Zuletzt geändert von Bleibtreu am Fr 24. Nov 2017, 12:21, insgesamt 2-mal geändert.
• Wer fuer alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von pikant »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 11:18)

Die "Philosophie des Weins", übersetzt von Skirecki, ist auf Deutsch erschienen und auch jetzt aktuell (z.B. bei amazon) erhältlich ... und eine "Weinmeditiation" ist jetzt, Ende November, in der Zeit des Dunkels auch mal fällig ...
einen guten Wein geniessen ist natuerlich auch Kultur.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Bleibtreu hat geschrieben:(24 Nov 2017, 12:17)
Und wieder die Betoenung auf juedisch. Jetzt muss ich doch laut auflachen und ein weiteres mal nachhaken. :)
Das klingt, als existiere die kosmopolitisch gepraegte Szene OstEuropas nur von Juden. Gibt es in OstEuropa keine nicht-juedischen Kosmopoliten oder worin ist die staendige Betonung auf kosmopolitisch-juedisch gegruendet? Und ist es nicht ein Widerspruch einerseits "identitaere Gemeinschaften" und damit kulturelle Zugehoerigkeit abzulehnen, sie aber andererseits explizit mit dem Wort juedisch hervorzuheben?
Ist es. Ja. Und selbstverständlich gibt es auch nicht-jüdische Kosmopoliten. Oftmals philosemitisch ausgerichtet. Was soll ich dazu weiter sagen? Menschen sind halt, anders als mathematische Sätze, niemals widerspruchsfrei.
Dass sich bei intelligenten und politisch interessierten Menschen OstEuropas ein Ekel gegen "partriotische Selbstberauschung" eingestellt hat, ist auf Grund der Geschichte und ebenso der politischen Gegenwart nachvollziehbar. Fuer mich kein Grund ins andere Extrem zu schnellen. Ich verachte den FN mit seiner GallionsFigur Madame LePengPeng und wofuer sie stehen, trotzdem verachte ich deswegen nicht die franzoesische Kultur oder Identitaet und lehne sie rundheraus ab. Ich halte es stattdessen mit Monsieur Macron und wofuer er steht. Die unsaegliche Madame ist fuer mich kein Grund, Frankreich ideell/politisch in Schutt und Asche legen zu wollen.
Na. Nun mal langsam. Zwischen "Identität ablehnen" und "in Schutt und Asche legen wollen" besteht schon noch ein kleiner Unterschied. Ich habe ein ganz normales Verhältnis zu meinem Land. Dieses Verhältnis hat die Form einer Reihe von Verträgen zwischen Bürger und Staat. Ich zahle Steuern und Krankenkassenbeiträge (und zwar nicht gerade wenig, ist aber völlig ok), achte die Gesetze und der Staat sorgt für Polizei, Schule, öffentlichen Verkehr und noch ein paar andere Sachen. Wunderbar, sage ich mal. Ich habe nicht den mindesten Grund, mich an diese Verträge nicht zu halten. Ich habe aber auch nicht den kleinsten, nicht den allerallerkleinsten Grund, darüberhinaus irgendein emotionales Verhältnis, ein Zugehörigkeits-Mehr in dieser Hinsicht vorzulegen. Werde ich nicht. Ich bleibe - im Gegenteil -absolut kritisch und auf Distanz.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

BlueMonday hat geschrieben:(24 Nov 2017, 12:00)

Ja, das ist es schon, was sich viele nicht bewusst machen: dass aus einem Gemeinschaftskorb (ob nun ein freiwillig oder erzwungen finanzierter) nur so viel heraus genommen werden kann, wie man zuvor hineingelegt und dass, wenn es Fälle gibt, bei denen mehr genommen als hergegeben wird, es auch umgekehrte Fälle geben muss. Kurz gesagt, es wird nicht das Wunder geschehen, dass sich alle etwas leisten könnten, das sie sich ohne diesen Gemeinschaftkorb nicht leisten könnten. There ain’t no such thing as a free lunch... Im Gegenteil, im Falle des erzwungenen Beitrags wird man praktisch immer das Problem der Kostenexplosion haben und dann wird ein "Stent-Einsatz" auch unglaublich teuer... Das entscheidene Korrektiv fehlt, dass man sich auch zum Nichtbeitrag, zur Abspaltung etc. entscheiden kann.

Das sind praktisch die zwei Metakulturen: die Kultur der Gewalt, des bewusst herbeigeführten Zwanges, in Gestalt des "Politischen" und die Kultur der freien Assoziation. Sicherlich gibt es dabei, wie bei jeder begrifflichen Scheidung, fließende Übergänge. Anders gesagt, das Problem ist nicht der Verein, die Sammlung unter irgendeiner Symbolik, irgendein Zusammengehen, Assoziieren, Gleichtun, ein Brauchtum, ein Gemeinsames oder Identisches... sondern ... ökonomisch/handlungslogisch ausgedrückt, die Kosten für das Wiederverlassen des Vereins oder das Nichtvereinenwollen, Andersseinwollen. Sind sie hoch, ist der Zwang hoch. Die Zahl der Möglichkeiten in Gestalt ablehnbarer Abgebote zu erhöhen, ist gewissermaßen die Gegenkultur zum Politischen.
Beim System der Krankenkassen können wir uns - glaube ich - den Ausflug ins Hochphilosophische sparen. Das Prinzip ist schlicht und einfach vernünftig und rational. Ich kenne Fälle, bei denen weit weit mehr Kosten anfallen als bei einer Stent-Operation. Und ich habe kein Problem damit, dass meine persönlicher Überzahlung dann mit der Unterzahlung der betroffenen Person abgeglichen wird. Kann mich ebensogut irgendwann mal treffen. Also: Nicht Solidargemeinschaft sondern Vernunftgemeinschaft. "Solidatität" kann meiner Ansicht nur in Form von persönlichen und bewusst außerhalb des normalen offiziellen Programms gestarteten Aktionen geübt werden.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 12:54)

Beim System der Krankenkassen können wir uns - glaube ich - den Ausflug ins Hochphilosophische sparen. Das Prinzip ist schlicht und einfach vernünftig und rational. Ich kenne Fälle, bei denen weit weit mehr Kosten anfallen als bei einer Stent-Operation. Und ich habe kein Problem damit, dass meine persönlicher Überzahlung dann mit der Unterzahlung der betroffenen Person abgeglichen wird. Kann mich ebensogut irgendwann mal treffen. Also: Nicht Solidargemeinschaft sondern Vernunftgemeinschaft. "Solidatität" kann meiner Ansicht nur in Form von persönlichen und bewusst außerhalb des normalen offiziellen Programms gestarteten Aktionen geübt werden.
Die Vernunftgemeinschaft würde nicht umverteilen, diese Grundlage wäre zu dünn, weil man sonst rechnet und fertig. Es wäre beispielsweise vernünftig, ein paar Hunderttausend Menschen ohne Asylberechtigung abzuschieben statt zu finanzieren -oder eben nach deinem Vorschlag diese Finanzierung zu privatisieren, statt dies im Rahmen der Solidargemeinschaft durch Umverteilung zu leisten. Es wäre auch vernünftig, Opernhäuser, Theater, Museen, Bäder zu schließen, das rechnet sich alles nicht.

Viele Länder gehen, kulturell bedingt, diesen Weg auch. Und das Ideal von Radikalindividualisten und jeglicher Identität abholden Menschen und von Libertären geht schließlich auch in diese Richtung. Entgrenzung ist immer notwendig auch Ent-Solidarisierung, und das hypervernetzte singuläre Individuum mag das auch als sinnvoll empfinden. Am Ende, wenn der Wohlstand dann verschwunden ist, wird das Schlachten nur umso grausamer sein. Organisierte Kriege gehen zu Ende, unorganisierte nicht. Europas 30-jähriger Krieg zeugt davon ebenso wie die heutigen failed states. Wenn alle Identität verschwunden ist, ist nicht jeder jedermanns Freund, sondern Feind.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(24 Nov 2017, 13:18)

Die Vernunftgemeinschaft würde nicht umverteilen, diese Grundlage wäre zu dünn, weil man sonst rechnet und fertig. Es wäre beispielsweise vernünftig, ein paar Hunderttausend Menschen ohne Asylberechtigung abzuschieben statt zu finanzieren -oder eben nach deinem Vorschlag diese Finanzierung zu privatisieren, statt dies im Rahmen der Solidargemeinschaft durch Umverteilung zu leisten. Es wäre auch vernünftig, Opernhäuser, Theater, Museen, Bäder zu schließen, das rechnet sich alles nicht.

Viele Länder gehen, kulturell bedingt, diesen Weg auch. Und das Ideal von Radikalindividualisten und jeglicher Identität abholden Menschen und von Libertären geht schließlich auch in diese Richtung. Entgrenzung ist immer notwendig auch Ent-Solidarisierung, und das hypervernetzte singuläre Individuum mag das auch als sinnvoll empfinden. Am Ende, wenn der Wohlstand dann verschwunden ist, wird das Schlachten nur umso grausamer sein. Organisierte Kriege gehen zu Ende, unorganisierte nicht. Europas 30-jähriger Krieg zeugt davon ebenso wie die heutigen failed states. Wenn alle Identität verschwunden ist, ist nicht jeder jedermanns Freund, sondern Feind.
Dein Irrtum besteht darin, "Vernunft" mit "sich rechnen können" gleichzusetzen. Ich habe ja geschrieben, dass ich auch die unvermeidliche Umverteilung innerhalb des Krankenkassensystems und sehr wohl auch zu meinen Ungunsten für absolut vernünftig halte. Es muss sich überhaupt nicht rechnen. Und die Draufzahlung des Staats für die Aufrechterhaltung des Kulturbetriebs in Richtung Kino, Theater, Musik usw. ist ebenso absolut vernünftig. Auch wenn ich aus einem Film oder einem Konzert oft mit tiefempfundenen, ja aufwühlenden Emotionen herauskomme.

Ohne Identität verschwindet bei weitem nicht alles. Wie ich weiter oben schrieb: Zwischen Bürger und Staat bestehen Veträge. Zum beiderseitigen Nutzen. Und 99,9 Prozent der Menschen erkennen durchaus, dass diese Veträge vernünftig und einzuhalten sind. Auch ganz ohne "Identität".
Am Ende, wenn der Wohlstand dann verschwunden ist, wird das Schlachten nur umso grausamer sein.
Könnte es sein, dass Du ein Pessimist bist?

Die letzten grausamen Kriege in Europa, die Jugoslawien-Kriege nämlich, wurden keineswegs, überhaupt nicht um "Wohlstand" geführt. Sondern - eben grade und so gut wie nur! - um Identität. Die Lehre daraus kann nur sein: Hinweg mit diesem ganzen Identitätszeug!
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(24 Nov 2017, 10:52)
Wovon träumst du eigentlich nachts?
Sag' ich lieber nicht! ;)
Du scheinst unter ziemlichem Realitätsverlust zu leiden.
Mit ihren Forderungen sind die Grünen gerade dabei, den Wirtschaftsstandort Deutschland irreversibel zu demontieren ==> Ausstieg aus der Energiegewinnung mittels Kohle (Abschalten aller Kohlekraftwerke) bringt zig Tausend Arbeitslose, die dann nicht mehr in den gemeinsamen Topf der Solidargemeinschaft einzahlen, die keine Steuern mehr zahlen.
alternative Arbeitsplätze für den Kohleausstieg haben die Grünen keine zu bieten. Dass alternative Energiequellen nicht grundlastfähig sind, wird ignoriert/ausgeblendet
Der Druck der auf die Automobilindustrie ausgeübt wird ==> Elektroautos. Wo die Energie für diese Fahrzeuge herkommen soll, dafür haben Grüne kein Konzept.
Aber Hauptsache sie retten die Welt - am "deutschen Wesen soll (mal wieder) die Welt genesen".
Wie viele Arbeitsplätze gerade an der Automobilindustrie und ihren Zulieferern hängen, darüber machen sich Grüne keine Gedanken.
Und DU faselst etwas von Deutschland ist von eine[m] [Kollaps der Sozialsysteme]" so weit entfernt wie vom Andromedanebel? Ein solcher Kollaps kann bei verfehlter Wirtschaftspolitik, wie sie den Grünen vorschwebt, sehr schnell kommen.

Achja und die Berliner Grünen denken über "die letzte Meile" nach, die zum Ziel hat den gesamten LKW-Verkehr aus der Stadt zu verbannen und die Belieferung aller Verkaufseinrichtungen mit Elektrolastenfahrrädern durchgeführt werden. Viel Spaß dabei!
Das sehen, wie bereits seit Jahren in entsprechenden Kommentaren richtig angemerkt, aber nur diese humorlosen Jammerdeutschen so. Kommentar aus London (zum Beispiel) dazu:
Das Leben in Deutschland ist beinahe perfekt. [ganz und gar nicht ironisch gemeint]

Nur in kleinen Ländern wie Norwegen, Finnland und den Niederlanden geht es den Bürgern noch besser als in Deutschland.
Der starke Arbeitsmarkt, die Qualität des Bildungssystems und das hohe Einkommensniveau lassen Deutschland gut dastehen.

Viel wird in Deutschland geklagt über soziale Ungerechtigkeiten, Niedriglöhne oder -renten. Doch das scheint ein Klagen auf hohem Niveau zu sein – auf einem sehr hohen sogar. Das zumindest ist das Ergebnis einer neuen Studie der Boston Consulting Group (BCG).
Zumindest stehe ich also nicht allein mit meiner Meinung da. Und da ich mich oft und lange in Osteuropa aufhalte, weiß ich: Auch bei einem Viertel bis Drittel des deutschen Durchschnittseinkommens lässt es sich - auch mit Familie und KIndern - bei etwa gleich hohem Preisniveau zurechtkommen.

Wenn die Autoindustrie in Deutschland zurückgefahren werden würde ... etwas besseres könnte uns kaum passieren. Nicht nur wegen der Wohltat von weniger Autos und vielleicht doch etwas mehr ÖPNV: Sondern auch, weil dann vielleicht ein paar qualifizierte Leute mehr verfügbar sind. Was glaubst Du, wie händeringend in meiner Umgebung Leute gesucht werden. Und wie gering die Chancen sind, sie zu finden.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Fr 24. Nov 2017, 14:07, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 13:35)

Dein Irrtum besteht darin, "Vernunft" mit "sich rechnen können" gleichzusetzen. Ich habe ja geschrieben, dass ich auch die unvermeidliche Umverteilung innerhalb des Krankenkassensystems und sehr wohl auch zu meinen Ungunsten für absolut vernünftig halte. Es muss sich überhaupt nicht rechnen. Und die Draufzahlung des Staats für die Aufrechterhaltung des Kulturbetriebs in Richtung Kino, Theater, Musik usw. ist ebenso absolut vernünftig. Auch wenn ich aus einem Film oder einem Konzert oft mit tiefempfundenen, ja aufwühlenden Emotionen herauskomme.

Ohne Identität verschwindet bei weitem nicht alles. Wie ich weiter oben schrieb: Zwischen Bürger und Staat bestehen Veträge. Zum beiderseitigen Nutzen. Und 99,9 Prozent der Menschen erkennen durchaus, dass diese Veträge vernünftig und einzuhalten sind. Auch ganz ohne "Identität".


Könnte es sein, dass Du ein Pessimist bist?

Die letzten grausamen Kriege in Europa, die Jugoslawien-Kriege nämlich, wurden keineswegs, überhaupt nicht um "Wohlstand" geführt. Sondern - eben grade und so gut wie nur! - um Identität. Die Lehre daraus kann nur sein: Hinweg mit diesem ganzen Identitätszeug!
Ich setze "Vernunft" eher als ein auf bestimmte Operationen gerichtetes Werkzeug für Problemlösungen an.

Pessimist? Keine Ahnung, was für ein -Ist ich bin. Ganz sicher aber kein Westentaschenhegelianer, dem der verstopfte Abfluss am Morgen oder ein Sentimentalitäts- oder Gefühlsbäuerchen ein apokalyptisches Weltmenetekel ist. Ohne eine über das Vernünftige hinausgehende Bindung (die Identität konstituierend ist) kann ein Staat nicht überleben. Hatte ich gestern schon einmal gefragt:Was glaubst du, wie lange Israel überlebt, wenn das ganze Identitätszeug weg ist?
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Um das alles aber wieder aus dem Plänkeln rauszubringen:

Die Hauptdifferenz besteht für mich darin, dass zwei unterschiedliche Ansätze zur Definition des Kulturbegriffes hier verwendet werden. Der eine richtet sich auf menschliches Tun als Ganzes, und zwar auf ein Tun in seinen spezifischen Ausprägungen die eine ganz bestimmte Lebensform konstituieren. Der andere Kulturbegriff ist ein politischer, da er das gesamte Tun lediglich als Projektionsfläche fürs Politische betrachtet.

Damit werden alle Lebensbereiche politisiert und, das ist die große Paradoxie, dann über Verrechtlichung depolitisert. Somit wird der einzelne die einzige Bezugsgröße für sich und andere, und jede Beziehung ist damit rechtlich geregelt. (In den USA gibt es, so viel ich weiß, noch immer Staaten, in denen beim Geschlechtsverkehr die Missionarsstelluing vorgeschrieben ist).
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Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 13:58)

Sag' ich lieber nicht! ;)

Das sehen, wie bereits seit Jahren in entsprechenden Kommentaren richtig angemerkt, aber nur diese humorlosen Jammerdeutschen so. Kommentar aus London (zum Beispiel) dazu:

Zumindest stehe ich also nicht allein mit meiner Meinung da. Und da ich mich oft und lange in Osteuropa aufhalte, weiß ich: Auch bei einem Viertel bis Drittel des deutschen Durchschnittseinkommens lässt es sich - auch mit Familie und KIndern - bei etwa gleich hohem Preisniveau zurechtkommen.
Nur hat das mit "Jammern" herzlich wenig zu tun, sondern ist schlicht eine Tatsache.
Wie ich bereits sagte, vorhandene finanzielle Mittel können nur einmal ausgegeben werden - sie sind endlich.
Wenn (immer) mehr Menschen aus dem gemeinsamen "Topf" heraus nehmen und immer weniger etwas hinein tun, dann ist der irgendwann leer. Vor dieser Situation stehen wir. Die Menschen werden immer älter, die Gesellschaft überaltert - die Zahl der Nettosteuerzahler wird immer geringer. Qualifizierter Nachwuchs ist nicht in Sicht, die Zahl derer, die nichts in den "Topf einzahlen (trotz Erwerbstätigkeit) wird immer größer, ebenso die zahl derer die voll "alimentiert" werden.

schokoschendrezki hat geschrieben:(24 Nov 2017, 13:58)Wenn die Autoindustrie in Deutschland zurückgefahren werden würde ... etwas besseres könnte uns kaum passieren. Nicht nur wegen der Wohltat von weniger Autos und vielleicht doch etwas mehr ÖPNV: Sondern auch, weil dann vielleicht ein paar qualifizierte Leute mehr verfügbar sind. Was glaubst Du, wie händeringend in meiner Umgebung Leute gesucht werden. Und wie gering die Chancen sind, sie zu finden.
Ach - etwas besseres kann nicht passieren? Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viele Arbeitsplätze an der Automobilindustrie hängen? Auweia - hast DU Vorstellungen!
Einschränkung der individuellen Mobilität sorgt gerade NICHT für mehr Fachkräfte, die zur Verfügung stehen, ganz im Gegenteil
Dein ÖNPV ist kein Allheilmittel. Der mag innerhalb von Stadtgebieten funktionieren, versagt aber bereits an deren Peripherie, ganz zu schweigen von Gebieten/Orten, die weiter entfernt sind. Vor allem übersiehst du a) den Kostenfaktor ÖNPV und b) den Zeitfaktor, der damit verbunden ist.
Mal abgesehen davon, dass jemand mit einer bestimmten Quelifikation eben nur in diesem Bereich einsetzbar ist, für einen anderen Bereich jedoch NICHT qualifiziert ist und somit auch nicht verfügbar.
Die Automobilindustrie (und ihre Zulieferer) sind ein tragender Pfeiler des Wirtschaftsstandort Deutschland. Wenn der wegbricht und/oder "zurück gefahren" wird, bricht der gesamte Wirtschaftsstandort zusammen.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
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