Was ist eigentlich "Kultur"?

Moderator: Moderatoren Forum 8

Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Wir haben schon in einem anderen Thread dieses Beharren aufs Deskriptive. Schön und gut und eigentlich auch kein Problem. Schreib' einen Reisebericht aus China. Vielleicht auch mit Bildern. Oder den Abriss irgendeiner Geschichtsepoche. Das Problem ist: So lesenswert all dies ist oder wäre, so wenig ist es verallgmeinerbar. Und damit nicht dem zugänglich, was man "Wissenschaft" nennt. Prognosen sind nicht machbar und demzufolge auch keine Validierungen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Sextus Ironicus
Beiträge: 737
Registriert: Mo 13. Nov 2017, 14:04
user title: Normativer Minimalismus
Wohnort: Südwest

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(22 Nov 2017, 15:23)

Wir haben schon in einem anderen Thread dieses Beharren aufs Deskriptive.
Ja, hab ich gesehen. Es wird so ein bisschen die Kunst gepflegt, über Abseits zu philosophieren, ohne zu wissen, was Fußball ist. Aber hey! Abseits ist wirklich fies!
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
Benutzeravatar
Sextus Ironicus
Beiträge: 737
Registriert: Mo 13. Nov 2017, 14:04
user title: Normativer Minimalismus
Wohnort: Südwest

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(22 Nov 2017, 13:54)

Als eine "Generation von Individualisten" werden diese Regissseure allgemein, international und übereinstimmend bezeichnet. Diese allgemeinen, beschönigend als "deskriptiv" bezeichneten Standard-Aussagen ... sie stimmen allesamt nicht.
Deng Xiaoping hatte nach dem blutigen Ausgang auf dem Tiananmenplatz und den Vorwürfen des Westens sinngemäß gesagt, dass eine Millionen Menschenleben in China keine große Sachen seien. Und dass der Westen seine Werte in einzelnen chinesischen Regisseuren erkennt oder erkennen und hervorheben möchte, ist ganz normal, ändert aber nichts daran, dass China nun einmal anders tickt. Und Chinas soziales Punktesystem, das man nun eingeführt hat und praktisch übers Handy funktioniert (ein paar Strafpunkte, und schwupps kann man nirgends mehr hinfahren, weil alles nur übers Handy funktioniert und entsprechend eben zentral deaktiviert wird) ist auch kein Ausdruck einer Bewegung der Individualisten.

War auch nur ein Beispiel. Was den Kulturalismus angeht, so war das von Anfang an ein Strohmann. Der Frage nach dem Was oder Wie der Kultur, nach dem Begriff der Kultur, ist etwas anderes. Kulturwissenschaften oder Kulturanthropologie haben nichts mit Kulturalismus zu tun. Aber wie gesagt, Kulturalismus ist ein reiner Strohmann. Ich kann mich nicht erinnern, wo ich das Thema aufgebracht oder Äußerungen in diese Richtung getan hätte.

Und was deine Einstellung zur Fremdbestimmung angeht: Du bist nicht drauf eingegangen, wie ein Mensch aus sich selbst heraus zu etwas werden könnte (das Beispiel des völlig kontaktlos aufwachsenden Säuglings).
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
Benutzeravatar
Sextus Ironicus
Beiträge: 737
Registriert: Mo 13. Nov 2017, 14:04
user title: Normativer Minimalismus
Wohnort: Südwest

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Nachtrag @ schokoschendrezki

Übrigens habe ich gerade noch mal ein bisschen in "Das Sein und das Nichts" geblättert, und Herr Sartre, auf den du dich in deiner Freiheit und Verantwortung berufst, beginnt sein Kapitel "Moralische Perspektiven" mit der bemerkenswerten Festellung: »Die Ontologie könnte selbst keine moralischen Vorschriften formulieren. Sie beschäftigt sich allein mit dem, was ist, und es ist nicht möglich, aus ihren Indikativen Imperative abzuleiten.« Zumindest hierin bleibt er Realist.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(22 Nov 2017, 23:47)
War auch nur ein Beispiel. Was den Kulturalismus angeht, so war das von Anfang an ein Strohmann. Der Frage nach dem Was oder Wie der Kultur, nach dem Begriff der Kultur, ist etwas anderes. Kulturwissenschaften oder Kulturanthropologie haben nichts mit Kulturalismus zu tun. Aber wie gesagt, Kulturalismus ist ein reiner Strohmann. Ich kann mich nicht erinnern, wo ich das Thema aufgebracht oder Äußerungen in diese Richtung getan hätte.
Der eigentliche Punkt ist: "Kulturanthropologie" als verlegenheitsgeleitete Neuschöpfung für "Ethnologie" und davor für "Völkerkunde" befindet sich seit etwa einem halben Jahrhundert in der Krise. Die "Krise der Ethnologie" ist selbst ein feststehender wissenschaftlicher Begriff und Gegenstand von gefühlt 981 entsprechenden Veröffentlichungen nur in jüngerer Zeit. Ethnologie, Völkerkunde, Kulturanthropologie, vergleichende Kulturwissenschaften etc. pp. stehen seit gut 50 Jahren vor der Notwendigkeit eines Memorandums. Einer grundlegenden Nachdenkenspause. Einer Totalrevision sämtlicher Grundannahmen einschließlich der Möglichkeit der endgültigen Beendingung als seriöse Wissenschaftsdisziplin im Zeitalter nun auch beschleunigter Globalisierung. So wie der Marxismus nach dem Ende des sogenannten realen Sozialismus oder wie Bereiche der Ökonomie nach den jüngsten Finanzkrisen. Nur eben nicht so sehr, weil sie ideologisch verbohrt sind sondern weil sie schlicht und einfach falsche Aussagen machen. Weil sie am laufenden Band 1+1=3-Behauptungen aufstellen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Das beste Beispiel für die völlige Offensichtlichkeit dieser "Krise der Ethnologie" ist die völlig berechtigte Kritik an einer Organisation wie der "Gesellschaft für bedrohte Völker" von linker Seite aus. Sie wird schon mal als "Völkische Gesellschaft für bedrohte Völker" bezeichnet. Richtig.
In der Kritik steht besonders das Grundkonzept der GfbV, ethnische Kollektive („Völker“ und „Volksgruppen“) in den absoluten Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen und nicht Individuen und ihre Einzelschicksale. Dass diese Kollektividentitäten vollkommen konstruiert und teilweise erzwungen (z.B. durch Diskriminierung) sind, wird von der GfbV nicht erwähnt und wohl auch nicht angenommen. So werden Menschen von der GfbV auf Kollektividentitäten zurückgeworfen, anstatt Ihnen zu helfen sich gegen diese zu emanzipieren.
(eisberg.blogsport.de) Wort für Wort Hundertfünfzig Prozent meine Ansicht. Und absolut im Zentrum politischer Diskussion. Genau gegen diese Konstruierte Priorisierung von Kollektividentitäten muss der politische Widerstand organisiert werden.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(22 Nov 2017, 23:47)

Deng Xiaoping hatte nach dem blutigen Ausgang auf dem Tiananmenplatz und den Vorwürfen des Westens sinngemäß gesagt, dass eine Millionen Menschenleben in China keine große Sachen seien. Und dass der Westen seine Werte in einzelnen chinesischen Regisseuren erkennt oder erkennen und hervorheben möchte, ist ganz normal, ändert aber nichts daran, dass China nun einmal anders tickt. Und Chinas soziales Punktesystem, das man nun eingeführt hat und praktisch übers Handy funktioniert (ein paar Strafpunkte, und schwupps kann man nirgends mehr hinfahren, weil alles nur übers Handy funktioniert und entsprechend eben zentral deaktiviert wird) ist auch kein Ausdruck einer Bewegung der Individualisten.
Tatsachen wie diese sind mir bekannt. Und ich habe auch nicht die geringste Absicht, sie zu beschönigen. Nur: Sie haben absolut nix mit irgendeinem von Kulturanthropologen imaginisierten "China" als Erzählung und vollkommen falscher Begrifflichkeit sondern mit dem realen China zu tun. Mit dem ökonomischen Aufstieg eines Landes, in welchem noch vor zirka 50 Jahren die verheerendste Hungerkatastrophe der Menschheitsgeschichte stattfand. Vollkommen verständlich, dass Menschen diese Entwicklung als positiv wahrnehmen und dummerweise und leider staatliche Überwachung befürworten. Nix, absolut gar nix hat das mit "Kultur" zu tun. Es geht einfach nicht. Es ist einfach systemisch, logisch, wissenschaftlich vollkommen falsch, "Kultur" als ursächlich anzunehmen. Oder auch nur als überhaupt existent.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Sextus Ironicus
Beiträge: 737
Registriert: Mo 13. Nov 2017, 14:04
user title: Normativer Minimalismus
Wohnort: Südwest

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 08:28)

Das beste Beispiel für die völlige Offensichtlichkeit dieser "Krise der Ethnologie" ist die völlig berechtigte Kritik an einer Organisation wie der "Gesellschaft für bedrohte Völker" von linker Seite aus. Sie wird schon mal als "Völkische Gesellschaft für bedrohte Völker" bezeichnet. Richtig.

(eisberg.blogsport.de) Wort für Wort Hundertfünfzig Prozent meine Ansicht. Und absolut im Zentrum politischer Diskussion. Genau gegen diese Konstruierte Priorisierung von Kollektividentitäten muss der politische Widerstand organisiert werden.
Politischer Widerstand sagt ja schon: Es geht um Politik und nicht um Wissenchaft. Und die Erwähnung der Disziplinen war nichts als ein Hinweis darauf, dass zwischen politischen Bewegungen (Kulturalismus) und Kultur zu unterscheiden ist.

Wenn ich das Zitat lese, auf dessen Basis die Kritik erfolgt, dann erkennt man die absolute Ahnungslosigkeit darüber, wie Kultur, wie Gesellschaften funktionieren. Im Grunde ist die Idee, "Individuen und ihre Einzelschicksale" in den Mittelpunkt zu stellen, ein Kulminationspunkt von Ansätzen aus dem Umfeld von identiy politics, eine Art Autistisierung des Individuums. Es ist nichts als das Asoziale in ein universalethisch verbrämtes Mäntelchen theologischen Konstruktivismus verpackt. Es war ja Foucaults Idee, das Individuum de facto in den Staatsrang zu versetzen, sodass mit jeder Ohrfeige, die einem verpasst wird, der Staat geohrfeigt wird. In der Folge solcher Konzepte wird übersehen, dass ein solche Gesellschaft von Autisten sich nur dadurch im Innenverhältnis garantieren kann, wenn jede einzelne menschliche Beziehung erst politisiert wird (wie im Zitat zu sehen), und anschließend verrechtlicht wird, also der Politik wieder entzogen wird, da Politik theoretisch ja von Mehrheitsentscheidungen getragen wird. Keine menschliche Beziehung wäre mehr ungeregelt- dass das im Namen der Selbstbestimmung geschieht, ist das ironische i-Tüpfelchen auf der Sache.

Nach außen hin wäre so ein Staat nicht mehr überlebensfähig, denn Gruppen leben auch immer davon, dass im schlimmsten Fall ihre Mitglieder über ihre Einzelinteressen hinaus bereit sind, Opfer zu bringen für die Gruppe. Eine "Gesellschaft" von radikalen Individuen ist dazu nicht mehr in der Lage, sie kann sich nach außen nicht mehr behaupten, ihren Fortbestand nach außen nicht aus sich selbst heraus sichern.

So, und noch einen launigen Gedanken zur Fremdbestimmung. Wer in diesem Lande nicht schwarz arbeitet, wird seinen Steuersatz nicht selbst bestimmen. Dieser richtet sich nach den Maßgaben der erforderlichen Einnahmen, die sich wiederum u.a. danach, wie viel wohlfahrtsstaatliche Umverteilung gewünscht wird. Das wiederum hängt an den vorherrschenden ethischen Vorstellungen, die ihrerseits auf bestimmten Ideen und Wertvorstellungen basieren. Lässt man großzügig die mangelnden Mitbestimmungsmöglichkeiten in Deutschland auße Acht, könnte man bestenfalls sagen: Du kannst natürlich indirekt mitbestimmen, wie hoch der Steuersatz ist, aber eine Wahlmöglichkeit hast du nicht. Du drückst deine Steuern völlig fremdbestimmt ab (und noch die Steueroptimierung, die Selbstständige betreiben können, bezieht sich auf den real existierenden Steuersatz). Und schließlich als Abschlussbemerkung zu einem Satz von dir: Die übelste Form von Fremdbestimmung ist die Vergewaltigung. Spätestens da würde dein Gedanken, wer sich fremdbestimmen lasse gebe dazu auch immer irgendwie seine Einwilligung, etwas makaber. Doch letzteres nur am Rande - meine Behauptung bleibt: In allem, was wir tun, sind wir auf unsere Kultur bezogen. Auch in der negativen Freiheit bleibt immer der kulturell bestimmte Bezugspunkt vorhanden. Sie kann sich nicht nach nichts bemessen.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
Benutzeravatar
Selina
Beiträge: 17527
Registriert: Do 29. Sep 2016, 15:33

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 08:28)

Das beste Beispiel für die völlige Offensichtlichkeit dieser "Krise der Ethnologie" ist die völlig berechtigte Kritik an einer Organisation wie der "Gesellschaft für bedrohte Völker" von linker Seite aus. Sie wird schon mal als "Völkische Gesellschaft für bedrohte Völker" bezeichnet. Richtig.

(eisberg.blogsport.de) Wort für Wort Hundertfünfzig Prozent meine Ansicht. Und absolut im Zentrum politischer Diskussion. Genau gegen diese Konstruierte Priorisierung von Kollektividentitäten muss der politische Widerstand organisiert werden.
Ich kann gut nachvollziehen, was du meinst. Schaut man sich aber neben aller sicher berechtigten Kritik an, wofür sich diese "Gesellschaft für bedrohte Völker" einsetzt, dann frage ich mich schon: Wer soll dann stattdessen solche solidarischen Leistungen erbringen? Wer oder was könnte an die Stelle treten? Wie kann man etwa den Aborigines helfen, wo jeder weiß, wie erbärmlich rassistisch sie immer noch verfolgt werden? Was ist mit all den anderen verfolgten, unterdrückten und echte Not leidenden Menschen? Ich kenne die Kritik an solchen NGOs. Wer aber soll anstelle von denen helfen? Die Staaten kümmern sich doch nicht um ihre Leute. Sicher ist der Aufbau demokratischer Strukturen (und das möglichst von innen heraus und aus eigener Kraft) in den Ländern, wo es Menschen am schlechtesten geht, wünschenswert. Aber was ist in der langen Zeit, wo das nicht passiert? Oder auch die andere Geschichte: Was ist mit zeitweiligen Zusammenschlüssen wie etwa Occupy, um bestimmten Ziele zu erreichen? Oder die Friedensbewegung, die zwar völlig zerstritten ist, aber doch trotzdem in Teilen noch vorhanden ist und auch Aktionen plant? Oder die Vereine gegen Rassismus und Nationalismus, die sich mit dem Erstarken der Neuen Rechten als Gegenpol gegründet haben, lehnst du die alle auch ab? Ich frage mich generell, ob Individualismus alleine immer etwas bringt. So sehr ich mich natürlich auch gegen alles Kulturalistische und Völkische wehre und so sehr ich dieses nationalistische Volks-Geraune auch ablehne, aber kann der Individualismus die einzige Alternative dazu sein?
Zuletzt geändert von Selina am Do 23. Nov 2017, 09:12, insgesamt 1-mal geändert.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
Uffzach
Beiträge: 1903
Registriert: Mo 28. Aug 2017, 22:21

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Uffzach »

Habt ihr eigentlich mittlerweile eine spezifisch deutsche Kultur identifizieren können? :D
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

@Sextus Ironicus: Nur, dass die angeblichen "Autisten" ganz hervorragend und locker und leicht mit der modernen Welt zurechtkommen. Java, SQL und Go programmieren, Englisch und noch sonstwas sprechen, souverän aus all dem, was als "Kultur" bezeichnet wird für sich selbst und nach ihren eigenen Prioritäten als Individuen und nicht als Kollektivmitglieder zu sondieren wissen und ... sagen wir einfach mal: Fröhlich das Leben genießen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Sextus Ironicus
Beiträge: 737
Registriert: Mo 13. Nov 2017, 14:04
user title: Normativer Minimalismus
Wohnort: Südwest

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 09:18)

@Sextus Ironicus: Nur, dass die angeblichen "Autisten" ganz hervorragend und locker und leicht mit der modernen Welt zurechtkommen. Java, SQL und Go programmieren, Englisch und noch sonstwas sprechen, souverän aus all dem, was als "Kultur" bezeichnet wird für sich selbst und nach ihren eigenen Prioritäten als Individuen und nicht als Kollektivmitglieder zu sondieren wissen und ... sagen wir einfach mal: Fröhlich das Leben genießen.
Ja, das ist in der Sache sehr schön ausgedrückt und nennt diejenigen, um die es geht: Die Wohlständigen.

Aber, um das noch einmal auf einen Gedanken von mir zurückzuführen: Glaubst du, dass ein Staat wie Israel mit ein paar Millionen solcher bindungsbefreiter Wohlständigen überleben könnte?
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
Benutzeravatar
unity in diversity
Beiträge: 10327
Registriert: So 21. Dez 2014, 09:18
user title: Links oben, unten rechts
Wohnort: Deutschland drunter & drüber

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von unity in diversity »

Uffzach hat geschrieben:(23 Nov 2017, 09:11)

Habt ihr eigentlich mittlerweile eine spezifisch deutsche Kultur identifizieren können? :D
Die kann man sehen, wenn im Supermarkt eine zweite Kasse aufmacht.
Für jedes Problem gibt es 2 Lösungsansätze:
Den Falschen und den Unsrigen.
Aus den USA.
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(23 Nov 2017, 09:09)

Ich kann gut nachvollziehen, was du meinst. Schaut man sich aber neben aller sicher berechtigten Kritik an, wofür sich diese "Gesellschaft für bedrohte Völker" einsetzt, dann frage ich mich schon: Wer soll dann stattdessen solche solidarischen Leistungen erbringen? Wer oder was könnte an die Stelle treten? Wie kann man etwa den Aborigines helfen, wo jeder weiß, wie erbärmlich rassistisch sie immer noch verfolgt werden? Was ist mit all den anderen verfolgten, unterdrückten und echte Not leidenden Menschen? Ich kenne die Kritik an solchen NGOs. Wer aber soll anstelle von denen helfen? Die Staaten kümmern sich doch nicht um ihre Leute. Sicher ist der Aufbau demokratischer Strukturen (und das möglichst von innen heraus und aus eigener Kraft) in den Ländern, wo es Menschen am schlechtesten geht, wünschenswert. Aber was ist in der langen Zeit, wo das nicht passiert? Oder auch die andere Geschichte: Was ist mit zeitweiligen Zusammenschlüssen wie etwa Occupy, um bestimmten Ziele zu erreichen? Oder die Friedensbewegung, die zwar völlig zerstritten ist, aber doch trotzdem in Teilen noch vorhanden ist und auch Aktionen plant? Oder die Vereine gegen Rassismus und Nationalismus, die sich mit dem Erstarken der Neuen Rechten als Gegenpol gegründet haben, lehnst du die alle auch ab? Ich frage mich generell, ob Individualismus alleine immer etwas bringt. So sehr ich mich natürlich auch gegen alles Kulturalistische und Völkische wehre und so sehr ich dieses nationalistische Volks-Geraune auch ablehne, aber kann der Individualismus die einzige Alternative dazu sein?
Die Wahrheit ist, dass all diese Aktionen von NGOs praktisch vollkommen überlagert werden können durch reale Entwicklungen. Ich traue der angeblichen Menschenfreundlichkeit einfach nicht. Menschenfreundlichkeit bedeutet für mich ganz konkret, misstrauisch zu sein. Die Aktionen von solchen Organisationen zu hinterfragen. Rainer Hank, ein Wirtschafts-Journalist bei der FASZ brachte es neulich auf den (sehr sehr provokativen) Punkt: "Wir brauchen mehr Kinderarbeit!". Vermutlich nicht deine Position. Aber ich glaube zu verstehen, was gemeint ist. Nicht auf die völlig scheinheilige Position von Firmen wie "Trigema" einzugehen. Ganz nüchtern und realistisch zu sehen, dass Bangladesh ein noch in der 70er, 80er Jahren ärmstes und von Hunger bedrohtestes Land der Erde war und dass die Investitionen von Textilfirmen diesem Land eine Chance zum Aufstieg bringen. "Niemals bei Trigema" kaufen setze ich diesem "niemals bei Billigproduzenten kaufen" entgegen. Noch krasser ist der Gegensatz und die Scheinheiligkeit beim Image von Firmen wie Apple, Microsoft und ganz besonders Ikea. Ich mache da nicht mit. Und ich misstraue eben auch Organisationen wie der Gesellschaft für bedrohte Völker. SIe wollen mir im EIgeninteresse weismachen, dass sie sich für Gutmenschentum einsetzen. Aber ich will nicht der dumme Idiot sein.

Und ich will vor allem auch nicht der Herrenmensch sein, der durch Kauf von sogenannten fair produzierten Gütern Menschen, die gerade eben ein gewisses Existenzminimum erlangten im Namen von angeblicher Humanität ins Elend zurückstoßen.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Do 23. Nov 2017, 10:54, insgesamt 1-mal geändert.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(23 Nov 2017, 09:23)
Ja, das ist in der Sache sehr schön ausgedrückt und nennt diejenigen, um die es geht: Die Wohlständigen.
Das ist sehr schön ironisch ausgedrückt. :) Die sogenannten "Wohlständigen" befinden sich, wenn mans genauer sich anschaut, aber auch in einer Krise. Sie kommen mit der modernen, globalisierten, digitalisierten Welt zurecht. Sie haben ihr Einkommen und ihre Sicherheit. Gut. Aber das ist nur äußerlich. Genauer betrachtet siehts wesentlich problematischer aus. Das Zurechtkommen überdeckt nur die verbreitete Entfremdetheit. Das bedeutet jedoch nicht, dass dieses Zurechtkommen nicht dennoch eine vergleichsweise komfortable Situation ermöglicht und dass die Betroffenen dies nicht auch wüssten. Und es beduetet vor allem nicht, dass die Hinwendung zu einer "Kultur" im Sinne einer Kollektivität oder gar Nation eine Lösung dafür wäre.
Aber, um das noch einmal auf einen Gedanken von mir zurückzuführen: Glaubst du, dass ein Staat wie Israel mit ein paar Millionen solcher bindungsbefreiter Wohlständigen überleben könnte?
Das ist eine sehr interessante Frage. Das große ganz aktuelle Problem in Israel besteht wohl eher im Umgang mit den Ultraorthodoxen. Miltiärdienstverweigerung. Bewusst gewählte Arbeitslosigkeit. Und sie wachsen einfach an Anzahl. Die wirkliche Frage ist, ob ein Staat wie Israel, der auf Hochtechnologie angewiesen ist, mit dieser massiv wachsenden Anzahl von Modernisierungsverweigerern überleben kann. Das Thema ist hochbrisant und hochaktuell.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Do 23. Nov 2017, 10:17, insgesamt 2-mal geändert.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Sextus Ironicus
Beiträge: 737
Registriert: Mo 13. Nov 2017, 14:04
user title: Normativer Minimalismus
Wohnort: Südwest

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 09:50)

Das ist eine sehr interessante Frage. Das große ganz aktuelle Problem in Israel besteht im Umgang mit den Ultraorthodoxen. Miltiärdienstverweigerung. Bewusst gewählte Arbeitslosigkeit. Und sie wachsen einfach an Anzahl. Die wirkliche Frage ist, ob ein Staat wie Israel, der auf Hochtechnologie angewiesen ist, mit dieser massiv wachsenden Anzahl von Modernisierungsverweigerern überleben kann. Das Thema ist hochbrisant und hochaktuell.
Das war aber alles nicht meine Frage. Es geht darum, wie ein angeblich kulturfreies "Gemeinwesen" (die Hobbes-Übersetzungen geben civitas heute so wieder), wenn es nicht auf Södner zurückgreifen möchte, die aus anderen Gründen ihr Leben riskieren, sich nach außen verteidigen möchte, wenn innen eine vollkommene Bindungslosigkeit herrscht.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(23 Nov 2017, 10:01)

Das war aber alles nicht meine Frage. Es geht darum, wie ein angeblich kulturfreies "Gemeinwesen" (die Hobbes-Übersetzungen geben civitas heute so wieder), wenn es nicht auf Södner zurückgreifen möchte, die aus anderen Gründen ihr Leben riskieren, sich nach außen verteidigen möchte, wenn innen eine vollkommene Bindungslosigkeit herrscht.
Um Gottes willen! "Kulturbindungsfrei" bedeutet doch noch nicht "Kulturfrei". Ganz im Gegenteil. Aus meiner SIcht ist Zugang zu dem Teil von Kultur (und ich bin mir sehr wohl bewusst, dass der nur ein Teil von "Kultur" ist), den man mit "Kunst" bezeichnet ... dass der Zugang dazu überhaupt nur mit Bindungsfreiheit zu erlangen ist.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Sextus Ironicus
Beiträge: 737
Registriert: Mo 13. Nov 2017, 14:04
user title: Normativer Minimalismus
Wohnort: Südwest

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 10:05)

Um Gottes willen! "Kulturbindungsfrei" bedeutet doch noch nicht "Kulturfrei". Ganz im Gegenteil. Aus meiner SIcht ist Zugang zu dem Teil von Kultur (und ich bin mir sehr wohl bewusst, dass der nur ein Teil von "Kultur" ist), den man mit "Kunst" bezeichnet ... dass der Zugang dazu überhaupt nur mit Bindungsfreiheit zu erlangen ist.
Also, dann lass mich nochmal fragen. du sagtest etwas weiter oben:
Es ist einfach systemisch, logisch, wissenschaftlich vollkommen falsch, "Kultur" als ursächlich anzunehmen. Oder auch nur als überhaupt existent.
Irgendwie bekomme ich (und das ist ironiefrei gemeint), die beiden Dinge jetzt nicht zusammen. Kultur oder nicht Kultur? Oder worauf bezog sich "existent"?
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
Benutzeravatar
Bleibtreu
Beiträge: 8825
Registriert: Mi 27. Feb 2013, 11:58
user title: freigeist
Wohnort: TelAviv / Paris

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Bleibtreu »

Uffzach hat geschrieben:(23 Nov 2017, 09:11)

Habt ihr eigentlich mittlerweile eine spezifisch deutsche Kultur identifizieren können? :D
Du bist im falschen Strang. Wenn du verstanden hast, was Kultur bedeutet & alles umfasst, kannst du darauf aufbauend auch nachvollziehen, was spezifisch fuer Deutschland gilt. Zur deutschen Kultur geht es dann hier lang ==> Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Und falls dir tatsaechlich nichts dazu einfaellt, was deutschlandweit uebergreifend gilt, dann denk mal ueber die ErinnerungsKultur Deutschlands zu den NaziVerbrechen nach. Diese Form der ErinnerungsKultur ist spezifisch fuer Deutschland. Frankreich, UK, Polen, Tuerkei, Russland, Libanon, USA etc pp haben eine jeweils signifikant andere ErinnerungsKultur an die NazenVerbrechen.

Kultur ist alles, was nicht von der Natur erschaffen wurde. Also auch das RechtsWesen, das Schul/Bildungswesen, Gesundheitswesen, Geschichte, Wirtschaft, Wissenschaft, Oekologie, der Stellenwert von Frauen, Juden oder HomoSexuellen innerhalb der Gesellschaft, etc pp. Denk nur mal an die typisch deutsche Fuelle an SteuerGesetzen und Regelungen oder die FDGO. Aus ALL diesen unterschiedlichen Teilen setzt sich dann eine ganz spezifische Kultur zusammen, die du in keinem anderen Land in dieser Zusammensetzung findest. Das Thema ist also im Grunde simpel, wenn man es rein faktisch beschreibend betrachtet, ohne ideologische, politische oder wertende Brille. :)
• Wer fuer alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!
https://www.shabak.gov.il/english/Pages/index.html#=1
Concordia - Integritas - Industria
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(23 Nov 2017, 10:22)

Also, dann lass mich nochmal fragen. du sagtest etwas weiter oben:



Irgendwie bekomme ich (und das ist ironiefrei gemeint), die beiden Dinge jetzt nicht zusammen. Kultur oder nicht Kultur? Oder worauf bezog sich "existent"?
Ja. Das war schon etwas uneindeutig ausgedrückt. Was daran liegt, dass der Begriff "Kultur" eben auch ambivalent und uneindeutig ist. Es reicht ein ganz einfacher Verweis auf den ganz einfachen Wikipedia-Artikel:
Der Begriff kann sich auf eine Gruppe von Menschen beziehen, denen eine bestimmte Kultur zugesprochen wird, oder auf das, was allen Menschen als Menschen zukommt, insofern Kultur sie beispielsweise vom Tier unterscheidet.
Nicht das, was allen Menschen zukommbar ist, ist das Problem sondern das, was Gruppen von Menschen angeblich zusprechbar ist.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Sextus Ironicus
Beiträge: 737
Registriert: Mo 13. Nov 2017, 14:04
user title: Normativer Minimalismus
Wohnort: Südwest

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Bleibtreu hat geschrieben:(23 Nov 2017, 10:22)

Du bist im falschen Strang. Wenn du verstanden hast, was Kultur bedeutet & alles umfasst, kannst du darauf aufbauend auch nachvollziehen, was spezifisch fuer Deutschland gilt. Zur deutschen Kultur geht es dann hier lang ==> Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Und falls dir tatsaechlich nichts dazu einfaellt, was deutschlandweit uebergreifend gilt, dann denk mal ueber die ErinnerungsKultur Deutschlands zu den NaziVerbrechen nach. Diese Form der ErinnerungsKultur ist spezifisch fuer Deutschland. Frankreich, UK, Polen, Tuerkei, Russland, Libanon, USA etc pp haben eine jeweils signifikant andere ErinnerungsKultur an die NazenVerbrechen.

Kultur ist alles, was nicht von der Natur erschaffen wurde. Also auch das RechtsWesen, das Schul/Bildungswesen, Gesundheitswesen, Geschichte, Wirtschaft, Wissenschaft, Oekologie, der Stellenwert von Frauen, Juden oder HomoSexuellen innerhalb der Gesellschaft, etc pp. Denk nur mal an die typisch deutsche Fuelle an SteuerGesetzen und Regelungen oder die FDGO. Aus ALL diesen unterschiedlichen Teilen setzt sich dann eine ganz spezifische Kultur zusammen, die du in keinem anderen Land in dieser Zusammensetzung findest. Das Thema ist also im Grunde simpel, wenn man es rein faktisch beschreibend betrachtet, ohne ideologische, politische oder wertende Brille. :)
Ja, dem schließe ich mich an. Und weil wir beim "Betrachten" sind: Kurzsichtigkeit gibt es als natürliches Phänomen und als kulturelles Phänomen.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
Benutzeravatar
Chajm
Beiträge: 2624
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 13:27
Wohnort: Tel Aviv

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Chajm »

Bleibtreu hat geschrieben:(23 Nov 2017, 10:22)

Du bist im falschen Strang. Wenn du verstanden hast, was Kultur bedeutet & alles umfasst, kannst du darauf aufbauend auch nachvollziehen, was spezifisch fuer Deutschland gilt. Zur deutschen Kultur geht es dann hier lang ==> Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Und falls dir tatsaechlich nichts dazu einfaellt, was deutschlandweit uebergreifend gilt, dann denk mal ueber die ErinnerungsKultur Deutschlands zu den NaziVerbrechen nach. Diese Form der ErinnerungsKultur ist spezifisch fuer Deutschland. Frankreich, UK, Polen, Tuerkei, Russland, Libanon, USA etc pp haben eine jeweils signifikant andere ErinnerungsKultur an die NazenVerbrechen.

Kultur ist alles, was nicht von der Natur erschaffen wurde. Also auch das RechtsWesen, das Schul/Bildungswesen, Gesundheitswesen, Geschichte, Wirtschaft, Wissenschaft, Oekologie, der Stellenwert von Frauen, Juden oder HomoSexuellen innerhalb der Gesellschaft, etc pp. Denk nur mal an die typisch deutsche Fuelle an SteuerGesetzen und Regelungen oder die FDGO. Aus ALL diesen unterschiedlichen Teilen setzt sich dann eine ganz spezifische Kultur zusammen, die du in keinem anderen Land in dieser Zusammensetzung findest. Das Thema ist also im Grunde simpel, wenn man es rein faktisch beschreibend betrachtet, ohne ideologische, politische oder wertende Brille. :)
Hast Du schoen beschrieben, aber je laenger ich hier mitlese, desto mehr draengt sich mir der Eindruck auf, dass ein wichtiges Merkmal fehlt:
Das "ums-verrecken-rechthaben-muessen" und der damit verbundene Drang, auf jedes noch so unbedeutende Haeufchen des Forums die eigene Duftmarke obendrauf zu setzen! ;)
Ich kann mich taeuschen, aber momentan stellt sich das in vielen Unterforen so dar! ;)
Zuletzt geändert von Chajm am Do 23. Nov 2017, 10:34, insgesamt 1-mal geändert.
"Where no counsel is, the people fall, but in the multitude of counselors there is safety."
Benutzeravatar
Bleibtreu
Beiträge: 8825
Registriert: Mi 27. Feb 2013, 11:58
user title: freigeist
Wohnort: TelAviv / Paris

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Bleibtreu »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(23 Nov 2017, 10:31)

Ja, dem schließe ich mich an. Und weil wir beim "Betrachten" sind: Kurzsichtigkeit gibt es als natürliches Phänomen und als kulturelles Phänomen.
Und Beide sind sie hinderlich. :)

Chajm hat geschrieben:(23 Nov 2017, 10:34)

Hast Du schoen beschrieben, aber je laenger ich hier mitlese, desto mehr draengt sich mir der Eindruck auf, dass ein wichtiges Merkmal fehlt:
Das "ums-verrecken-rechthaben-muessen" und der damit verbundene Drang, auf jedes noch so unbedeutende Haeufchen des Forums die eigene Duftmarke obendrauf zu setzen! ;)
Ich kann mich taeuschen, aber momentan stellt sich das in vielen Unterforen so dar! ;)
So ist das wohl, mein Lieber. Da faellt mir umgehend der gestrige AmokLauf der ueblichen Verdaechtigen, die Schlammschlacht im anderen KulturStrang "Kulturelle Identität" - Was steckt dahinter?, ein. Oder was alles in den Straengen zum Thema Jamaika/FDP ins Forum erbrochen wird. Soweit kann ich gar nicht nach Unten greifen, um da noch einen Hauch Niveau zu ertasten. [Diskussions]Kultur? - Ach ja... :D
Zuletzt geändert von Bleibtreu am Do 23. Nov 2017, 10:44, insgesamt 1-mal geändert.
• Wer fuer alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!
https://www.shabak.gov.il/english/Pages/index.html#=1
Concordia - Integritas - Industria
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Bleibtreu hat geschrieben:(23 Nov 2017, 10:22)

Du bist im falschen Strang. Wenn du verstanden hast, was Kultur bedeutet & alles umfasst, kannst du darauf aufbauend auch nachvollziehen, was spezifisch fuer Deutschland gilt. Zur deutschen Kultur geht es dann hier lang ==> Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Und falls dir tatsaechlich nichts dazu einfaellt, was deutschlandweit uebergreifend gilt, dann denk mal ueber die ErinnerungsKultur Deutschlands zu den NaziVerbrechen nach. Diese Form der ErinnerungsKultur ist spezifisch fuer Deutschland. Frankreich, UK, Polen, Tuerkei, Russland, Libanon, USA etc pp haben eine jeweils signifikant andere ErinnerungsKultur an die NazenVerbrechen.
Das ist (nur eine) der kultur"wissenschaftlichen" Falschaussagen. Die Erinnerungskultur zu den Naziverbechen in Deutschlland befindet sich ganz aktuell in einem signifikanten Wandel. Jugendliche widersprechen der geforderten obligatorischen Pflicht zum Besuch einer KZ-Gedenkstätte. Nicht, weil sie die Nazi-Verbrechen verharmlosen wollen, sondern weil sie gewisse ungute Entwicklungen (zumindest instinktiv) erahnen: Gedenkorte als Erlebnisparks. Eine schreckliche Disneysierung der Naziverbrechen. Bitte einfach mal genau hinschauen, was aktuell und tatsächlich läuft und nicht von "Erinnerungskultur in Deutschland" als gegebenes Ding schwafeln. Genau hinschauen. Keine Phrasen einfach nur replizieren. Nur als eines von vielen Belegen: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/zuk ... -1.2526001
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Sextus Ironicus
Beiträge: 737
Registriert: Mo 13. Nov 2017, 14:04
user title: Normativer Minimalismus
Wohnort: Südwest

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 10:43)

Das ist (nur eine) der kultur"wissenschaftlichen" Falschaussagen. Die Erinnerungskultur zu den Naziverbechen in Deutschlland befindet sich ganz aktuell in einem signifikanten Wandel. Jugendliche widersprechen der geforderten obligatorischen Pflicht zum Besuch einer KZ-Gedenkstätte. Nicht, weil sie die Nazi-Verbrechen verharmlosen wollen, sondern weil sie gewisse ungute Entwicklungen (zumindest instinktiv) erahnen: Gedenkorte als Erlebnisparks. Eine schreckliche Disneysierung der Naziverbrechen. Bitte einfach mal genau hinschauen, was aktuell und tatsächlich läuft und nicht von "Erinnerungskultur in Deutschland" als gegebenes Ding schwafeln. Genau hinschauen. Keine Phrasen einfach nur replizieren. Nur als eines von vielen Belegen: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/zuk ... -1.2526001
Da ist es wieder, das Problem. Dass sich X (zum Positiven/Negativen) wandelt, macht die Festellung "es gibt X" nicht unwissenschaftlich. Unwissenschaftlich ist es, die Richtigkeit einer Aussage von den Folgen oder von moralischen Implikationen abhängig zu machen.

Nachtrag: Vielleicht hilft es weiter, sich das einmal anhand von Kants Unterscheidung zu vergegenwärtigen. Der unterscheidet zwischen dem Allgemeinen (dem Begriff) und dem Besonderen (der Betrachtung).
Zuletzt geändert von Sextus Ironicus am Do 23. Nov 2017, 11:06, insgesamt 1-mal geändert.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
Benutzeravatar
Bleibtreu
Beiträge: 8825
Registriert: Mi 27. Feb 2013, 11:58
user title: freigeist
Wohnort: TelAviv / Paris

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Bleibtreu »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 10:43)

Das ist (nur eine) der kultur"wissenschaftlichen" Falschaussagen. Die Erinnerungskultur zu den Naziverbechen in Deutschlland befindet sich ganz aktuell in einem signifikanten Wandel. Jugendliche widersprechen der geforderten obligatorischen Pflicht zum Besuch einer KZ-Gedenkstätte. Nicht, weil sie die Nazi-Verbrechen verharmlosen wollen, sondern weil sie gewisse ungute Entwicklungen (zumindest instinktiv) erahnen: Gedenkorte als Erlebnisparks. Eine schreckliche Disneysierung der Naziverbrechen. Bitte einfach mal genau hinschauen, was aktuell und tatsächlich läuft und nicht von "Erinnerungskultur in Deutschland" als gegebenes Ding schwafeln. Genau hinschauen. Keine Phrasen einfach nur replizieren. Nur als eines von vielen Belegen: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/zuk ... -1.2526001
Du merkst nicht mal, dass das nichts an dem aendert, was ich schrieb. Auch Gesetze und Regelungen werden immer wieder geaendert. So wie sich die Mode aendert. Es in der Wissenschaft neue Impulse und Erkenntnisse gibt. Wie sich der Umgang mit Natur veraendert hat. Kultur LEBT, schoko, sie ist NICHT statisch. Auch das habe ich schon zigfach geschrieben. Die heutige deutsche Kultur ist nicht mehr dieselbe wie vor 300 Jahren oder im NazenReich oder in den 50igern und sie wird in 20 Jahren eine andere sein. Wie wesentlich oder unwesentlich sich die spezifische Kultur eines Landes wandelt, haengt von den Veraenderungen ab. Diese koennen negativ oder positiv sein - DAS ist dann aber wieder eine Wertung! :)
• Wer fuer alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!
https://www.shabak.gov.il/english/Pages/index.html#=1
Concordia - Integritas - Industria
Benutzeravatar
Selina
Beiträge: 17527
Registriert: Do 29. Sep 2016, 15:33

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 09:43)

Die Wahrheit ist, dass all diese Aktionen von NGOs praktisch vollkommen überlagert werden können durch reale Entwicklungen. Ich traue der angeblichen Menschenfreundlichkeit einfach nicht. Menschenfreundlichkeit bedeutet für mich ganz konkret, misstrauisch zu sein. Die Aktionen von solchen Organisationen zu hinterfragen. Rainer Hank, ein Wirtschafts-Journalist bei der FASZ brachte es neulich auf den (sehr sehr provokativen) Punkt: "Wir brauchen mehr Kinderarbeit!". Vermutlich nicht deine Position. Aber ich glaube zu verstehen, was gemeint ist. Nicht auf die völlig scheinheilige Position von Firmen wie "Trigema" einzugehen. Ganz nüchtern und realistisch zu sehen, dass Bangladesh ein noch in der 70er, 80er Jahren ärmstes und von Hunger bedrohtestes Land der Erde war und dass die Investitionen von Textilfirmen diesem Land eine Chance zum Aufstieg bringen. "Niemals bei Trigema" kaufen setze ich diesem "niemals bei Billigproduzenten kaufen" entgegen. Noch krasser ist der Gegensatz und die Scheinheiligkeit beim Image von Firmen wie Apple, Microsoft und ganz besonders Ikea. Ich mache da nicht mit. Und ich misstraue eben auch Organisationen wie der Gesellschaft für bedrohte Völker. SIe wollen mir im EIgeninteresse weismachen, dass sie sich für Gutmenschentum einsetzen. Aber ich will nicht der dumme Idiot sein.

Und ich will vor allem auch nicht der Herrenmensch sein, der durch Kauf von sogenannten fair produzierten Gütern Menschen, die gerade eben ein gewisses Existenzminimum erlangten im Namen von angeblicher Humanität ins Elend zurückstoßen.
Schon ok. Meine Skepsis gegen Erscheinungen des Systems insgesamt ist sowieso groß, siehe "es gibt kein richtiges Leben im falschen", da schließt das selbstverständlich auch Skepsis gegen ganz bestimmte Hilfsorganisationen und solche Feigenblatt-Charityaktionen ein. Und auch, was du da zu den Textilfirmen sagst, teile ich bis zu einem gewissen Grad. Solange die Leute da nicht unter völlig würdelosen und erbärmlichen (sehr kulturfreien) Bedingungen arbeiten müssen, was ja oft der Fall ist. Aber meine Fragen bezogen sich mehr auf "anlassbezogenes Gruppen-Engagement kontra Rückzug in die Vereinzelung" (mal grob zusammengefasst). Aber das passt sicher nicht hierher. Sorry.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(23 Nov 2017, 11:02)

Da ist es wieder, das Problem. Dass sich X (zum Positiven/Negativen) wandelt, macht die Festellung "es gibt X" nicht unwissenschaftlich. Unwissenschaftlich ist es, die Richtigkeit einer Aussage von den Folgen oder von moralischen Implikationen abhängig zu machen.
Ich habe ja gar nix zu positiv oder negativ in Hinsicht auf die KZ-Gedenkstätten geschrieben. Der Umgang befindet sich einfach nur im Wandel. Und das Wort "Erinnerungskultur" ist absolute Nummer Eins als Beispiel für das, was man gemeinhin "Neologismus" nennt.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Bleibtreu hat geschrieben:(23 Nov 2017, 11:05)

Du merkst nicht mal, dass das nichts an dem aendert, was ich schrieb. Auch Gesetze und Regelungen werden immer wieder geaendert. So wie sich die Mode aendert. Es in der Wissenschaft neue Impulse und Erkenntnisse gibt. Wie sich der Umgang mit Natur veraendert hat. Kultur LEBT, schoko, sie ist NICHT statisch. Auch das habe ich schon zigfach geschrieben. Die heutige deutsche Kultur ist nicht mehr dieselbe wie vor 300 Jahren oder im NazenReich oder in den 50igern und sie wird in 20 Jahren eine andere sein. Wie wesentlich oder unwesentlich sich die spezifische Kultur eines Landes wandelt, haengt von den Veraenderungen ab. Diese koennen negativ oder positiv sein - DAS ist dann aber wieder eine Wertung! :)
Ich weiß absolut nicht, was eine Wortkonstruktion wie "Die heutige deutsche Kultur" bedeuten soll. Nenn mich deshalb dumm. Mir egal. Eine der wesentlichen Antriebe für Kulturpodruktion ist Abgrenzung. Jemand, der sich von Herzen als Kulturproduzierender sieht, wird niemals wollen, zur "heutigen deutschen Kultur" zugerechnet zu werden.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Sextus Ironicus
Beiträge: 737
Registriert: Mo 13. Nov 2017, 14:04
user title: Normativer Minimalismus
Wohnort: Südwest

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 11:20)

Ich weiß absolut nicht, was eine Wortkonstruktion wie "Die heutige deutsche Kultur" bedeuten soll. Nenn mich deshalb dumm. Mir egal. Eine der wesentlichen Antriebe für Kulturpodruktion ist Abgrenzung. Jemand, der sich von Herzen als Kulturproduzierender sieht, wird niemals wollen, zur "heutigen deutschen Kultur" zugerechnet zu werden.
Ja, auch wieder sehr schön ausgedrückt ;)

Dass das unmöglich ist, kann man zeigen, indem man eine andere Hervorhebung wählt:

"Jemand, der sich von Herzen als Kulturproduzierender sieht, wird niemals wollen, zur "heutigen deutschen Kultur" zugerechnet zu werden."

So, und damit wird auch klar, dass er sich ganz und gar über etwas real Vorhandenes, das er ablehnt, definiert: Er will nicht, aber sein Wollen definiert sich rein in Abhängigkeit von dem, was er nicht will. Mal davon abgesehen, dass die künstlerische Betätigung ein kleiner Teilaspekt von Kultur ist: Man könnte ihn in Anlehnung ans bekannte Bilderbuch als Kulturkasper bezeichnen, diesen Nichtwollenden :D
Zuletzt geändert von Sextus Ironicus am Do 23. Nov 2017, 11:42, insgesamt 1-mal geändert.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(23 Nov 2017, 11:08)

Schon ok. Meine Skepsis gegen Erscheinungen des Systems insgesamt ist sowieso groß, siehe "es gibt kein richtiges Leben im falschen", da schließt das selbstverständlich auch Skepsis gegen ganz bestimmte Hilfsorganisationen und solche Feigenblatt-Charityaktionen ein. Und auch, was du da zu den Textilfirmen sagst, teile ich bis zu einem gewissen Grad. Solange die Leute da nicht unter völlig würdelosen und erbärmlichen (sehr kulturfreien) Bedingungen arbeiten müssen, was ja oft der Fall ist. Aber meine Fragen bezogen sich mehr auf "anlassbezogenes Gruppen-Engagement kontra Rückzug in die Vereinzelung" (mal grob zusammengefasst). Aber das passt sicher nicht hierher. Sorry.
"anlassbezogenes Gruppen-Engagement". Gut. Ich denke nicht selten darüber nach und bin zwiespältig. Beispiel Oppositionsbewegungen in Russland oder in Ungarn ... positiv. Solange ich nicht genau hinschaue und nachdenke. Der Oppositonelle Russe Nawalny ist nationalistischer eingestellt als die nationalistische Putin-Regierung. Die ungarische Oppositionsbewegung "Momentum" wiederum gewinnt ihre Sympathie nicht zuletzt aus der Beförderung traditionell antirussischer Ressentiments in der ungarischen Bevölkerung. Beide oppositionelle Organsisationen müssen sein. Keine Frage. Wie sonst soll sich etwas ändern. Aber im Laufe der Zeit und ganz persönlich ... ich will da unter keinen Umständen dazu gehören. Es ist wirklich ein Problem und ein Widerspruch, den ich irgendwie auflösen möchte und nicht auflösen kann,
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Selina
Beiträge: 17527
Registriert: Do 29. Sep 2016, 15:33

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Selina »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(23 Nov 2017, 11:34)

Ja, auch wieder sehr schön ausgedrückt ;)

Dass das unmöglich ist, kann man zeigen, indem man eine andere Hervorhebung wählt:

"Jemand, der sich von Herzen als Kulturproduzierender sieht, wird niemals wollen, zur "heutigen deutschen Kultur" zugerechnet zu werden."

So, und damit wird auch klar, dass er sich ganz und gar über etwas real Vorhandenes, das er ablehnt, definiert: Er will nicht, aber sein Wollen definiert sich rein über das, was er nicht will. Mal davon abgesehen, dass die künstlerische Betätigung ein kleiner Teilaspekt von Kultur ist: Man könnte ihn in Anlehnung ans bekannte Bilderbuch als Kulturkasper bezeichnen, diesen Nichtwollenden :D
So ein Quatsch. Dieses Nicht-dazu-gehören-Wollen zu dieser "heutigen deutschen Kultur" ist wichtig, um überhaupt kreativ sein zu können. Dieses Kultur-Zugehörigkeits-Gefasel (womit ich nicht dich persönlich meine) lähmt sämtliche künstlerische Freiheit und bremst sie aus.
Zuletzt geändert von Selina am Do 23. Nov 2017, 11:53, insgesamt 1-mal geändert.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
Benutzeravatar
Sextus Ironicus
Beiträge: 737
Registriert: Mo 13. Nov 2017, 14:04
user title: Normativer Minimalismus
Wohnort: Südwest

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 11:41)

... ich will da unter keinen Umständen dazu gehören. Es ist wirklich ein Problem und ein Widerspruch, den ich irgendwie auflösen möchte und nicht auflösen kann,
Doch, indem du die Existenz anerkennst und begreifst, dass du dafür kämpfen kannst (wenn dir danach ist), dass sich die Dinge von innen heraus in deinem Sinne ändern. Auch dein Widerstand gegen bestimmte Sichtweisen oder Institutionen ist Teil deiner Kultur.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
Benutzeravatar
Selina
Beiträge: 17527
Registriert: Do 29. Sep 2016, 15:33

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 11:41)

"anlassbezogenes Gruppen-Engagement". Gut. Ich denke nicht selten darüber nach und bin zwiespältig. Beispiel Oppositionsbewegungen in Russland oder in Ungarn ... positiv. Solange ich nicht genau hinschaue und nachdenke. Der Oppositonelle Russe Nawalny ist nationalistischer eingestellt als die nationalistische Putin-Regierung. Die ungarische Oppositionsbewegung "Momentum" wiederum gewinnt ihre Sympathie nicht zuletzt aus der Beförderung traditionell antirussischer Ressentiments in der ungarischen Bevölkerung. Beide oppositionelle Organsisationen müssen sein. Keine Frage. Wie sonst soll sich etwas ändern. Aber im Laufe der Zeit und ganz persönlich ... ich will da unter keinen Umständen dazu gehören. Es ist wirklich ein Problem und ein Widerspruch, den ich irgendwie auflösen möchte und nicht auflösen kann,
Diese Beispiele (Russland/Ungarn) überzeugen mich voll und ganz, dass man da in einen Zwiespalt geraten kann und das Ganze ziemlich ambivalent für sich selbst finden könnte. Was aber ist mit verschiedenen Vereinen, die sich gerade als Gegenpol zu Nationalismus und Rassismus gründen? Da gibts einen (komme im Moment nicht auf den Namen, finde ich aber bei Bedarf), der ist überparteilich, hat Anhänger mehrere Parteien, Verbände, viele einzelne Aktive, Christen, Atheisten, den finde ich sehr interessant. Oder was ist mit Attac?
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
Benutzeravatar
Bleibtreu
Beiträge: 8825
Registriert: Mi 27. Feb 2013, 11:58
user title: freigeist
Wohnort: TelAviv / Paris

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Bleibtreu »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 11:20)

Ich weiß absolut nicht, was eine Wortkonstruktion wie "Die heutige deutsche Kultur" bedeuten soll. Nenn mich deshalb dumm. Mir egal. Eine der wesentlichen Antriebe für Kulturpodruktion ist Abgrenzung. Jemand, der sich von Herzen als Kulturproduzierender sieht, wird niemals wollen, zur "heutigen deutschen Kultur" zugerechnet zu werden.
Ich ahnte schon, dass es voellig sinnlos ist, nach meinen zahlreichen Erfahrungen mit deiner fanatischen IndividualitaetsReligion & deiner KulturLeugnung, dir ueberhaupt zu antworten. Wonach du jetzt wieder als AusweichManoever greifst, statt auf meine Antwort inhaltlich einzugehen, habe ich zigfach und zuletzt in meinem Beitrag an Uffzach geschrieben, auf den du meintest antworten zu muessen. Wenn du meine Aussagen nach all unseren monatelangen Diskussionen immer noch nicht verstehen kannst oder willst, kann und will ich dir nicht mehr auf die Spruenge helfen. Soviel Masochismus bin ich nicht bereit aufzubringen. Was du immer noch nicht erfasst, wird auch beim tausendsten Durchkauen nicht bei dir ankommen.

Es wird Zeit zu erkennen, dass wir auf der Stelle treten und uns nichts Fruchtbares zu sagen haben. :)
• Wer fuer alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!
https://www.shabak.gov.il/english/Pages/index.html#=1
Concordia - Integritas - Industria
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 22083
Registriert: Fr 7. Aug 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Dark Angel »

Bleibtreu hat geschrieben:(23 Nov 2017, 11:57)

Ich ahnte schon, dass es voellig sinnlos ist, nach meinen zahlreichen Erfahrungen mit deiner fanatischen IndividualitaetsReligion & deiner KulturLeugnung, dir ueberhaupt zu antworten. Wonach du jetzt wieder als AusweichManoever greifst, statt auf meine Antwort inhaltlich einzugehen, habe ich zigfach und zuletzt in meinem Beitrag an Uffzach geschrieben, auf den du meintest antworten zu muessen. Wenn du meine Aussagen nach all unseren monatelangen Diskussionen immer noch nicht verstehen kannst oder willst, kann und will ich dir nicht mehr auf die Spruenge helfen. Soviel Masochismus bin ich nicht bereit aufzubringen. Was du immer noch nicht erfasst, wird auch beim tausendsten Durchkauen nicht bei dir ankommen.

Es wird Zeit zu erkennen, dass wir auf der Stelle treten und uns nichts Fruchtbares zu sagen haben. :)
Das eigentliche Problem bei Schoko und Selina besteht darin, alles politisieren zu müssen, Politik als von Kultur losgelöst und Kultur übergeordnet zu betrachten, darin nicht begreifen zu wollen, dass Politik immer Teil einer Kultur ist.
Die beiden betrachten ja sogar das Privatleben als politisch, jede Verbundenheit mit Kultur (Traditionspflege etc) ist bei denen politisch. Und weil sie Kultur leugnen, ist natürlich jede Kulturverbundenheit, jede kulturelle Identität grundsätzlich als rääächts abzulehnen.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Bleibtreu hat geschrieben:(23 Nov 2017, 11:57)

Ich ahnte schon, dass es voellig sinnlos ist, nach meinen zahlreichen Erfahrungen mit deiner fanatischen IndividualitaetsReligion & deiner KulturLeugnung, dir ueberhaupt zu antworten. Wonach du jetzt wieder als AusweichManoever greifst, statt auf meine Antwort inhaltlich einzugehen, habe ich zigfach und zuletzt in meinem Beitrag an Uffzach geschrieben, auf den du meintest antworten zu muessen. Wenn du meine Aussagen nach all unseren monatelangen Diskussionen immer noch nicht verstehen kannst oder willst, kann und will ich dir nicht mehr auf die Spruenge helfen. Soviel Masochismus bin ich nicht bereit aufzubringen. Was du immer noch nicht erfasst, wird auch beim tausendsten Durchkauen nicht bei dir ankommen.

Es wird Zeit zu erkennen, dass wir auf der Stelle treten und uns nichts Fruchtbares zu sagen haben. :)
Nicht Kulturleugnung. Ich betrachte mich selbst nicht umsonst als sehr sehr eng in Kultur, Kulturproduktion eingebundenen Menschen.

Angebliche Kultur"wissenschaft" ist das Problem. Wie schon weiter oben erläutert gibt es zig Dutzende wenn nicht Hunderte Artikel, die sich wissenschaftlich mit der "Krise der Ethnologie" und damit im Zusammenhang allgemein mit der Krise anthropologischer (vermeintlicher) Wissenschaften auseinandersetzen. Alle diese Bemühungen stehen vor der Notwendigkeit eines Memorandums. Einer Unterberechung. Einer grundsätzlichen Infragestellung und Revision sämtlicher Grundthesen. Das ist der entscheidende Punkt. Eine ähnliche SItuation wie für den Marxismus-Leninismus als angebliche "wissenschaftliche Weltanschauung" Ende der 80er Jahre.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(23 Nov 2017, 12:26)

Das eigentliche Problem bei Schoko und Selina besteht darin, alles politisieren zu müssen, Politik als von Kultur losgelöst und Kultur übergeordnet zu betrachten, darin nicht begreifen zu wollen, dass Politik immer Teil einer Kultur ist.
Die beiden betrachten ja sogar das Privatleben als politisch, jede Verbundenheit mit Kultur (Traditionspflege etc) ist bei denen politisch. Und weil sie Kultur leugnen, ist natürlich jede Kulturverbundenheit, jede kulturelle Identität grundsätzlich als rääächts abzulehnen.
Wenn jemandem als erste Assoziation zum Begriff "Kultur" ausgerechnet "Traditionspflege" einfällt ... dann hat er oder sie schlicht keine Ahnung von Kultur. Als wirkliche Herzensangelegenheit. Von den Kreaitivitätsschüben, die tatsächlich so etwas wie Kultur hervorbringen. Das ist nicht "Kultur" sondern Spreewaldgurke.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Sextus Ironicus
Beiträge: 737
Registriert: Mo 13. Nov 2017, 14:04
user title: Normativer Minimalismus
Wohnort: Südwest

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Dark Angel hat geschrieben:(23 Nov 2017, 12:26)

Das eigentliche Problem bei Schoko und Selina besteht darin, alles politisieren zu müssen, Politik als von Kultur losgelöst und Kultur übergeordnet zu betrachten, darin nicht begreifen zu wollen, dass Politik immer Teil einer Kultur ist.
Die beiden betrachten ja sogar das Privatleben als politisch, jede Verbundenheit mit Kultur (Traditionspflege etc) ist bei denen politisch. Und weil sie Kultur leugnen, ist natürlich jede Kulturverbundenheit, jede kulturelle Identität grundsätzlich als rääächts abzulehnen.
Wobei man der Fairness halber einen Unterschied machen sollte zwischen radikal-individualistischen Modellen, wie Stirner, Sartre oder auch David Foster Wallace ("Das hier ist Wasser") ihn mit unterschiedlichen Ansätzen vertreten und einem subjektiven Befindlichkeitsmonismus. Ersterer ist diskursfähig, zweiterer nicht satisfaktionsfähig, das taugt für die Horoskopspalten von Gala oder Bunte zur Ablenkung beim Friseur.

Wobei unterm Strich halt die Ironie immer daran liegt, dass am Ende beide Ansätze sich genau in das verkehren, wovor man sich fürchtet. Im Grunde gilt für beide Ansätze, wenn man es langfristig aufs Gesamte hin betrachtet, dass es ist wie bei dem, der sich aus Angst vor dem Tod umbringt.
Zuletzt geändert von Sextus Ironicus am Do 23. Nov 2017, 13:22, insgesamt 1-mal geändert.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
Benutzeravatar
Selina
Beiträge: 17527
Registriert: Do 29. Sep 2016, 15:33

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 13:02)

Wenn jemandem als erste Assoziation zum Begriff "Kultur" ausgerechnet "Traditionspflege" einfällt ... dann hat er oder sie schlicht keine Ahnung von Kultur. Als wirkliche Herzensangelegenheit. Von den Kreaitivitätsschüben, die tatsächlich so etwas wie Kultur hervorbringen. Das ist nicht "Kultur" sondern Spreewaldgurke.
Fehlt nur noch "die Heimat". Dazu wird sicher bald einer einen neuen schicken Thread aufmachen.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
Benutzeravatar
Dark Angel
Moderator
Beiträge: 22083
Registriert: Fr 7. Aug 2009, 08:08
user title: From Hell

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 13:02)

Wenn jemandem als erste Assoziation zum Begriff "Kultur" ausgerechnet "Traditionspflege" einfällt ... dann hat er oder sie schlicht keine Ahnung von Kultur. Als wirkliche Herzensangelegenheit. Von den Kreaitivitätsschüben, die tatsächlich so etwas wie Kultur hervorbringen. Das ist nicht "Kultur" sondern Spreewaldgurke.
Anders herum wird ein Schuh draus, wenn jemand meint Traditionspflege hätte nichts mit Kultur zu tun, jemand der kulturelle Identität aublendet und nicht kapieren will, dass Pflege des kulturellen Erbes - nichts anderes ist Traditionspflege - etwas mit Kultur und deren Erhalt zu tun hat, derjenige hat keine Ahnung von Kultur.
Nur weil Sozialstrukturalismus und Postkontruktivismus eines Derrida und Foucault gerade dem Zeitgeist entsprechen, muss diese Denkrichtung a) nicht mehrheitstauglich sein (was sie tatsächlich auch nicht ist) und b) nicht sakrosankt.
Dabei wird nämlich vergessen, dass diese Denkrichtungen, ebenso wie der Existenzialismus eines Satre auch nur das Produkt von Kultur - einer ganz bestimmten Kultur sind.
Und vollkommen übersehen wird dabei, dass die so genannte Kritik an der Ethnologie und Anthropologie, sowie die Diffamierung dieser Fachrichtungen als unwissenschaftlich, ihre Grundlage in den nicht weniger unwissenschaftlichen Denkrichtungen des Sozialkonstruktivismus und Postkonstruktivismus haben.
Philosophie mag einmal zu recht als "Mutter der Wissenschaften" gegolten haben. Diesen Stellenwert hat sie heute längst verloren. Sie ist zu einem Sammelsurium unterschiedlichster, sich teilweise vollkommen gegensätzlich gegenüber stehender Denkrichtungen und Ideologien verkommen.
Und noch etwas: Deine so genannten Kreativitätsschübe gibt es nicht, ohne die Pflege von Traditionen, ohne Grundlagen und Vergleichsmöglichkeiten
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen
Benutzeravatar
Billie Holiday
Vorstand
Beiträge: 31873
Registriert: Mi 11. Jun 2008, 11:45
user title: Mein Glas ist halbvoll.
Wohnort: Schleswig-Holstein, meerumschlungen

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Billie Holiday »

Selina hat geschrieben:(23 Nov 2017, 13:21)

Fehlt nur noch "die Heimat". Dazu wird sicher bald einer einen neuen schicken Thread aufmachen.
Hast du keine?
Was stimmt mit der Heimat nicht? Also ich fühle mich in meiner sehr wohl. Ist bestimmt voll Nazi, nicht wahr? :( *seufz*
„Wer mich beleidigt, bestimme ich.“ (Klaus Kinski)

„Just because you’re offended, doesn’t mean you’re right.“ (Ricky Gervais)
pikant
Beiträge: 54531
Registriert: Mi 10. Feb 2010, 13:07

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von pikant »

Billie Holiday hat geschrieben:(23 Nov 2017, 13:29)

Hast du keine?
Was stimmt mit der Heimat nicht? Also ich fühle mich in meiner sehr wohl. Ist bestimmt voll Nazi, nicht wahr? :( *seufz*
Heimat ist Kultur
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(23 Nov 2017, 13:25)

Anders herum wird ein Schuh draus, wenn jemand meint Traditionspflege hätte nichts mit Kultur zu tun, jemand der kulturelle Identität aublendet und nicht kapieren will, dass Pflege des kulturellen Erbes - nichts anderes ist Traditionspflege - etwas mit Kultur und deren Erhalt zu tun hat, derjenige hat keine Ahnung von Kultur.
Nur weil Sozialstrukturalismus und Postkontruktivismus eines Derrida und Foucault gerade dem Zeitgeist entsprechen, muss diese Denkrichtung a) nicht mehrheitstauglich sein (was sie tatsächlich auch nicht ist) und b) nicht sakrosankt.
Dabei wird nämlich vergessen, dass diese Denkrichtungen, ebenso wie der Existenzialismus eines Satre auch nur das Produkt von Kultur - einer ganz bestimmten Kultur sind.
Und vollkommen übersehen wird dabei, dass die so genannte Kritik an der Ethnologie und Anthropologie, sowie die Diffamierung dieser Fachrichtungen als unwissenschaftlich, ihre Grundlage in den nicht weniger unwissenschaftlichen Denkrichtungen des Sozialkonstruktivismus und Postkonstruktivismus haben.
Philosophie mag einmal zu recht als "Mutter der Wissenschaften" gegolten haben. Diesen Stellenwert hat sie heute längst verloren. Sie ist zu einem Sammelsurium unterschiedlichster, sich teilweise vollkommen gegensätzlich gegenüber stehender Denkrichtungen und Ideologien verkommen.
Und noch etwas: Deine so genannten Kreativitätsschübe gibt es nicht, ohne die Pflege von Traditionen, ohne Grundlagen und Vergleichsmöglichkeiten
Nee. Man muss keine Seite Derrida gelesen haben, um die Einordnung für das, was man als kreativer Künstler hervorbringt, als "Traditionspflege" zu bezeichnen, mit Vehemenz, mit totaler Ablehnung von sich zu weisen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Bleibtreu
Beiträge: 8825
Registriert: Mi 27. Feb 2013, 11:58
user title: freigeist
Wohnort: TelAviv / Paris

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Bleibtreu »

Selina hat geschrieben:(23 Nov 2017, 13:21)

Fehlt nur noch "die Heimat". .
Billie hat Recht, was ist an dem Wort Heimat schlecht? Ich empfinde Frankreich - UK & Israel als meine Heimat. Dort habe ich meine Wurzeln, dort wurde meine Identitaet entscheidend gepraegt, dort wurde ich juedisch & aufgeklaert-westlich sozialisiert. Anfang Nov bin ich nach Paris in meine GeburtsStadt gereist und ich geniesse es hier noch einige Zeit im Familien- und FreundesKreis zu verweilen. Dieses Jahr Chanukkah im Marais - wie herrlich! :)
Dazu wird sicher bald einer einen neuen schicken Thread aufmachen
Mach ihn doch selbst auf, wenn dir so sehr danach geluestet, dass du es fuer erwaehenswert haeltst. Hoffentlich schredderst du ihn dann nicht genauso, wie du es Gestern mit deinem eigenen KulturStrang gemacht hast. :D
Zuletzt geändert von Bleibtreu am Do 23. Nov 2017, 13:45, insgesamt 1-mal geändert.
• Wer fuer alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!
https://www.shabak.gov.il/english/Pages/index.html#=1
Concordia - Integritas - Industria
Benutzeravatar
schokoschendrezki
Beiträge: 19263
Registriert: Mi 15. Sep 2010, 16:17
user title: wurzelloser Kosmopolit
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von schokoschendrezki »

pikant hat geschrieben:(23 Nov 2017, 13:31)

Heimat ist Kultur
"Heimat" ist nix schlimmes. Sondern etwas schönes. Das "schönste Wort für Zurückgebliebenheit".
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)
Benutzeravatar
Selina
Beiträge: 17527
Registriert: Do 29. Sep 2016, 15:33

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Selina »

Natürlich geht es auch um "Traditionen" unter der Überschrift "Kultur". Logisch. Aber doch nicht ausschließlich. Mir fällt da zuerst auch immer die Kunst ein, wenn es darum geht, was alles zur Kultur gehört. Malerei, Theater, Film, Musik, Literatur, alles Bereiche, wo es besonders um Ideen und Kreativität geht. Dass zum weiteren Kulturbegriff selbstverständlich auch Lebensweise, Traditionen, Heimat und dergleichen mehr gehören, hat niemand bestritten. Aber beim Stichwort "Kultur" wie aus der Pistole geschossen als Erstes und Einziges "Traditionspflege" zu sagen, das hat schon was... Und dann auch diese merkwürdige Geschichte vom Verhältnis Kultur - Politik: Selbstverständlich kann jeder einzelne Sachverhalt immer unter allen möglichen Aspekten betrachtet werden, unter ethnologischen, ästethischen, ethischen, soziologischen, natur- und gesellschaftswissenschaftlichen, aber natürlich auch unter politischen Aspekten. Letzteres ist nun mal Inhalt und Anspruch eines politischen Forums. Aber schon klar: Die Entpolitisierung der Kultur-Diskussion hat natürlich auch einen Hintergrund.
Drüben im Walde kängt ein Guruh - Warte nur balde kängurst auch du. Joachim Ringelnatz
pikant
Beiträge: 54531
Registriert: Mi 10. Feb 2010, 13:07

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von pikant »

Bleibtreu hat geschrieben:(23 Nov 2017, 13:44)

Billie hat Recht, was ist an dem Wort Heimat schlecht?
nichts, aber wie man da 'auf voll Nazi' kommen kann, erschliesst sich mir nicht.

Heimat ist ein Begriff, wo man aufgewachsen ist, wo man lebt und wo man sich wohlfuehlt - was hat das 'mit Voll Nazi' zu tun, wenn Sie Billie recht geben?
pikant
Beiträge: 54531
Registriert: Mi 10. Feb 2010, 13:07

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von pikant »

Selina hat geschrieben:(23 Nov 2017, 13:47)
Aber beim Stichwort "Kultur" wie aus der Pistole geschossen als Erstes und Einziges "Traditionspflege" zu sagen, das hat schon was....
daran denke ich fast nie, wenn ich mich mit dem Begriff Kultur auseinandersetze - wenn mir was an der Kultur gefaellt, nehme ich es an, beschaeftige mich damit und wenn mir was nicht gefaellt, wird sich damit nicht beschaefigt - ob das nun Tradiitionspflege ist, also Kultur von Jahrzehnten zu Jahrzehnten ist mir dabei schnuppe.
Benutzeravatar
Sextus Ironicus
Beiträge: 737
Registriert: Mo 13. Nov 2017, 14:04
user title: Normativer Minimalismus
Wohnort: Südwest

Re: Was ist eigentlich "Kultur"?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(23 Nov 2017, 13:45)

"Heimat" ist nix schlimmes. Sondern etwas schönes. Das "schönste Wort für Zurückgebliebenheit".
Wir nehmen die Kapitulation an :D

Zum Schreddern dann einfach nach nebenan gehen.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
Antworten