Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Selina hat geschrieben:(08 Dec 2017, 21:05)

Ehrliche Antwort? Ok. Hier ist sie: Mich stört das alles überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich finde nur, dass man über Selbstverständlichkeiten nicht so intensiv reden muss, wie das einige Leute seit einigen Jahren ständig tun. Meine Frage geht daher in die Richtung des Motivs, warum es diesen auffallenden Rückzug ins Nationale, in die "kulturelle Identität", ins "Eigene" und dergleichen mehr seit einigen Jahren gibt. Und warum solche Fragen so eine hohe Priorität haben in einigen Kreisen im Vergleich zu anderen existenziellen Fragen. Das ist es, was mich interessiert dabei. Worauf ich allerdings noch keine Antwort erhalten habe.
Da muss ich sagen: Das stört mich im Unterschied zu Dir ganz ungemein. Es gibt zum Beispiel Statistiken über den bekundeten kulturellen Nationalismus in (Nord- und Süd-)Amerika. Mexiko liegt auf einem der vorderen Plätze. Und ich habe einen ungarischen "Kindheitsfreund", der in jungen Jahren in die USA ausgewandert ist und dort eine Mexikanerin geheiratet hat. Sein Vater, immerhin Professor für ungarische Liteatur an einer Budapester Universität, musste am Telefon tatsächlich wortwörtlich bekunden, dass Ungarn als Nation weniger wert ist als Mexiko, um die beiden in den USA besuchen zu dürfen. Ich meine: Das muss man sich mal vorstellen! Das ist doch ungeheuerlich.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(07 Dec 2017, 14:40)

Du bist echt schon bewaffnet? :?

;)

Wir kommen darauf zurück, was diese Auflösung bedeutet, wenn wir den Reckwitz analysieren. Denn diese "Valorisierungskultur" hin zum Besonderen findet ja nicht ohne Grundlagen im leeren Raum statt und ist als systemische Beschreibung sehr präzise, allerdings sagt sie definitionsgemäß und in Einklang mit modernen Systemtheorien nichts über irgendwelche Akteure und die Voraussetzungen ihres Handelns. Und ich habe auch mal extra, weil ich so genervt war von diesen toten Systemen (was das Buch aber nicht schlecht machen soll) bei Sapolsky (Gewalt und Mitgefühl) die Kapitel über Individualkulturen und Kollektivkulturen aus Sicht der Neurowissenschaften/Biologie nachgelesen. Da steckt eins der fehlenden Glieder drin, für die Soziologen leider keinen Sinn haben (müssen).
Ja richtig. Das, was ich bis jetzt in "Die Gesellschaft der Singularitäten" gelesen habe, unterscheidet sich in (mindestens) zwei Punkten, von dem, was ich unter dem Stichwort "Kosmopolitismus vs. Kommunitarismus" mitbekommen habe. Reckwitz betrachtet den gesellschaftlichen Wandel in jüngerer Zeit wesentlich systemisch und nicht sozusagen als einen Mentalitätswechsel. Für ihn wandeln sich nicht nur die Menschen sondern auch die Dinge, die Städtearchitekturen, die Richtung des technologischen Fortschritts usw. Deshalb auch "Singularität" statt "Kosmopolitismus". Und dann, das ist (u.a.) das wirklich spannende: Er geht ausführlich auf die Entwertungsreflexe als Folge dieser Wandlung von der Industriegesellschaft der 60er-80er zur aktuellen postmodernen Gesellschaft ein. Dem Bedeutungszuwachs des Singulären stehen ausgesprochen heftige Abwertungsreaktionen gegenüber. Die Rechtsdrift bis hin zum Neonationalismus in Europa ist ein Teil dieser Gegenreaktion.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 08:46)

Ja richtig. Das, was ich bis jetzt in "Die Gesellschaft der Singularitäten" gelesen habe, unterscheidet sich in (mindestens) zwei Punkten, von dem, was ich unter dem Stichwort "Kosmopolitismus vs. Kommunitarismus" mitbekommen habe. Reckwitz betrachtet den gesellschaftlichen Wandel in jüngerer Zeit wesentlich systemisch und nicht sozusagen als einen Mentalitätswechsel. Für ihn wandeln sich nicht nur die Menschen sondern auch die Dinge, die Städtearchitekturen, die Richtung des technologischen Fortschritts usw. Deshalb auch "Singularität" statt "Kosmopolitismus". Und dann, das ist (u.a.) das wirklich spannende: Er geht ausführlich auf die Entwertungsreflexe als Folge dieser Wandlung von der Industriegesellschaft der 60er-80er zur aktuellen postmodernen Gesellschaft ein. Dem Bedeutungszuwachs des Singulären stehen ausgesprochen heftige Abwertungsreaktionen gegenüber. Die Rechtsdrift bis hin zum Neonationalismus in Europa ist ein Teil dieser Gegenreaktion.
Ja, ich bin jetzt fast durch, werde mir heute noch die Milieustudie des Heidelberger Sinus-Institus, auf die er sich stützt, anschauen. Im Grunde stehen für mich die 30 % der neuen kulturellen Mittelschicht für diejenigen, die die Herren über den gesamten Valorisierungsprozess sind. Die anderen 70 % (mit Ausnahme des 1 % der Superreichen) sind diejenigen, die nicht unbedingt sozial oder ökonomisch, aber auf jeden Fall kulturell abgehängt sind. Er hat das wirklich erstklassig herausgearbeitet. Es sollte Pflichtlektüre für einige hier sein :D
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 08:34)

Da muss ich sagen: Das stört mich im Unterschied zu Dir ganz ungemein. Es gibt zum Beispiel Statistiken über den bekundeten kulturellen Nationalismus in (Nord- und Süd-)Amerika. Mexiko liegt auf einem der vorderen Plätze. Und ich habe einen ungarischen "Kindheitsfreund", der in jungen Jahren in die USA ausgewandert ist und dort eine Mexikanerin geheiratet hat. Sein Vater, immerhin Professor für ungarische Liteatur an einer Budapester Universität, musste am Telefon tatsächlich wortwörtlich bekunden, dass Ungarn als Nation weniger wert ist als Mexiko, um die beiden in den USA besuchen zu dürfen. Ich meine: Das muss man sich mal vorstellen! Das ist doch ungeheuerlich.
Dann muss das wohl ein Missverständnis sein. Selbstverständlich lehne ich ebenfalls jegliche Überspitzungen und auch den "kulturellen Nationalismus" ab. Ich hab so etwas mal bei meinen polnischen Freunden erlebt. Wir sprachen aber ausgiebig darüber und näherten uns irgendwie an in diesen Punkten. Aber die gegenseitige Sympathie war sowieso immer das Ausschlaggebende dabei. Ist auch alles etliche Jahre her. Was ich mit meinem Posting meinte, ist, dass ich einfach unheimlich skeptisch bin, wenn Leute die "kulturelle Identität" so dermaßen betonen und wie eine Monstranz vor sich hertragen. Und dann noch das ganze Vokabular (hab ich dann später noch was dazu geschrieben hier)... Und ja, auch dieses ständige angebliche Mehr-wert-Sein als andere finde ich einfach nur entsetzlich. Das macht mir alles große Sorgen, vielleicht auch deshalb, weil ich altersmäßig noch näher an der Nachkriegszeit dran bin als du.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Billie Holiday »

Selina hat geschrieben:(11 Dec 2017, 09:06)

Dann muss das wohl ein Missverständnis sein. Selbstverständlich lehne ich ebenfalls jegliche Überspitzungen und auch den "kulturellen Nationalismus" ab. Ich hab so etwas mal bei meinen polnischen Freunden erlebt. Wir sprachen aber ausgiebig darüber und näherten uns irgendwie an in diesen Punkten. Aber die gegenseitige Sympathie war sowieso immer das Ausschlaggebende dabei. Ist auch alles etliche Jahre her. Was ich mit meinem Posting meinte, ist, dass ich einfach unheimlich skeptisch bin, wenn Leute die "kulturelle Identität" so dermaßen betonen und wie eine Monstranz vor sich hertragen. Und dann noch das ganze Vokabular (hab ich dann später noch was dazu geschrieben hier)... Und ja, auch dieses ständige angebliche Mehr-wert-Sein als andere finde ich einfach nur entsetzlich. Das macht mir alles große Sorgen, vielleicht auch deshalb, weil ich altersmäßig noch näher an der Nachkriegszeit dran bin als du.

Wer konkret sagt, er sei mehr wert als andere?
Dieser Schwachsinn ist doch an den Haaren herbeigezogen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Billie Holiday hat geschrieben:(11 Dec 2017, 09:12)

Wer konkret sagt, er sei mehr wert als andere?
Dieser Schwachsinn ist doch an den Haaren herbeigezogen.
Na Mensch, B.H., ich hab' doch grad' zwei Beiträge weiter oben ein Beispiel aus der Realität beschrieben, die genau das verdeutlichen.

Und einfach nur fünf Minuten Radio-Nachrichten werden das mit großer Wahrscheinlichkeit bestätigen. Es gibt einen seltsamen westlichen Idealismus, der zum Beispiel seine eigene Sichtweise auf den Buddhismus als angeblich sanfte, friedliche Religion entwickelt hat und nicht wahrhaben will, dass buddhistische Mönche in Myanmar einfach so Andersgläubige als minderwertig und quasi zum Abschusss Freigegebene behandelt.

Dass in Deutschland wahrscheinlich nur wenige offen sagen, dass sie sich aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit als mehr wert ansehen als andere, ändert daran ja nix.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(11 Dec 2017, 08:54)

Ja, ich bin jetzt fast durch, werde mir heute noch die Milieustudie des Heidelberger Sinus-Institus, auf die er sich stützt, anschauen. Im Grunde stehen für mich die 30 % der neuen kulturellen Mittelschicht für diejenigen, die die Herren über den gesamten Valorisierungsprozess sind. Die anderen 70 % (mit Ausnahme des 1 % der Superreichen) sind diejenigen, die nicht unbedingt sozial oder ökonomisch, aber auf jeden Fall kulturell abgehängt sind. Er hat das wirklich erstklassig herausgearbeitet. Es sollte Pflichtlektüre für einige hier sein :D
Ob Du nicht mit der Bezeichnung "Herren" über irgendeinen Prozess doch irgendwie dabei bist, menschliche Tätigkeiten zu verdammen statt sie zu begreifen ... da bin ich mir nicht so ganz sicher. Es findet einfach statt. In sehr vielen Fällen dürfte die Ablehnung von Dingen wie Leitkultur, Identität, "Werte", Kulturgemeinschaft usw. eher Konsequenz aus einer Selbsbetroffenheit von objektiv laufenden gesellschaftlichen Prozessen sein. Die man keineswegs selbst angestoßen hat und die man auch nicht "beherrscht". Man hat nur eingesehen, dass es auf Dauer unsinnig ist, sich ihnen entgegenzustellen. Die Welt in soundsoviel Dekaden wird eben doch eine ganz grundsätzlich andere sein.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 09:32)

Ob Du nicht mit der Bezeichnung "Herren" über irgendeinen Prozess doch irgendwie dabei bist, menschliche Tätigkeiten zu verdammen statt sie zu begreifen ... da bin ich mir nicht so ganz sicher. Es findet einfach statt. In sehr vielen Fällen dürfte die Ablehnung von Dingen wie Leitkultur, Identität, "Werte", Kulturgemeinschaft usw. eher Konsequenz aus einer Selbsbetroffenheit von objektiv laufenden gesellschaftlichen Prozessen sein. Die man keineswegs selbst angestoßen hat und die man auch nicht "beherrscht". Man hat nur eingesehen, dass es auf Dauer unsinnig ist, sich ihnen entgegenzustellen. Die Welt in soundsoviel Dekaden wird eben doch eine ganz grundsätzlich andere sein.
Reckwitz beschreibt einen Prozess, er nimmt dazu wenig Stellung. Unsere Aufgabe ist es, das zu verstehen und zu interpretieren. Er beschäftigt sich ja nicht mit den Folgen, wobei er als Linker gegen Ende hin schon unterschwellig sein Unbehagen an der kulturellen Ökonomisierung durchscheinen lässt. Wolfgang Ullrich, auf den er sich teilweise stark stützt, hat den Valorisierungsprozess in seinem "Wahre Meisterwerte" genau auf die Folgen für die Gesellschaft hin untersucht.

Was deinen Fatalismus ;) angeht: Reckwitz sagt schon deutlich, dass der Prozess eine ökonomische Grundlage hat, denn das, was in den privaten Bereichen Essen, Wohnen etc. passiert, muss man sich auch leisten können. Er wäre ab der zweiten Hälfte (nach dem Kapitel über die Arbeit) eigentlich Wasser auf die Mühlen von Linken, deren Linkssein sich nicht auf dieses kulturelle Bessersein beschränkt, sondern die den Kapitalismus in progress sehen und kritisieren wollen. Aber hier tappen dann einige Linke in ihre eigenen Fallen: Sie fühlen sich kulturell den 30 % kulturell Mittelschichtigen zugehörig, müssten aber für die kulturell Abgehängten, also für die, die sie im Grunde ihres kulturellen Werte-Herzens verachten, Politik machen. Frau Wagenknecht weiß das, aber schon die Mehrheit der Linkspartei bekommt das nicht mehr auf die Reihe. Und deshalb muss man sich auch nicht wundern, dass die Linke prozentual den höchsten Aderlass an die AfD hinnehmen musste.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Billie Holiday »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 09:24)

Na Mensch, B.H., ich hab' doch grad' zwei Beiträge weiter oben ein Beispiel aus der Realität beschrieben, die genau das verdeutlichen.

Und einfach nur fünf Minuten Radio-Nachrichten werden das mit großer Wahrscheinlichkeit bestätigen. Es gibt einen seltsamen westlichen Idealismus, der zum Beispiel seine eigene Sichtweise auf den Buddhismus als angeblich sanfte, friedliche Religion entwickelt hat und nicht wahrhaben will, dass buddhistische Mönche in Myanmar einfach so Andersgläubige als minderwertig und quasi zum Abschusss Freigegebene behandelt.

Dass in Deutschland wahrscheinlich nur wenige offen sagen, dass sie sich aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit als mehr wert ansehen als andere, ändert daran ja nix.
Du kannst also in die Köpfe gucken. Ist dir schon in den Sinn gekommen, wer sich über seinen vermeintlichen Mehrwert nicht äußert, empfindet diesen auch nicht?
Hauptsache, sich moralisch als mehrwertig fühlen, nicht wahr? :D
Letztlich spielen du oder Selina sich erstmal als mehrwertig auf, indem anderen unterstellt wird, sich mehrwertig zu fühlen. Selbsternannte moralische Instanzen.
Hoffentlich ist es bequem dort oben auf dem moralischen Thron.
Nenn doch mal außerhalb rechtsextremen Spacken noch andere, die den ganzen Tag darüber nachdenken, dass sie besser seien als andere.
Unterschiede zu sehen ist erlaubt?
Ich bleibe mal hier in Deutschland, irgendwelche Buddhisten interessieren mich nicht.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Selina »

Billie Holiday hat geschrieben:(11 Dec 2017, 10:03)

Du kannst also in die Köpfe gucken. Ist dir schon in den Sinn gekommen, wer sich über seinen vermeintlichen Mehrwert nicht äußert, empfindet diesen auch nicht?
Hauptsache, sich moralisch als mehrwertig fühlen, nicht wahr? :D
Letztlich spielen du oder Selina sich erstmal als mehrwertig auf, indem anderen unterstellt wird, sich mehrwertig zu fühlen. Selbsternannte moralische Instanzen.
Hoffentlich ist es bequem dort oben auf dem moralischen Thron.
Nenn doch mal außerhalb rechtsextremen Spacken noch andere, die den ganzen Tag darüber nachdenken, dass sie besser seien als andere.
Unterschiede zu sehen ist erlaubt?
Ich bleibe mal hier in Deutschland, irgendwelche Buddhisten interessieren mich nicht.
Warum du dich immer angesprochen fühlst. Schleierhaft. Die Rede ist doch gerade von deinen viel zitierten "Spacken", nur um in deiner Diktion zu bleiben, also von Nationalisten und solchen, die sich ihnen nahe fühlen. Wenn du dich nicht dazugehörig fühlst, ist doch alles bestens. Wo ist das Problem?
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(11 Dec 2017, 09:53)

Reckwitz beschreibt einen Prozess, er nimmt dazu wenig Stellung. Unsere Aufgabe ist es, das zu verstehen und zu interpretieren. Er beschäftigt sich ja nicht mit den Folgen, wobei er als Linker gegen Ende hin schon unterschwellig sein Unbehagen an der kulturellen Ökonomisierung durchscheinen lässt. Wolfgang Ullrich, auf den er sich teilweise stark stützt, hat den Valorisierungsprozess in seinem "Wahre Meisterwerte" genau auf die Folgen für die Gesellschaft hin untersucht.

Was deinen Fatalismus ;) angeht: Reckwitz sagt schon deutlich, dass der Prozess eine ökonomische Grundlage hat, denn das, was in den privaten Bereichen Essen, Wohnen etc. passiert, muss man sich auch leisten können. Er wäre ab der zweiten Hälfte (nach dem Kapitel über die Arbeit) eigentlich Wasser auf die Mühlen von Linken, deren Linkssein sich nicht auf dieses kulturelle Bessersein beschränkt, sondern die den Kapitalismus in progress sehen und kritisieren wollen. Aber hier tappen dann einige Linke in ihre eigenen Fallen: Sie fühlen sich kulturell den 30 % kulturell Mittelschichtigen zugehörig, müssten aber für die kulturell Abgehängten, also für die, die sie im Grunde ihres kulturellen Werte-Herzens verachten, Politik machen. Frau Wagenknecht weiß das, aber schon die Mehrheit der Linkspartei bekommt das nicht mehr auf die Reihe. Und deshalb muss man sich auch nicht wundern, dass die Linke prozentual den höchsten Aderlass an die AfD hinnehmen musste.
Nicht, dass ich nicht wüsste oder zumindest ahnte, welchen Bevölkerungsteil Du mit den "kulturell Besserseienden" meinst. Die Tatsache, dass ich nicht zu den schon mal so bezeichneten "Luxuslinken" gehöre sondern morgens in der Regel an Obdachlosen in Schöneweide und abends an russischen oder russlanddeutschen Jugendlichen in Marzahn vorbeiradle und auch sehr gut die prekären Verhältnisse in Osteuropa kenne, hält mich nicht im Mindesten davon ab, gegen die Wiederhinwendung zu "Kulturzusammengehörigkeit" einzutreten.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 10:19)

Nicht, dass ich nicht wüsste oder zumindest ahnte, welchen Bevölkerungsteil Du mit den "kulturell Besserseienden" meinst. Die Tatsache, dass ich nicht zu den schon mal so bezeichneten "Luxuslinken" gehöre sondern morgens in der Regel an Obdachlosen in Schöneweide und abends an russischen oder russlanddeutschen Jugendlichen in Marzahn vorbeiradle und auch sehr gut die prekären Verhältnisse in Osteuropa kenne, hält mich nicht im Mindesten davon ab, gegen die Wiederhinwendung zu "Kulturzusammengehörigkeit" einzutreten.
Ich meine damit jenen von Reckwitz mit 30 % angegebenen Teil des neuen Mittelstandes, der den alten abgelöst hat. Jene, die in dem von ihm im Paternosterbild als diejenigen beschriebenen wurden, die in der nach oben fahrenden Kabine sitzen. (Ich persönlich habe immer versucht, die Treppe zu nehmen, weil mich vor Automatismen graust.) Mit Luxuslinken hat das nichts zu tun, denn Reckwitz sagt ja klar, dass Geld zwar eine Rolle spielt, aber auf der Ebene der Valorisierungen dann nicht die vordergründige.

Frau Kipping und Frau Wagenknecht sind sicher exemplarisch. Sozial ähneln die sich sicher, aber Sarah Wagenknecht reiht sich anders als Frau Kipping nicht in die neue Werteklasse ein, sondern richtet den Blick weiterhin etwas konservativer bevorzugt auf das Soziale und nicht das Kulturelle. Frau Kipping kann nur bei den 30 % neuer Mittelklasse fischen, Sarah Wagenknecht überall. Das ist der Unterschied. Mit Luxus hat das nichts zu tun, sondern mit kulturellen Werten. Wagenknecht beugt sich dem Entwerten nicht, Kipping ist Teil derer, die entwerten. So würde ich das etwas sehr verkürzt sehen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Billie Holiday »

Selina hat geschrieben:(11 Dec 2017, 10:09)

Warum du dich immer angesprochen fühlst. Schleierhaft. Die Rede ist doch gerade von deinen viel zitierten "Spacken", nur um in deiner Diktion zu bleiben, also von Nationalisten und solchen, die sich ihnen nahe fühlen. Wenn du dich nicht dazugehörig fühlst, ist doch alles bestens. Wo ist das Problem?

Nur dass Du und deinesgleichen die Deutungshoheit haben wollt, wer denn ein rechter Spacken ist. Mittlerweile ja wohl nahezu jeder.

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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Billie Holiday hat geschrieben:(11 Dec 2017, 10:03)
Letztlich spielen du oder Selina sich erstmal als mehrwertig auf, indem anderen unterstellt wird, sich mehrwertig zu fühlen.
Nicht um unterstellte Mehrwertigkeit geht es. Von meiner Seite jedenfalls. Eher um unterstellte grundsätzliche "Inkompatibilität". Schau doch nur mal auf die Entwicklung islamisch geprägter Gemeinschaften im Westbalkan oder im Nordkaukasus. Noch vor kurzer Zeit absolut liberal, friedlich, modern. Schweinfleisch? Schnaps? Minirock? Privatsache! Es ist doch völlig offensichtlich, dass es sich nicht um grundsätzliche Inkompatibilitäten sondern um Reaktionen auf aktuelle gesellschaftliche, weltpolitische Veränderungen handelt.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Billie Holiday hat geschrieben:(11 Dec 2017, 11:25)

Nur dass Du und deinesgleichen die Deutungshoheit haben wollt, wer denn ein rechter Spacken ist. Mittlerweile ja wohl nahezu jeder.

Ich habe keine Probleme, weder benötige ich dringend Nazis, noch suche ich sie.
Ich möchte nur mal wissen, was es mit diesem Narrativ von der "Deutungshoheit" auf sich hat. Man sagt oder schreibt, was man denkt. Naja. Was ich für völlig normal und jedem zugestanden halte ist nun plötzlich die "Inanspruchnahme einer Deutungshoheit". Hört sich irgendwie vornehm an. Ist aber einfach nur normal. Soll ich das als meine Meinung ausgeben, was andere denken, nur um dem Vorwurf der Deutungshoheitinanspruchnahme zu begegnen?
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Tom Bombadil »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 11:27)

Es ist doch völlig offensichtlich, dass es sich nicht um grundsätzliche Inkompatibilitäten sondern um Reaktionen auf aktuelle gesellschaftliche, weltpolitische Veränderungen handelt.
Dann erklär doch mal bitte, warum sich Muslime im Westbalkan oder Nordkaukasus wegen der Weltpolitik radikalisieren müssen!
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Billie Holiday hat geschrieben:(11 Dec 2017, 11:25)

Nur dass Du und deinesgleichen die Deutungshoheit haben wollt, wer denn ein rechter Spacken ist. Mittlerweile ja wohl nahezu jeder.
Wer ausgrenzt, muss das rationalisieren. "Rechts" ist einer der Ausgrenz(ungs)steine. Pater Lorenzo (Goyas Geister) ist derzeit halt im Weltlichen aktiv. Am Ende frisst ihn die selbst provozierte Restauration oder die eigene Revolution (wie, da ich gerade bei Filmen bin, im Hotel Lux so schön gezeigt).
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 11:36)

Ich möchte nur mal wissen, was es mit diesem Narrativ von der "Deutungshoheit" auf sich hat. Man sagt oder schreibt, was man denkt. Naja. Was ich für völlig normal und jedem zugestanden halte ist nun plötzlich die "Inanspruchnahme einer Deutungshoheit". Hört sich irgendwie vornehm an. Ist aber einfach nur normal. Soll ich das als meine Meinung ausgeben, was andere denken, nur um dem Vorwurf der Deutungshoheitinanspruchnahme zu begegnen?
Am Ende des Reckwitz kannst du feststellen: Die von ihm als die tonangebende kulturelle Mittelschicht angeführte "Klasse" ist meinungssetzend. Die gesamte politische Klasse (außer AfD) und sicher um die 90 % der schreibenden Zunft aus der Qualitätspresse gehören diesem Segment an- und Meinungen bilden sich nun einmal in solchen Räumen. In diesem Milieu liegt die absolute Lufthoheit über den Diskurs, also die Wertungen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Tom Bombadil hat geschrieben:(11 Dec 2017, 11:37)

Dann erklär doch mal bitte, warum sich Muslime im Westbalkan oder Nordkaukasus wegen der Weltpolitik radikalisieren müssen!
Das ist ein höchst interessantes Thema. Und von "müssen" ist gar nicht die Rede. Sie tuns einfach. Es hat mit dem ganzen Themenbereich Kulturalisierung, Singularitäten vs. Allgemeines zu tun. Auch auf Gruppen trifft diese Tendenz zur Singularisierung zu. Man will sich unterscheiden, abgrenzen. Es ist auch nicht so sehr die Weltpolitik der Politiker sondern überhaupt die Entwicklung der Welt in vielfacher Hinsicht. Es ist nichts an die Stelle der Ideologien der ehemaligen Sowjetunion und des ehemaligen Jugoslawiens getreten. Insbesondere die 90er Jahre wurden von den Menschen in diesen Regionen als Jahrzehnte von Konsum, Geld, Globalisierung, Entwurzelung wahrgenommen. Die globale Ökonomie arbeitet ohnehin unablässig an Entgrenzungen. Es ist völlig sinnlos, gegen diese Entgrenzungen kulturelle Abgrenzungen zu setzen. Es wird unablässig Öl und Gas aus dem arabischen Raum nach Europa strömen und die Gewinne aus diesen Geschäften werden in europäische Unternehmen und westbalkanesische Einkaufszentren fließen. Nötig wäre die Schaffung eines neuen welteinigenden Grundgedankens. Über alle Nationen und Religionen hinweg.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(11 Dec 2017, 11:44)

Am Ende des Reckwitz kannst du feststellen: Die von ihm als die tonangebende kulturelle Mittelschicht angeführte "Klasse" ist meinungssetzend. Die gesamte politische Klasse (außer AfD) und sicher um die 90 % der schreibenden Zunft aus der Qualitätspresse gehören diesem Segment an- und Meinungen bilden sich nun einmal in solchen Räumen. In diesem Milieu liegt die absolute Lufthoheit über den Diskurs, also die Wertungen.
Ja Gott. Verbietet irgendjemand einem anderen, seine Meinung schreibend oder sagend zu äußern? Oder umgekehrt, sich einer geäußerten Meinung anzuschließen? In der nächsten Tankstelle lag sogar illegalerweise seinerzeit ein Sarrazin-Buch zum Verkauf aus, ohne dass das den Betreibern verboten wurde.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Tom Bombadil »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 11:55)

Das ist ein höchst interessantes Thema. Und von "müssen" ist gar nicht die Rede. Sie tuns einfach.
"Muss" als unausweichliche Folge der Weltpolitik. Aber ich finde es interessant, dass Verständnis für das Verhalten von Muslimen im Westbalkan und Nordkaukasus aufgebracht wird, während man für Deutsche, die mit der sich immer schneller drehenden Welt nicht klarkommen, nur Hohn und Spott übrig hat.
Nötig wäre die Schaffung eines neuen welteinigenden Grundgedankens. Über alle Nationen und Religionen hinweg.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von krone »

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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 11:55)

Nötig wäre die Schaffung eines neuen welteinigenden Grundgedankens. Über alle Nationen und Religionen hinweg.
Genau diese Unmöglichkeit, bzw. die Auflösung dessen beschreibt doch Reckwitz. Es ist doch genau das Allgemeine, das sich in der Gesellschaft der Singularitäten auflöst, und "Valorisierung" des Besonderen ist ja nichts als eine unendliche Kultur des Plapperns, des sozialen Konstruierens, nach dem Vorbild des Marktes. Der Grundgedanke ist darin längst enthalten: Alles kann ver-wertet, zu etwas Besonderem werden. Aber dazu muss das Individuum alle anderen Bindungen über Bord werfen, sonst wird das nichts.
… habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. (Spinoza)
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 11:57)

Ja Gott. Verbietet irgendjemand einem anderen, seine Meinung schreibend oder sagend zu äußern? Oder umgekehrt, sich einer geäußerten Meinung anzuschließen? In der nächsten Tankstelle lag sogar illegalerweise seinerzeit ein Sarrazin-Buch zum Verkauf aus, ohne dass das den Betreibern verboten wurde.
Niemandem ist es verboten seine Meinung zu äußern.
Aufgabe der Medien (Presse, Funk, TV) zu informieren - und zwar neutral, vorurteilfrei - und nicht meinungsbildend zu agieren.
Genau dieser Informationsaufgabe kommen sie Medien nicht (mehr) nach, stattdessesn agieren sie meinungsbildend - heißt sie beanspruchen die Deutungshoheit darüber, welche Meinung politisch korrekt und damit akzeptabel ist (ihre natürlich) und welche nicht - nennt sich auch indoktrinieren.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.

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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(11 Dec 2017, 12:25)

Genau diese Unmöglichkeit, bzw. die Auflösung dessen beschreibt doch Reckwitz. Es ist doch genau das Allgemeine, das sich in der Gesellschaft der Singularitäten auflöst, und "Valorisierung" des Besonderen ist ja nichts als eine unendliche Kultur des Plapperns, des sozialen Konstruierens, nach dem Vorbild des Marktes. Der Grundgedanke ist darin längst enthalten: Alles kann ver-wertet, zu etwas Besonderem werden. Aber dazu muss das Individuum alle anderen Bindungen über Bord werfen, sonst wird das nichts.
Nun - in diesem Zusammenhang frage ich mich, ob diejenigen, die als "Abgehängte" bezeichnet werden, wirklich die "Abgehängten" sind, weil sie sich gegen Entwurzelung, gegen das Überbordwerfen jeglicher Bindungen zur Wehr setzen oder ob das im Gegenteil diejenigen sind, die die menschliche Natur (Neurobiologie, evolutionäre Psychologie etc) anerkennen statt zu leugnen und entsprechend dieser Natur leben - also eigentlich die Realisten sind.
Während die anderen, die sich Kosmopoliten nennen, die Verfechter des Sozialkonstruktivismus, die alles zu entwerten suchen, der Entwurzelung und Bindungsfreieheit das Wort reden, eigentlich "Abgehobene" sind, die jeglicher "Bodenhaftung" und jeglichen Realitätsbezugs verlustig gegangen sind.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Dark Angel hat geschrieben:(11 Dec 2017, 12:55)

Nun - in diesem Zusammenhang frage ich mich, ob diejenigen, die als "Abgehängte" bezeichnet werden, wirklich die "Abgehängten" sind, weil sie sich gegen Entwurzelung, gegen das Überbordwerfen jeglicher Bindungen zur Wehr setzen oder ob das im Gegenteil diejenigen sind, die die menschliche Natur (Neurobiologie, evolutionäre Psychologie etc) anerkennen statt zu leugnen und entsprechend dieser Natur leben - also eigentlich die Realisten sind.
Während die anderen, die sich Kosmopoliten nennen, die Verfechter des Sozialkonstruktivismus, die alles zu entwerten suchen, der Entwurzelung und Bindungsfreieheit das Wort reden, eigentlich "Abgehobene" sind, die jeglicher "Bodenhaftung" und jeglichen Realitätsbezugs verlustig gegangen sind.
Nunja - wer hoch steigt, der kann (sehr) tief fallen.
Ja, das steht im Reckwitz auch irgendwo, der letzte Satz. Man zockt beim Werten auch immer, und da sind Aufstiegshöhe und Fallhöhe unter Umständen enorm.

Abgehängt ist als neutraler Ausdruck schon richtig, denn aus Sicht der Zeitgeistdefinierer ist das so, ohne dass damit natürlich die Frage nach Vernunft oder Sinn des Prozesses beantwortet wäre. Reckwitz' Blick ist überwiegend rein systemisch und nicht psychologisch, und in diesem Falle fand ich das sehr hilfreich, weil man mit ihm versteht, was stattfindet und wie das abläuft. Eine moralische Rechtfertigung oder Ablehnung ist sein Auftrag nicht gewesen. Da hat er überwiegend einen guten Job gemacht. Die Werteseite kann man wie gesagt bei Ullrich kurz und knackig nachlesen, die Überforderungsseite dieser Wertespieler hat Ehrenberg in seinen beiden Büchern in epischer Breite dargestellt - wobei man lustigerweise sagen muss, dass selbst noch der Burnout, der sich aus der Erschöpfung ergibt, wiederum als Besonderes ver-wertbar ist, siehe Miriam Meckel oder Tim Mälzer, die den Burnout mit ihren Schriften und Bekenntnissen auch ins Besondere gehoben haben.

Werte, so sieht man, sind die neue Realität. :D
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(11 Dec 2017, 12:45)

Niemandem ist es verboten seine Meinung zu äußern.
Aufgabe der Medien (Presse, Funk, TV) zu informieren - und zwar neutral, vorurteilfrei - und nicht meinungsbildend zu agieren.
Genau dieser Informationsaufgabe kommen sie Medien nicht (mehr) nach, stattdessesn agieren sie meinungsbildend - heißt sie beanspruchen die Deutungshoheit darüber, welche Meinung politisch korrekt und damit akzeptabel ist (ihre natürlich) und welche nicht - nennt sich auch indoktrinieren.
Ersteinmal haben in einem System mit Pressefreiheit die Medien keine "Aufgabe". Die Medien können Comic-Serien oder Nacktfotos oder sonsterwas produzieren. Der öffentlich-rechtliche Bereich lediglich hat den Auftrag einer Grundversorgung. (Auch wenn er den zunehmend nicht mehr wahnimmt). Und es gibt den besonders aus dem anglo-amerikanischen Bereich kommenden Usus, zwischen Information und Meinungsäußerung zu trennen. Aber selbst bei den verbliebenen, nach diesem klassischen Prinzip arbeitenden Medien ist selbstverständlich auch Meinungsäußerung angesagt. Sonst müsste man sie ja nicht von neutraler Information trennen sollen.

Berechtigterweise müsste man von einer Deutungshoheitsinanspruchnahme sprechen, wenn es irgendwelche Kartellstrukturen gäbe. Wenn Banken genötigt würden, neuen Medien keine Kredite zu geben oder wenn Distributoren genötigt würden, bestimmte Presseerzeugnisse nicht zu verteilen. Nix dergleichen ist jedoch der Fall. So wie - innerhalb der Verfassung - jeder 'ne Partei gründen kann, so kann auch jeder 'ne Zeitung gründen, in einem Internetblog schreiben, was er oder sie will usw. usf. Das Bestehen auf irgendeinem Problem "Deutungshoheit" läuft dann letztendlich darauf hinaus, es zu verbieten, dass das, was ein Herr x schreibt von einem Herrn y als schlüssig wahrgenommen wird.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(11 Dec 2017, 12:25)

Genau diese Unmöglichkeit, bzw. die Auflösung dessen beschreibt doch Reckwitz. Es ist doch genau das Allgemeine, das sich in der Gesellschaft der Singularitäten auflöst, und "Valorisierung" des Besonderen ist ja nichts als eine unendliche Kultur des Plapperns, des sozialen Konstruierens, nach dem Vorbild des Marktes. Der Grundgedanke ist darin längst enthalten: Alles kann ver-wertet, zu etwas Besonderem werden. Aber dazu muss das Individuum alle anderen Bindungen über Bord werfen, sonst wird das nichts.
Das ist - logisch gesehen - ein erst mal nicht ganz unberechtigter Gedanke. Auch wenn das Faktische das eine und das Notwendige das andere ist. Wir hatten in einer früheren Phase der Diskussion die Frage der Rechtsordnung als Basis für individuelle Freiheit als liberales Grundprinzip. Auch ich sehe gegenwärtig keinen Weg, dieses Grundprinzip als einigenden Gedanken bei religiösen Menschen (gleich welcher Religion) zu popularisieren. Ja. Aber genau das oder etwas in der Art meinte ich schon.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Dark Angel hat geschrieben:(11 Dec 2017, 12:55)

Nun - in diesem Zusammenhang frage ich mich, ob diejenigen, die als "Abgehängte" bezeichnet werden, wirklich die "Abgehängten" sind, weil sie sich gegen Entwurzelung, gegen das Überbordwerfen jeglicher Bindungen zur Wehr setzen oder ob das im Gegenteil diejenigen sind, die die menschliche Natur (Neurobiologie, evolutionäre Psychologie etc) anerkennen statt zu leugnen und entsprechend dieser Natur leben - also eigentlich die Realisten sind.
Während die anderen, die sich Kosmopoliten nennen, die Verfechter des Sozialkonstruktivismus, die alles zu entwerten suchen, der Entwurzelung und Bindungsfreieheit das Wort reden, eigentlich "Abgehobene" sind, die jeglicher "Bodenhaftung" und jeglichen Realitätsbezugs verlustig gegangen sind.
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Die Kausalrichtung ist in beiden Fällen genau anderstherum. Der Mensch ist in erster Linie von den ihn umgebenden Gegebenheiten geprägt. Kaum jemand wird sich freiwillig "entwurzeln". Den Du Kosmopolit nennst, ist es, versucht aber, damit zurechtzukommen, es zu akzeptieren oder sogar ins Positive zu wenden.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Dark Angel hat geschrieben:(11 Dec 2017, 12:55)

Nun - in diesem Zusammenhang frage ich mich, ob diejenigen, die als "Abgehängte" bezeichnet werden, wirklich die "Abgehängten" sind, weil sie sich gegen Entwurzelung, gegen das Überbordwerfen jeglicher Bindungen zur Wehr setzen oder ob das im Gegenteil diejenigen sind, die die menschliche Natur (Neurobiologie, evolutionäre Psychologie etc) anerkennen statt zu leugnen und entsprechend dieser Natur leben - also eigentlich die Realisten sind.
Während die anderen, die sich Kosmopoliten nennen, die Verfechter des Sozialkonstruktivismus, die alles zu entwerten suchen, der Entwurzelung und Bindungsfreieheit das Wort reden, eigentlich "Abgehobene" sind, die jeglicher "Bodenhaftung" und jeglichen Realitätsbezugs verlustig gegangen sind.
Nunja - wer hoch steigt, der kann (sehr) tief fallen.
Noch einmal einen Extra-Satz dazu: Ich würde das nicht primär als aktive Entwertung sehen, sondern überwiegend als sekundäre Folge einer "Umwertung aller Werte". Da dies im Zuge des reinen Konstruktivismus erfolgt, wären Verhaltensbiologie oder Entwicklungspsychologie nur störend. Das Individuum agiert rein wertegebunden, wertegesteuert, in ihm verwirklicht sich dann Nietzsches Übermensch tatsächlich. Ein vermeintlich allen Grundlagen enthobenes ätherisches Wertewesen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(11 Dec 2017, 13:12)
Ja, das steht im Reckwitz auch irgendwo, der letzte Satz. Man zockt beim Werten auch immer, und da sind Aufstiegshöhe und Fallhöhe unter Umständen enorm.
Der letzte Abschnitt, weil sehr gut und genau formuliert und den Kern auf den Punkt gebracht:
Allerdings: Politische Planungsfantasien einer durchgreifenden Steuerung sozialer und kultureller Prozesse, wie sie die industrielle Moderne prägten, prallen an einer Gesellschaft der Singularitäten ab. Ihre elementare Dynamik bezieht diese nicht aus der Politik - die höchstens indirekt beeinflusst, aber nicht dirigiert - sondern aus dem hyperkulturellem Dreieck, das die Ökonomie der Singularitäten, die Kulturmaschine der digitalen Technologien und der singularistische Lebensstill der neuen Mittelklasse bilden. Und wenn nicht alles täuscht, wird diese Entfesselung der Gesellschaft der Singularitäten in Zukunft erst noch Fahrt aufnehmen, zumal auf globaler Ebene. Die sozialen Asymmetrien und kulturellen Heterogenitäten, welche dieser Strukturwandel der Moderne potenziert, seine nichtplanbare Dynamik von Valorisierungen und Entwertungen, seine Freisetzung positiver und negativer Affekte, lassen Vorstellungen einer rationalen Ordnung, einer egalitären Gesellschaft, einer homogenen Kultur [fett, weil direkt zum Strangthema] und einer balancierten Persönlichkeitsstruktur, wie sie manche noch hegen mögen, damit als das erscheinen, was sie sind: pure Nostalgie.
Sprich: Die "Gesellschaft der Singularitäten" wird nicht gemacht. Zum Beispiel von denen, die sie gern so hätten. Sondern sie ist. Und der Gegenentwurf kann durchaus gewollt sein. Aber machbar ist letzendlich auch er nicht. Nostalgie, Realitätsverweigerung oder Akzeptanz von Realität ist die Frage. Nicht irgendein ideologischer Vorsatz.

Und "Valorisierung" heißt "Wertsicherung". Heißt, einer Entwertung eine Aufwertung entgegenzusetzen. Entwertung und Valorisierung finden ständig und gegeneinander statt. Bei Sextus steht, wenn ichs richtig in Erinnerung habe, fast immer nur "Valorisierung" im Vordergrund.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 14:00)

Der letzte Abschnitt, weil sehr gut und genau formuliert und den Kern auf den Punkt gebracht:

Sprich: Die "Gesellschaft der Singularitäten" wird nicht gemacht. Zum Beispiel von denen, die sie gern so hätten. Sondern sie ist. Und der Gegenentwurf kann durchaus gewollt sein. Aber machbar ist letzendlich auch er nicht. Nostalgie, Realitätsverweigerung oder Akzeptanz von Realität ist die Frage. Nicht irgendein ideologischer Vorsatz.

Und "Valorisierung" heißt "Wertsicherung". Heißt, einer Entwertung eine Aufwertung entgegenzusetzen. Entwertung und Valorisierung finden ständig und gegeneinander statt. Bei Sextus steht, wenn ichs richtig in Erinnerung habe, fast immer nur "Valorisierung" im Vordergrund.
Woher beziehst du nicht gemacht? Er sagt ja vorne:
Die Singularitäten sind nicht kurzerhand objektiv oder subjektiv vorhanden, sondern durch und durch sozial fabriziert.
Dass diese politischen Planungsphantasien tatsächlich Unsinn sind, ist ja gerade auch mein Punkt, wenn ich mich dagegen wehre, dass Politik bis ins Allerprivateste vordringt und mir aus hypermoralischen Gründen alle diese vermeintlichen Werte mittels Verrechtlichung aufs Auge drücken will. Und mit seinem letzten Satz, den du zitierst, tut er das, was auch Neurowissenschaftler über ein oder anderthalb Jahrzehnte so großspurig taten: Sie wollen die Prozesse, die sie beschreiben, selbst interpretieren. Reckwitz geht hier direkt von dem, was ist, was stattfindet, was fabriziert wird, in eine Rechtfertigung über. Man sieht ja an seiner Literaturliste: Er hat eigentlich nichts aus den Naturwissenschaften gelesen, keine Psychologie, keine Verhaltensbiologie, keine Neurowissenschaftler, einfach nichts. Und lies mal nicht bloß die Vokabel "homogen", lies auch mal "keine rationale Ordnung, keine egalitäre Gesellschaft, keine balancierte Persönlichkeitsstruktur" (keine Ahnung, was er sich unter letzterem vorstellt). Er muss also die Konsequenzen, die man aus seiner Beschreibung, die Wertungen, die Interpretation usw. schon seinen Lesern überlassen. Seine Aufgabe ist es, uns zu klären, was stattfindet, nicht uns zu sagen: Das ist das Schicksal, nehmt es hin. Denn diejenigen, die da fabrizieren, könnten ja auch einen an der Waffel haben (ums mal zuzuspitzen).
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Uffzach »

odiug hat geschrieben:(10 Dec 2017, 18:34)

Gut ... das ist aber ein formaler Fehler von Merkel, angesichts der Mehrheitsverhältnisse im damaligen Bundestag.
Aber prinzipiell gebe ich dir da sogar recht, dieser formale Fehler zeigt ein zumindest fragwürdiges Demokratieverständnis über die Rolle des Parlaments der Bundesregierung ... ist aber kein Rechtsbruch ... deswegen ist Merkel nicht kriminell.
Und natürlich kann man dir auch den Europäischen Gerichtshof entgegenhalten:

http://www.focus.de/politik/deutschland ... 00677.html
Nochmal zur Wiederholung: ich akzeptiere ja die Eintrittsklausel für die einmalige Aufnahme von Flüchtlingen aus Ungarn. Der Rechtsbruch den Merkel begangen hat liegt in der anschließenden Passivität gegenüber der massenhaften illegalen Einwanderung über die folgenden Monate hinweg. Hier hat Merkel als Regierungschef die Aufgaben des Staates zur Sicherung seiner Grenzen gegen illegalen Zutritt auf das Staatsgebiet Deutschland vorsätzlich nicht erfüllt. Eine Amtsenthebung wäre notwendigerweise die angemessene Konsequenz gewesen, wenn sich irgendjemand im BT gefunden hätte, der dagegen vorgegangen wäre. Der Umstand, dass niemand auch aus der Opposition seine Stimme dagegen erhoben hat, validiert den Vorwurf der diesbzgl. gegen die seinerseits im BT vertretenen Parteien erhoben wird. Es handelte sich de facto um eine gemeinschaftlich begangene Verschwörung von CDU/CSU, SPD, Grünen und Linken gegen den deutschen Staat und seine Bürger. Denn es ist Aufgabe des deutschen Staates sein Staatsgebiet vor illegalem Eindringen zu schützen zum Schutz seiner Bürger.

Recht und Ordnung kann die Kultur sein, die verbindend wirkt. Wird der Staat allerdings durch die Regierenden selbst unterminiert, dann entfällt notwendigerweise der Zusammenhalt in der Gesellschaft der Staatsbürger.
Zuletzt geändert von Uffzach am Mo 11. Dez 2017, 15:08, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von relativ »

Uffzach hat geschrieben:(11 Dec 2017, 14:49)

Nochmal zur Wiederholung: ich akzeptiere ja die Eintrittsklausel für die einmalige Aufnahme von Flüchtlingen aus Ungarn. Der Rechtsbruch den Merkel begangen hat liegt in der anschließenden Passivität gegenüber der massenhaften illegalen Einwanderung über die folgenden Monate hinweg. Hier hat Merkel als Regierungschef die Aufgaben des Staates zur Sicherung seiner Grenzen gegen illegalen Zutritt auf das Staatsgebiet Deutschland vorsätzlich nicht erfüllt. Eine Amtsenthebung wäre notwendigerweise die angemessene Konsequenz gewesen, wenn sich irgendjemand im BT gefunden hätte, der dagegen vorgegangen wäre. Der Umstand, dass niemand auch aus der Opposition seine Stimme dagegen erhoben hat, validiert den Vorwurf der diesbzgl. gegen die seinerseits im BT vertretenen Parteien erhoben wird. Es handelt sich de facto um eine gemeinschaftlich begangene Verschwörung von CDU/CSU, SPD, Grünen und Linken gegen den deutschen Staat und seine Bürger. Denn es ist Aufgabe des deutschen Staates sein Staatsgebiet vor illegalem Eindringen zu schützen zum Schutz seiner Bürger.
Sorry , aber ob der vorrauszusehenden Ausnahmesituation hier von Illegal zu sprechen ist für mich in der Sitaution Sackhaarspalterrei, vor allem wenn man noch, wie du es ja tust, die einmalige Aufnahme der Flüchtlinge aus Ungarn akzeptiert. denn diese Reaktion war ja Auslöser, weiterer Flüchtlingswellen aus der Türkei,Syrien und anderen Regionen der Erde
Was man der Politik und auch Frau Merkel vorwerfen kann und auch muss ist, daß sie dieses Thema Jahrzehntelang verpennt haben, weil man damit eben keine Wahlen gewinnt.
Bei der damaligen Situation hätte nur ein gemeinsames handeln der EU geholfen, die Schließung der Grenzen hätte die Probleme, ja nur exponentiell in die äußeren EU Länder verlagert.
Das Banale braucht man nicht zu schälen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Uffzach »

relativ hat geschrieben:(11 Dec 2017, 15:07)

Sorry , aber ob der vorrauszusehenden Ausnahmesituation hier von Illegal zu sprechen ist für mich in der Sitaution Sackhaarspalterrei, vor allem wenn man noch, wie du es ja tust, die einmalige Aufnahme der Flüchtlinge aus Ungarn akzeptiert. denn diese Reaktion war ja Auslöser, weiterer Flüchtlingswellen aus der Türkei,Syrien und anderen Regionen der Erde
Was man der Politik und auch Frau Merkel vorwerfen kann und auch muss ist, daß sie dieses Thema Jahrzehntelang verpennt haben, weil man damit eben keine Wahlen gewinnt.
Es geht hier nicht darum, was man Merkel als Parteipolitikerin vorwerfen kann, sondern es geht darum, was man Merkel als Oberhaupt der staatlichen Exekutive vorwerfen muss und wofür sie zur Rechenschaft gezogen werden müsste: Sie hat ihre Aufgabe des Schutzes des Staatsgebietes vorsätzlich nicht erfüllt.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von relativ »

Uffzach hat geschrieben:(11 Dec 2017, 15:12)

Es geht hier nicht darum, was man Merkel als Parteipolitikerin vorwerfen kann, sondern es geht darum, was man Merkel als Oberhaupt der staatlichen Exekutive vorwerfen muss und wofür sie zur Rechenschaft gezogen werden müsste: Sie hat ihre Aufgabe des Schutzes des Staatsgebietes vorsätzlich nicht erfüllt.
Was sie Tat war eine Abwägung der Möglichkeiten, von Vorrsatz, oder sogar Heimatverrat zu sprechen ist völliger Humbug.
Auch rechtlich ist die Lage nicht so eindeutig wie du sie hier darstellen möchtest.
Das Banale braucht man nicht zu schälen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Uffzach »

relativ hat geschrieben:(11 Dec 2017, 15:20)

Was sie Tat war eine Abwägung der Möglichkeiten, von Vorrsatz, oder sogar Heimatverrat zu sprechen ist völliger Humbug.
Auch rechtlich ist die Lage nicht so eindeutig wie du sie hier darstellen möchtest.
Klar, als die Flüchtlinge aus Ungarn aufgenommen waren, hat sie abgewogen, ob sie zulässt, dass dies als Einladung zum illegalen Grenzübertritt missverstanden werden kann, indem sie die Einmaligkeit gar nicht hervorhebt und die Grenzen offenlässt, oder ob sie die Einmaligkeit hervorhebt und die Sicherung der Staatsgrenzen veranlasst. Sie hat sich für ersteres entschieden und damit ihr Amt missbraucht und Schaden für Deutschland und seine Bürger verursacht.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von relativ »

Uffzach hat geschrieben:(11 Dec 2017, 15:30)

Klar, als die Flüchtlinge aus Ungarn aufgenommen waren, hat sie abgewogen, ob sie zulässt, dass dies als Einladung zum illegalen Grenzübertritt missverstanden werden kann, indem sie die Einmaligkeit gar nicht hervorhebt und die Grenzen offenlässt, oder ob sie die Einmaligkeit hervorhebt und die Sicherung der Staatsgrenzen veranlasst. Sie hat sich für ersteres entschieden und damit ihr Amt missbraucht und Schaden für Deutschland und seine Bürger verursacht.
Das ist Quatsch, sie hat keine Einladung ausgesprochen, sondern es wurde weiterhin gesagt das Dublin 3 zählt , nur war der mittlerweile ein zahnloser Tiger, weil sich keine EU Land der Flüchtlingsroute mehr daran halten wollte, noch konnte.
Die Ereignisse waren nunmal Aussergewöhnlich. Da von einer absichtlich herbeigeführten Sitaution seitens Merkel/Politik zu palavern ist einfach nur hirnrissig.
Naja Schaden ja, aber mom. auch nicht mehr als der nicht fertiggestellte Berliner Flughafen.
Was man Merkel vorwerfen kann ist, daß sie wohl nicht mit dem unsolidarischen Verhalten einiger EU Länder ob dieser Krise gerechnet hat. Was man der deutschen Politik, aber nicht nur ihr, insgesamt vorwerfen kann ist, daß sie sich in den Jahren davor, bei den europäischen Flüchtlingsproblem immer schön einen schlanken Fuss gemacht haben und bei dem Problem, mehr oder weniger, die EU Mittelmeerstaaten im Stich gelassen haben.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Uffzach »

relativ hat geschrieben:(11 Dec 2017, 15:43)

Das ist Quatsch, sie hat keine Einladung ausgesprochen,...
Man muss nicht explizit eine Einladung aussprechen, wenn das gesamte Verhalten eine Einladung impliziert und man davon ausgehen muss, dass diese angenommen wird.

Aber nochmal, auch wenn dir das wichtigste die Person Merkel als solche zu sein scheint: der eigentlich Punkt hier ist ihr Amtsmissbrauch gegen den deutschen Staat und seine Bürger, denn das Thema ist hier 'Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?' und diese gibt es sicherlich nicht, wenn Recht und Ordnung von denen, die Recht und Ordnung vertreten müssten, mit Füßen getreten werden.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von relativ »

Uffzach hat geschrieben:(11 Dec 2017, 15:51)

Man muss nicht explizit eine Einladung aussprechen, wenn das gesamte Verhalten eine Einladung impliziert und man davon ausgehen muss, dass diese angenommen wird.

Aber nochmal, auch wenn dir das wichtigste die Person Merkel als solche zu sein scheint: der eigentlich Punkt hier ist ihr Amtsmissbrauch gegen den deutschen Staat und seine Bürger, denn das Thema ist hier 'Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?' und diese gibt es sicherlich nicht, wenn Recht und Ordnung von denen, die Recht und Ordnung vertreten müssten, mit Füßen getreten werden.
Das was du Thematisiert hast hat schon lange nix mehr mit dem Threadthema zu tun, da nutzt dir auch die etwas flache Herleitung zum Ende nix mehr. ;)
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(11 Dec 2017, 14:39)

Woher beziehst du nicht gemacht? Er sagt ja vorne:



Dass diese politischen Planungsphantasien tatsächlich Unsinn sind, ist ja gerade auch mein Punkt, wenn ich mich dagegen wehre, dass Politik bis ins Allerprivateste vordringt und mir aus hypermoralischen Gründen alle diese vermeintlichen Werte mittels Verrechtlichung aufs Auge drücken will. Und mit seinem letzten Satz, den du zitierst, tut er das, was auch Neurowissenschaftler über ein oder anderthalb Jahrzehnte so großspurig taten: Sie wollen die Prozesse, die sie beschreiben, selbst interpretieren. Reckwitz geht hier direkt von dem, was ist, was stattfindet, was fabriziert wird, in eine Rechtfertigung über. Man sieht ja an seiner Literaturliste: Er hat eigentlich nichts aus den Naturwissenschaften gelesen, keine Psychologie, keine Verhaltensbiologie, keine Neurowissenschaftler, einfach nichts. Und lies mal nicht bloß die Vokabel "homogen", lies auch mal "keine rationale Ordnung, keine egalitäre Gesellschaft, keine balancierte Persönlichkeitsstruktur" (keine Ahnung, was er sich unter letzterem vorstellt). Er muss also die Konsequenzen, die man aus seiner Beschreibung, die Wertungen, die Interpretation usw. schon seinen Lesern überlassen. Seine Aufgabe ist es, uns zu klären, was stattfindet, nicht uns zu sagen: Das ist das Schicksal, nehmt es hin. Denn diejenigen, die da fabrizieren, könnten ja auch einen an der Waffel haben (ums mal zuzuspitzen).
Zwischen "sozial fabriziert" und "nicht gemacht" besteht für mich kein Widerspruch. Ab einer gewissen Mindestmenge von Individuen ist das sozial Fabrizierte für den Einzelnen nicht mehr (bewusst) "gemacht", auch wenn es natürlich immer noch durch die Tätigkeit von Menschen geschieht. Ein System ist mehr als die Summe seiner Bestandteile.

Wie er das mit der "balancierten Persönlichkeitsstruktur" (parallel zu Ordnung und Gesellschaft) meinte, ist mir auch nicht ganz klar.

"Verrechtlichung" sehe ich, ganz im Gegenteil als Distanz-Phänomen. Vor dem Recht sind erstens alle gleich und zweitens ist Recht immer ausformulierter Text. Man kann ihn lesen und sich daran halten (oder nicht). Ganz und gar anders als diffuse moralische Appelle oder kulturelle "Werte".
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Sextus Ironicus
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 15:55)

Zwischen "sozial fabriziert" und "nicht gemacht" besteht für mich kein Widerspruch. Ab einer gewissen Mindestmenge von Individuen ist das sozial Fabrizierte für den Einzelnen nicht mehr (bewusst) "gemacht", auch wenn es natürlich immer noch durch die Tätigkeit von Menschen geschieht. Ein System ist mehr als die Summe seiner Bestandteile.
Hieße aber in der Summe, dass die Angewohnheiten von 30 % der Menschen zu 100 % die Wirklichkeit konstruieren.
Mal abgesehen davon, dass die traditionellen Lebenssichten ja über solche Prozesse plötzlich auch zu wirkmächtigen Singularitäten aufsteigen könnten.
Mich überzeugt die Beschreibung, aber weder das Fatalistische noch das Notwendige. Es folgt ganz bestimmten Logiken, ganz bestimmten Machstrukturen, einem ganz bestimmten Menschenbild. Und letzteres ist das Entscheidende, weil es vollkommen prekär und defizitär ist.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von schokoschendrezki »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(11 Dec 2017, 16:04)

Hieße aber in der Summe, dass die Angewohnheiten von 30 % der Menschen zu 100 % die Wirklichkeit konstruieren.
Warum denn das? Auch mal angenommen, die Prozentzahlen stimmen in etwa: Den "Valorisierungen" stehen mehr oder minder gleichbedeutend die "Entwertungen" gegenüber. Das ist eine ganz zentrale These des Buchs. Die vorgefundene 100% soziale Realität wird von beiden Phänomen gleichermaßen geprägt. Also auch gleichermaßen von den (wenns stimmt) 30 und 70 Prozent.
Zuletzt geändert von schokoschendrezki am Mo 11. Dez 2017, 16:09, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 15:55)


"Verrechtlichung" sehe ich, ganz im Gegenteil als Distanz-Phänomen. Vor dem Recht sind erstens alle gleich und zweitens ist Recht immer ausformulierter Text. Man kann ihn lesen und sich daran halten (oder nicht). Ganz und gar anders als diffuse moralische Appelle oder kulturelle "Werte".
Zur Erinnerung: "We should never doubt that nationalizing the moral life is the first step toward totalitarianism." Das sagt Kenneth Minogue in "The Servile Mind", und da hat er einfach Recht. Und aus dieser Sklavenmoralität heraus entstehen Gesetze übers Essen oder Rauchen bis hin zum Verbot der Sterbehilfe.

Aber das nur nebenbei: wie kommst du auf deinen letzten Satz? Alles, was Reckwitz beschreibt, dreht sich um fabrizierte kulturelle Werte?!
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Uffzach »

relativ hat geschrieben:(11 Dec 2017, 15:54)

Das was du Thematisiert hast hat schon lange nix mehr mit dem Threadthema zu tun, da nutzt dir auch die etwas flache Herleitung zum Ende nix mehr. ;)
Nein nein. Recht und Ordnung ist das einzige, was als verbindendende Kultur wirken kann. Nur vom Staat kann diese kommen, wenn - und nur wenn - er diese auch durchsetzt.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Uffzach hat geschrieben:(11 Dec 2017, 16:41)

Nein nein. Recht und Ordnung ist das einzige, was als verbindendende Kultur wirken kann. Nur vom Staat kann diese kommen, wenn - und nur wenn - er diese auch durchsetzt.
Großer Seufzer. Noch so ein Servile Mind-Vertreter. :rolleyes:

Der Staat ist dazu da, Recht durchzusetzen und die Ordnung aufrecht zu erhalten. Wie das geschieht, in welchem Umfang und mit welchen Mitteln, das ist sicher ein Teil der Kultur. Nähme man aber jetzt deine Maßstäbe, wäre Nordkorea der Idealstaat.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 13:31)

Ersteinmal haben in einem System mit Pressefreiheit die Medien keine "Aufgabe".
Da irrst du aber gewaltig -Verehrtester.
Gerade in einem System der Pressefreiheit haben Medien (sogar mehrere) Aufgaben bzw Funktionen.

"Funktionen der Medien in einer demokratischen Gesellschaft I und II"Medien tragen sowohl zur Stabilität des politischen Systems als auch zum stetigen Wandel der Gesellschaft aufgrund aktueller Entwicklungen bei. Dies geschieht, indem Medien über alle wichtigen Bereiche der Gesellschaft, d. h. insbesondere Politik, Wirtschaft sowie Kultur und Soziales
so vollständig, sachlich und verständlich wie möglich informieren,
in freier und offener Diskussion zur Meinungsbildung beitragen und
mit Kritik und Kontrolle durch investigativen (nachforschenden und aufdeckenden) Journalismus begleiten."

Quelle


Zur Meinungsbildung beitragen ist etwas anderes als eine Meinung (die Meinung der Journalisten) vorgeben.
schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 13:31)Die Medien können Comic-Serien oder Nacktfotos oder sonsterwas produzieren. Der öffentlich-rechtliche Bereich lediglich hat den Auftrag einer Grundversorgung.

Und wieder befindest du dich ganz gewaltig im Irrtum ==> siehe oben:
"so vollständig, sachlich und verständlich wie möglich informieren"

Nix da mit "Grundversorgung"!

"Da die Bürger/innen in einer Demokratie mitbestimmen können und sollen, müssen sie über die wichtigen politischen Abläufe und Inhalte informiert werden. Es gibt jedoch viele politische Ereignisse, die oftmals sehr komplex sind und auch abseits der Öffentlichkeit in speziellen Gremien stattfinden. Medien können darauf aufmerksam machen und die verschiedenen Positionen erläutern bzw. den Beteiligten Raum für Erläuterungen bieten. Damit eröffnen sich zugleich Möglichkeiten der Kontrolle und Kritik, da Vorgehensweisen und Inhalte politischer Vorgehensweisen hinterfragt werden."
gleiche Quelle


Also wieder nix mit "Grundversorgung"
schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 13:31)]Berechtigterweise müsste man von einer Deutungshoheitsinanspruchnahme sprechen, wenn es irgendwelche Kartellstrukturen gäbe.

Und genau solche kartellähnlichen Strukturen gibt es:
Der Kommunikationswissenschaftler em. Prof. Hans Mathias Kepplinge kommt bei seinen Untersuchungen zu dem Schluss, dass Journalisten Meinungen verbreiten (statt, wie es ihre Aufgabe ist, "vollständig, sachlich und verständlich" zu informieren) und damit entfernen sie sich immer mehr von ihren Lesern.

„Alle Journalisten verfolgen den ganzen Tag die Gewichtung und Bewertung des aktuellen Geschehens durch ihre Kollegen bei anderen Medien. Das verbindet die Kollegen untereinander und beschleunigt die Meinungsbildung im Journalismus insgesamt bzw. in unterschiedlichen Lagern.
Wegen der intensiven und schnellen Ko-Orientierung entstehen im Journalismus gemeinsame Überzeugungen, die sich wechselseitig bestätigen und zu Wahrheitsansprüchen verdichten, an denen sich die Sichtweisen der Bevölkerung messen lassen müssen.
Für viele Journalisten handelt es sich nicht um Meinungen zu, sondern um Tatsachenaussagen über Phänomene: für sie »ist« z.B. die Kernenergie unkontrollierbar.“
Quelle: "Totschweigen und Skandalisieren: Was Journalisten über ihre eigenen Fehler denken", Hans Mathias Kepplinger, Herbert von Halem Verlag 2017


Kepplinger bezeichnet solche Strukturen als "journalistische Filterbubble" in welcher sich Journalisten sich im Besitz der Wahrheit wähnen und wer sie nicht teilt, muss irren. Zweifler darf es nicht geben, die werden mit Nationalisten und/oder Fremdenfeinden gleichgesetzt. Kepplinger legt in seinem Buch dar, dass einzelne Störfälle beginnen, die Gesellschaft zu verändern und ihre Funktionsfähigkeit anzugreifen.
Dies führt letztendlich dazu - so Kepplinger - dass Journalisten ihre Meinung "faktenbereinigt" äußern:

„Fast alle berichteten schwerpunktmäßig über die Ansichten von Experten, die ähnliche Meinungen vertraten wie die Journalisten in ihren Meinungsbeiträgen. Die aktuellen Nachrichten und Berichte dieser Blätter bestätigten nun mit anderen Worten die Sichtweisen der Journalisten durch die Experten, die sie zu Wort kommen ließen."
Siehe Quelle oben.


Nunja - diese Art Journalismus ist tatsächlich das Beanspruchen der Deutungshoheit.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Uffzach »

Sextus Ironicus hat geschrieben:(11 Dec 2017, 16:53)

Großer Seufzer. Noch so ein Servile Mind-Vertreter. :rolleyes:
Falsches Gleis. Die Alternative wäre ein Nebeneinander von Subkulturen, also Multikulti ohne Verbindendes. Es kommt also darauf an wie man den Rahmen setzt für 'verbindende Kultur'. Im Titel ist der Rahmen durch das wort 'deutsch' gesetzt, bezieht sich also auf Deutschland und da kann dann also das Verbindende nur vom deutschen Staat kommen und vom Staat als Instanz der Rationalität kommt notwendigerweise Recht und Ordnung.
Sextus Ironicus hat geschrieben: Der Staat ist dazu da, Recht durchzusetzen und die Ordnung aufrecht zu erhalten. Wie das geschieht, in welchem Umfang und mit welchen Mitteln, das ist sicher ein Teil der Kultur. Nähme man aber jetzt deine Maßstäbe, wäre Nordkorea der Idealstaat.
Das Thema hier ist nicht der Staat, sondern 'eine verbindende Deutsche Kultur'. Nordkorea hat sicher eine verbindende Kultur, aber keine deutsche, und ob Recht und Ordnung kann ich nicht beurteilen.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Dark Angel »

schokoschendrezki hat geschrieben:(11 Dec 2017, 13:42)

Die Kausalrichtung ist in beiden Fällen genau anderstherum. Der Mensch ist in erster Linie von den ihn umgebenden Gegebenheiten geprägt. Kaum jemand wird sich freiwillig "entwurzeln". Den Du Kosmopolit nennst, ist es, versucht aber, damit zurechtzukommen, es zu akzeptieren oder sogar ins Positive zu wenden.
Falsch! Der Mensch ist durch seine Biologie, durch die Evolution geprägt und NICHT durch die ihn "umgebenden Gegebenheiten".
Genau das ist ja der Trugschluss, dem ihr Sozialkonstruktivisten aufsitzt.
Der Mensch ist ein Rudeltier und entsprechend hat er evolutionär eine Sozialverhalten entwicklet, welches Rudeltieren entspricht.
Und natürlich entwurzeln sich so genannte Kosmopoliten freiwillig, indem sie jede Zugehörigkeit leugnen, einer "fluiden Indentität" das Wort reden und Bindungen (zu und in einer Gemeinschaft) ablehnen.
Darum sind Kosmopoliten (Vertreter des Sozialkontruktivismus) auch so leicht manipulierbar und ideologisch indoktrinierbar - und sie merken das nicht einmal.
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Re: Gibt es eine verbindende Deutsche Kultur?

Beitrag von Sextus Ironicus »

Uffzach hat geschrieben:(11 Dec 2017, 17:29)

Falsches Gleis. Die Alternative wäre ein Nebeneinander von Subkulturen, also Multikulti ohne Verbindendes. Es kommt also darauf an wie man den Rahmen setzt für 'verbindende Kultur'. Im Titel ist der Rahmen durch das wort 'deutsch' gesetzt, bezieht sich also auf Deutschland und da kann dann also das Verbindende nur vom deutschen Staat kommen und vom Staat als Instanz der Rationalität kommt notwendigerweise Recht und Ordnung.


Das Thema hier ist nicht der Staat, sondern 'eine verbindende Deutsche Kultur'. Nordkorea hat sicher eine verbindende Kultur, aber keine deutsche, und ob Recht und Ordnung kann ich nicht beurteilen.
Ob Nordkorea eine hat oder nicht, ist egal. Weil die Menschen im Zweifelsfall gewaltsam verbunden würden.

Und auf dem falschen Gleis sitzt du. Als Ordnungsmacht hat der Staat einige Schutzfunktionen, aber ganz sicher nicht die Aufgabe, eine verbindende Kultur herzustellen. Je stärker eine solche verbindende Kultur auf der Basis des Vertrauens von Menschen entsteht, wächst, sich wandelt und entwickelt, desto weniger bedarf es der Ordnungsmacht des Staates (mal etwas vereinfachend ausgedrückt). Was die Paternalisten heute auf den Plan ruft, ist der Versuch, immer mehr neue "Verbindungen" im Wege der Verrechtlichung ganz natürlicher alltäglicher Beziehungen durchzusetzen und Moralen zu dekretieren, die in sich ebenso Unfug sind wie gegen die Interessen der Mehrzahl der Menschen gerichtet.
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