Hieronymus hat geschrieben:(10 Aug 2017, 19:04)
Ob die Bevölkerung wirklich "verdrängt" wurde, scheint mir überhaupt nicht geklärt zu sein - kein Wunder angesichts der Quellenlage.
Sorry - doch das ist inzwischen recht gut geklärt und wird immer besser geklärt. Die
Befundlage legt nahe, dass es recht massive Bevölkerungsverschiebungen gegeben hat. Da sind nicht nur völlig verschiedene Siedlungs- und Architekturbefunde in aufeinander folgenden archäologischen Horizonten, da sind völlig verschiedene Keramiken, welche auf anderer Fertigungstechnologie basieren. So kannten beispielsweise die Zuwanderer die Töpferscheibe nicht und übernahmen sie auch nicht, was nahe legt, dass die ursprünglich ansässige Bevölkerung, die diese Technologie kannte und nutze etcpp. Es findet sich kein nebeneinander verschiedener kultureller und technologischer Einflüsse/Errungenschaften, sondern ein übereinander. Interessanterweise sind beide archäologischen Horizonte durch eine relativ dicke Ascheschicht voneinander getrennt und übereinander bedeutet in der Archäologie unterschiedliche Zeitabschnitte. Weiterhin wurden nahezu alle Palastanlagen - welche sowohl Verwaltungs-, Organisations- und Handelszentren als auch Produktionsstätten waren verlassen, die umliegenden Orte wurden verlassen und neu besiedelt. Es gibt nur sehr wenige Orte, die dauerhaft besiedelt blieben bzw in denen es zur Vermischung mit den Zuwanderern kam. In relativ unzugänglichen Gebirgsregionen wurden befestigte Siedlungen gefunden, welche die urprünglichen kulturellen Besonderheiten aufwiesen, allerdings auf weit niedrigerem Niveau.
Hieronymus hat geschrieben:(10 Aug 2017, 19:04)Nun ja, aber immerhin ist zu konstatieren, dass die vereinigte ägyptische Geschichte danach weiterging und auch ein Kulturbruch nicht erkennbar zu sein scheint. Aber ich bin kein Fachmann für ägyptische Geschichte und lasse mich natürlich gerne belehren.
Nein - sie ging nicht weiter. Das Neue Reich weist Veränderungen und Besonderheiten, insbesondere in den religiösen Glaubensvorstellungen auf, ebenso in Architektur und Kunst.
Hieronymus hat geschrieben:(10 Aug 2017, 19:04)Wie man es nimmt. Der lange Zeit behauptete grundsätzliche Kulturbruch zwischen Spätantike und Frühmittelalter wird heute sehr differenziert gesehen. Kulturellen Wandel hatte es bereits im 2., dann besonders seit dem 3. Jh. gegeben.
Tja, das ist eben der weit verbreitete Irrtum, zu denken, die Migrationsschübe, die umgangssprachlich als Völkerwanderung bezeichnet werden, hätten sich innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne vollzogen. Dem ist nicht so - sie zogen sich über mehrere Jahrhunderte hin und erlangten im 6. Jh, in Verbindung mit massiven globalen Klimaveränderungen ihren Höhepunkt.
Es gab sehr wohl eine allgemeine kulturelle, wirtschaftliche und soziale Zäsur, schon allein dadurch weil die Zuwanderer keinerlei Erfahrungen mit den komplexen Verwaltungsstrukturen des Imperium hatten.
Und auch hier gilt - die Zäsur/der Niedergang vollzog sich über mehrere Jahrhunderte. Hinzu kamen dauernde kriegerische Auseinandersetzungen mit den Zuwanderern.
Hieronymus hat geschrieben:(10 Aug 2017, 19:04)]Die Römer und die Kultur des 4. Jh.s unterschieden sich deutlich im Vergleich zum 1. Jh. Dieser Kulturwandel setzte sich in der Spätantike fort, war nicht zuletzt ein Mentalitätswandel, der allerdings weniger mit den Germanen als mit der (Reichs-)Kirche, einer genuin römischen Institution, zu tun hatte.
Tja - kann auch gar nicht anders sein, weil sich ab Mitte des 3. Jh der Druck auf die Außengrenzen Roms verstärkte, weil es zur Teilung in ein Weströmisches und ein Oströmisches Reich gab und beide Teile, völlig verschiedene Entwicklungsrichtungen einschlugen. UND es gab eine recht massive Verdrängung der Bevölkerung - die teilweise nach Norden in die römischen Niederlassungen in Germanien auswichen, nach Gallien und auf die Iberische Halbinsel. Weiterhin kamen Teile der Bevölkerung durch kriegerischen Handlungen ums Leben bzw gerieten in Gefangenschaft.
Es fand
kein "Mentalitätswandel" statt.
Hieronymus hat geschrieben:(10 Aug 2017, 19:04)] Allerdings war es auch die Kirche, die römische Verwaltungsstrukturen - etwa die Diözesen - und die Schriftlichkeit an die germanischen Völker übermittelte. Die Kirche, nicht zuletzt die Klöster, überlieferten antikes technisches Wissen, z. B. Anbaumethoden und die Wassermühlentechnik - die Zisterzienser vorallem waren im Mittelalter berühmt für ihre wassertechnischen Anlagen.
"Die Kirche" hat gar nichts vermittelt! Ganz im Gegenteil - der Klerus und christliche Fanatiker trugen ihrerseits zur Dezimierung der Bevölkerung bei. Die so genannten Heidenverfolgungen erreichten weit größere Ausmaße, als die Christenverfolgung unter Diokltian je hatte zudem schufen sie Urban Legends und sie fälschten sogar die Geschichtsschreibung
Die von christlichen Geschichtsschreibern behaupteten Verfolgungen hat es in diesem Ausmaß nicht gegeben.
Hieronymus hat geschrieben:(10 Aug 2017, 19:04)]Auch die Wirtschaft, vorallem der Handel auch mit Luxusprodukten aus dem byzantinischen bzw. orientalischen Raum brach nicht gänzlich zusammen, wie die materielle Kultur erkennen lässt.
Wer lesen kann, ist klar im Vorteil - ich schrieb vom vollständigen Zusammenbruch des
Weströmischen Reiches.
Hieronymus hat geschrieben:(10 Aug 2017, 19:04)]Das Bildungswesen konzentrierte sich ebenfalls auf die Kirche in den Städten und Klöstern.
EBEN! Bildung wurde zum Privileg einer sehr kleinen Elite - meist der geistlichen Elite. Nicht mal Könige konnten nach dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches lesen und schreiben.
Hieronymus hat geschrieben:(10 Aug 2017, 19:04)Und war und blieb nicht gehobene literarisch-philosophische Bildung auch in der klassischen römischen Zeit immer nur eine Angelegenheit vorallem der Oberschichten?
Eben nicht! Ein römischer Bürger musste mindestens lesen und schreiben können, heißt die Grundlagen an Bildung waren im Imperium Romanum Allgemeingut. Die höchste Bildung hatten in Rom neben der Aristokratie auch Sklaven - insbesondere griechische Sklaven, die arbeiteten als Privatlehrer und als Lehrer in den "Schulen" des Reiches und sie erlangten beträchtlichen Reichtum.
Hieronymus hat geschrieben:(10 Aug 2017, 19:04)Seit der Spätantike war der romanische Teil dieser Oberschicht mehr und mehr in der Kirche tätig, während die neue germanische Oberschicht die literarische Bildung kaum noch benötigte. Kurz: In der Zeit von Spätantike und Frühmittelalter fand allmählich auf allen Bereichen des Daseins ein Wandel statt. Die sich herausbildende neue Kultur war eine Mischung aus romanischen und germanischen Elementen, wobei im Bereich der Hochkultur der (spätantike) römische Anteil eindeutig überwog. Übrigens fand auch im oströmischen Reich, das von germanischer Migration weitgehend verschont wurde, ein Kulturwandel statt, was man nicht übersehen sollte und einen durch Migration verursachten "Kulturbruch" eher als relativ erscheinen lässt.
Und genau DAS bedeutet "kulturelle Zäsur" - die Mehrheit der Bevölkerung verfügte über keinerlei Bildung, wurde vom Klerus ganz bewusst in Unwissenheit gehalten, um den Macht- und Herrschaftsanspruch der Kirche zu sichern.
Tja - und der Wandel dauerte 800 Jahre. Das Imperium Romanum war ein wirtschaftlich und technisch weit fortgeschrittener Staat, von dem nach dem Zusammenbruch so gut wie gar nichts mehr funktionierte. Außer einigen wenigen Wirtschaftszentren, die sich fast ausschließlich in kirchlichem Besitz befanden, gab es nichts.
Nach dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches gab es keine Hochkultur mehr!
Eine Hochkultur zeichnet sich durch funktionierende
staatliche Organisations- und Verwaltungsstrukturen aus, durch funktionierende Fernhandelsnetze, funktionierende Wirtschaftsstrukturen sowie durch ein gut organisiertes Militär.
Alles das war nicht mehr vorhanden, musste erst allmählich neu entwickelt und aufgebaut werden.
Hieronymus hat geschrieben:(10 Aug 2017, 19:04)Wenn man mal davon absieht, dass die Völkerwanderung nur zu geringen Anteilen ein "Verdrängungsprozess", sondern eher ein Assimilationsprozess gewesen ist, wobei sich im Bereich der Hochkultur das Römische spätantiker Prägung fraglos durchgesetzt hat, dann sollte man den Zustrom eines relativ geringen Migrantenanteils in die europäische Hochkultur weniger fürchten und eher gelassen betrachten. 60 Mio., das soll der derzeit geschätzte weltweite Flüchtlingsanteil sein, aber nicht alle sind Wirtschaftsmigranten. Und es wollen auch nicht alle nach Europa! Also etwas mehr Realitätssinn und Besonnenheit, wenn ich bitten darf!
Die Völkerwanderungen waren sowohl als auch. Große Bevölkerungsteile wurden verdrängt, der Rest wurde VON den Zuwanderern assimiliert. Und genau das ist das Problem - die Zuwanderer waren die ungebildeten (genau wie heute), waren die technologisch rückständigen, die keinerlei Kenntnisse und keinerlei Verständnis von und für funktionierende Verwaltungs- und Organisationsstrukturen hatten UND sie assimilierten die einheimische Bevölkerung und zerstörten damit vorhandene funktionierende Strukturen.
Gegen die menschliche Dummheit sind selbst die Götter machtlos.
Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen