http://www.kulturwest.de/kulturpolitik/ ... echterung/In seinem Buch »Schantall, tu ma die Omma winken!« scheitert ein Sozialarbeiter damit, die Working-Class-Familie Pröllmann zu kultivieren. Ihre Welt scheint ein Schadensfall, den es zu beheben gilt. Nichts bei den Pröllmanns hat Wert, nichts gilt es zu schützen, nichts anzuerkennen. Sie machen alles falsch: rauchen, sind zu dick und haben ein zu intensives Verhältnis zu Sexualität. Und sie sind arm. Das Buch wirkt wie der Versuch, die Stern-Reportage von Walter Wüllenweber (2004) in einen Roman zu übersetzen. Wüllenweber hatte sich mit den Problemen der vermeintlichen Unterschicht in Essen-Katernberg beschäftigt und seinen Protagonisten durchaus Sympathie entgegengebracht. Bei Twilfer hingegen ist die Verachtung kaum kaschiert.
Alles, was gesellschaftliche Ächtung erfährt, wird dem (Sub-)Proletariat zugeschrieben. Sie arbeiten in Industrien, die man am liebsten nicht mehr im Land hätte. Sie bekommen viele Kinder, und die sind dann auch noch dumm. Urlaub machen sie an den falschen Orten, wo sie in Mengen auftreten, lärmen und sich schlecht benehmen. Der Klassenkampf wird von einer autoritär-ökologisch geprägten Mittel- und Oberschicht geführt. Der Neoprotestantismus duldet keinen Widerspruch, seine Waffe ist die Abwertung anderer Lebensweisen. Kulturkolonialismus! [...]
Die Zeiten, in denen Stadien auch als Orte von Exzessen Bedeutung hatten, gehen zu Ende. Glaubt man einem Anhänger des Alternativclubs Roter Stern Leipzig, ist das auch gut so. Der gibt es so zu Protokoll: »Für mich sind waschechte Proleten Typen, die am frühen Morgen gegen 7 Uhr auf Maloche stehen, sich jeden Tag die Titten von Seite eins in der Bild-Zeitung reinziehen und nach der Arbeit mal schnell über die Alte fleddern. Ich glaube, die können gar nicht anders, als deftig rumzuprollen und einem tristen Alltagstrott hinterher zu hecheln, auf der Suche nach dem vermeintlichen Glück, in Form von Autos, Einfamilienhäusern, Frau, Kind und dem obligaten deutschen Schäferhund.«
Tatsächlich stehen diese »Typen« oft morgens früh »auf Maloche« und wirken daran mit, den Wohlstand zu erarbeiten, den ihre Craft-Beer trinkenden Mitbürger durchaus schätzen. Doch auch die Zeit, da die Arbeiterklasse wirtschaftliche Bedeutung hatte, schwindet. [...]
Arbeiter –»Proll« – wurde in diesem Kulturkampf zum Schimpfwort. Wer sich so verhält, wie der es angeblich tut, wer sich nicht ökoautoritären Normen und Werten unterwirft, ist bestenfalls Objekt paternalistischen Handelns der Volkserzieher. Eigentlich ein Augenblick, um zu sagen: Ich bin Teil der Arbeiterklasse und stolz darauf.
Seht Ihr es tendenziell ähnlich wieder Autor, sprich, werden gewisse Verhaltensmuster heute eindeutiger verachtet und ganz klar sozialen Bevölkerungsgruppen zugeschrieben? Denkt man an den Hype um Sarrazin zurück, könnte man ja schon den Eindruck gewinnen, aber der Autor zielt mehr in Richtung der urbanen Mittelschicht ab, die stetig wächst mit all den positiven wie negativen Begleiterscheinungen, wie z.B. steigenden Mieten und Verdrängung der verachteten (?), ärmeren Bevölkerungsschichten.
* kleine Ergänzung aus aktuellem Anlass:
http://www.ruhrbarone.de/oesterreich-da ... lte/125946Das Maß der Überheblichkeit, ja der Verachtung des Bürgertums gegenüber jenen, die es als Unterschicht ansieht, war seit dem zweiten Weltkrieg nie so groß wie heute, zwischen beiden Welten gibt es kaum noch Kontakte, sogar die räumliche Trennung ist durch die Gentrifizierung ganze Stadtteile so radikal wie nie.
Das Versagen der Sozialdemokraten besteht auch darin, Teil dieses Klassenkampfes von oben zu sein, die Interessen ihrer Kernklientel verraten zu haben, wie Forsa-Chef Güllner es beschrieben hat.