Alter Stubentiger hat geschrieben:(26 Jan 2018, 15:06)
Du beschreibst die Oberfläche. Tatsächlich war das Nazi-System marode und war von Anfang an zum Untergang verurteilt. Die Wirtschaft konnte sich zu keinem Zeitpunkt selbst erhalten sondern war immer auf neue Sklaven und neue Beute angewiesen. Tatsächlich wären die Nazis ohne die Hilfslieferungen aus der UDSSR bereits im Winter 1939/40 pleite gewesen. Bezahlt wurde mit Beutegold.
Deutschland war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts keine Industriegesellschaft. Es gab zwar bedeutende industrielle Zentren aber der Großteil der Bevölkerung lebte auf dem Land und war bettelarm. Die deutsche Landwirtschaft war wirtschaftlich gesehen noch im Mittelalter. Wenn du alte Fotos vom Landleben betrachtest achte mal darauf daß viele Kinder nicht mal Schuhe hatten. Das war keine Nostalgie, das war Armut! Den Nazis war dies durchaus bewußt. Aber anstatt die Landwirtschaft grundlegend nach amerikanischen Vorbild zu mechanisieren suchte man sein Heil in neuem Lebensraum im Osten.
Daran erkennt man einen Mangel an Weitblick der meiner Meinung nach in dieser Ideologie begründet sieht. Man kann dies nicht mit dem Islam vergleichen. Der Islam selber ist keine Ideologie. Er lässt sich nur entsprechend ausschlachten weil jeder Imam und Mullah ihn so auslegen darf wie er will. Darum gibt es einerseits die Ideologie des IS und andererseits Muslime die ganz andere Vorstellungen haben. Die meisten lehnen Gewalt ab. Vor allem wenn wie beim IS vor allem Muslime die Opfer sind. Mord an anderen Muslimen ist aber sogar expliziert im Koran verboten. Aber Hassprediger schaffen es diese Passagen einfach umzudeuten. Es ist grundsätzlich so daß Religionen ideologisch genutzt werden können um eigene Ziele durchzudrücken. Christen sind da nicht immun. Selbst im 20. Jahrhundert.
Das wird jetzt ein bisschen viel und geht zu weit vom Thema ab. Aber gut, zu zwei Punkten. Mir scheint da, dass du so ein wenig eine Fantasiewelt aufbaust. Das Nazisystem war keineswegs marode. Es war ein Raubmordsystem, dass nur eben dann in die Krise geriet, wenn es nichts mehr zu rauben oder an Tributen einzuziehen gab. Denen war es völlig egal – und sie sagten es auch offen – ob andere Völker die nach ihrer Ideologie niedriger waren lebten oder verreckten. Und das funktionierte und hätte auch weiter funktioniert.
Für die Niederlage waren eine Reihe von Faktoren verantwortlich, die zwar teilweise in Wechselwirkung standen aber nicht unbedingt voneinander abhängig waren. So hatten die Nazis, Goebbels gibt es in seinen Tagebüchern zu, die Stärke der sowjetischen Streitkräfte unterschätzt. Was wenn sie dies nicht getan hätten? Der Winter 41/42 war, obwohl man dies oft abzustreiten versuchte, von besonderer Härte. Was wenn diese Zeit von günstigen Witterungsbedingungen gekennzeichnet gewesen wäre? Die Sowjetunion stand in der 2. Jahreshälfte 41 kurz vor dem Zusammenbruch. Es gab einen Tag in Moskau, so beschreibt es auch Konstantin Simonow in seinem Roman „Die Lebenden und die Toten“, an dem die staatliche Ordnung de facto zusammengebrochen war. Auch der Zeitzeuge Plivier liefert dieses Bild aus einer weiter östlich gelegenen Stadt, in der sich aus Moskau evakuierte Emigranten plötzlich einer Administration gegenüber sehen, die sich nicht um sie kümmern und sich langsam auf eine Niederlage einstellen.
Dein Bild von Deutschland, dass keine Industriegesellschaft gewesen wäre ist vollkommen künstlich. Du brauchst nur über Land zu fahren und zu sehen, wann die dortigen Gebäude errichtet wurden. Du findest dort als stumme Zeugen die Höfe mit ihren Wohnhäusern zur Straße hin an die sich dann dahinter Ställe und Scheunen anschlossen. Alles feste Bauten aus Back- und teilweise Feldstein – allerdings in der für das 19. Jh. typischen mosaikartigen Mauertechnik. Sowohl Gutsbesitzer und Pächter als auch die mehr oder weniger wohlhabenden Bauern übernahmen – wie überall im fortgeschrittenen Europa – moderne Techniken wie mechanische Mähmaschinen oder mit Dampf betriebene Dreschmaschinen. Viele der Ärmsten, ob nun Kleinbauern oder auch Gutsarbeiter suchten spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ihr Heil in den wachsenden und wuchernden Städten wo Fabrik um Fabrik aus dem Boden schoss.
Aber wie gesagt, dass ufert jetzt aus und ich habe nicht die Zeit, jetzt ein Referat zur industriellen Entwicklung Deutschlands vor und nach der vorletzten Jahrhundertwende zusammenzustellen. Ich kann dir aber raten, einfach mal „Landwirtschaft“, „Dampfmaschinen“ und „Deutschland“ bei Google einzugeben. Da findest du einiges zum Einstieg. Und sicher bieten gute Bibliotheken da mehr als genug.
"Ich möchte an einem Ort sein, an dem es keine Politik gibt, keine Waffen, keine Religion."
Libanesin Anfang August 2020