Rote_Galaxie hat geschrieben:Wenn diese Ansichten "ideologiebezogen" sind bin ich eben ganz einfach anderer Meinung wie Sie.
Um meine Reaktion auf Ihren Schlusssatz gleich vorwegzunehmen und damit Unklarheiten auszuräumen: ja, da sind wir offenbar klar unterschiedlicher Meinung und werden wohl kaum auf einen Nenner kommen.
Aber das ist ja das schöne in einer Demokratie: die Vielfalt aus unterschiedlichen Ansichten. Der pluralistische Willensbildungsprozess wird in der Realpolitik dennoch einen Kompromiss ergeben. Trotz einigen Nachteilen empfinde das als Stärke der Demokratie.
In folgenden Punkten stimme ich allerdings zu:
Rote_Galaxie hat geschrieben:Es ist notwendig, das Bildungssystem zu reformieren, um zu vermitteln, dass jeder Mensch individuell behandelt wird. Das Schulsystem in dem wir Deutschen leben ist veraltet, zumindest habe ich damit Erfahrungen gemacht und stehe mit meiner Meinung nicht alleine da.
Bezüglich des veralteten Schulsystems kann ich ihnen nur zustimmen. Das ist ein komplexes Thema, bei dem es vielen Verbessrungen Bedarf. Das geht - d'accord - von einer individuelleren Schülerbetreuung, über mehr Praxislehre bis hin zu modernen Themen wie dem zeitgemäßen Umgang mit digitalen Medien, wofür immer noch die infrastrukturellen Voraussetzungen fehlen. Auch etwa die Debatte in NRW um G8/G9 nehme ich aufmerksam war. Dort hat ja bspw. Niedersachsen schon auf G9 zurückgerudert. Auch an Unis wird der fast ausschließliche Frontalunterricht immer mehr hinterfragt, beklagen Arbeitgeber die viel zu theoretischen Denkmuster berufseinstiger aus Unis im Gegensatz etwa zu Fachhochschulabsolventen. Insgesamt muss man tatsächlich konstatieren, dass unsere Politik im so wichtigen Bildungsbereich vor großen Herausforderungen steht. Die sollten möglichst nach wissenschaftlichen Erkenntnissen angegangen werden, die m.E. viel zu häufig missachtet werden. Stattdessen dominieren immer durch alle etablierten Parteien hinweg noch viel zu sehr politisch motivierte, ideologische Ansätze. Da sind die Wissenschaftler auch gefragt, über die Medien mehr auf ihre Erkenntnisse aufmerksam zu machen. An diesem Wissenstransfer quasi aus den Laboren in den praktischen Unterricht hapert es noch deutlich.
Rote_Galaxie hat geschrieben:Es müsste ein System sein die Kooperation und Entwicklung vermittelt, gleichzeitig die Schwächsten unterstützt und die Stärksten aber auch fördert das ist momentan in meinen Augen nicht der Fall.
Grundsätzlich muss das natürlich das Ziel sein, ja. Das ist in ein Stück weit der Fall, finde ich, aber es gibt auch Verbesserungsbedarf.
Ich würde die mangelhafte Individualisierung nicht auf unser dreigliedriges Bildungssystem an sich beziehen. Gymnasium, Real- und Hauptschule stelle ich neben der Gesamtschule nicht grundsätzlich in Frage. Den verschiedenen Leistungsniveaus der Schüler entsprechen unterschiedliche Schulformen durchaus. Nur gibt es bei der konkreten Ausgestaltung dieser Verbesserungsbedarf. Innerhalb dieser Schulen braucht es einen mehr auf die einzelnen Schüler ausgerichteten Unterricht. So fällt etwa die Hauptschule unnötig ab, was sie nicht müsste. Es gibt zu viele Schulabbrecher. Die Zahlen sind zuletzt wieder gestiegen. Nur müssen auch Hauptschulen als Angebot attraktiv gestaltet werden, was nicht der Fall ist. Das nur als Beispiel.
Und weiterhin befürworte ich die Grundschule bis zur 6. Klasse, da nach dem 4. Schuljahr kaum auf die drei weiterführenden Schulformen vermittelt werden kann. Das ist einfach zu früh. Ich ging in der 5. und 6. Klasse in eine sog. Orientierungsstufe mit verschiedenen Leistungskursen, wo man feststellen konnte, welches Niveau seinen Fähigkeit entspricht. Das in eine Grundschule zu integrieren (also dann bis zur 6. Klasse) und danach aufs Gymnasium, die Real- oder Hauptschule zu verteilen, halte ich für gut. Und das habe ich auch von einigen Bildungsexperten so schon oft gehört.
Die Gesamtschule kann als Alternative natürlich bleiben. Ideal halte ich das aber nicht bzw. nur insofern, als das wirklich genügend Lehrkräfte zur Verfügung stehen, sodass auf die unterschiedlichen Lerngeschwindkeiten der Kinder individuell eingegangen werden kann.
Letzteres ist insgesamt auch einer der entscheidenden Punkte: Das Verhältnis Anzahl Lehrer zu Schüler stimmt nicht. Da muss mehr in die Zukunft unserer Gesellschaft investiert werden. Kinder sind wie jeder Mensch individuell unterschiedlich. Unterschiedlich begabt, unterschiedlich schnell, unterschiedlich im Charakter usw. und das muss sich auch in der pädagogischen Annäherung an das Kind widerspiegeln. Sonst wird es immer Über- und Unterforderung geben, was wissenschaftlich zu schlechter Motivation und Leistung führt.
Prinzipiell stimme ich ihnen zu:" Ein Akademiker hat einen gleichen Wert wie jemand der nicht studiert hat, trotzdem wäre es doch besser wenn jeder eine hohe Bildung hat, dies wäre förderlich für die europäische Zivilisation in der wir leben."
Selbstverständlich muss beste Bildung immer das Ziel sein, was allerdings eben nicht immer ein akademischer Abschluss sein muss. Auch der Realschulabschluss und die anschließende Lehre etwa sollten höchsten Bildungsansprüchen gerecht werden. Insbesondere die schulische Bildung ist für jede Gesellschaft elementar. Dort wird - neben dem sozialen Umfeld - die Grundlage für eine aufgeklärte, offene, tolerante Gesellschaft gelegt. Das ist beste Prävention vor den Fängen der rechts- und linksradikalen, den religiösen Extremisten usw., für die aktuell so viele junge Menschen so anfällig sind. Fächer wie Philosophie kommen in der Schule sicherlich zu kurz. Aber auch ganz praktische Dinge, wie man eine Bewerbung schreibt usw. Davon habe ich in der Schule zu wenig vermittelt bekommen. Da ist also sicher noch Luft nach oben.
Ab hier widerspreche ich:
Rote_Galaxie hat geschrieben:Wie kann ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit möglich sein, wenn die Produktionsmittel nicht denen gehören die sie auch erarbeiten sondern denen die damit Monopoly spielen? Arbeit ist auch in einer sozialen Marktwirtschaft nicht "human". Entweder man hat zu funktionieren oder man geht unter, dabei lindern die sozialstaatlichen Standards nur das Leid beseitigen, es aber nicht.
Ausnahmen gibt es immer und jede Ausnahme ist eine zu viel, die der Sozialstaat bekämpfen muss, aber: Ich finde schon, dass Arbeit in einer soziale Marktwirtschaft prinzipiell durchaus human ist. Solange jeder von seiner Arbeit gut leben kann, etwa Mindestlöhne die tatsächliche Untergrenze der Entlohnung darstellen, Arbeitszeiten eingehalten, Kranken- und Rentenversicherungssysteme funktionieren, verhältnismäßige (Steuer-)Abgaben zu leisten sind usw. wird es dem Menschen gerecht. Im Grundsatz ist das der Fall. Ausweiten kann man diese Mindeststandards natürlich noch und das muss das Ziel sein, aber es ist klar, dass das kein Sprint, sondern ein Marathon ist. Im internationalen Vergleich laufen wir aber an der Spitze dieses Marathons mit, das muss einem klar sein. Die Arbeitslosigkeit sinkt seit einem Jahrzehnt kontinuierlich, die Reallohnentwicklung ist seit der Wirtschaftskrise positiv. Über das Tempo kann man sich immer unterhalten, aber die grundsätzliche Richtung stimmt. Damit will ich sagen, dass wir mit der sozialen Marktwirtschaft schon das richtige System haben, was auch der internationale Vergleich zeigt, aber an der konkreten Ausgestaltung muss weiter gearbeitet werden.
Für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit brauche ich keine Produktionsmittel. Das klingt nach veralteten Theorien Marx', die auch praktisch längst widerlegt sind. Man muss nicht beruflich selbstständig sein, Produktionsmaschinen oder Dienstleistungsbetriebe im eigenen Haus haben, Aktien besitzen usw., um selbstbestimmt und frei zu sein. Wie viele Menschen besitzen diese Dinge nicht, aber leben trotzdem ein freies, selbstbestimmtes Leben? Unzählige. Aber wer will, kann sich diese Dinge trotzdem aneignen. Jedem steht es frei, ein Unternehmen zu gründen oder Firmenanteile zu erwerben. Aber ich brauche das nicht, um glücklich und frei zu sein. Auch als Angestellter mit einem angemessenen Lohn fühle ich mich frei.
An der Stelle muss ich Sie fragen, wer Ihnen denn Ihrem Empfinden nach die Freiheit nimmt? Was können Sie nicht tun, was Sie in dieser Gesellschaft gerne tun wollten?
Dieses "man hat zu funktionieren oder geht unter" ist mir zu sehr schwarz-weiß-Denke. Wer zwingt einen denn, bestimmte Dinge zu tun, in einer bestimmten Art und Weise zu funktionieren. Mir schreibt das niemand vor. Nicht mal, dass man zwingend arbeiten muss, ist in Stein gemeißelt, obwohl jeder sich dazu berufen fühlen sollte, nach seinen Möglichkeiten seinen Teil zum Gemeinwohl beizutragen. Das ist doch eher eine moralische Verpflichtung. Wer partout nicht arbeiten will, obwohl er kann, der kommt nicht hinter Gittern, sondern muss halt mit dem Existenzminimum vorlieb nehmen. Mehr als das sollte aber niemand erwarten, der einfach nicht arbeiten will. Für die, die weniger als üblich leisten können oder wollen, gibt es ja mittlerweile einige Modelle. Hier denke ich insbesondere an teilzeitarbeitende Frauen usw., aber auch da muss sich noch was tun. Wer nicht arbeiten kann, da ist es ähnlich. Da braucht es offenbar noch Zeit, um weitere Fortschritte zu erzielen. Auch hier wieder eine Frage des Tempos, aber der Grundsatz stimmt schon.
Kommunismus ist eher das Gegenteil eines humanen Gesellschaftsmodells. Dort wird die Freiheit unnötig beschränkt, der von Ihnen angesprochene Besitz von Eigentum wie Produktionsmitteln hat ja eigentlich nicht jeder, sondern keiner, nämlich nur der Staat. Mit der Argumentation schießen Sie sich wie Marx selbst ins Bein. "Grundlage der Kultur" kann Kommunismus nicht sein, da sie Gleichheit fördert und Vielfalt, die eine menschliche Natürlichkeit ist, eingrenzt, und "Triebe zu besänftigen" nicht das Ziel einer freien Gesellschaft sein, denn das schränkt den Menschen ein, nimmt ihm die Freiheit, zu der es ja gehört, auch seine Triebe zumindest im Rahmen der Gesetze (Grundsatz: die Freiheit des einen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt) auszuleben. Das Recht auf Eigentum ist einer von vielen elementaren Bestandteilen der Freiheit. Um den Bogen zurück zur Wissenschaft zu spannen. Ja, auch die gehört zur Freiheit. In einer kommunistischen Gesellschaft werden aber nur solche wissenschaftlichen Ansätze zugelassen, die der Ideologie entsprechen. Oder glauben Sie, in der DDR, in Kuba oder Nordkorea dürften Studenten an volkswirtschaftlichen Modellen frei arbeiten, die den Mechanismen des freien Marktes erforschen? Natürlich nicht, und staatliche Fördergelber gibt es dafür im Kommunismus erst recht nicht. Dabei gehört zur Wissenschaft auch die Erforschung des fremden. In einer freien gesellschaft, in der wir leben, können sie hingegen sehr wohl über den Kommunismus forschen. Das ist der Unterschied. Sie sehen, im Kommunismus wird an allen Enden die Freiheit beschnitten. Das wäre auch für die Wissenschaft nicht gut.