Indizierungspraxis und Pornografiebann

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Katenberg
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Indizierungspraxis und Pornografiebann

Beitrag von Katenberg »

Servus beisammen,

für jene, die die Indizierungspraxis nicht kennen, diese kurz erklärt. Die ehemalige BPjS (Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften), nun BPJM (Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien) ist dem Familienministerium untergeordnet und arbeitet auf Antrag untergeordneter Stellen. Wird ein Medium bei der BPJM eingereicht, wird es von einem Gremium auf "Jugendgefährdung" oder "strafrechtliche Relevanz" geprüft, indiziert und in letztem Fall an die Staatsanwaltschaft weitergegeben.
Die Einordnung läuft über die öffentlichen Indexe:
- Index A (jugendgefährdende Inhalte, öffentliche Liste)
- Index B (vermutlich strafrechtlich-relevante Inhalte, öffentliche Liste)
Hinzu kommen die nicht öffentlichen Listen, welche zumeist Online-Angebote beinhalten.

Ihre harten Zeiten hatte die BPJM tatsächlich in den 80er Jahren, in welchen sie als "Terror" für Videotheken und TV-Anstalten galt und die meisten Indizierungen erteilte. Da diese Inhalte nach 25 Jahren neu geprüft werden müssen, sofern sie nicht vom Staatsanwalt beschlagnahmt wurden, schrumpft die Liste inzwischen beträchtlich, so gab es 2016 tatsächlich keine einzige Folgeindizierung im Segment Film und bislang auch kein folgeindiziertes Computerspiel, welches nicht Sache des Staatsanwalts ist.

Eine Indizierung bedeutet, dass der Artikel in Deutschland nicht mehr beworben werden darf, oder unter 18jährigen zugänglich gemacht werden darf. Online-Shops müssen indizierte Inhalte jeder Art hinter einer Altersschranke parken, alles Andere stellt eine Straftat dar.

Eine Blitzindizierung betrifft wiederum Pornografie, welche als "automatisch indiziert" behandelt wird. Auch Spielfilme mit HC-Anteil werden ähnlich gehandelt, müssen dabei jedoch das ähnliche Verfahren durchlaufen.

Die Indizierungspraxis als solche ist immer wieder in der Kritik. Wie am Beispiel "Die Ärzte", welche mit "Geschwisterliebe" immer noch ein Lied (und somit auch ein Album) auf dem Index haben, geht die Taktik zwar auf, dass die Tonträgerverkäufe unprofitabel werden, jedoch der Inhalt meist an Aufmerksamkeit gewinnt, die Musiker eben meist das Geld durch Auftritte wieder generieren können.

Gleiches trifft auf die Beschlagnahmungspraxis hin. Die meisten Beschlagnahmungen (richtiger) Filme betreffen den §131 Gewaltverherrlichung, der als Grund eher ein deutsches Alleinstellungsmerkmal ist. Die betroffenen Medien dürfen nicht mehr gewerblich vertrieben oder importiert werden, aber weiterhin besessen. Btw das gemeinsame Anschauen eines §131-Films stellt theoretisch eine Straftat dar.
Nachdem der Paragraph bereits mehrfach in die Kritik geraten ist, gab es zudem eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, welche die rigide Anwendung des Paragraphen, wie zuvor geschehen, stark eindämmte. Der Paragraph, der nebenbei erst in den späten 60er Jahren eingeführt wurde, wurde zum Beispiel dazu genutzt, den Bruce Lee-Film "Der Mann mit der Todeskralle" bei seiner Kinovorführung zu beschlagnahmen.
Zirka 20 Jahre nach dem sogenannten "Tanz der Teufel"-Urteil ist auch diese Liste in Bewegung gekommen, in erster Linie durch das Label "Turbine Medien", welches erstmals gerichtlich durchsetzte, mit "Blutgericht in Texas" einen §131er von der Liste zu streichen. Seit 2012 sind folgende Filme von der Liste entfernt worden:
- Blutgericht in Texas
- The Texas Chainsaw Massacre 2
- Battle Royal
- Hexen bis aufs Blut gequält
- Und wieder ist Freitag der 13.
- Freitag der 13. - das letzte Kapitel
- Tanz der Teufel
- Das Böse
(- Giallo a venezia (umstritten))
Ich möchte dazu nochmal anmerken, dass diese Titel als "Gefahr für die Bevölkerung" behandelt wurden. Wenn man sich die gesamte Liste anschaut, betrifft dies vor allem italienische Kannibalenfilme und 80er Jahre Zombieschwarten.

In den heutigen Beurteilungen der Filme wurden teilweise Präzedenzfälle geschaffen, die auch den Sinn der Liste A inzwischen in Frage stellen. Der Film "Und wieder ist Freitag der 13." wurde unter Anderem mit der Begründung vom Bann befreit, dass es nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine Beschlagnahme des Films mehr gab, die Gültigkeit der Beschlagnahme in Frage gestellt ist.
Bei der erneuten Prüfung der BPJM kam diese zu dem Schluss, der Film sei durch seine Gewaltdarstellung weiterhin verrohend (inhaltlich jugendgefährdend), durch sein Alter aber eben nicht mehr jugendgefährdend. Die Krone setzte nach der Listenstreichung die FSK auf, welche den Film ab 16 einstufte. (Btw seit 2003 vergibt die FSK keine Siegel mehr an "jugendgefährdende Medien", der FSK-Flatschen gilt somit als absolute Schutzmaßnahme).
Nach dieser Begründung kann auch das Gros der folgeindizierten Filme, die Liste verlassen, da es sich dabei nunmal um Filme aus dem Zeitraum 50er-80er handelt.
Weiterhin steht der deutschen Indizierungspraxis der internationale Vergleich entgegen. In den Niederlanden und Dänemark sind die Höchsteinstufungen für Filme 16, teilweise Hardcore-Filme mitinbegriffen.

Die Indizierungspraxis mag mit Jugendschutz begründet werden, trifft zu guter letzt aber alle Erwachsenen gleich mit, da indizierte Artikel eben per se über Spezialverkauf laufen müssen.

Eine weitere Frage, die sich dabei stellt, ist jene, inwieweit der Bann auf Pornografie noch begründet ist. Wie oben bereits erwähnt, werden pornografische Medien genauso behandelt, wie indizierte, auch wenn dies der Wirklichkeit längst nicht mehr entspricht. In anderen Ländern, die Niederlande hier exemplarisch, läuft die Behandlung von Pornografie liberaler, tatsächlich wurde im Laufe einer Kulturreihe mit "Deep Throat" tatsächlich eine Pornofilm im landesweiten Fernsehen übertragen.

Dadurch, dass die angedachte Schutzfunktion de facto nicht mehr der Fall ist, ist diese Praxis hinlänglich. Auch die Frage, inwieweit die Verbannung von Pornografie überhaupt einen Sinn macht, sollte hierbei in den Fokus rücken.
There was blood upon t risers
there were brains upon t chute
Intestines were a-dangling from his paratroopers suit
He was a mess, they picked him up
and poured him from his boots
And he ain't gonna jump no more
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