Ich finde, es ist Aufgabe des Lehrers festzustellen, welche Kompetenzen, Interessen, Fähigkeiten der/die einzelne SchülerIn entwickelt - und ihn/sie dementsprechend zu schulen.
Ich persönlich musste mich auf der Realschule vier Schuljahre mit dem Fach Physik abquälen und musste am Ende sogar noch in mündliche Abschluss-Prüfung, obwohl sich an meiner immerwährenden Physik-Fünf nichts ändern hätte können! Ich bin nicht entsprechend "begabt", habe auch niemals Interesse an Physik entwickelt. Auch wenn ich einen Vater habe, der als Elektro-Ingenieur ein Ass in Physik ist. Für meinen Physik-Lehrer war das schwer zu verstehen - für meinen Vater dagegen gar nicht! Meinen Eltern war ziemlich früh klar, dass ich nur optisch meinem Vater gleiche, ansonsten aber nach meiner Mutter komme. Ich habe auch wie sie später einen sozialen Beruf ergriffen.
So, nun hatte ich diese Fünf im Abschlusszeugnis und fragte mich: Musste das sein? Ich hätte lieber mehr andere Themenfächer, z. B. Geschichte oder Kunst statt Physik vertieft. Oder Deutsch - Diktate habe ich geliebt und (als einzigster) fast immer einen glatten Einser bekommen. Obgleich ich in diesem Fach auch mal einen kleinen Schock für mein junges Leben erhielt: Da ich damals liebend gerne Bücher las, beherrschte ich auch so einige Fremdwörter. Einmal, in einem Aufsatz, verwendete ich mein Wissen - und bekam Punktabzug dafür, "weil ein 15-jähriger solche Worte noch nicht kennen kann". Meine Eltern gingen schnurstracks zum Schulamt und beschwerten sich und ich bekam die Punkte wieder gut geschrieben. Bei dem Lehrer war ich seither aber unten durch.
Oder ich weiß noch, dass wir in Erdkunde mal bestimmt ein Vierteljahr lang über die verschiedenen Klimaverhältnisse in Indien unterrichtet wurden, incl. abschließender Gruppenarbeit, Referat, Plakat, mündlichem Vortrag - ich habe damals mal den Lehrer gefragt, wozu ich das denn unbedingt wissen müsse - seine Antwort: Vielleicht verschlägt es dich irgendwann mal nach Indien? Dann ist es gut für dich zu wissen, auf welches Klima du dich einzustellen hast. Ich habe nie wieder einen Lehrer gefragt, wieso, weshalb, warum...
Den Sportunterricht fand ich auch schrecklich unnütz - für mich persönlich. Seit Jungs & Mädchen getrennt Sportunterricht bekamen, haben wir Jungs nur noch Fußball gespielt; im Sommer draußen, im Winter in der Halle. Den meisten hat's freilich gefallen, aber ich war und bin nicht fußballbegeistert. Ich hätte lieber Volleyball gespielt oder geturnt. Wenigstens hatte unser damaliger Sportlehrer ein wenig Verständnis - ich musste nicht mitspielen, aber halt anwesend sein (also zuschauen und mich langweilen). Und er hat mir "anständigerweise" immer eine Vier am Schuljahresende gegeben.
Nee, glücklich war ich in der Schule nie wirklich. Vieles, dass ich gerne lernen wollte - aber in der Schule nicht durfte - , musste ich mir selbst beibringen. Vieles, was ich beherrschte - was ich aber in der Schule nicht ausleben durfte - musste ich unterdrücken.
Ich finde schon, Grund-/Hauptfächer müssen sein - Deutsch, Mathe, Englisch, vielleicht auch noch Sport. Aber alles andere - z. B. Musik, Kunst, Physik, Chemie, weitere Fremdsprachen usw. - könnte man anklingen lassen und wenn man feststellt, der/die SchülerIn entwickelt Interesse, Kompetenz, Begeisterung, ihn/sie entsprechen fördern.
Problematisch finde ich auch, dass viele Schüler nach den Prüfungen aus der Schüle entlassen werden und dann gar nichts mit sich anzufangen wissen; sie wissen nicht, was sie arbeiten, lernen, studieren sollen/wollen - eben, weil ihre Kompetenzen nicht gefördert wurden und sie sich dementsprechend selber nicht einschätzen können. Weil sie für die Schule lernten, nicht für's Leben.
Meine damals beste Freundin hat's bis heute nicht gepackt - mehrere Ausbildungen abgebrochen; mehrere Versuche, das Abi nachzuholen abgebrochen. Sie hat so viele Fähigkeiten - sie ist künstlerisch kreativ, sie bastelt gern an Autos rum, sie kann gut mit Tieren, kennt sich unwahrscheinlich in Computer-Sachen aus, sie singt wie eine eins - aber sie weiß nicht, was sie will. Sie hat es nicht gelernt! Sie ist jetzt 31 jahre alt und lebt vom Amt und ist aufgrund ihrer Verzweiflung, nichts im Leben erreicht zuhaben, nutzlos zusein, seit mehreren Jahren in psychologischer Behandlung. Ihre Mittlere Reife hat sie aber mit der Durchschnittsnote 1,8 abgeschlossen und war damals zweitbeste unseres Jahrgangs. Supi...
"Man kann auf seinem Standpunkt stehen, aber man sollte nicht darauf sitzen." Erich Kästner