Atheist hat geschrieben:Es ist aber interessant zu sehen, welches Gemenge an sonstigen politischen Abscheulichkeiten mit dem erhobenen Antisemitismusvorwurf gleich mit unterstellt wird. Das war mir bisher nicht bewusst.
Unterstellen will ich hier niemanden etwas. Man kann aber nicht von der Hand weisen, dass Antisemitismus ein zentraler Inhalt des Nationalsozialismus ist. Ich kann schließlich nichts dafür, dass die Nazis den schon vor '33 vorhandenen Antisemitismus noch weiter angeheizt haben.
Der Antisemitismus der Nationalsozialisten ist demgegenüber nicht einfach eine weitere Form des Rassismus. Die Nationalsozialisten sahen die Juden nicht nur als in der Hierarchie der „Menschenrassen“ ganz unten stehend an, sondern als regelrechte „Gegenrasse“, deren gänzliche Vernichtung angestrebtes Ziel war und von deren Verwirklichung in ihrem Wahn das Glück der 'Völker' abhing. Die antisemitische Ideologie identifizierte mit den Juden alles, was als negativ und bekämpfenswert erlebt wurde: Materialismus und Säkularismus, kosmopolitisches Denken und Intellektualität, kapitalistische Konkurrenz und Geldwirtschaft, Parlamentarismus und Demokratie, Sozialismus und Kommunismus. Juden wurden verantwortlich gemacht für politische und soziale Probleme, für den verlorenenen Ersten Weltkrieg, für den vermeintlichen Niedergang von Sitte und Moral. Der Nationalsozialismus knüpfte dabei an einer sich im Laufe des 19. Jahrhunderts durchsetzenden deutschen Nationsvorstellung an. Die deutsche Nationsvorstellung bildete sich im Gegensatz zum republikanischen Nationsmodell Frankreichs im Zuge der antinapoleonischen Kriege heraus. Nicht die Teilhabe an der Nation oder die Geburt im eigenen Land begründete die Vorstellung als Teil der Nation zu gelten, sondern die Idee einer genealogischen Abstammung von deutschem Blut wurde bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zum vorherrschenden Kennzeichen der deutschen Nations-Zugehörigkeit. Die Juden waren für die Mehrheit der Deutschen schon vor dem Nationalsozialismus keine richtigen Deutschen.
Der moderne verschwörungstheoretische und rassistische Antisemitismus konnte auch an ältere Formen des Judenhasses anknüpfen. Jahrhundertelang hatten Juden als einzige nicht-christliche Minderheit inmitten der christlichen Gesellschaften Europas gelebt. Der Hass der Christen auf die Vaterreligion Judentum und ihr Distinktionswille wurde zu einem bestimmenden Moment der christlichen Religion. Für die Christen spielte in vielen Bereichen das Judentum das zu bekämpfende Gegenmodell dar. Die Beibehaltung ihrer jüdischen Religion hatte den Juden die offene Feindschaft der Kirche eingetragen.
Die religiösen Vorurteile vermischten sich im Laufe der Zeit mit wirtschaftlichen und sozialen Faktoren sowie mit rassistischen Denkmustern. Viele bösartige Ressentiments gegen Juden halten sich bis heute hartnäckig. Zum Beispiel heißt es, sie seien ausgesprochen geizig, schlau und hinterlistig, sie praktizierten geheimnisvolle Riten oder zettelten Verschwörungen an, sie besäßen große Macht und geradezu bedrohlichen Einfluß in Wirtschaft und Gesellschaft. In der biologistisch-rassistischen Variante des Antisemitismus wurden Juden zudem als – oftmals körperlich degenerierte – „Parasiten“ und „Schädlinge“ stigmatisiert, die man vernichten müsse.
http://www.kiga-berlin.org/Dokumentatio ... /hi01.html
Atheist hat geschrieben:Allerdings muss ich zugeben, dass mir deine Sicht als etwas zu extrem und zu einseitig erscheint; einseitig, weil sie nur den "europäischen" Rassismus gegen "Minderheiten" behandelt, und extrem, weil sie den Schwerpunkt der Betrachtung zu sehr auf die Folgen verlagert. Rassismus fängt nach meinem Verständnis bereits mit der Unterscheidung von Menschen nach ihrer Herkunft an, wobei mit Herkunft eine enge biologische Verwandschaftsbeziehung gemeint ist (manchmal auch Zurechnung sonstiger bestimmter biologischer Merkmale), und die Durchlässigkeit zu einer nach solchen biologischen Merkmalen geformten Gruppe stark erschwert bis völlig unmöglich gemacht wird. Dabei bedarf es keiner Abwertung, sondern allein schon der zuvor genannten Unterscheidung und starken Erschwerung bis Verunmöglichung der Gruppenzugehörigkeit für Außenstehende, in der Folge auch verbunden mit einer "Entmischung" entsprechend der "Rasse" bzw. um es mit aktuell geläufigen Begrifflichkeiten zu benennen: Ethnie (manchmal sogar Kultur, wenn als "so gut wie angeboren" dargestellt!).
In diesem Sinne sind alle denkbaren Rassismen übel. Und eine zutreffendere Bezeichnung, um den Blickwinkel zu erweitern, ist "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit". Diese richtet sich auch oftmals an biologischen Merkmalen aus, die ein Mensch nur schwer beeinflussen kann und auch gar nicht beeinflussen muss, wenn er es nicht will.
Ja, da hast du wohl recht. Rassismus ist in meinen Augen ein sehr schwammiger Begriff und wird oftmals mit Fremdenfeindlichkeit gleichgesetzt. Wenn man mal nach dem Duden geht ist Rassismus eine:
1.) (meist ideologischen Charakter tragende, zur Rechtfertigung von Rassendiskriminierung, Kolonialismus o. Ä. entwickelte) Lehre, Theorie, nach der Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen mit bestimmten biologischen Merkmalen hinsichtlich ihrer kulturellen Leistungsfähigkeit anderen von Natur aus über- bzw. unterlegen sein sollen
2.) dem Rassismus (1) entsprechende Einstellung, Denk- und Handlungsweise gegenüber Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen mit bestimmten biologischen Merkmalen
In meinen Augen ist Rassismus eigentlich nur die bloße Annahme, dass es überhaupt so etwas wie menschliche Rassen gibt. Dabei ist das erst mal ein neutraler Begriff. Man nehme mal folgendes Szenario: Person A sagt "Es gibt menschliche Rassen." Damit ist er eigentlich schon ein Rassist. Dabei ist jedoch noch nicht gesagt ob er auch der Ansicht ist das "minderwertige Rassen" unterdrückt werden sollen oder ob er der Ansicht ist alle "Rassen" sollten die gleichen Rechte haben. Wäre er der Ansicht "minderwertige Rassen" sollen unterdrückt werden, ist er ein chauvinistischer Rassist. Sagt er "Es gibt keine menschlichen Rassen, trotzdem sollen Schwarze unterdrückt werden," ist er ein Chauvinist, aber kein Rassist.
Trotzdem hat sich dieser Begriff eingebürgert und jeder weiß eigentlich was damit gemeint ist.