Hass auf Atatürk

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Pedro H.
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Hass auf Atatürk

Beitrag von Pedro H. »

Wenn man einen Erdogan-Fan nach den Motiven für seinen Fanatismus befragt, kriegt man in aller Regel die alte Leier vom ökonomischen Erfolg der Türkei am Anfang dieses Jahrhunderts zu hören, oder auch so merkwürdige Dinge wie dass mit Erdogan die Türkei Überhaupt erst auf der Landkarte erschienen wäre – so als ob es Atatürk nie gegeben hätte. Aber das ist nichts weiter als dummes Türkengeschwätz, denn Dankbarkeit erzeugt keinen Fanatismus. Der deutsche Fanatismus für Hitler wurde schliesslich auch nicht durch die Dankbarkeit für den ökonomischen Aufschwung erzeugt, sondern durch gekränkten Nationalstolz vermischt mit romantischen Wahnvorstellungen etc.(*). Und genauso wie damals in Deutschland, liegt auch der Grund des türkischen Fanatismus für Erdogan in Wirklichkeit viel tiefer:

Zwei der sechs kemalistischen Grundprinzipien des Gründers der türkischen Republik Mustafa Kemal Atatürk erwiesen sich im Laufe der Zeit als absolut unverträglich mit der türkischen Identität: Der Nationalismus kemalistischer Prägung und der Laizismus.

Was den Nationalismus kemalistischer Prägung angeht, schnitt er die Türkei praktisch von ihrer osmanischen Vergangenheit ab. Der neue Nationalismus sollte sich gezwungenermassen auf republikanische Werte beziehen, und das alte “lang lebe der Sultan” wurde einfach durch so etwas wie “Wie toll ist es doch, ein Türke zu sein” (Ne mutlu Türküm diyene) ersetzt. Aber das war natürlich völlig künstlich, denn der Nationalstolz baut sich in der Regel auf irgendeinem historischen Bezug auf, welcher im Falle der Türkei zu allem Überfluss auch noch glorreicher kaum sein könnte. Eine Vergangenheit wie die der Türkei so einfach zu vergessen sollte für einen Türken doch sehr schwierig sein.

Und der Laizismus wurde den Türken -welche die 150 Jahre Blutvergiessen über den Laizismus während der Renaissance nie haben miterleben müssen- genauso übergestülpt wie der neue Nationalismus. Denn die Türken sind in aller Regel doch sehr religiöse Leute.

Und so kommt es, dass heutzutage viele Millionen von Túrken einen heimlichen Hass auf Atatürk empfinden, auch wenn sie sich normalerweise eher die Zunge amputieren würden als diesen Hass zuzugeben. Denn auch heutzutage müssen alle Schulkinder den oben erwähnten Nationaleid kennen, welcher so aufhört: “.......... O großer Atatürk! Ich schwöre, dass ich unaufhaltsam auf dem von dir eröffneten Weg zu dem von dir gezeigten Ziel streben werde. Mein Dasein soll der türkischen Existenz ein Geschenk sein. Wie glücklich derjenige, der sagt ,Ich bin Türke‘!“. Eine kritische Diskussion des Kemalismus ist in der Türkei schon immer so unmöglich gewesen, wie es heutzutage eine kritische Diskussion von Erdogan ist. Und genau hier ist es, wo der Neo-Osmanismus und der Gülenismus ins Spiel kommen.

Der Neo-Osmanismus ist die Ideologie der -trotz schlechter Wahlergebnisse heute praktisch alleinherrschenden- AKP, deren Gründer Erdogan ist, und welche die Rückbesinning auf osmanische Werte einschliesslich der Religion propagiert. Religion und Nationalstolz werden hier also -genauso wie damals im franquistischen Spanien- miteinander verbunden. In seiner Essenz ist der Neo-Osmanismus also antikemalistisch, wovon weder eine Maus noch ein Erdogan-Fan einen Faden abbeissen kann. Und damit ist ruck-zuck eigentlich auch schon alles Wesentliche über den Neo-Osmanismus erklärt.

Und der Fanatismus der Erdogan-Fans erklärt sich dadurch, dass ihnen der Neo-Osmanismus Erdogans eine Erlösung aus ihrer kemalistischen Frustration bietet und es ihnen endlich wieder ermöglicht sich nach türkischer Herzenslust stolz zu fühlen. Das türkische Militär aber war traditionell der Garant des Kemalismus, und so lässt sich die Wut erklären, mit der die Erdogan-Fans (und nicht die Verteidiger der Demokratie) die zum Putsch abbeorderten Rekruten bis aufs Blut verprügelten. Von einem “Erdoganismus” kann man hier allerdings wohl nicht reden, denn das wäre lediglich ein Synonym für Hirnlosigkeit.

Der Gülenismus auf der anderen Seite bezieht sich auf die Philosophie eines früheren Partners von Erdogan namens Fethullah Gülen, und er basiert auf einer Sufismus genannten mystischen Sparte des Islam. Und Güllen versucht nun unter Anderem die Quadratur des Kreises, indem er einen sowohl laizistischen aber gleichzeitig auch religiösen Staat propagiert. Und des Weiteren redet und schreibt er seit Jahrzehnten ständig über die Naturwissenschaften und die Verständigung zwischen Religionen (hat mal einen Papst besucht) und Kulturen und so weiter etc. pp. Wer mehr darüber wissen möchte, kann mal bei http://www.gulenmovement.us reinschauen. Der Gülenismus nimmt also ein mittleres Terrain zwischen dem Kemalismus und dem Neo-Osmanismus ein. Nichtsdestotrotz lehnt die Gülenbewegung (“Hizmet”) die Bildung einer politischen Partei grundsätzlich ab, denn es geht hierbei esentiell nur um eine Gesinnungsgemeinschaft, vergleichbar in etwa mit dem Opus Dei. Interessant ist hierbei auch, dass die Gülenbewegung offenbar keine türkischen sondern ausschliesslich englische Webseiten hat, vermutlich um dem Vorwurf der politischen Propaganda in der Türkei zu entgehen.

Der Kampf Erdogans gegen Gülen ist also ein ideologischer Kampf, welcher im Problem der kemalistischen Erbschaft der Türkei seine Wurzel findet. Im Prinzip meint Gülen, -und wie könnte es auch anders sein;-)- dass der Koran bereits die Grundprinzipien der Demokratie enthält und so nicht nur mit der Demokratie vereinbar ist sondern sie fast schon verlangt, und dass religiöser politischer Einfluss wie auch in Teilen Europas (Spanien, Italien) durchaus mit dem Laizismus vereinbar sei. Gülen könnte also auch als ein gemässigter Kemalist bezeichnet werden.

Was allerdings den Umgang mit der politischen Erbschaft von Atatürk angeht, so besteht ein enormer Unterschied zwischen Erdogan und Gülen. Während Erdogan die Unverschämtheit besitzt auf AKP Demonstrationen auch noch das Bild von Atatürk zu misbrauchen, greift Gülen in seinen Schriften Atatürk für seinen (radikalen?) Laizismus offen an, und ist somit einer der ganz wenigen Türken, die dazu die dazu den Mut haben.

Und die politische Bestie Erdogan weiss natürlich, dass sie Gülen intellektuell letztlich nichts entgegenzusetzen hat. Und so bleibt ihm nichts weiter übrig als seine Schauermär von den hinterlistigen Fethullahterroristen, welche ihr Unwesen nicht nur in der Türkei treiben, sondern eine globale Organisation sind welche unser Unterbewusstsein auf eine so subtile Art und Weise zu terrorisieren versteht, dass unser Bewusstsein dies überhaupt nicht wahrnemen kann und wir so alle eines Morgens plötzlich als Sharia-Anhänger aufwachen werden. Dies ist es, wovor Erdogan die Welt warnen will. Wer´s glaubt ist Türke. Und all das wegen der politischen Erbschaft von Atatürk.


(*: Allerdings muss im Fall Deutschland wohl eingestanden werden, dass hier durch die -im Wesentlichen friedliche- Rheinlandbesetzung der getröstete Nationalstolz mit dem ökonomischen Aufschwung verbunden wurde (wäre es doch bloss dabei geblieben!!). In der Türkei hingegen war der ökonomische Aufschwung mit der Anlehnung an Europa verbunden und ist jetzt natürlich ins Stocken geraten.)
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Quatschki
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Quatschki »

Atatürk war ein rücksichtsloser Autokrat, der im offiziellen Deutschland nur aus Rücksicht auf die Gefühle der Türken nicht als Faschist bezeichnet wird. Weil die Türken nie gelernt haben , sich kritisch mit ihm auseinanderzusetzen, fällt es ihnen auch so schwer, Erdogan zu durchschauen.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Alexyessin »

Quatschki hat geschrieben:(21 Aug 2016, 22:30)

Atatürk war ein rücksichtsloser Autokrat, der im offiziellen Deutschland nur aus Rücksicht auf die Gefühle der Türken nicht als Faschist bezeichnet wird. Weil die Türken nie gelernt haben , sich kritisch mit ihm auseinanderzusetzen, fällt es ihnen auch so schwer, Erdogan zu durchschauen.
Welche Defintion von Faschist würdest du bei Atatürk anwenden?
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Fuerst_48 »

Quatschki hat geschrieben:(21 Aug 2016, 22:30)

Atatürk war ein rücksichtsloser Autokrat, der im offiziellen Deutschland nur aus Rücksicht auf die Gefühle der Türken nicht als Faschist bezeichnet wird. Weil die Türken nie gelernt haben , sich kritisch mit ihm auseinanderzusetzen, fällt es ihnen auch so schwer, Erdogan zu durchschauen.
Ata Türk und den Spinner Erdogan miteinander zu vergleichen, ist echt gewagt, um nicht zu sagen UNSINNIG !!
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Quatschki »

Alexyessin hat geschrieben:(22 Aug 2016, 15:24)

Welche Defintion von Faschist würdest du bei Atatürk anwenden?
Die marxistisch-leninistische,
Er war vergleichbar mit Zeitgenossen wie Pilsudski, Horthy, Mannerheim, Franco, Perón und anderen antidemokrarischen Diktatoren.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Alexyessin »

Quatschki hat geschrieben:(22 Aug 2016, 17:41)

Die marxistisch-leninistische,
Er war vergleichbar mit Zeitgenossen wie Pilsudski, Horthy, Mannerheim, Franco, Perón und anderen antidemokrarischen Diktatoren.
Dann führe das doch mal aus.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von schokoschendrezki »

Aus einer aktuellen Analyse genau zum Thema dieses Strangs in der Reihe "hintergrund" des Deutschlandfunks:
Der gescheiterte Staatsstreich wirkt jetzt wie ein Katalysator für den Umbau der politischen Grundstruktur. Die Republik des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk wird in die Geschichte verabschiedet. Es entsteht eine Republik nach den Vorstellungen Recep Tayyip Erdogans. Etatismus, Nationalismus, Republikanismus, Revolutionismus, Laizismus und Populismus – das sind die sechs Pfeile oder Grundprinzipien des Kemalismus zur Gründung der Republik. An diesen sechs Grundprinzipien kann Erdogan festhalten – aber unter dem geänderten Vorzeichen einer islamisch-konservativen Ausrichtung.
Für weitaus wichtiger als das Verhältnis Erdogans und seiner umgebauten Türkei zum Staatsgründer Atatürk halte ich aber die Einordnung dieser Vorgänge in globale Entwicklungen. Die Auseinandersetzungen um Kemal/Islam/Gülen/Erdogan sind nur die nationalen Spezifika einer Tendenz, die in der Sendung so beschrieben werden:
Erdogans Populismus entspricht einem globalen Trend. Er versteht es meisterhaft, seine Anhänger für seine Zwecke zu mobilisieren und diese als Wille des Volkes zu verkaufen. Und er versteht es sehr gut, politische Enttäuschungen in Vorwürfe gegen andere umzumünzen.
(http://www.deutschlandfunk.de/erdogan-u ... _id=363354)
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Quatschki »

Alexyessin hat geschrieben:(23 Aug 2016, 08:19)

Dann führe das doch mal aus.
Wozu?
Jeder kann selbst nachlesen, mit welchen Mitteln und Methoden er die "moderne Türkei" geschmiedet hat und wie er Oppositionelle und nationale Minderheiten unterdrücken ließ. Anders als in westlichen Staaten entstanden Modernisierung und (viel später) oberflächliche Demokratisierung nicht aus einem inneren Bedürfnis des Volkes heraus, sondern als Elitenprojekt von Oben. Entsprechend schlecht ist es um die Nachhaltigkeit bestellt.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Alexyessin »

Quatschki hat geschrieben:(23 Aug 2016, 09:07)

Wozu?
Um deine Behauptung anständig zu belegen. Ganz einfach. Das ist so Usus in einer Diskussion, vor allem wenn es um Politik geht.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Haegar »

Danke an den Threadersteller für den interessanten Beitrag.

Ich selbst denke bisher, dass es zu viele Strömungen innerhalb der Türkei gibt, als dass es zu einem neo-osmanisches Reich im Sinne eines Erdogan kommen kann. Sobald sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert, befürchte/erwarte ich einen weiteren Putsch.

MfG
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Kardux »

Alexyessin hat geschrieben:(23 Aug 2016, 10:04)

Um deine Behauptung anständig zu belegen. Ganz einfach. Das ist so Usus in einer Diskussion, vor allem wenn es um Politik geht.
Ich möchte Ihnen zwar nicht auf den Schlips treten, aber Atatürks Nähe zum Faschismus ist nun wahrlich kein Geheimnis - ist eigentlich Allgemeinwissen. Atatürk hat das turkofaschistische Fundament gebaut, er propagierte die Überlegenheit der edlen türkischen Rasse. Seine Sprüche sind allgemein bekannt und laut den gängigsten Definitionen des Faschismus, also der Überhöhung der eigenen Nation gegenüber anderen Nationen, zutreffend.

http://www.hup.harvard.edu/catalog.php? ... 0674368378
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Jekyll
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Jekyll »

Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches musste Mustafa Kemal das Land mit seinen vielen Ethnien und Kulturen zu einer Nation zusammenschweißen. Seine "nationalistische" Art ist in diesem Zusammenhang zu verstehen und zu bewerten. Er selbst war ein sehr westlich orientierter, sehr progressiv denkender Mensch und hatte wohl eine sehr hohe Meinung über die Deutschen. Mit Faschisten aus Europa (Mussolini, Hitler) konnte er aber nicht viel anfangen:
Atatürks Nationalismus war nach innen gerichtet, bezog sich auf die Türkei und ihre Bevölkerung und beinhaltete nach außen keine aggressive Komponente. Er lehnte eine pantürkisch motivierte imperialistische Expansion im Gegensatz zu seinem früheren Rivalen Enver Pascha ab:

„Heute sind alle Nationen der Erde fast Verwandte geworden oder bemühen sich, es noch zu werden. Infolgedessen muss der Mensch nicht nur an die Existenz und das Glück derjenigen Nation denken, der er angehört, sondern auch an das Vorhandensein und Wohlbefinden aller Nationen der Welt … Wir wissen nicht, ob uns nicht ein Ereignis, das wir weit entfernt glauben, eines Tages erreicht. Aus diesem Grund muss man die gesamte Menschheit als einen Körper und eine Nation als sein Glied betrachten.“

[...]

Zu den faschistischen Diktatoren Mussolini und Hitler hielt Atatürk unmissverständlich Abstand und hieß eine Vielzahl zu Beginn der NS-Herrschaft ins türkische Exil flüchtender Wissenschaftler, Künstler und Architekten willkommen, die eine Mitwirkung der Exilanten bei der Modernisierung des Landes und beim Aufbau des türkischen Hochschulwesens gut gebrauchen konnte. Für manche von ihnen wurden die Universitäten von Ankara und Istanbul zu neuen Wirkungsstätten. Unter denen, die in der Türkei eine Zuflucht fanden, waren der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin Ernst Reuter sowie die Architekten Clemens Holzmeister, der den Regierungsbezirk in Ankara entwarf, und Bruno Taut, der 1938 den Katafalk zur Trauerfeier für den verstorbenen Atatürk entwerfen sollte.
https://de.wikipedia.org/wiki/Mustafa_K ... hes_Wirken

Und er war genial, geradezu prophetisch in seiner Einschätzung, was die Entwicklungen in Deutschland und Europa anging:
„Meiner Meinung nach wird das Schicksal Europas wie gestern auch morgen von der Haltung Deutschlands abhängig sein. Diese außergewöhnlich dynamische und disziplinierte Nation von 70 Millionen wird, sobald sie sich einer politischen Strömung hingibt, die ihre nationalen Begierden aufpeitscht, früher oder später den Vertrag von Versailles zu beseitigen suchen. Deutschland wird in kürzester Zeit eine Armee aufstellen können, die imstande sein wird, ganz Europa, mit Ausnahme von England und Russland, zu besetzen … der Krieg wird in den Jahren 1940/45 ausbrechen … Frankreich hat keine Möglichkeit mehr, eine starke Armee aufzustellen. England kann sich bei der Verteidigung seiner Insel nicht mehr auf Frankreich verlassen. Amerika wird in diesem Krieg genau wie im Ersten Weltkrieg nicht neutral bleiben können. Und Deutschland wird wegen des amerikanischen Kriegseintritts diesen Krieg verlieren..."
https://de.wikipedia.org/wiki/Mustafa_K ... hes_Wirken
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Alexyessin »

Kardux hat geschrieben:(23 Aug 2016, 22:55)

Ich möchte Ihnen zwar nicht auf den Schlips treten, aber Atatürks Nähe zum Faschismus ist nun wahrlich kein Geheimnis - ist eigentlich Allgemeinwissen. Atatürk hat das turkofaschistische Fundament gebaut, er propagierte die Überlegenheit der edlen türkischen Rasse. Seine Sprüche sind allgemein bekannt und laut den gängigsten Definitionen des Faschismus, also der Überhöhung der eigenen Nation gegenüber anderen Nationen, zutreffend.

http://www.hup.harvard.edu/catalog.php? ... 0674368378
Einer der wichtigsten Punkte fehlt aber gänzlich - die religiöse Komponente.
Die Überhöhung der eigenen Nation / Rasse ist ein Teilaspekt, aber Nationalismus alleine reicht eben nicht aus um Faschismus zu definieren. Da hast du ein wenig zu verallgemeinert gedacht :)
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Europa2050 »

Kardux hat geschrieben:(23 Aug 2016, 22:55)

Ich möchte Ihnen zwar nicht auf den Schlips treten, aber Atatürks Nähe zum Faschismus ist nun wahrlich kein Geheimnis - ist eigentlich Allgemeinwissen. Atatürk hat das turkofaschistische Fundament gebaut, er propagierte die Überlegenheit der edlen türkischen Rasse. Seine Sprüche sind allgemein bekannt und laut den gängigsten Definitionen des Faschismus, also der Überhöhung der eigenen Nation gegenüber anderen Nationen, zutreffend.

http://www.hup.harvard.edu/catalog.php? ... 0674368378
Im Prinzip gebe ich Ihnen schon recht - aber: Man sollte Atatürk in seiner Zeit beurteilen. Die 20'er und 30' er Jahre des letzten Jahrhunderts waren nunmal die Hochzeit autoritärer Nationalistischer "Führerregimes" und "Führerkts" in Europa. Ob nun ein Atatürk, ein Franco, ein Pilsudski, ein Mannerheim, ein Horthy, diverse Könige, Prinzen und sonstige Restanten der Monarchie (vornehmlich am Balkan) diverse Minidiktatoren im Baltikum, aber auch ein Bandera - es war letztlich alles der gleiche Schlag.
Nur waren eben die meisten nicht so aggressiv wie Mussolini und Hitler und auch etwas intelligenter.

Wichtiger als eine moralische Bewertung von 100 Jahre alten Personen und Ereignissen scheint mir deshalb der Auftrag, deren Wiederholung zu verhindern - und da sind wir wieder beieinander :thumbup:
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Kardux »

Europa2050 hat geschrieben:(24 Aug 2016, 08:28)

Im Prinzip gebe ich Ihnen schon recht - aber: Man sollte Atatürk in seiner Zeit beurteilen. Die 20'er und 30' er Jahre des letzten Jahrhunderts waren nunmal die Hochzeit autoritärer Nationalistischer "Führerregimes" und "Führerkts" in Europa. Ob nun ein Atatürk, ein Franco, ein Pilsudski, ein Mannerheim, ein Horthy, diverse Könige, Prinzen und sonstige Restanten der Monarchie (vornehmlich am Balkan) diverse Minidiktatoren im Baltikum, aber auch ein Bandera - es war letztlich alles der gleiche Schlag.
Nur waren eben die meisten nicht so aggressiv wie Mussolini und Hitler und auch etwas intelligenter.

Wichtiger als eine moralische Bewertung von 100 Jahre alten Personen und Ereignissen scheint mir deshalb der Auftrag, deren Wiederholung zu verhindern - und da sind wir wieder beieinander :thumbup:
Ja, definitiv. Ich gebe Ihnen Recht. Die 1920er und 1930er Jahre waren geprägt von Autokraten. Und Atatürks Intelligenz habe ich auch niemals infrage gestellt. Er war gewiss einer der wichtigsten Staatsmänner des letzten Jahrhunderts und hat vielleicht auch aus türkischer Sicht Prophetenstatus aber seine Sprüche und Ideologie sind geprägt von einem nach innen aggressiv ausgerichteten Nationalismus. Er hat der Türkei eine Verfassung und Doktrin vererbt die nicht mehr zeitgemäß ist. Der Faschismus Atatürks wird eigentlich nur mehr modifiziert von seinen Nachfolgern. Erdogan hatte in seiner Anfangszeit Zeichen gesetzt diesen Faschismus aufzubrechen, das hat der Wirtschaft gut getan. Aber seit einigen Jahren hat er sein wahres Gesicht gezeigt und versucht in Wahrheit nur in die Fussstapfen Atatürks zu treten, nur eben islamisch-orientiert. Das systematische Unterdrücken von Christen und Kurden bis zum heutigen Tag ist und bleibt ein Ausdruck des türkischen Faschismus.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Kardux »

Alexyessin hat geschrieben:(24 Aug 2016, 07:58)

Einer der wichtigsten Punkte fehlt aber gänzlich - die religiöse Komponente.
Die Überhöhung der eigenen Nation / Rasse ist ein Teilaspekt, aber Nationalismus alleine reicht eben nicht aus um Faschismus zu definieren. Da hast du ein wenig zu verallgemeinert gedacht :)
Diese wichtige Komponente existiert nur in Ihrer Phantasie. In keiner Definition bzw. erweiterterten Definition des Begriffs wird die religiöse Komponente hervor gehoben. Das Wesen des Faschismus ist die extrem rechte Auslegung, also der fanatische Nationalismus. Genau dieser drückt immer seine Überlegenheit gegenüber anderen Völkern aus.

Mit der Überhöhung der eigenen Nation beginnt die Radikalisierung, das ist keine Verallgemeinerung und auch kein Teilaspekt des Faschismus sondern der Kern.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Alexyessin »

Kardux hat geschrieben:(24 Aug 2016, 09:12)

Diese wichtige Komponente existiert nur in Ihrer Phantasie.
Falsch.
Kleines Lexikon der Politik
https://books.google.de/books/about/Kle ... edir_esc=y

Da unter Faschismus.

Sollte dir jetzt als Quelle genügen, oder?
Kardux hat geschrieben:(24 Aug 2016, 09:12)In keiner Definition bzw. erweiterterten Definition des Begriffs wird die religiöse Komponente hervor gehoben. Das Wesen des Faschismus ist die extrem rechte Auslegung, also der fanatische Nationalismus. Genau dieser drückt immer seine Überlegenheit gegenüber anderen Völkern aus.
Doch, die religiöse Komponente wird sogar expliziet genannt. Sorry, aber da bist du nunmal auf dem Holzweg ( deswegen betrachtet man übrigens den NS als Sonderfall des Faschismus )
Kardux hat geschrieben:(24 Aug 2016, 09:12)
Mit der Überhöhung der eigenen Nation beginnt die Radikalisierung, das ist keine Verallgemeinerung und auch kein Teilaspekt des Faschismus sondern der Kern.
Nein, das ist ein Teilaspekt. Es gibt auch negativen Nationalismus in nicht-faschistischen Staaten / bzw. überhöhter, negativer Nationalismus ist zwar ein wichtiger Bestandteil des Faschismus, aber weder sein einziger noch sein Alleinstellungsmerkmal. Das ist ein Denkfehler, den Linke "Antifaschisten" gerne machen ( denk mal nicht, das du da dazu gehörst ) in jeder Art des Nationalismus automatisch den Faschismus zu definieren.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Kardux »

Alexyessin hat geschrieben:(24 Aug 2016, 09:29)

Falsch.
Kleines Lexikon der Politik
https://books.google.de/books/about/Kle ... edir_esc=y

Da unter Faschismus.

Sollte dir jetzt als Quelle genügen, oder?



Doch, die religiöse Komponente wird sogar expliziet genannt. Sorry, aber da bist du nunmal auf dem Holzweg ( deswegen betrachtet man übrigens den NS als Sonderfall des Faschismus )



Nein, das ist ein Teilaspekt. Es gibt auch negativen Nationalismus in nicht-faschistischen Staaten / bzw. überhöhter, negativer Nationalismus ist zwar ein wichtiger Bestandteil des Faschismus, aber weder sein einziger noch sein Alleinstellungsmerkmal. Das ist ein Denkfehler, den Linke "Antifaschisten" gerne machen ( denk mal nicht, das du da dazu gehörst ) in jeder Art des Nationalismus automatisch den Faschismus zu definieren.
Und was steht in diesem Lexikon wortwörtlich? Jede Definition zu diesem Begriff, die ich bisher gelesen habe hebt den extremen Nationalismus hervor.

Der Atatürk'sche Faschismus hat den Islam quasi in die Ecke gedrängt und einen Kemalismus etabliert der den Islam als neue Religion ablösen sollte. Der Vater der Türken wurde zum Propheten, ein Heiligtum das sogar Erdogan noch immer respektieren muss. Atatürk seiner Zeit bezeichnete den Propheten des Islams als ungebildeten Beduinen. Aber selbst religiöse Türken haben dies dem türkischen Propheten verziehen. Der Faschismus Atatürks und seine Phrasen das Türken anderen überlegen wären, linderten den Nationalstolz der Türken. Erdogans Popularität rührt auch daher, die Türken wollen wieder wer sein, sprich über anderen stehen. Das ist eine faschistische Gesellschaft, und der Personenkukt ist hierbei nur ein Merkmal.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Haegar »

Ich finde dieser Satz als Definition des Faschismus aus dem Wikipedia interessant:

In seinem im Jahre 2004 veröffentlichten Buch The Anatomy of Fascism definiert der US-amerikanische Geschichtsprofessor Robert O. Paxton Faschismus so:

„Faschismus kann definiert werden als eine Form des politischen Verhaltens, das gekennzeichnet ist durch eine obsessive Beschäftigung mit Niedergang, Demütigung oder Opferrolle einer Gemeinschaft und durch kompensatorische Kulte der Einheit, Stärke und Reinheit, wobei eine massenbasierte Partei von entschlossenen nationalistischen Aktivisten in unbequemer, aber effektiver Zusammenarbeit mit traditionellen Eliten demokratische Freiheiten aufgibt und mittels einer als erlösend verklärten Gewalt und ohne ethische oder gesetzliche Beschränkungen Ziele der inneren Säuberung und äußeren Expansion verfolgt.“


https://de.wikipedia.org/wiki/Faschismustheorie

Mir fehlt bei Atatürk die Komponente äußere Expansion und massenbasierte Partei. Hinsichtlich der äußeren Expansion werden die kurdischen Menschen evtl. anders denken.
Man könnte also bei Atatürk eher den Begriff faschistoid anwenden.

Die weitere Frage könnte sein, wo steht die Türkei mit Erdogan jetzt ?

MfG
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Alexyessin »

Kardux hat geschrieben:(24 Aug 2016, 10:17)

Und was steht in diesem Lexikon wortwörtlich? Jede Definition zu diesem Begriff, die ich bisher gelesen habe hebt den extremen Nationalismus hervor.
Muss ich daheim nachlesen, bin grad in der Arbeit. Ahead hat vor Jahren - mit dem hatt ich diese Diskussion auch schon - das mal als Bild gepostet. Mal sehen, ob ich das finden kann.
Kardux hat geschrieben:(24 Aug 2016, 10:17)
Der Atatürk'sche Faschismus hat den Islam quasi in die Ecke gedrängt und einen Kemalismus etabliert der den Islam als neue Religion ablösen sollte. Der Vater der Türken wurde zum Propheten, ein Heiligtum das sogar Erdogan noch immer respektieren muss. Atatürk seiner Zeit bezeichnete den Propheten des Islams als ungebildeten Beduinen. Aber selbst religiöse Türken haben dies dem türkischen Propheten verziehen. Der Faschismus Atatürks und seine Phrasen das Türken anderen überlegen wären, linderten den Nationalstolz der Türken. Erdogans Popularität rührt auch daher, die Türken wollen wieder wer sein, sprich über anderen stehen. Das ist eine faschistische Gesellschaft, und der Personenkukt ist hierbei nur ein Merkmal.
Kann es sein, das du Atatürk als Faschisten sehen musst?
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Kardux »

Alexyessin hat geschrieben:(24 Aug 2016, 11:05)

Muss ich daheim nachlesen, bin grad in der Arbeit. Ahead hat vor Jahren - mit dem hatt ich diese Diskussion auch schon - das mal als Bild gepostet. Mal sehen, ob ich das finden kann.



Kann es sein, das du Atatürk als Faschisten sehen musst?
Ihre Frage ist interessant und berechtigt. Natürlich trete ich in diesem Forum als Kurde auf der Vieles aus kurdischer Perspektive beurteilt und analysiert, alles Andere wäre auch nicht authentisch. Nichtsdestotrotz bin ich bemühmt auch Objektivität walten zu lassen. Genau in diese Denkmuster, Atatürk muss dies und das sein weil er meiner Gruppe geschadet hat, möchte ich mich nicht zwängen. Ich habe zu Mustafa Kemal schon etliches gelesen, u.a. auch Lobeshymnen. Seine Verdienste für die Türken, u.a. das Abwenden des totalen territorialen Verlusts der heutigen Westtürkei und dem Osten. Abgesehen davon hat er die Türkei modernisiert und reformiert. Aber auch hier darf man so kritisch sein und hinterfragen ob es sinnvoll war die Türkei, also einem Staat mit langer Staatstradition, in ein abendländisches Land verwandeln zu wollen, und das von heute auf morgen. Sein Laizismus war in der Art und Weise einfach nicht haltbar in der Türkei. Nicht ein Staatsmann kann eine Gesellschaft verändern, es sind viele Denker, Poeten, Musiker, Philosophen, usw. die langsam die Gesellschaft verändern.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Alexyessin »

Kardux hat geschrieben:(24 Aug 2016, 21:50)

Ihre Frage ist interessant und berechtigt. Natürlich trete ich in diesem Forum als Kurde auf der Vieles aus kurdischer Perspektive beurteilt und analysiert, alles Andere wäre auch nicht authentisch. Nichtsdestotrotz bin ich bemühmt auch Objektivität walten zu lassen. Genau in diese Denkmuster, Atatürk muss dies und das sein weil er meiner Gruppe geschadet hat, möchte ich mich nicht zwängen. Ich habe zu Mustafa Kemal schon etliches gelesen, u.a. auch Lobeshymnen. Seine Verdienste für die Türken, u.a. das Abwenden des totalen territorialen Verlusts der heutigen Westtürkei und dem Osten. Abgesehen davon hat er die Türkei modernisiert und reformiert. Aber auch hier darf man so kritisch sein und hinterfragen ob es sinnvoll war die Türkei, also einem Staat mit langer Staatstradition, in ein abendländisches Land verwandeln zu wollen, und das von heute auf morgen. Sein Laizismus war in der Art und Weise einfach nicht haltbar in der Türkei. Nicht ein Staatsmann kann eine Gesellschaft verändern, es sind viele Denker, Poeten, Musiker, Philosophen, usw. die langsam die Gesellschaft verändern.
In der Weise ähnelt Atatürk aber eher historischen Gestalten wie Friedrich II oder Zar Peter - die sogenannten Revolutionäre von Oben als einem Faschisten.
Meiner Meinung nach würde ich Atatürk als Nationalautokraten mit Militärischer Unterstützung bezeichnen, aber eben ( noch ) nicht als Faschisten.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von bennyh »

Jekyll hat geschrieben:(23 Aug 2016, 23:37)
Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches musste Mustafa Kemal das Land mit seinen vielen Ethnien und Kulturen zu einer Nation zusammenschweißen.
Sie stellen es so dar, als sei die türkische Republik als eine Art multikultureller Vielvölkerstaat gegründet worden. Genau das Gegenteil war der Fall. Das osmanische Reich war lange Zeit ein Vielvölkerstaat. Atatürks Prinzip, das bis heute gültig ist, war das eines Staates mit klarer ethnischer Identität und Dominanz der türkischen Ethnie. Die Idee des Kemalismus ist nicht viele Völker-eine Nation, sondern eine Nation für ein Volk. Vor und während der Gründung der türkischen Republik wurde der Großteil sogenannter subversiver Ethnien (Griechen, Armenier, Assyrer, Bulgaren) aus der Türkei vertrieben und vielfach ermordet. Kemal war mit Ausnahme des griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch nicht dafür verantwortlich, das waren vor allem die Jungtürken und davor Sultan Hamid, aber er übernahm das Prinzip. Kemalismus ist ideologisch sehr weit entfernt von Multikulturalismus. Wäre Multikulturalismus "kompatibler" mit Kemalismus und der Staatsideologie der türkischen Republik, gäbe es zum Beispiel die internen Probleme mit der kurdischen Minderheit nicht in dem Ausmaß, wie sie seit langem existieren.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Kardux »

Alexyessin hat geschrieben:(25 Aug 2016, 08:51)

In der Weise ähnelt Atatürk aber eher historischen Gestalten wie Friedrich II oder Zar Peter - die sogenannten Revolutionäre von Oben als einem Faschisten.
Meiner Meinung nach würde ich Atatürk als Nationalautokraten mit Militärischer Unterstützung bezeichnen, aber eben ( noch ) nicht als Faschisten.
Atatürk war auch kein reiner Faschist, so vereinfacht habe ich diese Person nicht beschrieben. Er war gewiss auch ein Reformator, Revolutionär, und genialer Offizier, aber eben auch der Faschist der ganze Völker leugnete und die heutige Staatsdoktrin des Einheitsbreis manifestiert hat. Er hat ganzen Volksgruppen das Gefühl gegeben minderwertig zu sein. Er hat diesen Rassismus institutionalisiert. In Schulen wird christlichen und kurdischen Kindern eingetrichtert Türken zu sein und das man darauf stolz sein muss. Für mich ist das ein psychologischer Völkermord. Das alles begann eigentlich schon mit den Jungtürken, aber der Kemalismus hat diesen Faschismus noch vorangetrieben und etabliert.

Vielleicht sollten Sie auch ein wenig objektiver Atatürk analysieren. Sie sehen eigentlich nur was Sie sehen wollen, den Modernisierer der einen verkappten Laizismus eingeführt hat. Wohin dieser künstliche Laizismus geführt hat sehen wir heute.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Alexyessin »

Kardux hat geschrieben:(25 Aug 2016, 14:19)

Atatürk war auch kein reiner Faschist, so vereinfacht habe ich diese Person nicht beschrieben. Er war gewiss auch ein Reformator, Revolutionär, und genialer Offizier, aber eben auch der Faschist der ganze Völker leugnete und die heutige Staatsdoktrin des Einheitsbreis manifestiert hat. Er hat ganzen Volksgruppen das Gefühl gegeben minderwertig zu sein. Er hat diesen Rassismus institutionalisiert. In Schulen wird christlichen und kurdischen Kindern eingetrichtert Türken zu sein und das man darauf stolz sein muss. Für mich ist das ein psychologischer Völkermord. Das alles begann eigentlich schon mit den Jungtürken, aber der Kemalismus hat diesen Faschismus noch vorangetrieben und etabliert.

Vielleicht sollten Sie auch ein wenig objektiver Atatürk analysieren. Sie sehen eigentlich nur was Sie sehen wollen, den Modernisierer der einen verkappten Laizismus eingeführt hat. Wohin dieser künstliche Laizismus geführt hat sehen wir heute.
Nö, ich bin nur vorsichtig, was die Begrifflichkeit Faschist betrifft, das ist alles. Und die sehe ich hier halt von deiner Seite aus nicht genug belegt.
Es gibt ohne Nationalismus und Rassimus keinen Faschismus - aber nicht jeder Nationalismus und / oder Rassismus IST Faschismus.
Jetzt verstanden?
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Kardux »

Alexyessin hat geschrieben:(25 Aug 2016, 15:13)

Nö, ich bin nur vorsichtig, was die Begrifflichkeit Faschist betrifft, das ist alles. Und die sehe ich hier halt von deiner Seite aus nicht genug belegt.
Es gibt ohne Nationalismus und Rassimus keinen Faschismus - aber nicht jeder Nationalismus und / oder Rassismus IST Faschismus.
Jetzt verstanden?
Jede Definition die ich bisher gelesen habe hebt den extremen Nationalismus hervor, aber auch den Personenkult. Es passt perfekt zu Atatürk. Und die Tatsache das Hitler Atatürk nacheifern wollte ist wohl der ultimative Beweis das beide Brüder im Geiste waren. Atatürk war jedoch ein Mann mit Realitätssinn, auch wenn er auf Biegen und Brechen die Türkei in kürzestester Zeit verändern wollte, so wusste er das seine faschistischen Brüder in Italien und Deutschland mit ihrem Größenwahn nichts erreichen werden.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Alexyessin »

Kardux hat geschrieben:(25 Aug 2016, 17:49)

Jede Definition die ich bisher gelesen habe hebt den extremen Nationalismus hervor, aber auch den Personenkult.
Sicherlich ist das ein wichtiger Bestandteil, aber halt kein Automatismus.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Jekyll »

bennyh hat geschrieben:(25 Aug 2016, 12:07)

Sie stellen es so dar, als sei die türkische Republik als eine Art multikultureller Vielvölkerstaat gegründet worden.
Nein, ich habe es tatsächlich so darstellen wollen, wie ich es auch geschrieben/gemeint habe. Wenn die Türkei als "multikultureller Vielvölkerstaat" gegründet worden wäre, wäre das nur die Fortführung dessen gewesen, was bereits im Osmanischen Reich status quo war - eine parallele Existenz von unterschiedlichen Ethnien und Kulturen, mit allen daraus resultierenden Vor- und Nachteilen. Und in einer Epoche des Zerfalls und Niedergangs überwogen die Nachteile dieser Vielvölkerei die Vorteile bei Weitem (Aufstände, Autonomiebestrebungen, Separation). Der Gegenentwurf dazu war der Nationalstaat, ein Land mit einheitlicher Sprache und Kultur.
Genau das Gegenteil war der Fall. Das osmanische Reich war lange Zeit ein Vielvölkerstaat. Atatürks Prinzip, das bis heute gültig ist, war das eines Staates mit klarer ethnischer Identität und Dominanz der türkischen Ethnie. Die Idee des Kemalismus ist nicht viele Völker-eine Nation, sondern eine Nation für ein Volk.
In der Türkei hat es nie eine Apartheid gegeben. Es ist ein essentieller Unterschied, ob in einem Staat Ethnien ausgegrenzt/ausgesondert werden (eliminatorischer Rassismus wie der in Nazi-Deutschland wäre die extremste Form davon), oder ob sie - wie im Falle der Türkei - unter dem Begriff "türkische Identität" subsumiert werden (das meinte ich mit "zusammenschweißen"). Sicher, nach modernen Maßstäben auch nicht die konstruktivste Art, mit Minderheiten umzugehen, weil das auf eine Zwangsintegration hinauslief, aber im historischen Kontext (Zerfall eines Vielvölkerreichs als destruktive Folge eines multiethnischen Konzepts) erklärbar und bis zu einem bestimmten Grad vielleicht auch verständlich.
Vor und während der Gründung der türkischen Republik wurde der Großteil sogenannter subversiver Ethnien (Griechen, Armenier, Assyrer, Bulgaren) aus der Türkei vertrieben und vielfach ermordet. Kemal war mit Ausnahme des griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch nicht dafür verantwortlich, das waren vor allem die Jungtürken und davor Sultan Hamid, aber er übernahm das Prinzip.
Kommt drauf an, was Sie in diesem Zusammenhang unter "Prinzip" verstehen. Wie ich bereits oben beschrieb, verstehe ich unter Ausgrenzen und Zusammenschweißen zwei völlig unterschiedliche, sogar gegensätzliche Konzepte (Prinzipien).
Kemalismus ist ideologisch sehr weit entfernt von Multikulturalismus. Wäre Multikulturalismus "kompatibler" mit Kemalismus und der Staatsideologie der türkischen Republik, gäbe es zum Beispiel die internen Probleme mit der kurdischen Minderheit nicht in dem Ausmaß, wie sie seit langem existieren.
Dass der Kemalismus in seiner Rigorosität viel zum Bestehen/Aufheizen diverser innerpolitscher Konflikte beigetragen hat, darüber gibt es sicher Konsens. Aber das wäre jetzt wirklich nur ein Teilaspekt bei der Ursachenanalyse:
Die Grundlage Atatürks Handelns wurde nach seinem Tod als Ideologie des Kemalismus zusammengefasst, der auf sechs Prinzipien basiert: türkischer Nationalismus, Laizismus, Republikanismus, Etatismus, Revolutionismus und Populismus.

Die Reformen wurden von traditionalistischen Kräften nicht ohne Widerstand hingenommen. So kam es am 13. Februar 1925 zu einem Aufstand der kurdischen Minderheit unter Scheich Said. Sie bildete eine Mischung aus kurdischem Nationalismus und einem Widerstand der Geistlichen gegen die Säkularisierung der Türkei. Der Aufstand wurde wie andere Aufstände durch das Militär gewaltsam niedergeschlagen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschicht ... %C3%BCrkei
bennyh

Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von bennyh »

Jekyll hat geschrieben:(26 Aug 2016, 09:52)
Nein, ich habe es tatsächlich so darstellen wollen, wie ich es auch geschrieben/gemeint habe. Wenn die Türkei als "multikultureller Vielvölkerstaat" gegründet worden wäre, wäre das nur die Fortführung dessen gewesen, was bereits im Osmanischen Reich status quo war - eine parallele Existenz von unterschiedlichen Ethnien und Kulturen, mit allen daraus resultierenden Vor- und Nachteilen. Und in einer Epoche des Zerfalls und Niedergangs überwogen die Nachteile dieser Vielvölkerei die Vorteile bei Weitem (Aufstände, Autonomiebestrebungen, Separation). Der Gegenentwurf dazu war der Nationalstaat, ein Land mit einheitlicher Sprache und Kultur.

In der Türkei hat es nie eine Apartheid gegeben. Es ist ein essentieller Unterschied, ob in einem Staat Ethnien ausgegrenzt/ausgesondert werden (eliminatorischer Rassismus wie der in Nazi-Deutschland wäre die extremste Form davon), oder ob sie - wie im Falle der Türkei - unter dem Begriff "türkische Identität" subsumiert werden (das meinte ich mit "zusammenschweißen").
Eine türkische ethnische Identität gab es ja bereits seit langem. Die türkische Ethnie bezieht sich in ihrer Identität auf die Türkvölker, die ihren Ursprung in der asiatischen Steppe haben. Dies ist bekanntermaßen keine strikt genetische, aber eine kulturelle Identität, die schon seit vielen Jahrhunderten existiert. Sie ist nicht erst durch Subsummierung der Völker Anatoliens durch den türkischen Nationalismus, der viel später in Erscheinung trat, entstanden.

Mustafa Kemals Anliegen war es, einen Nationalstaat als Heimat für die türkische Ethnie in Anatolien zu gründen. Was danach geschah, ist, dass sich weitere Völker, aber eben nicht alle - Beispiel Kurden - assimierten. Es gab aber bereits - nach den ethnischen Säuberungen der Jungtürken und dem griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch sowieso - eine klare zahlenmäßige Dominanz der türkischen Ethnie in fast ganz Anatolien.
Jekyll hat geschrieben:(26 Aug 2016, 09:52)
Kommt drauf an, was Sie in diesem Zusammenhang unter "Prinzip" verstehen. Wie ich bereits oben beschrieb, verstehe ich unter Ausgrenzen und Zusammenschweißen zwei völlig unterschiedliche, sogar gegensätzliche Konzepte (Prinzipien).
Kommt drauf an, was Sie unter Zusammenschweißen verstehen. Es gibt Zusammenschweißen des neue-Welt Prinzips (Amerika, Kanada, Australien, etc.), das in etwa lautet: "Der Staat ist die Gesamtheit seiner Bürger. Egal, welche Hautfarbe, Religion, Kultur, Weltanschauung, etc. Ihr habt - die Tatsache, dass wir hier leben und die amerikanische/kanadische/etc. Staatsbürgerschaft haben, macht uns zu Amerikanern/Kanadiern/etc." und es gibt Zusammenschweißen des ethnischen Prinzips, das in etwa lautet: "Dies ist der Staat einer Ethnie, die eine Religion, eine Kultur, eine gemeinsame Geschichte, etc. hat. Wenn Ihr euch assimilieren und unsere Identität annehmen wollt, könnt ihr das gerne tun. Ansonsten wisset, dass dieser Staat eigentlich nicht für euch, sondern für uns gegründet wurde." Natürlich ist jeder Staat eine Graustufe zwischen diesen beiden Positionen. Bei letzterer Position, zu der ich den Kemalismus tendenziell eher zuordnen würde, fallen jedenfalls Ausgrenzung und Zusammenschweißen weitestgehend zusammen.

Jekyll hat geschrieben:(26 Aug 2016, 09:52)
Dass der Kemalismus in seiner Rigorosität viel zum Bestehen/Aufheizen diverser innerpolitscher Konflikte beigetragen hat, darüber gibt es sicher Konsens. Aber das wäre jetzt wirklich nur ein Teilaspekt bei der Ursachenanalyse:
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschicht ... %C3%BCrkei
Wie bei den meisten Konflikten dieser Art haben beiden Seiten natürlich ihren Anteil und sowieso ist nichts monokausal. Aber ich denke mal, die Problematik wäre deutlich geringer, wenn die Türkei sich als multinationaler Staat wie beispielsweise Kanada, was Quebec angeht, oder Belgien, was Flandern bzw. Wallonien angeht, begreifen und entsprechend politisch handeln würde. Dem diametrag gegenüber steht natürlich der Kemalismus. Wie gesagt, es gibt auch andere Gründe, da stimme ich Ihnen zu.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von schokoschendrezki »

Kardux hat geschrieben:(25 Aug 2016, 17:49)

Jede Definition die ich bisher gelesen habe hebt den extremen Nationalismus hervor, aber auch den Personenkult. Es passt perfekt zu Atatürk. Und die Tatsache das Hitler Atatürk nacheifern wollte ist wohl der ultimative Beweis das beide Brüder im Geiste waren.
Extremer Nationalismus ist eine der notwendigen Bedingungen für Faschismus. Aber noch keine hinreichende. Hitler hatte so manche Vorbilder, von denen längst nicht alle seine "Brüder im Geist" waren oder sein wollten. Ein "ultimativer Beweis" sieht vom Standpunkt der Logik doch etwas anders aus.

Zum Vorbild wurde Atatürk unter Deutschen in den 20er Jahren vor allem aus einem Grund: Man sah in ihm den einen und einzigen, der sich gegen die "Schande" und den Zwang von Versailles (bzw. hier spezielll Vertrag von Sèvres) zur Wehr setzte und das Friedensdiktat nicht nur nicht mit "Erüllungspolitik" akzeptierte sondern mit dem türkisch-griechischen Krieg. Eine Zeitlang soll in Deutschland ein regelrechtes "Türkenfieber" geherrscht haben. Es waren ganz ähnliche Reflexe am rechten Rand wie aktuell in Ungarn das Narrativ von der "Schande von Trianon". Alles wird in ein solches Narrativ hineingepresst und zurechtgeschnitten. Selbst die Tatsache, dass die Kemalisten anfangs von den russischen Bolschewisten unterstützt wurden, legte man sich so zurecht, dass dieser schlaue Atatürk, raffiniert wie er ist, auch die feindlichen Kommunisten blamiert, in dem er sie unwissentlich für seine Ziele einspannt.
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Re: Hass auf Atatürk

Beitrag von Kardux »

schokoschendrezki hat geschrieben:(26 Aug 2016, 13:19)

Extremer Nationalismus ist eine der notwendigen Bedingungen für Faschismus. Aber noch keine hinreichende. Hitler hatte so manche Vorbilder, von denen längst nicht alle seine "Brüder im Geist" waren oder sein wollten. Ein "ultimativer Beweis" sieht vom Standpunkt der Logik doch etwas anders aus.

Zum Vorbild wurde Atatürk unter Deutschen in den 20er Jahren vor allem aus einem Grund: Man sah in ihm den einen und einzigen, der sich gegen die "Schande" und den Zwang von Versailles (bzw. hier spezielll Vertrag von Sèvres) zur Wehr setzte und das Friedensdiktat nicht nur nicht mit "Erüllungspolitik" akzeptierte sondern mit dem türkisch-griechischen Krieg. Eine Zeitlang soll in Deutschland ein regelrechtes "Türkenfieber" geherrscht haben. Es waren ganz ähnliche Reflexe am rechten Rand wie aktuell in Ungarn das Narrativ von der "Schande von Trianon". Alles wird in ein solches Narrativ hineingepresst und zurechtgeschnitten. Selbst die Tatsache, dass die Kemalisten anfangs von den russischen Bolschewisten unterstützt wurden, legte man sich so zurecht, dass dieser schlaue Atatürk, raffiniert wie er ist, auch die feindlichen Kommunisten blamiert, in dem er sie unwissentlich für seine Ziele einspannt.
Ich spreche explizit davon das Atatürk einen türkischen Rassismus institutionalisiert hat, das gilt bis zum heutigen Tag. Wenn Sie das nicht als Faschismus betrachten wollen, dann bitte. Sie sehen eben nur den Laizisten der Alkohol, freizügige Kleidung, und westliche Werte in der Türkei etabliert hat. Alles andere ist auch unwichtig aus westlicher Sicht...
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Beitrag von schokoschendrezki »

Kardux hat geschrieben:(27 Aug 2016, 08:49)

Ich spreche explizit davon das Atatürk einen türkischen Rassismus institutionalisiert hat, das gilt bis zum heutigen Tag. Wenn Sie das nicht als Faschismus betrachten wollen, dann bitte. Sie sehen eben nur den Laizisten der Alkohol, freizügige Kleidung, und westliche Werte in der Türkei etabliert hat. Alles andere ist auch unwichtig aus westlicher Sicht...
Ich habe doch geschrieben: Die Popularität Atatürks bei den Nationalsozialisten hat überhaupt nix mit "Westlichkeit" zu tun sondern mit seiner Weigerung, die Versailler Verträge anzuerkennen und sich dem entgegenzustellen, was als "Erfüllungspolitik" bezeichnet wurde. Einen extrem übersteigerten Nationalismus gab und gibt es in etlichen Varianten in der Region ums Schwarze Meer und Kaukasus. Bis hin zu fragwürdigsten völkisch-rassischen Auffassungen wie etwa denen des ersten Präsidenten des unabhängigen Georgiens, Swiad Gamsachurdia. In keinem Fall jedoch würde ich diese Erscheinungen als "Faschismus" bezeichnen. Nicht, weil ich diese Dinge relativieren oder verharmlosen will, sonder weil ich, umgekehrt, den realen historischen Faschismus nicht verharmlosen will.
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