Skeptiker hat geschrieben:(18 Mar 2018, 12:51)
Was die Rebellen wollten war auch schon vorher klar kommuniziert worden. Wann, wie und in welcher Form, da dürfen sich gerne die Historiker ausleben. Russland hat das als Staatsstreich von antirussischen Kräften interpretiert - da liegen sie bis zur Rückkehr zur Verfassung auch nicht falsch. Dass sie die faschistische Komponente dabei überbetont haben ist auch klar, aber wer Teils solchen Leuten zur Macht verhilft, der braucht sich, insbesondere als Nachbar Russlands, darüber nicht zu beklagen.
Es war Janukowitsch gewesen, der die Verfassung geändert hatte und die Oppositionsspitze im Gefängnis hielt. Das war die Usurpation, verbunden mit einer typisch postsowjetischen Korruption. Die breit aufgestellte Protestbewegung hatte nur drei Forderungen: Rückkehr zur vorigen Verfassung, Rücktritt Janukowitschs und freie Wahlen.
Die Ukrainer waren schon öfters in ihrer Geschichte rebellisch, schon lange vor Janukowitsch. Da gab es mal die "Revolution auf Granit", die Protestbewegung "Ukraine ohne Kutschma", dann die "Orangene Revolution" und schließlich jene "Revolution der Würde", die bei uns als Euromaidan bekannt geworden ist.
Es ging immer um Korruption ganz wesentlich, in einem weiten Sinne auch darum, das postsowjetische Erbe abzuschütteln, Demokratie und Unabhängigkeit waren die tragenden Inhalte. Man vergleiche Polen, Litauen. Die Westorientierung ist eine Art Metapher für die Freiheit, für uns nicht so leicht zu verstehen. Da werden weitläufige Bezüge zur Geschichte hergestellt, nicht nur zur Sowjetunion, sondern auch zur "Goldenen Horde", den Mongolen aus den Tiefen des asiatischen Ostens. Kaum war Poroschenko gewählt, verkündete dieser, damit sei ein Fehler korrigiert worden, den man vor 400 Jahren (!) gemacht habe. Sowas ist für uns nicht so leicht zu verstehen, da wir mit der spezifischen Geschichte des Landes nicht so vertraut sind.
Man möchte zu Europa gehören. Das hat eine politische Komponente, ohne Frage, aber auch eine metaphorische.
Die Svoboda saß bereits unter Janukowitsch im Parlament, sie war schon da, die Übergangskommission konnte nicht einfach wahlfrei Oppositionsparteien ausschließen. Es gelang den liberalen Kräften jedoch, alle wichtigen Schlüsselpositionen in der Übergangsregierung zu besetzen, die freien Wahlen taten dann ihr übriges. Die extreme Rechte in Deutschland ist heute stärker im Parlament vertreten als in der Ukraine.
Ganz zu schweigen von Russland. Dort wettert nicht nur ein Schirinowski, ein extrem Rechter ist sogar stellvertretender Ministerpräsident.
Wenn Parteienvertreter zu irgendeinem Zeitpunkt sagen, sie finden EU und NATO gut, dann ist das ihre Sache. Sie müssen trotzdem gewählt werden. In Deutschland hat die SPD 1959 die Westbindung vollzogen. Wenn man das als auswärtige Macht nicht haben will, kann man intervenieren, klar, aber das ist ein aggressiver Akt des Krieges dann.
Russland hat garnicht das Selbstverständnis in Sevastopol zu Gast zu sein, insbesondere nicht bei einem NATO Staat. Das mag man verurteilen, ist aber die Mentalität in Russland. Auch wenn mir die Art und Weise nicht gefällt, aber unter dem Strich denke ich, dass hier klare Verhältnisse geschaffen wurden. Auch wenn Russland völkerrechtlich die Krim nicht zusteht, so wird durch den aktuellen Status das Kriegsrisiko minimiert, weil die Krim sonst auf Jahrzehnte ein potentieller Kriegsgrund für einen überregionalen Konflikt wäre. Das ist nun nicht mehr so, höchstens regional (also zwischen Russland und der Ukraine). Dessen Lösung hängt dann wieder fundamental mit den Beitrittsbestrebungen der Ukraine in die NATO zusammen. Ohne Neutralität der Ukraine lässt Putin es halt brodeln.
Der Truppenstationierungsvertrag sah natürlich keinerlei Intervention vor, sondern regelte einfach die Regularien im Verhältnis von Truppensteller und Stationierungsland. Wer sich nicht als Gast versteht, versteht sich dann als Eroberer und Besatzer. 2014 wurde der Kalte Krieg neu erfunden. Seit dem haben die Spannungen zugenommen. In der Ukraine selbst ist es kein kalter, sondern ein heißer Krieg, der bislang 10.000 Personen das Leben kostete. Eskalationen sind jederzeit denkbar. Das Gespenst des Krieges ist damit nach Europa zurück gekehrt.
Ein Neutralitätskurs ist damit auch gar nicht mehr möglich, denn wie könnte die Forderung nach Abzug russischer Streitkräfte neutral sein? Dafür hat man jetzt Minsk II, den kalten Dialog. Ukrainer und RF-Imperialisten stehen sich unversöhnlicher denn je gegenüber.
Das ist kein großes Wunder. Im ukrainischen Fernsehen war beispielsweise zu sehen, wie ein alter Mann, der einst mit den Russen gegen die Faschisten gekämpft hatte, seinen 23-jährigen Enkel zu Grabe trug, der bei der Verteidigung der Ukraine gefallen war. Dieser alte Mann sagte sowas in die Kamera wie: Warum schickt ihr, meine ehemaligen Kameraden, eure Enkel, um unsere Enkel zu töten? An solchen Dingen nimmt das ganze Land großen Anteil, fraglos über Parteigrenzen hinweg.
Das alles nennt sich strategische Außenpolitik. Mit Verständnis für irgendwen hat das nichts zu tun. Von einem Russland welches in den letzten Dekaden keinerlei Verständnis für seine Position erhalten hat, ist aber auch wenig Verständnis für den politischen Gegner zu erwarten.
Wir im Westen hatten zu viel Verständnis für Putin, nicht zu wenig. Hierzu die bereits erwähnte, russische Historikerin:
Die Ukraine ist eine Herausforderung für Russland und eine Herausforderung für den Westen. Ich glaube, dass der Euromaidan nicht nur in unserer postsowjetischen Geschichte – nicht nur in der russischen, der ukrainischen – sondern in der europäischen Geschichte eine größere Rolle spielt als die Ereignisse des Jahres 1991.
http://de.euromaidanpress.com/2016/01/0 ... erbrochen/
Wir im Westen sollten weniger Verständnis für die Kremlisten aufbringen als vielmehr für unsere eigenen Verbündeten, Assoziierten und Partner. Wenn die sog. Putin-Versteher unablässig den Dialog fordern, so lautet meine Erwiderung, dieser Dialog ist so kalt wie die Leichen, die diese Verhandlungen begleiten - lasst uns einen neuen Dialog anstreben, nämlich den mit unseren Partnern, mit der Ukraine und mit all jenen, die um Freiheit ringen.
Die strategische Außenpolitik muss Verbündete suchen, nicht Gegner. Und auf Akte der Aggression ist flexibel zu antworten. Entspannung geht nur mit Verteidigungsfähigkeit, sie ist kein Selbstläufer.
Daher ja mein Gedanke auf Entspannung mit Russland zu setzen. Russen sind sehr stolz und emotional. Es geht immer nach hinten los sich mit ihnen anzulegen. Umgekehrt kann man alles von ihnen haben, wenn man sie korrekt behandelt. Bezichtigt man aber jedes Eingehen auf russische Interessen als Zeichen der Schwäche, tja, dann wird es schwer ...
Russland hat keine Wahl, es bräuchte ebenfalls eine "Revolution der Würde", um sich von den Knien zu erheben. Das Problem ist der Kreml, d. i. die Verschwörung gegen die Freiheit und gegen den Frieden.
Mit dem Verbrechen kann es keine Augenhöhe geben, sondern nur der klare Blick. Die Sitzhöhe Putins stellt dieser selbst ein.
Vor einer Appeasementpolitik kann ich nur warnen, sie ist die förmliche Einladung zu weiterer Aggression.