H2O hat geschrieben:(22 Jan 2018, 12:26)
Ungarn ist von den Siegermächten nach dem 1. Weltkrieg sehr ungerecht zerteilt worden. Ich sehe nur in der EU und ihrem Minderheitenschutz eine langfristige friedliche Lösung und Beruhigung dieses Unrechts. Um so wahnsinniger diese ständigen Störmanöver Ungarns in der EU... vielleicht brauchen Ungarn viel Aufregung?
Die (sogenannte) "Schande von Trianon" war im wesentlichen Kern die internationale formalrechtliche Anerkennung der Sezessionen (Tschechiens, der Slowakei, Sloweniens, Kroatiens, Teile Rumäniens und der Ukraine) vom ehemaligen k.u.k.-Reich. Das war mehr als gerecht. Nicht nur, weil Österreich-Ungarn zu den Hauptkriegstreibern gehörte sondern weil der sogenannte "Vielvölkerstaat" eigentlich ein Drei-Klassen-Völkerstaat war. Mit dem kaiserlichen Österreich ganz oben. Dem königlichen Ungarn als Fahrradfahrer in der Mitte. Und allen anderen nichtgenannten Völkern als Getretene ganz Unten. Dass mit Trianon auch eine ganze Menge ungarischsprechender Menschen plötzlich in einem anderen Land als Minderheiten aufwachten ... ist dagegen eher zweitrangig.
Und bezogen auf das Thema: Historisierende Metaphern wie "Schande von Trianon" oder der eine Region "tretende Stiefel" gehören für mich ins vorvorige Jahrhundert. Nicht der angeblich freudsche Versprecher Poroschenkos ist das Problem oder offenbart seine angeblichen eigentlichen Gedanken ... sondern die Metaphorik an sich. Das schreckliche leere, identitäre Pathos. Dass jemandem, der vorgibt, Teil der modernen europäischen Gemeinschaft des 21. Jahrhunderts werden zu wollen, auch nix anderes einfällt, als sich in die Reihe derer einzuordnen, die vom Amselfeld als dem "Herzen Serbiens", der "Schande von Trianon", der Krim als dem "Heiligtum Russlands" schwadronieren. Die wie Erdogan die alten Osmanen oder wie Sarkozy die alten Gallier hervorkramen (die es
so, als Stammväter der Nation nie gegeben hat). Wir können und dürfen den Ukrainern nicht vorschreiben, wie sie leben und ihre Nation sehen wollen. Aber wenn sie Teil der europäischen Gemeinschaft werden wollen, hat das zur Konsequenz, dass sie
dann auch mit einer solchen Kritik leben müssen.
Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt ... ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig (Hannah Arendt)